Phobos-Grunt und die Misere der russischen Raumfahrt

Am 8.11.2011 um 21:16 mitteleuropäischer Zeit hob die Zenit mit der Raumsonde Phobos-Grunt ab. Die Zenit setzte die Raumsonde mitsamt der Fregat-Oberstufe auch in dem Orbit ab. Mit dem Erreichen des 207 x 346 km hohen Parkorbits war die Mission de Zenit beendet. Danach war Phobos-Grunt alleine für den weiteren Ablauf verantwortlich. Die Integration der Fregatoberstufe in die Raumsonde ermöglichte zwar den leichten Umzug von der Sojus auf die Zenit, aber damit war nun auch die Raumsonde für die Zündung der Fregat zuständig und dies rächte sich nun. Die erste Zündung sollte nach 1,7 Umläufen um 23:55 erfolgen. 10 Minuten lang sollte das Haupttriebwerk der Fregat arbeiten. Danach hat sie en Treibstoff des Zusatztanks verbraucht, welche diese Version von der Oberstufe der Sojus unterscheidet. Dieser Zusatztank ist dann überflüssig und sollte um Gewicht sparen zu können dann abgeworfen werden. Diese erste Zündung sollte Fobos-Grunt auf eine elliptische Erdumlaufbahn von 250 bis 4150 km Höhe bringen. Die zweite Zündung die nun 18 Minuten dauert, erfolgt einen Umlauf später. Nach den Plänen um 2:02 am 9.11.2011. Sie sollte die Raumsonde auf einen Fluchtkurs bringen.

Alle Manöver werden von der Raumsonde autonom durchgeführt. Eine Steuerung vom Boden aus war nicht vorgesehen. Doch die Zündung blieb aus. Danach gab es von Russland nur wenige Daten. Es wurde eigentlich nur bekannt gegeben, dass die Zündung ausblieb und man sich bemühe, die Raumsonde zu kontaktieren. Einen Tag später wurde bekannt gegeben, dass die beim Start übermittelten Daten ein normales Aussetzen der Raumsonde signalisierten und es auch Telemetrie der Raumsonde während des ersten Umlaufs gab. Sie zeigte, dass Phobos-Grunt ordnungsgemäß auf die Sonne ausgerichtet war und seine Solarpaneele entfaltet hatte.

Die folgenden Tage versuchte die Raumfahrtagentur Roskosmos die Sonde zu kontaktieren, die Sicherungsprogramme des Bordcomputers zu übergehen und die Zündung so zu bewerkstelligen. Ursache soll sein, dass ein Sensor, der Daten über die Ausrichtung der Raumsonde relativ zu den Sternen und der Sonne ein fehlerhaftes Signal liefert. Das sollte durch ein Softwareupdate lösbar sein.

Doch alle Versuche den Roboter zu kontaktieren scheiterten. Es gab auch keine Telemetrie mehr. Auch Hilfestellungen seitens der ESA halfen nichts. Vorgesehen war ein Kontrakt während dieser Missionsphase nicht. Die Raumsonde ist zu nah an der Erde und bewegt sich zu schnell über den Horizont, sodass es schwierig ist sie anzufunken und rechtzeitig, bevor sie über das Firmament gezogen ist, Daten zu senden oder zu empfangen.

