Supersynchrone Bahnen, Umwege über den Mond und die Reihenfolge von Orbitänderungen

Der supersynchrone Orbit (SSTO)

In diesem Artikel geht es um einige Spezialthemen die selten eingesetzt werden, aber an denen man die Orbitalmechanik recht gut erklären kann: Den Umweg in den GTO über einen supersynchronen Orbit, den Umweg über den Mond und in welcher Reichenfolge man die Bahn ändern sollte, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt.

Übergangsorbit SES 6Am 3.6.2013 startete eine Proton einen Satelliten in einen supersynchronen Orbit. Die super- und subsynchronen Orbits gab es sehr lange Zeit nur bei der Atlas. Es sind Übergangsbahnen zum GTO Orbit. In der Theorie ist die optimalste Strategie einen GTO Orbit zu erreichen, wenn man möglichst nahe der Erde in einer möglichst kurzen Zeit stark beschleunigt und eine Übergangsbahn erreicht, der erdfernster Punkt auf der Höhe des GEO ist. Dort nach 5 Stunden angekommen zirkularisiert eine Zündung die Bahn und baut die Inklination zum Äquator ab. Auch diese sollte möglichst kurz sein.

Wenn eine Stufe sehr lange arbeitet (das gilt auch für die Apogäumsmotoren von Satelliten die meist nur 400 bis 500 N Schub haben) ist es günstiger die einzelnen Manöver in mehrere Teilmanöver zu splitten um Gravitationsverluste zu verringern. Das ist bei der langen Brennzeit der Breeze M von 2.400 s der Fall. Daher hat diese 3-4 Zündungen um den GTO Orbit zu erreichen, der auch meist etwas anders ist als bei Ariane üblich. Umgekehrt startete die Luftwaffe mit der Titan 3+4 sehr viele Satelliten "off perigree", also mit einem Perigäum nahe des Erdbodens. Das war möglich weil die Transtage Oberstufe gleich die Zirkularisierung durchführte.

Ein Subsynchroner GTO ist ist nun ein GTO dessen Apogäum unterhalt des GTO (also kleiner als 36000 km). Ein supersynchroner ist einer dessen Apogäums höher als GTO ist. (bis zu 70.000 km sind üblich). Beide haben ihre Ursache in der marktbeherrschenden Stellung von Ariane in den Neunzigern. Ein Kunde musste bei der Atlas immer einen festen Preis zahlen. Arianespace versuchte dagegen, Satelliten so zu kombinieren, dass die Nutzlast optimal ausgelastet wurde. Was machte nun der Kunde wenn sein Satellit etwas zu leicht oder etwas zu schwer für die Atlas war? War die Nutzlast zu schwer, so reichte es nicht für das Apogäum in der Höhe des GEO. In diesem Falle musste der Satellit mit seinen eigenem Treibstoff zuerst den Orbit anheben und erst dann konnte er ihn zirkularisieren. Das ist offensichtlich eine Lösung, sie reduziert aber die Lebensdauer des Satelliten. Doch welchen Sinn macht der supersynchrone Orbit? Nun klar wird dies bei den beiden Formeln die für Impulsmanöver gelten.

v =√ (GM × ((2 ÷ x)-(1 ÷ Halbachse))

GM ist das Produkt aus Gravitationskonstante und Erdmasse

Halbachse ist der Halbe Durchmesser des ganzen Orbits (Apogäum + Perigäum / 2) berechnet vom Erdmittelpunkt aus

x ist der momentane Abstand,

Bei einem Standard GTO (186 x 35887 km) hat der Satellit bei x = 35887 km eine Geschwindigkeit von 1592,4 m/s, die Kreisbahngeschwindigkeit beträgt 3071,1 m/s. Der Satellit muss also um 1478,7 m/s schneller werden. Bei einem supersynchronen Orbit von 186 x 70000 km sind es an dieser Stelle 3739 m/s also eine geringere Differenz. Doch da es auch um den Bahnvektor geht, ist dies nicht direkt zu vergleichen. Bedeutender ist eine zweie Gleichung, denn der Satellit muss auch die Inklination angleichen. Dies sind beim Start vom CSG aus nur 5,2 Grad, wobei Ariane durch Anpassung der Aufstiegsbahn sogar auf 2 Grad erniedrigen kann und vom Cape Kennedy sind es 28,8 Grad (reduzierbar auf etwa 27 Grad). Beim Start vom Baikonur aus sind es dagegen 51,63 Grad, reduzierbar auf etwa 50 Grad. (siehe unten)

