Wir und der Neanderthaler
Anlässlich neuer Untersuchungen und Rekonstruktionen beim ersten gefundenen Neanderthaler im gleichnamigen Tal gibt es heute wieder mehr Berichterstattung über unseren Verwandten.
Die als Homo neanderthalensis bezeichneten Menschen waren nicht unsere Vorfahren sondern ein heute ausgestorbener Zweig mit den selben Wurzeln im Homo erectus. Während sich daraus in Afrika unsere Vorfahren entwickelten gab es in Europa den Neanderthaler. Lange Zeit hatten sie ein schlechtes „Image“. Der Schädel eines Neaderthalers (auch Neandertaler geschrieben) ähnelt mehr dem Homo Erectus, er ist flach und lang, mit Augenwülsten und einem starken Kiefer und fliehendem Kinn. Eines der ersten weitgehend vollständigen Skelette die man fand war das eines Athritiskranken, so dass man ihn in gebeugter Haltung darstellte.
Erst in den letzten Jahrzehnten beginnt sich das Bild zu wandeln. Es gibt einiges was der Neanderthaler mit uns gemein hatte:
- Er stellte Steinwerkzeuge auf hohem Niveau her, wenn auch nicht so gute wie die des modernen Menschen
- Er begrub seine Toten und schmückte sie.
- Behinderte Neanderthaler lebten noch Jahrzehnte weiter. Das lässt auf intensive familiäre Strukturen schließen die auch Mitglieder mit „durchfütterten“ die selbst für sich alleine nicht mehr sorgen konnten.
- Er bewies ein bemerkenswertes Talent in der Anpassung an veränderte Umwelten. Während er in Mitteleuropa lebte schwankte die Temperatur um 5-8 Grad zwischen Eiszeiten und Warmzeiten. Es gab Perioden da war es in Deutschland wie in der sibirischen Tundra und zu anderen Zeiten so warm wie am Mittelmeer.
Vieles was uns an ihm archaisch findet ist eine Anpassung an die Eiszeit: Ein stämmiger, muskulöser Körper um die Wärmeabgabe zu minimieren. Wülste an den Augen und ein großer Kiefer für starke Muskeln um Nahrung die es selten, aber dann in großer Menge gibt zu zerkleinern. Trotzdem zeige ihn heutige Rekonstruktionen menschlicher als früher.
Der Neanderthaler tauchte in Europa vor etwa 130.000 Jahren auf, er starb vor etwa 30.000 Jahren wieder aus. Etwa 5000-6000 Jahre lang lebten moderner Mensch und Neanderthaler gemeinsam in Europa. Das Aussterben des Neandertalers ist heute noch ein Rätsel. Es gibt verschiedene Theorien darüber. Es ist jedoch auffällig dass der Neanderthaler der vorher ohne Problem wechselnde Warm- und Kaltzeiten bewältigte bei einem der Wechsel ausstarb und der Home sapiens nicht. Die Gründe können unterschiedlich sein. Vielleicht waren unsere Vorfahren anpassungsfähiger und die Neanderthaler nicht. Vielleicht gab es eingeschleppte Krankheiten. Die Theorie der moderne Mensch habe den Neanderthaler „ausgerottet“ die früher so beliebt war wird auf jeden Fall heute kaum mehr vertreten.
Blickt man über den Tellerrand so sieht man aber ein Muster. Überall wo der Mensch bei seiner Wanderung aus Afrika auftauchte verschwanden innerhalb von wenigen Hundert bis Tausenden von Jahren Großsäuger – Mammuts, Riesenhirsche, Wollnashörner, Säbelzahnlöwen in Europa und Afrika, riesige Beuteltiere in Australien und Südamerika. Mastodons, Faultiere und andere Großsäugetiere in Amerika.
Man hat den Neandertalern angekreidet dass man in den 100.000 Jahren ihrer Entwicklung keinen Fortschritt in der Kultur entdecken konnte – Es gibt nur geringe Verbesserungen bei den Steinwerkzeugen, keine anderen handwerklichen Gegenstände aus Horn oder Knochen, keine Gegenstände als Zierde wie eine Kette aus Zähnen oder beschnitztes Holz. Im Vergleich dazu haben wir uns rasant entwickelt. Weniger als 20000 Jahre nach dem Aufbruch aus Afrika gab es den Menschen überall. Sehr bald war durch schnell wachsende Population das Jagdwild erschöpft und man begann Ackerbau zu treiben – auch eine neue Erfindung. Es folgten Dörfer, Städte, Nationen. Ganze Landstriche wurden von Wäldern zu Feldern. In den letzten Jahrzehnten wird auf der ganzen Welt mehr Natur zerstört als vorher in Tausenden von Jahren – Die Spirale dreht sich immer schneller.
Doch sind wir damit besser als der Neandertaler ? Er mag sich nicht fortentwickelt haben, aber er schaffte es mit seiner Umgebung im Einklang zu leben und dies über lange Zeit. Wir sind heute die größte Population auf der Erde, es gibt keinen Fleck Natur den wir nicht wegen kommerzieller Interessen zerstören würden und wir zerstören uns selbst. Selbst das Klima verändern wir. Ich sehe für uns schwarz. Das geht nicht weiter so, es wird sehr bald, vielleicht nicht heute oder morgen der große Kollaps kommen, wenn die gesamte Erde besiedelt ist, wenn die Rohstoffe ausgehen oder irgendein Verrückter Diktator auf den roten Knopf drückt. Der Neanderthaler lebte 100.0000 Jahre im Einklang mit der Natur. Der moderne Mensch zerstört sein 35.000-40.000 Jahren die Natur, wobei dies exponentiell geschieht, d.h. in den letzten 100 Jahren wurde mehr zerstört als in den letzten 1000 Jahren vorher. Ich gebe unsere Zivilisation nicht mehr viel Zeit. Vielleicht 100-200 Jahre ? Ich hoffe nur ich erlebe es nicht mehr. Auch darin unterscheide ich mich nicht von meinen Artgenossen. Nach mir die Sintflut….
© des Bildes: Neanderthal-Museum