Der Verlust von Phobos Grunt ist nicht der einzige der im russischen Raumfahrtprogramm zu beklagen ist. Die neue Version der Proton, die Proton M hat bei 50 Starts nur eine Zuverlässigkeit von 90% erreicht, ein für heutige Verhältnisse sehr schlechter Wert, vor allem bei einem Modell, das schon seit über 40 Jahren im Einsatz steht. Dann gingen dieses Jahr Satelliten auf der Rockot, einer neuen Trägerrakete verloren und ein Versorgungsflug zur ISS scheiterte – der Erste in der Geschichte der Progressraumschiffe. Anatoly Zak, der die als recht zuverlässig eingestufte Website russianspaceweb.com betreibt, berichtete von einem Ausbluten der russischen Raumfahrt, die als gemeinsame Ursache für alle diese Fehlstarts infrage kommen könnte. Demnach verließen viele jüngere Ingenieure und Wissenschaftler als das russische Raumfahrtprogramm Anfang der neunziger Jahre zusammenbrach dieses. Sie wanderten aus nach Europa und in die USA, wo sie mit ihrer Qualifikation gesuchte Mitarbeiter waren. Die nationale Raumfahrt war lange Zeit ein Prestigeprogramm für die Sowjetunion. Die Mitarbeiter waren hoch qualifiziert und genossen Privilegien und eine außergewöhnlich hohe Bezahlung. Der Zerfall der Sowjetunion ging einher mit einem wirtschaftlichen Niedergang, der zu diesem Exodus führte. Übrig blieben die älteren Mitarbeiter, die entweder nicht in den Westen abwandern wollten, weil sie familiär gebunden waren oder keinen Job bekamen. Die steigenden Einnahmen durch Öl- und Gasexporte bewirken zwar nun einen Aufschwung im russischen Raumfahrtprogramm. Neben den obligaten militärischen Missionen und den prestigeträchtigen bemannten Flügen, gibt es nun erstmals seit mehr als 10 Jahren wieder neue wissenschaftliche Missionen, wie eben Phobos Grunt. Doch fehlen nun die qualifizierten Mitarbeiter. Die Lücken wurden mit jungen Anfängern gefüllt und angesichts dessen, dass ein Ingenieur bei den Staatsunternehmen nur etwa die Hälfte eines Handyverkäufers in Moskau verdient, gewinnt man sicher nicht das qualifizierteste Personal. Nun gingen in den letzten Jahren auch noch die meisten alten Mitarbeiter in Rente und die Folgen sind so noch gravierender: es fehlt an Know-How. Weiterhin soll die Technologie kaum weiterentwickelt worden sein. Russische Firmen verdienen sehr gut mit der Vermarktung von Trägerraketen, die seit Jahrzehnten unverändert produziert wurden wie der Sojus, Proton oder Zenit. Die einzige noch verbliebende Neuentwicklung, die Angara liegt drei Jahre hinter dem Zeitplan zurück und eine modifizierte Angara Stufe, welche bei der koreanischen KSLV eingesetzt wurde, hatte auch einen Fehlstart. Alle anderen projektierten neuen Projekte wie der Raumgleiter Kliper, die geflügelte wiederverwendbare Version der Angara, die Baikal und die überschwere Trägerrakete Rus-M, wurden eingestellt. Das russische Weltraumprogramm soll nach Zaks Angaben daher sich auf veraltete Technologie stützen und den Anschluss an den Stand der Technik verloren haben. So reiht sich der Verlust von Phobos Grunt nur ein, in eine Liste zahlreicher anderer Fehlschläge der letzten Zeit.

In dieselbe Kerbe schlägt folgender von news.ru veröffentlichter Brief:

Offener Brief eines führenden Spezialisten der wissenschaftlichen Produktionsvereinigung Lawotschkin (veröffentlicht ein halbes Jahr vor dem Start von Fobos-Grunt)
An den Vizepremier Sergej Borisowitsch Iwanow

Sehr geehrter Sergej Borisowtisch,

Vor kurzem wurde in den Medien ihr Auftritt vor Roskosmos-Kollegium gezeigt, in dem sie sich sehr kritisch zu dem gegenwärtigen Zustand des Industriezweiges äußern, der unter ihrer Aufsicht steht. Natürlich kann ich meinen Kenntnisstand nicht mit dem Ihrigen vergleichen, aber ich war bis vor Kurzem einer der führenden Spezialisten im Versuchskonstruktionsbüro des Staatsbetriebes Lawotschkin. Nach meiner Einschätzung ist die tatsächliche Lage beim Bau von Raumfahrttechnik noch schlechter als es scheinen mag.  Da ich unmittelbar mit der Entwicklung von Baugruppen, die auf Raumfahrzeugen installiert werden, beschäftigt war, kann ich wagen, diese pessimistische Einschätzung beizubehalten. Hier einige Beispiele, wie die Entwicklung neuer Technik in der Firma Lawotschkin gehandhabt wird.

Vor Kurzem, im Januar 2011, wurde nach vielen Verzögerungen der Satellit „Elektro-L“ gestartet. Den Antrieb der schwenkbaren Antennen auf diesem Satelliten habe ich projektiert.  Dieselben Baugruppen werden (mit einigen Änderungen) auch auf dem Satelliten „Spektr“ und einem Satelliten für besondere Aufgaben verwendet.  Die Projektierung dieser wichtigen Baugruppe wurde ohne technische Projektierung, lediglich auf Grundlage von mündlichen Anweisungen, die sich oft noch widersprachen, durchgeführt.  Erst, als die Baugruppen bereits hergestellt waren, folgte die technische Projektierung zu ihrer Herstellung. Im Falle der Antennen erfolgte sie noch später.  In diesem Beispiel geht es noch um relativ einfache Baugruppen – tatsächlich ist dieses Vorgehen allgemein gängige Praxis in der Firma Lawotschkin.  Eine solche Arbeitsweise dürfte uns auch in der Zukunft weitere Schwierigkeiten bereiten.