Eine Inklinationsänderung ist berechenbar nach:

vi = 2× sin(Winkel ÷ 2) × v

v ist die momentane Geschwindigkeit. Aufgrund der Multiplikation mit v ist es günstiger diese im Apogäum bei der niedrigsten Geschwindigkeit durchzuführen. typische vi für GTO Orbits sind:

Weltraumbahnhof Inklination vi
CSG 5,2 Grad 140,6 m/s
CCAF 28,8 Grad 742,2 m/s
Kosmodrom Baikonur 51,6 Grad 1299,1 m/s

Dies wird zur zeitgleich durchgeführten Anhebung des Apogäums durchgeführt, sodass die Geschwindigkeiten sich vektoriell addieren. Dann gilt folgende Formel:

vi = √(vs² + ve² - 2*vi*vs*cos(Winkel))

vi = Geschwinigkeitsänderung

vs: Startgeschwindigkeit

ve: Zielgeschwindigkeit

Daher ist die Gesamtänderung nicht ganz so dramatisch. Die Gesamtgeschwindigkeit beträgt bei Standard GTO 1500 m/s beim Start vom CSG aus, 1832 m/s beim Start vom CCAF aus und 2429 m/s beim Start von Baikonur aus. (Niedriger als der theoretische wert, da bei der Ausweitung der Bahn schon die Inklination reduziert wird).

Von Bedeutung ist nun, dass bei einem supersynchronen Orbit die Geschwindigkeit im Apogäum geringer ist. Im obigen Fall mit 70.000 km Höhe sind es nur 909 m/s. Das bedeutet es wird weniger Treibstoff benötigt um die Inklination abzubauen. Zeitgleich hebt man das Perigäum auf 35587 m/s an. Dazu benötigt man eine Geschwindigkeitsänderung um 1019 m/s. In der Summe sind es dann 1290 m/s die benötigt werden (Baikonur, 51,5 Grad Anfangsorbit). Man hat dann eine Bahn von 35887 x 70000 km. Diese muss man dann noch mit einer weiteren Zündung in 35887 km Höhe zirkularisieren. Dazu braucht man weitere 414 m/s. In der Summe sind es dann 1704 m/s, also weniger als die 2100 m/s bei einem normalen GTO, aber mehr als die 1500 m/s die man bei einem Start vom CSG aus braucht.

Arianespace hat eine solche Marktdominanz, dass ILS mit der Breeze M normalerweise "energiekompatible" Orbits anstrebt. Sprich: sie entlassen die Nutzlast nicht in einem 51,5 Grad geneigten GTO Orbit, da hier der Satellit 600 m/s mehr benötigt um die hohe Inklination abzubauen, was seine Lebensdauer sehr stark beschränken würde. Die ideale Lösung ist der obige supersynchrone Orbit. Nur dauert die Mission dann sehr lange. Die letzte Zündung im Apogäum erfolgt erst 9 Stunden nach dem Start. Bisher entließ die Breeze M die Nutzlast in Bahnen mit einem höheren Apogäum und einer erniedrigten, aber noch vorhandenen Inklination. Beim Start von Anik G1 waren es folgende Manöver

Manöver Perigäum Apogäum Inklination
Parkorbit nach erster Zündung 173 km 173 km 51,5 Grad
nach zweiter Zündung 270 km 5000 km 50,3 Grad
nach dritter Zündung 425 km 35799 km 49,1 Grad
nach vierter Zündung 9138 km 35786 km 13,4 Grad

Greoundtrack Anik G1 StartDie dritte Zündung hebt das Perigäum an und senkt die Inklination ab. Es wird beides kombiniert, weil es energetisch ungünstiger ist die Manöver nacheinander durchzuführen. Es sind auch vier Manöver, obwohl zwei reichen würden (bei leichten Nutzlasten sind es sogar bis zu fünf), weil die lange Brennzeit der Breeze M sonst nicht nur Perigäum, sondern auch Apogäum anheben würde. Man erkennt das schon bei dem Perigäum das während der ersten Brennperiode um 100 km und bei der zweiten um 150 km anwuchs. Ein zweiter Punkt ist, dass die Breeze M der Proton aus der kleineren Breeze KM der Rockot entwickelt wurde. Dazu hat man einfach um die bisherige Stufe einen ringförmigen Zusatztank herumgebaut und dieser wird nach der dritten Zündung abgeworfen wird. Während des Betriebs ist das nicht möglich um eine Kollision zu vermeiden. Daher müssen die Manöver so aufgeteilt werden, dass so viele Zündungen nötig sind.


