Von gesicherten Erkenntnissen

Ich habe kürzlich jemanden einen Rat für sein Studium gegeben und dabei als Beispiel, wie man es nicht machen sollte mal meinen etwas turbulenten und nicht gerade zielgerichteten Lebenslauf reflektiert. Das schöne an solchen Reflektionen ist dass man in der Retroperspektive neue Erkenntnisse gewinnt und manches anders sieht als früher. Bei mir war es mein Berufswunsch Ernährungslehre oder Öktrophologie wie es vornehmer heißt. Ich hätte das nach dem Abitur mühelos studieren können, es aber nicht getan weil ich von meiner Lehrerin die es studierte wusste, dass der Arbeitsmarkt für Absolventen fast nicht vorhanden ist.

Später habe ich immer noch neben dem Lebensmittelchemie Studium mich damit beschäftigt, auch weil man in Gutachten oft auf Aussagen mit gesundheitsbezogener Werbung eingehen muss. Doch schon damals bekam mein Bild der Ernährungslehre einen ersten Knick, als ich lernte, dass der Cholesterinspiegel nach verschiedenen Untersuchungen durch die Ernährung kaum beeinflussbar ist, da 80 % des Cholesterins vom Körper selbst gebildet wird.

Heute weiß ich, dass Ernährungslehre ein zwiegespaltenes Fach ist. Da ist zum einen die naturwissenschaftliche Grundlage. Man lernt viel über die biochemischen Vorgänge in den Zellen, die Stoffwechselkreisläufe. Hier ist die Schnittstelle zur Lebensmittelchemie, wo dies auch mit zur Ausbildung gehört. Dazu kommen medizinische Grundlagen, über hormonelle Regelungen, Funktionen von Organen. Auch das ist alles naturwissenschaftlich gesichert.

Doch was die Menschen interessiert ist doch etwas anderes: Ratschläge für die Ernährung, Ratschläge zur Verhütung von Krankheiten oder wie man alt wird und gesund bleibt. Das erschreckende das ich in den letzten Jahren hier lernen musste: Im naturwissenschaftlichen Sinn ist alle was hier so verbreitet wird nicht gesichert, mit einigen Ausnahmen. Warum? Nun man kann sicher in Zellkulturen und Tierversuchen Experimente anstellen wie einzelne Stoffe wirken. Doch über den Menschen sagt dies nichts aus und im Tierversuch bekommen die Mäuse ein so eintöniges Essen, dass man schon deswegen keine Erkenntnisse übertragen kann.

Wenn man nun einzelne Menschen untersucht oder eine kleine Gruppe, dann ist man mit der individuellen Streuung der Menschen konfrontiert. Als extremes Beispiel: Jeder von uns kennt jemand in seinem Bekanntenkreis, der futtern kann bis zum Abwinken und nicht dick wird. Einer meiner Kollegen gehört dazu. Der verdrückt bei einer Feier ohne Problem 5 Paar Wiener Würstchen und ist spindeldürr. Das gilt für nahezu alles : Ob bestimmte Substanzen gesund sind wie Rotwein, Fischöl oder gelbe Rüben bis hin zu einem ganzen Ernährungsstill.

Man weiß natürlich wie man solche Ergebnisse gewinnen kann: Man braucht ein sehr großes Kollektiv (mehrere Tausend Personen), diese müssen über Jahre dann sich entweder „durchschnittlich“ ernähren oder eine bestimmte Ernährung durchhalten deren Einfluss man bestimmen will. Bei Cholesterin hat man sich diese Mühe gemacht und festgestellt, dass das Cholesterin in der Nahrung keinerlei Einfluss auf die Neigung zu Herz- / Kreislauferkrankungen hat. Dabei dauerte diese Studie über ein Jahrzehnt.

Viel schwieriger ist es dann eine Ernährungsform als gut oder schlecht zu beurteilen. Dazu müsste man dann Menschen über ihr Leben lang beobachten. Diese Mühe wird gerne gescheut und dann gerne epidemiologische Untersuchungen gemacht. Das bedeutet man sieht sich die statistischen Zahlen für ganze Länder an. Wer zum Beispiel beweisen will, das Rotwein sehr gesund ist, vergleicht die Erkrankungen in einem bestimmten Land wo viel Rotwein getrunken wird mit einem wo dies nicht der Fall ist. Doch auch das ist keine verlässliche Aussage. Zum einen unterscheiden sich natürlich die Länder nicht nur im Rotweinkonsum. In Italien isst man auch sonst anderes als bei uns. Zum anderen berücksichtigt dies nicht wie die Menschen leben – und auch dies unterscheidet sich von Land zu Land. Dass dies einen gravierenden Einfluss hat, zeigten chinesische Auswanderer in die USA. Die Neigung zu bestimmten „Zivilisationskrankheiten“ ist in China geringer als bei uns. Bei Einwanderern aus China in den USA gibt es diesen Unterschied nicht, obwohl diese in der Regel ihrer chinesischen Ernährung treu bleiben.

Was bleibt? Gesichert sind wenige Erkenntnisse: Obst und Gemüse ist gesund. Wenig Essen ist gesünder als mehr Essen. Das war’s auch schon. Das ist frustrierend für jemanden wie mich, der gerne gesicherte Erkenntnisse hat, der unter Wissenschaft ein Gerüst aus Behauptungen und Theorien versteht, die man jederzeit experimentell nachprüfen kann. Ich mag Sicherheit, ich mag Reproduzierbarkeit, ich mag es gar nicht, wenn etwas was man Jahrzehnte lang als gesicherte Erkenntnis mir verkauft, in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine schlecht durchgeführte Untersuchung eines Arztes vom Anfang des letzten Jahrhunderts, die einfach für viele logisch klang und die niemand hinterfragt hat.

Kurzum: Ich wäre mit Ernährungslehre als Fach nicht glücklich geworden. So gesehen war das Ausweichfach Lebensmittelchemie doch die bessere Wahl. Zumal man auch immer damit mit anderen ins Gespräch kommt. So gesehen hat sich das Studium gelohnt, auch wenn ich nun seit 10 Jahren was anderes mache.

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