Was ist normal?
Der Begriff "Normal" scheint etwas recht einfaches zu sein. Ein jeder scheint ein Gespür dafür zu haben, was "normal" ist und was nicht. Dennoch: Zum einen bin ich mir sicher, dass man wenn man sehr viele Leute zu einem Thema befragt, was sie als "normal" und was nicht halten, dann wird man ein deutlich breiteres Spektrum bekommen und wenn man sich bestimmte Vorstellungen im Laufe der Zeiten und über Kulturen hinweg ansieht, so sieht man, dass es hier gravierende Unterscheide gibt.
Nehmen wir einmal das Schönheitsideal. Das ist seit einigen Jahrzehnten bei uns "Schlank" mit schankenden Ausschlägen zwischen Twiggy Figur und etwas mehr Speck auf den Rippen. Bei Männern geht der Trend nun zu deutlich sichtbaren Muskeln und Six-Pack, die man so selbst bei Bauarbeitern nicht sieht, sondern sich nur im Bodybuilderstudio erarbeiten kann.
Nach den Krieg war dagegen Fülle angesagt, man wollte zeigen, dass man sich nun leisten kann, mehr zu essen. Interessanterweise gibt es heute mehr Übergewichtige als damals obwohl das allgemeine Schlankheitsideal ja genau in die andere Richtung geht. Schaut man sich Bilder aus vergangenen Jahrhunderten an, so gibt es vor allem bei den Frauen extreme Schwankungen zwischen "Rubens-Figur" und Wespentaille.
Schaut man dann andere Völker an, so sieht man dort ebenso unterschiedliche Ansichten. In Polynesien ist z.B. sowohl bei Männern wie auch bei Frauen Fülle angesagt. Je dicker man ist, desto reicher oder mächtiger ist man.
Das Schönheitsideal ist eine Sache. Doch wir sehen dies auch in anderen Bereichen. Beispielsweise beim Essen. Wovor wir uns ekeln ist weitgehend davon abhängig, was wir als normale Kost empfinden. Das mag irgendwie noch verständlich sein, bei dem Essen von Insekten oder fauligen Eiern. Doch auch "normale" Tiere machen Probleme. Jenseits von religiösen Verboten gibt es auch hier Ressentiments. Wer isst hier gerne rohen Fisch, der in Japan eine Delikatesse ist? Man muss nicht einmal weit gehen: In Italien werden Singvögel gegessen. Einige Gerichte in der englischen Küche sind für kontinentale Geschmäcker recht seltsam. Umgekehrt essen de meisten Chinesen zwar Schlangen, Hunde und Katzen, aber keine Schweine. Gerade beim Essen von Hunden und Katzen sieht man sofort, wo die ethnischen Grenzen unserer Normalität liegen: Für die meisten von uns ist es erheblich schwieriger Tiere zu essen, die für uns Haustiere sind als Dinge, die jenseits unserer üblichen Nahrung liegen wie z.B. Schlangen. Für mich ist dies z.B. ein Grund warum ich nie chinesisch essen würde. Eine Kultur in der Katzen gegessen werden, ist für mich so was unzivilisiert, dass ich mich vor dem Essen dort ekle, auch wenn es nur Huhn süß-sauer ist.
Doch das ist nur ein Aspekt. Auch moralische Vorstellungen ändern sich im Laufe der Zeit. Nehmen wir die Menschenrechte – Das alle Menschen die gleichen Rechte haben, ist relativ neu. Das Frauenwahlrecht gibt es z.B. bei uns seit nicht einmal 90 Jahren. Sklaverei gab es in den USA bis vor 140 Jahren. Viele Kulturen existierten Jahrhunderte mit Sklaverei – es war einfach gesellschaftlicher Konsens. Dabei verändern sich die Werte nicht immer zum Besseren. Während der ganzen Weltgeschichte waren Kriege immer mit einem Krieg gegen die Zivilbevölkerung verbunden. Im Altertum wurde die Bevölkerung eroberte Städte massakriert, auf dem Sklavenmarkt verkauft oder deportiert – das letzte war ja schon fast noch "human". Im Laufe der Jahrhunderte wurde es besser, auch wenn die Religion wieder Menschen zu Tieren machen kann, wie die Eroberung Jerusalems im ersten Kreuzzug und das massakrieren der Bevölkerung zeigte.
In Mitteleuropa war sicher der 30 jährige Krieg die Wende zur Moderne. Zum einen endete damit die Gewalt aufgrund der unterschiedlichen Religionen und es begann ein Nebeneinander zwischen Katholiken und Protestanten. Zum anderen aber bedeuteten die enormen Opfer unter der Zivilbevölkerung, dass sich Krieg änderte. Nicht dass die Zivilbevölkerung litt – noch immer wurde Vieh und Vorräte requiriert, aber es hörte das Abschlachten der Bevölkerung auf. Krieg war in den folgenden Jahrhunderten nun eine Sache von Armeen. Die Neuzeit änderte dies wieder. Es ging los mit dem Niederbrennen von Atlanta im amerikanischen Bürgerkrieg. Bei den Schlachten im ersten Weltkrieg wurden Städte hinter der Front dann angegriffen. Paris mit einer Kanone, London mit Zeppelinen.
Vor und im zweiten Weltkrieg begann man dann wieder gezielt Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen. Beim Massaker von Nanking wurden 1937 über 200.000 Chinesen getötet und 20.0000 Frauen vergewaltigt. Deutschland begann mit der Bombardierung von Warschau und Polen und die USA und England bombardierten in der Folge dann Deutschland und Japan. (In diesem Zusammenhang ist es interessante dass es tatsächlich Menschen gibt die das letztere mit dem ersteren rechtfertigen. Dabei bringt man schon kleinen Jungs die sich geprügelt haben bei, dass die Ausrede "Der andere hat aber damit angefangen" keine Rechtfertigung).
Der Krieg endete mit dem Abwurf von Atombomben auf Städte anstatt Militärbasen und seitdem geht der Trend eher wieder zurück. Ethnische Konflikte, wie auch "normale" Kriege führen zu Ermordungen und Vertreibungen. Großmächte wie kleinere Nationen entwickeln chemische und biologische Waffen, gegen die sich die Militärs gut, die Zivilbevölkerung aber kaum schützen kann. Es gibt Bomben in Spielzeugform, Napalm und Tretminen und diese werden auch eingesetzt wie der Vietnamkrieg, erste Afghanistankrieg und die Invasion in den Irak zeigen.