Das um den GTO zu erreichen zwei Zündungen nötig sind, hat ebenfalls mit dem Start im Norden zu tun. Energetisch günstig ist es das Aufweiten der Ellipse über dem Äquator durchzuführen, weil so automatisch die Inklination absinkt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Stufe aber noch über China. Auch alle folgenden Zündungen finden aus demselben Grund über dem Äquator statt. Man sieht dies am Groundtrack, wobei durch die langen Brennzeiten und hohe Geschwindigkeit im Apogäum schon 30 Grad vorher damit begonnen wird.

Lediglich beim Start in Äquatornähe kommt man mit nur einer Zündung aus. Schon beim Start von Cape Canaveral sind es zwei, wobei hier die Freiflugphase mit einer Viertelstunde aber deutlich kürzer ist. Also Folge kommt Ariane 5 mit einer Oberstufe aus, die nur einmal gezündet werden kann. Alle anderen Träger haben wiederzündbare Stufen.

Bei der Proton war es so, dass solange diese Block DM-2 bzw. Varianten dessen einsetzte (Ergänzung "Block DM" im Namen) eine Variation des "normalen" GTO einsetzte: Block DM brachte zuerst die Kombination Oberstufe + Satellit in einen geostationären Übergangsorbit (200 x 36000 km). Am Apogäum angekommen, nach 5-6 Stunden, hob eine dritte Zündung das Perigäum an und baute einen Teil der Inklination ab. Diese einfachere Flugbahn war möglich, weil zum einen Block DM leichter als die Breeze M war. Damit konnte schon die Kombination Block DM und Satellit einen niedrigen Erdorbit erreichen. Die erste Zündung der Breeze M, die dazu dient überhaupt erst einen Parkorbit zu erreichen konnte so entfallen. Zudem war das Triebwerk schubkräftiger. Es hatte den vierfachen Schub des Triebwerks der Breeze M. Dadurch waren die Gravitationsverluste geringer und es reichte eine kurze Zündung über 110 s Dauer im Apogäum.

Ist nun die Variante mit dem supersynchronen Orbit günstiger? Da die Breeze M die Satelliten je nach Gewicht in unterschiedlichen Orbits aussetzt hier die Daten von zwei fast gleich scheren Nutzlasten, einmal in supersynchronen GTO und einmal das normale Flugregime. Die dritte Orbitänderung erfolgt in zwei kurz hintereinander folgenden Zündungen, da dazwischen der äußere Treibstofftank abgeworfen wird.

Parameter SES 4 SES 6
Startdatum: 15.2.2012 3.6.2013
Gewicht Satellit: 6.180 kg 6.100 kg
Orbit nach erster Zündung: 173 x 173 km x 51,5 Grad 175 x 175 km x 51,5 Grad
erste Brennzeit 277 s 267 s
Orbit nach zweiter Zündung 270 x 5000 km x 50,3 Grad 295 x 6000 km x 51 Grad
zweite Brenndauer 1130 s 1174 s
Orbit nach dritter Zündung: 430 x 35807 km x 49,1 Grad 475 x 65.044 km x 50,5 Grad
dritte Brenndauer 663 s + 378 s 566 s + 505 s
endgültiger Orbit 3714 x 35786 km x 24,6 Grad 4482 x 65000 km x 26,3 Grad
vierte Brenndauer 350 s 214 s
Differenz zum GEO (ohne Gravitationsverluste) 1421 m/s 1316,6 m/s

Der Umweg über den supersynchronen Orbit ist also um rund 100 m/s günstiger. Allerdings muss man die 80 kg geringere Nutzlast berücksichtigen, die sich bei den bekannten Leistungsdaten der Breeze M in 30 m/s höherer Geschwindigkeit niederschlagen. Somit beträgt der Gewinn, wenn man annimmt, dass die Treibstoffvorräte vollständig ausgenutzt werden, noch 70 m/s, was knapp eineinhalb Jahre Betriebszeit bei einem geostationären Satelliten entspricht. Ist dies nicht gegeben, dass heißt wird immer derselbe Standardorbit angestrebt, unabhängig von dem Gewicht der Nutzlast so entspricht dies einer um 2 Jahre verlängerten Lebensdauer.

