Lügen, verdammte Lügen und der Schutz der Allgemeinheit
Er hat es sogar in die Hauptnachrichten geschafft: Der Abschuss von USA-193 alias NRO-21. Ein Satellit des US-Verteidigungsministeriums. Als er am 14.12.2006 gestartet wurde war er noch keine Meldung wert…
Abgeschossen wurde er zum Schutz der Menschheit, denn dieser Satellit hat etwa 1000 Pfund (453 kg) Hydrazin an Bord. Klar, das glauben wir auch gerne. Es geht natürlich nicht darum zu verhindern, dass von diesem Aufklärungssatelliten der zufälligerweise auf eine Bahn von 58 Grad Neigung gestartet wurde, ideal geeignet um alle Landflächen der erde zu beobachten und besonders viel Zeit über der Sowjetunion zu verbringen, vielleicht irgendwo herunter kommt wo man noch was interessantes aus den Resten herauslesen könnte?
Also erst mal Faktensammeln. Das Startgewicht von NRO-21 ist nicht bekannt. Wikipedia gibt 2200-2300 kg an, doch keine Quelle dafür. Die Trägerrakete Delta 7920 dürfte etwas weniger als 4000 kg in angegebene Umlaufbahn befördern. Das ist die Höchstmaße die der Satellit gehabt haben kann. Beobachter meldeten keine sichtbaren Solarpanel. Der Satellit scheint sie nach dem Start nicht ausgefahren zu haben. Im August 2007 gab auch das Militär den Satelliten als Verlust bekannt. Seit dem Start sank der 353x 380 km hohe 58.8 Grad geneigte Orbit laufend ab um letzte Woche 250 km Höhe zu erreichen.
Nun sorgt sich das Us Militär um die Weltbevölkerung weil der Satellit 1000 Pfund Hydrazin an Bord hat. Ich würde das ja soo gerne glauben. Tatsache ist: Jeder Satellit hat diese Chemikalie an Bord, es ist ein gängiger Treibstoff zur Lageregelung. Mehrere Trägerraketen verwenden Hydrazin, so z.B. die Delta in der zweiten Stufe, die Ariane 5 in der EPS Oberstufe, die russische Proton in fast allen Stufen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Hydrazin den Boden erreicht ist aber gleich Null. Selbst von massiveren Objekten ist beim Wiedereintritt nicht viel übrig geblieben, so von der Columbia, Skylab oder der MIR. Sehr massive Teile oder Bleche kommen noch am Boden an, mit Sicherheit aber kein dünner Titantank mit Hydrazin. Selbst wenn er nicht verglüht bewirkt das Erhitzen des Hydrazins beim Wiedereintritts ein Platzen und Verdampfen der Chemikalie. Sie reagiert dann mit der Luft, lange bevor sie den Erdboden erreicht. Selbst dann braucht man einiges mehr um den Boden zu versuchen. Wie z.B. die 200 t bei einem Fehlstart einer Proton letzten Jahr.
Ich glaube aus diesem Grund auch nicht, dass der primäre Grund für den Abschuss die Geheimhaltung ist, man also vermeiden will, dass der Satellit über bewohntem Gebiet niedergeht und die Finder dann Details über die Elektronik oder Instrumente ableiten können. Was wirklich noch ankommen würde, wären tausende kleiner Fetzen die niemanden etwas nützen.
Ich denke Russland und Chinas Einwand, es sei ein Test des Raketenschutzschilds gewesen ist richtig. Es gibt keinen rationalen Grund den Satelliten abzuschießen. Der Abschuss soll nach Wikipedia Angaben sogar selbst 40-60 Millionen Dollar gekostet haben. Es geht sicher nicht um Revange für den Chinesischen Test vor fast einem Jahr. Sondern mehr darum dass Militärs gerne ihr Spielzeug erproben und der derzeitige Präsident will ja bevor er abtritt auch sehen ob sein mit zweistelligen Milliardenbeträgen aufgebautes System auch funktioniert.