Ein weiteres Beispiel. Es fehlen theoretische Untersuchungen zu den gewählten technischen Lösungen, die eigentlich erforderlich sind, bevor die Arbeitsdokumentationen erstellt werden können. Die gewählten Kriterien beruhen nicht auf wissenschaftlichen Argumenten, sondern darauf, was dem Chef der Konstruktionsabteilung gefällt oder nicht.

Es wird einfach nach ästhetischen Gesichtspunkten entschieden. Eine technische Debatte auf der Basis rationaler ingenieurtechnischer Lösungen findet nicht statt. Der Chef ordnet an: Ich bin der Chef – du ein Narr.  Appelle an die Notwendigkeit klarer Anweisungen gehen ins Leere – das ist ein leeres Blatt Papier, in meinem Fall (als leitender Spezialist) noch nicht einmal das.

Besonders unehrlich ist die Firmenleitung bei ihren Angaben zur Zuverlässigkeit (die Zuverlässigkeit unter realen Bedingungen, nicht die unter formalen, als theoretischen).
Auf meinen Hinweis, dass die Zuverlässigkeit das entscheidende Kriterium in der Raumfahrttechnik ist, antwortete ein nicht unbedeutender Manager scherzhaft: „Zuverlässigkeit – das ist eine Hure des Imperialismus. ICH muss dem Direktor eine Zahl nennen, und er schreibt dann die Höhe der Zuverlässigkeit auf, die gebraucht wird.“
Im Grunde genommen läuft es immer so ab, auch mit den Berichten an das ZNIIMasch. Formal werden also alle Bedingungen korrekt erfüllt. Erst der Einsatz zeigt, was funktioniert und was nicht.

Wie sich der Fehlschlag von Phobos-Grunt auf das zweite Raumsondenprojekt Russlands, die Venussonde „Venera D“ auswirkt ist offen. Diese sollte dieselbe Methode und ebenfalls die modifizierte Fregatstufe einsetzen, um zur Venus zu gelangen und dort in eine Umlaufbahn einzuschwenken.

2 thoughts on “Phobos-Grunt und die Misere der russischen Raumfahrt

  1. Da sind wohl zu viele Mittel in Agenten die diverse Systemgegner erschießen oder mit Polonium 210 vergiften draufgegangen.

    Der Rest versickert in einem korrupten System von Turbokapitalismus… oder besser: Turbofeudalismus 2.0.

    So gesehen war der Staatskommunismus unter Cruschtschow / Breschnjew noch das beste, was den Russen passieren konnte.

    Die jetzigen „lupenreinen Demokraten“ (O-Ton Ex-Kanzler Schröder) bringens einfach nicht mehr. Neu-reiche, randalierende Edel-Russen in allen Hotels der Welt, aber keine Venera-Sonden mehr. Und auch keine Energija-Rakete, keine Buran, keine An-225, keine Mir – das sind alles Entwicklungen aus Sowjet-Zeiten.

    Putin ist ein Berlusconi XXL. Vorbei sind die Zeiten der starken Sowjetunjon. Schade.

  2. eigentlich ist die zuverlässigkeit des russischen raumfahrtsprogrammes heutezutage höher als zu sowjetzeiten. man hat halt damals soviele sonden gestarten bis es halt mal zufällig funktioniert hat.

    das man für keine 200 millionen dollar so eine sonde wie phobos grunt bauen kann haben nur optimisten geglaubt. das ganze bodensegment war nicht auf eine solche mission vorbereitet.

    man kann es natürlich als katastrophal sehen – wie zb „drei GLONASS satelliten ins meer gestürzt“. auf der anderen seite vergisst man dabei aber auch zu erwähnen das seitdem 6 neue GLONASS sats gestartet worden sind.

    es gibts viel zu tun, zb werden viele satelliten momentan auf einen neuen bus umgestellt, und die fehlstarts insbesondere wegen software fehlern etc. schauen blöd aus. man sollte aber nicht vergessen das das raumfahrtprogramm wächst und die umstrukturierung erst im gange ist. die geringe produktivität lässt viel verbesserungs spielraum.

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