Ein weiterer Aspekt, der bisher nicht erwähnt wurde ist zumindest bei dem Vorgehen der Proton M mit der Breeze M Oberstufe die gesamte Flugdauer. Da beim supersynchronen Orbit der zweite Zwischenorbit eine Halbachse von 39.130 km hat, dauert diese Mission sehr viel länger als die bisherige Vorgehensweise.

Bei dem Bahnregime, das die Proton fährt (Endorbit 4482 x 65000 km, 26,3 Grad) stellt sich übrigens die Frage, wie der GEO Orbit erreicht werden soll, da das Perigäum höher als bei einem Standard GTO ist, das Apogäum aber auch. Es gibt zwei Möglichkeiten:

oder

Die Inklinationsänderung wird immer im Apogäum erfolgen, da dann die Bahngeschwindigkeit am geringsten ist und gemäß obiger Formel mit dieser multipliziert wird.

  Option 1 Option 2
Erste Bahnänderung 1089,9 m/s 341,9 m/s
Zweite Bahnänderung 372,9 m/s 1574,1 m/s
Summe: 1462,8 m/s 1916 m/s

Andere Manöver sind noch ungünstiger, wie man leicht durch Überlegung herausfinden kann. Knack und Angelpunkt ist die Inklinationsänderung die bei niedrigstmöglicher Geschwindigkeit stattfinden sollte. Bei der ersten Option führt man diese in 65.000 km Entfernung durch, daher benötigt man deutlich weniger Geschwindigkeit. Dies ist auch der tiefere Sinn eines supersynchronen Orbits.

SSGTODas Diagramm links zeigt die Geschwindigkeitsbilanz für SSGTO bei einer Anfangsbahnneigung von 27,9 Grad. In Blau die Perigäumsanhebung bei der auch die Inklination abgebaut wird, Sie führt zu einer Bahn mit einem Perigäum von 35786 km und einem Apogäum von 40.000 bis 120.000 km und einer Inklination von 0 Grad. Diese Geschwindigkeit sinkt stark mit siegender Entfernung ab, weil die Inklinationsänderung immer weniger Aufwand erfolgt durch die langsame Fluggeschwindigkeit des Satelliten.

In Rot ist die darauf folgende Apogäumssenkung skizziert, bei der in 35786 km durch eine weitere Zündung eine kreisförmige GEO-Bahn erreicht wird. Durch das immer weiter außen liegende Apogäum steigt diese Geschwindigkeit an, allerdings erheblich langsamer.

Gelb ist die Summe beider Manöver, das ist die Geschwindigkeit die der Satellit aufbringen muss. In Grün wird der gesamte Geschwindigkeitsbedarf gegenüber dem Standard GTO (hier: 200 x 35786 km x 27,9 Grad) aufgeführt. Diese steigt dagegen laufend an, da man die niedrigere Geschwindigkeit für den Satelliten dadurch erkauft dass die Rakete eine höhere Geschwindigkeit in der Übergangsbahn erreichen muss.

Will man ausgehend von der 200 x 35786 km x 27,9 Grad Bahn z. B. nur noch ein Δv = 1500 m/s (geschwindigkeitskompatibel mit einem Ariane 5 GTO) erreichen, so hat dieser folgende Daten:

Manöver Start vom CCAF Start von Baikonur aus
Orbit  200 x 118.225 km 27,9 Grad 200 x 239.792 km x 51,6 Grad
Initialorbit 10.737,2 m/s 10.872,5 m/s
Perigäumsanhebung 815,9 m/s 556,7 m/s
Apogäumsabsenkung 684,1 m/s 943,3 m/s
Summe für den Satelliten 1.500 m/s 1.500 m/s
Summe über GTO: 1.990,2 m/s 2.123 m/s
Direkt 1.823,3 m/s 2.429,9 m/s