Man hat so lange gewartet bis der Satellit kurz vor dem Wiedereintritt ist. Das hat einen Grund: Die Explosion schleudert die Brocken mit hoher Geschwindigkeit auseinander, so dass sie nochmals einen Schubs bekommen. Beim Chinesischen Test hat dies dazu geführt, dass viele Trümmer sich auf stark elliptischen Bahnen bewegen die eine sehr lange Lebensdauer haben, weil der Satellit sich schon auf einer hohen Umlaufbahn befindet. Wenn man den gleichen Abschuss in niedriger Orbit höhe macht ist der Effekt geringer, weil nur bei wenigen Trümmern der erdnächste Punkt angehoben wird, solange dieser aber tiefliegt verglühen die Teilchen so oder so in kurzer Zeit. Trotzdem wird erst eine Analyse der Trümmerwolke zeigen ob man damit nicht mehr Weltraummüll geschaffen hat.
So in etwa hatte ich das auch vermutet, nachdem ich durch deine Aufsätze so viel über Satelliten und die Technik gelernt hatte. Und da zeigt sich mal wieder, dass Nachdenken und Lernen keine verschwendeten Kalorien sind.
Ich sah auf NASA TV live die Pressekonferenz zum Thema. Ein General, Mr. Griffin und ein dritter – Politiker glaube ich – erzählten zunächst worum es geht und standen dann relativ gefügig Frage und Antwort. Einige Male wollte der General nicht antworten, da ging es um heikle Spionage- oder Militärinformationen. Hätte mich auch gewundert, wenn er etwa die Koordinaten des Abschussschiffes rausgegeben hätte.
Das ganze ging solange gut, bis ein besonders nervender Journalist wieder und wieder die Kosten des Satelliten, des Starts, des Abschusses usw. wissen wollte – da war plötzlich schwupps die Zeit zuende und die Herren mussten eilig zurück zur Arbeit.
Für mich als Laien klang eigentlich alles, was die da sagten sehr plausibel und erstaunlich ehrlich. Es wurde als etwas fürchterlich spezielles dargestellt, dass ein voller, wenn auch durch das Fehlen verglühter Schläuche offener Hydrazintank vom Himmel fallen wird. Normalerweise ist der Treibstoff verbraucht, wenn ein Satellit oder Shuttle sich in der Atmosphäre zerstäubt.
Ich verstehe nicht, wieso die USA nicht einfach eine ballistische Rakete abschiessen, wenn sie neue Waffentechnologie erproben wollen. Ist doch kein Geheimnis, dass sie über solche Raketen verfügen.
Aaaalso zuerst einmal zum letzten Punkt: Der Satellit ist da und nutzlos. Eine Interkontientalrake abzuschiessen kostet Geld, mindestens soviel wie eine ICBM kostet. Wenn icch von den als Teägern umgerüsteten Minuteman als Minotaur ausgehe schätze ich die Kosten auf 5-10 Millionen Dollar.
Zweitens fliegt der Satellit auf einer kreisförmigen Bahn mit gleichmäßiger Geschwindigkeit. eine ICBM auf einer ballistischen Bahn mit variabler Geschwindjkeit und einer schwankenden Höhe von 0 bis 2000 km.
Drittens ist der Satellit viel leichter zu treffen als ein Gefechtskopf. Wenn ich also ein System erproben will und sicher sein will, das das Experiment geglückt ist, dann schieße ich einen Satelliten ab. (Ob das System dann auch Raketen abfangen kann ist eine andere Sache. Das gelang dem Patriot System ja nicht einmal gegen dei mit niedriger Geschwindigkeit sich näherenden Scud Raketen.)
Zur Giftigkeit. Hydrazin ist giftig, aber nicht soooo giftig. Die meisten Pflanzenschutzmitel heute sind giftiger. Die LC50, also letale Konzentration bei der 50 % der Versuchstiere sterben beträgt bei der Rate 670 mg/kg Körpergewicht bei einer aufnahme in 4 Stunden. Überträgt man dies auf einen 70 kg schweren Menschen so müsste er wenn er in 4 stunden 1 l trinkt etwa 47 g Hydrain aufnehmen, 47 g also in einem Liter gelöst sein. Das ist schon eine ordentliche Menge. 500 kg davon reichen also höchstens aus um 11 m³ Wasser zu verseuchen. Wenn das ganze in einen kleinen Baggerseee runtergeht ist man schon weit weg von der tödlichen Konzentration.