Die Angleichung bei einem normalen GTO hätte nur 1823,3 m/s erfordert. Der Umweg über den SSGTO ist also um 167,1 m/s aufwendiger, für die Trägerrakete sind es sogar mehr als 600 m/s. Das ist der Grund, warum bei US-Trägern die Nutzlast für Ariane 5 kompatible GTO viel geringer ist. Bei einer nur zweistufigen Rakete, wie der Falcon 9 ist die Einbuße noch geringer. Je nach Masse der Oberstufe /4-6 t Leermasse) reduziert sich für obigen SSGTO die Nutzlast von 4,85 t auf 3 bis 3,4 t. Anders sieht es beim Start von Baikonur aus, hier ist die Inklinationsänderung so energetisch aufwendig, dass der Umweg über den SSO die Nutzlast deutlich steigert. So konnte die Nutzlast für einen 1500 m/s GTO von 3,5 auf 6,1 t gesteigert werden indem nicht nur die Proton in der Leistung gesteigert wurde, sondern auch die Strategie zum Erreichen des Orbits von der einmaligen Zündung im GEO-Höhe auf die heutigen Manöver mit mehreren Orbits variiert wurde.

 

Umweg über den Mond

Am 24.12.1997 startete AsiaSat 3 mit einer Proton K. Geplant war das die Oberstufe Block DM-3 zuerst den Satelliten in einen geostationären Übergangsorbit befördert. Am Apogäum angekommen sollte Block DM-3 erneut zünden und die Inklination abbauen und den erdnächsten Punkt anheben. Das kombinierte Manöver hat den Sinn die Geschwindigkeit die nötig ist, um den kreisförmigen GEO Orbit in rund 36000 km Höhe zu erreichen zu reduzieren. Starts von Baikonur aus haben den Makel, dass dazu der Satellit selbst optimierter Strategie 2.100 m/s aufbringen muss. Würde er mit einer Ariane 5 oder einer Zenit 3 SL starten, so wären es nur 1.500 m/s. Da die Betreiber von Kommunikationssatelliten sich möglichst viele Optionen beim Start offen lassen wollen (falls ein Träger für längere Zeit "gegrounded" ist, wie dies z.B. mit der Ariane 5E nach dem Jungfernflug, aber auch der Proton nach zahlreichen Fehlstarts der Fall war, ganz zu schweigen von  Sealaunch die einige Jahre unter "Chapter 11" des US-Insolvenzrechtes kamen und keine Starts durchführten), ist dies von Nachteil. Die Proton gleicht diesen Nachteil aus, indem die Oberstufe mindestens eine weitere Zündung durchführt um die Geschwindigkeit die der Satellit aufbringen muss auf den gleichen Wert wie bei einem Start vom CSG aus zu reduzieren.

Block DM-3 brannte zuerst 589 s lang und platzierte den Satelliten in einem geostationären Übergangsorbit. In 36000 km Höhe angekommen, nach 6 Stunden, 18 Minuten und 42 s später sollte Block DM-3 erneut zünden und während 110 s die Bahn anheben. Nach nur einer Sekunde schaltete das Triebwerk ab, und Asiasat 3 strandete in einem Orbit von 203 x 36.008 km mit einer Inklination von 51,37 Grad.

Für den Betreiber Asiasat war der Fall damit erledigt, der Satellit wurde als Versicherungsfall gemeldet. Die Versicherung zahlte 200 Millionen Dollar an Asiasat. Am 21.3.1999 wurde als Ersatz Asiasat 3S gestartet, erneut mit einer Proton. Der Hersteller HGS (Hughes Global System) erwarb von der Versicherung den Satellit und begann zuerst das Perigäum um 150 km anzuheben (auf 365 km) um Zeit zu gewinnen. Ingenieure hatten den Plan Asiasat zum Mond zu senden und die Gravitation des Mondes zu nutzen, das Perigäum anzuheben und die zu hohe Inklination anzuheben.

Der Mond kann wie jeder andere Himmelskörper für "Gravity Assists" genutzt werden. Japan hatte dies dreimal bei seinen Raumsonden schon gemacht. Obwohl der Mond eher klein ist kann er je nach Anfluggeometrie die Geschwindigkeit um bis zu 800-1.000 m/s ändern. Damit kann man sowohl den erdnächsten Punkt anheben wie auch die Bahnneigung verändern. Schon die erste Raumsonde, die am Mond vorbeizog zeigte dies: Lunik 3 flog in 6200 km auf der Mondrückseite vorbei. Der Mond lenkte die Sonde wieder zur Erde zurück und veränderte die Bahn in eine von 46.500 × 470.000 km Erdentfernung, hob den erdnächsten Punkt also um 46.000 km an und den erdfernsten um 80.000 km.

Bahn von Arabsat 3ADas Problem war, das Asisat ein Telekommunikationssatellit war. Er hatte zwar viele Transponder zum Übertragen von Signalen an Bord, doch diese waren hier Nutzlast. Das Telemetriesystem, das Daten übertrug und der Kommandoempfänger waren nicht ausgelegt worden aus zehnmal höherer Distanz als dem GEO zu operieren. Es war keine präzise Bahnverfolgung möglich. Um trotzdem den Mond als Ziel nutzen zu können wollte man daher zuerst eine selten genutzte Bahn einschlagen. Die meisten Raumsonden und auch die Apolloraumschiffe flogen auf einer "freien Rückkehrbahn", eine Bahn die in 3-4 Tagen zum Mond führt. Stattdessen erarbeitete man eine Bahn mit "Schwacher, Stabiler Bindung". Sie führt zuerst auf eine Fluchtbahn, die bis 1,5 Millionen km Entfernung führt. Eine Midkurskorrektur führt dann zu einem Kurs wo der Satellit den Mond nah passiert oder sogar unter geringem Treibstoffverbrauch eingefangen werden könnte. Das Problem war diese Spitzenentfernung. Über diese Distanz könnte man nicht mit HGS-1, wie der Satellit nach Übernahme von HGS nun genannt wurde, kommunizieren. Viel mehr als 400.000 km waren nicht möglich. Das führte zu einer schnelleren, aber mehr Treibstoff kostenden Route die eine Freiflugbahn beinhaltete, wegen der Unsicherheiten in der Positionsbestimmung aber nicht nahe an den Mond heranführen würden. Damit ist der Geschwindigkeitsgewinn beschränkt, aber eine Abweichung von 100 km bewirkt keine große Änderung der Bahn.

Als der Satellit im endgültigen Orbit angekommen war, wurden erst die Solarpanels entfaltet. Das klappte nur bei einem der beiden Paneele. Als Ursache wurde der Temperaturstress angegeben - während der Reise wurden die Panels länger erhitzt und abgekühlt als diese bei einem GTO der Fall gewesen wäre, zudem war eine Entfaltung wenige Stunden nach dem Start geplant, keine Reise über 6 Monate.

Panamsat kaufte 1999 den Satelliten, benannte ihn in PAS22 um und betrieb ihn 3 Jahre lang. Im Juli 2002 wurde er in einen Friedhofsorbit verschoben.

Die Frage ist nun, ob dieses Phänomen sich energetisch lohnt. Asiasat 3 hätte 600 m/s mehr aufbringen müssen um den GEO Orbit aus dem Übergangsorbit aus zu erreichen. Den Treibstoff hätte der Satellit gehabt. Er wog  leer 1674 kg. Bei den üblichen Antrieben eines Satelliten erlaubt diese Treibstoffmenge eine Geschwindigkeitsänderung von rund 2230 m/s. Dann wären noch 130 m/s verblieben, was für einen Betrieb über 3 Jahre ausgereicht hätte. Nominell sollte der Treibstoff für 15 Jahre reichen. So war der Satellit ein Jahr länger in Betrieb, aber auch so hat das Manöver um den Mond mehr Triebstoff gekostet als eine Standard-GTO Bahn.

Arabsat Orbit 2Nun ist dies berechenbar. Die erste Bahn von HGS-1 war eine 365 x 36.012 km Bahn. Hier hat der Satellit im Perigäum eine Geschwindigkeit von 10.100 m/s. Die Bahn führte die Sonde 6.200 km über die erdabgewandte Seite des Mondes. Unter der Annahme einer mittleren Mondentfernung von 384.400 km vom Erdmittelpunkt ist dies 386.000 km von der Erdoberfläche entfernt. Dafür benötigt HGS-1 eine Geschwindigkeitsänderung von 682 m/s.

Die erreichte Bahn war eine von 488.000 x 36000 km x 8 Grad. Um das Apogäum abzusenken benötigt der Satellit im GEO Orbit weitere 1094 m/s. Dazu kommt noch die Anpassung der Inklination, die 500 m/s erfordert. Vektoriell addiert sind dies 1208 m/s. Zusammen mit den schon aufgewandten 682 m/s sind es 1890 m/s, also eine Ersparnis von 210 m/s gegenüber der Anhebung des GTO Orbits durch die Rakete, aber 420 m/s mehr als geplant. Das reduziert die Lebensdauer auf rund 5 Jahre.

Der Gewinn ist aber nicht sehr groß. So wurde das Manöver für Orion 3 im Jahr 2000, 2006 für ArabSat 4A und 2008 für AMC-14 erwogen, aber nicht ausgeführt. Dabei gab es nicht nur technische Gründe sondern auch Probleme zwischen Satellitenherstellern und Betreibern. (bei AMC-14). Orion 3 wurde mit einer Delta III gestartet. Arabsat 4A und AMC-14 mit einer Proton.

Selbst wenn man den Idealfall hat (die zweite Bahn wird nicht ausgeweitet wie bei Arabsat 3A und verbleibt in 386.000 km Höhe, der Mond reduziert die Inklination auf 0, was nur möglich ist wenn er die Äquatorebene kreuzt (die Mondbahn ist 5,145 Grad zum Äquator geneigt) beträgt der gesamte Geschwindigkeitsbedarf 1735 m/s, was immer noch 235 m/s über dem für einen 0 Grad GTO liegt. Für ein Station Keeping braucht ein geostationärer Satellit je nach Quelle 45 bis 55 m/s pro Jahr, das senkt die Lebensdauer also um rund 5 Jahre ab. Es ist übrigens auch denkbar die Inklination im Apogäum ohne Mond abzusenken. Hätte Arabsat 3A in 488.000 km Entfernung die Inklination abgesenkt, so hätte er nur 49,4 m/s gebraucht. Zusammen mit dem Absenken des Apogäums wären dies dann 1831 m/s Gesamtgeschwindigkeitsänderung.

Auf der anderen Seite ist es energetisch günstiger als ein GTO von Baikonur aus, da allerdings keine Oberstufe über diese Zeit (im Falle von Asiasat 3 erstreckte sich das Manöver über mehr als einen Monat) in Betrieb bleiben kann und der Satellit alle Manöver durchführen muss ist dieser Vorteil nur theoretischer Natur.

Die Reihenfolge von Orbitänderungen

Eine Frage die bei Erdorbitmissionen nicht auftritt, aber bei planetaren Mission ist die Reihenfolge von Orbitänderungen. Nehmen wir die Raumsonde Phobos Grunt:

Da die Raumsonden mit Überschussgeschwindigkeit in den Einflussbereich des Planeten kommen müssen sie zuerst abbremsen. Dies ist am effektivsten wenn man sich nahe des Planeten befindet und legt den planetennächsten Punkt fest. Bei Phobos Grunt waren dies 800 km über der Oberfläche des Mars. der planetenfernste Punkt liegt weit außen. Bei Phobos Grunt lag er nach den Planungen in 79.000 km Entfernung. Das Ziel, Phobos, umrundet den Mars in rund 6.000 km Entfernung. Es gibt nun zwei Möglichkeiten um vom 800 x 79.000 km Orbit in einen 6000 km hohen kreisförmigen zu gelangen:

Option 1

Option 2

Die Inklination soll bei diesem Beispiel keine Rolle spielen. Zum einen kann man diese durch den Eintrittswinkel festlegen, zum anderen würde ein kurzes Manöver in 79.000 km Entfernung leicht jede Inklination möglich machen, da Phobos Grunt dann nur noch 224 m/s schnell ist.

Manöver Option 1 Option 2
Erste Zündung 650,8 m/s 103 m/s
Zweite Zündung 457,3 m/s 725,6 m/s
Summe 1108,1 m/s 828,6 m/s

Obwohl in beiden Fällen derselbe Orbit erreicht wird ist die Geschwindigkeit nicht die gleiche. Es verwundert daher nicht, dass Phobos Grunt die zweite Option nutzte. Noch etwas komplizierter wird es wenn man eine hypothetische Mission andenkt - eine Raumsonde die wie Phobos Grunt Bodenproben zur Erde zurückbringt, aber diesmal auch von Deimos. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Erst Besuchen von Deimos und dann von Phobos und erst Besuchen von Phobos und dann Deimos. Was hier noch zu berücksichtigen ist, ist der hyperbolische Exzess. Die Raumsonde muss relativ zur Planetenumlaufbahn 2,7 km/s abbauen. Da dies aber im Schwerefeld des Planeten erfolgt ist die aufzubringende Geschwindigkeit abhängig von der Geschwindigkeit der Kreisbahn von der dies aus erfolgt.

Hier die Geschwindigkeitsänderungen für die beiden Optionen (Option 1: zuerst Phobos, dann Deimos, Option 2: zuerst Deimos, dann Phobos). Anfangsbahn ist wie oben eine 800 x 79.000 km Bahn.

Manöver Option 1 Option 2
Transferbahn → erster Mond 828,6 m/s 610,6 m/s
erster Mond → zweiter Mond 744 m/s 744 m/s
Verlasen Marssystem → Rückkehr zur Erde 1956,2 m/s 1915,4 m/s
Summe 3528,8 m/s 3270 m/s

Auch hier ist die zweite Option günstiger, also sich von außen nach Innen sich zu nähern. Im Allgemeinen gilt: kleine Geschwindigkeitsänderungen im Apogäum heben das Perigäum viel stärker an, als gleich hohe Geschwindigkeitsänderungen im Perigäum Veränderungen des Apogäums nach sich ziehen. Das sieht man auch bei dem Standard GTO-Orbit bei der Erde die Differenz zu der 200 km Kreisbahn beträgt im Perigäum 2428 m/s, die Differenz zum GEO-Orbit im Apogäum aber nur 1489 m/s.

Links:

http://carlkop.home.xs4all.nl/asiasat.html

http://www.thespacereview.com/article/2295/1

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© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.

Bücher vom Autor über Raumsonden

Lang Zeit gab es von mir nur ein Buch über Raumsonden: die beiden Mars-Raumsonden des Jahres 2011, Phobos Grunt und dem Mars Science Laboratory. Während die russische Raumsonde mittlerweile auf dem Grund des Pazifiks ruht, hat für Curiosity die Mission erst bekommen. Das Buch informiert über die Projektgeschichte, den technischen Aufbau der Sonden und ihrer Experimente, die geplante Mission und Zielsetzungen. Die Mission von Curiosity ist bis nach der Landung (Sol 10) dokumentiert. Einsteiger profitieren von Kapiteln, welche die bisherige Marsforschung skizzieren, die Funktionsweise der Instrumente erklären aber auch die Frage erläutern wie wahrscheinlich Leben auf dem Mars ist.

2018 wurde dies durch zwei Lexika, im Stille der schon existierenden Bücher über Trägerraketen ergänzt. Jedes Raumsonden Programm wird auf durchschnittlich sechs bis acht Seiten vorgestellt, ergänzt durch eine Tabelle mit den wichtigsten zeitlichen und technischen Daten und Fotos der Raumsonde, bzw., Fotos die sie aufgenommen hat. Ich habe weil es in einen band nicht rein geht eine Trennung im Jahr 1990 gemacht. Alle Programme vorher gibt es in Band 1. Die folgenden ab 1990 gestarteten dann in Band 2. In Band 2 ist ein Raumsonden Programm meist eine Einzelsonde (Ausnahme MER). In Band 1 dagegen ein Vorhaben das damals zumeist aus Doppelstarts bestand, oft auch mehr wie z.B. neun Ranger oder sieben Surveyor. Beide Bänder sind etwa 400 Seiten stark. In Band 1 gibt es noch eine gemeinsame Einführung für beide Bände über Himmelsmechanik und Technik der Instrumente. Beide Bände haben einen Anhang mit Startlisten, Kosten von Raumsonden und Erfolgsstatistiken. Band 2 hatte Redaktionsschluss im Januar 2018 und enthält die für 2018 geplanten Missionen über die es genügend Daten gab.

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