Oral verabreicht ist es etwas toxischer, dann reichen 67-91 mg/kg körpergewicht. Es ist dann in etwa so giftig wie Muskarin, das natürlicherweise in Muskatnüssen vorkommt. Vielleicht sollte man dies dem US Militär sagen, dann schießeb sie nächstes mal auf Muskatnusstransporte.
Zum Vergleich einige bekanntere Gifte:
Parathion (E605): 10 mg/kg
Blausäure, 1 mg/kg
TCDD 0.0001 mg/kg
Botulinum Toxin 0,00000003 mg/kg
Das ganze hat also mehr was mit Heuchelei, als mit einer echten Bedrohung zu tun.
Ach ja: Zur Wahrscheinlichkeit, dass dies der Tank überlebt: Seit Beginn der Raumfahrt wurden etwa 2000 Oberstufen mit Hydrazinresten an Bord gestartet und diese sind auch in die Erdatmosphäre wieder eingetreten. Keine einzige kam ganz am Boden an. Meistens gab es nur einige größere Trümmerstücke. Die Trümmer der Columbia mit etwa 1-2 t Hydrazin als Resttreibstoff an Bord verteilten sich über 3 US Bundesstaaten und auch dieser Tank überlebte den Wiedereintritt nicht. Aber vielleicht hat man ja auch die Columbia wegen des Hydrazins abgeschossen? Vielleicht hatte sie den Beweis an Bord, dass die amerikaner nicht auf dem Mond gelandet sind 🙂
Dann bleibt noch die Frage, wen die USA damit täuschen wollen. Mir persönlich ist es doch egal, ob sie einen Satelliten oder eine Interkontinentalrakete abschiessen um neue Technologie zu erproben. Dass sie es tun kann ich eh nicht verhindern, und wenn sie es nicht tun, dann werde ich auch nicht reicher dadurch. Und das gilt wohl ebenso für den Grossteil der Menschheit. Was den us-amerikanischen Steuerzahler angeht, so stelle ich mir or, dass er seine Steuermilliarden lieber in einem funktionierendem Abwehrsystem vergeudet sieht, als in einem niemals ausprobierten. Weg ist das Geld eh.
Nun fielen mir noch die russische und chinesische Führung ein, die es sich lohnen würde zu täuschen, damit die nicht denken, es gehe um neue Militärtechnologie, denn das könnte sie ja ebenso dazu verleiten ebensolche Forschungen voranzutreiben und auszuprobieren.
Wenn Du jedoch die Heuchelei als solche erkennst, dann fällt es mir schwer zu glauben, dass es in China und Russland niemanden geben soll, der das ebenfalls durchschaut. Und wenn jene Militärs auch wissen, dass es nur eine billige Lüge ist, dann können die USA doch auch gleich die Wahrheit sagen und wirken damit zumindest weniger albern. Ergo: für mich macht die Lüge keinen Sinn. Das heisst nicht, dass ich Dir nicht gauben würde, doch finde ich es absolut unnötig, dass die USA nicht offen sagten worum es ging.
Wenn Du recht hast, dann hat Griffin übrigens noch eine billige Lüge erzählt: Der Tank kommt garantiert in einem Stück unten an, denn das tat er auch bei der Columbia, die einen ganz ähnlichen hatte.
Als Satellitenmasse wurden übrigens 5000 „Pound“ erwähnt. Und sie sagten, dass davon erfahrungsgemäss etwa 2300 bis 2800 den Boden erreichen würden.
Die Columbia ist aber nicht von vornherein verglüht, sie hat den größten Teil des Wiedereintritts mit einem weitgehend intakten Schutzschild überstanden. Durch die Wiedereintrittshitze ist nur eine Tragfläche beschädigt worden und weggebrochen, wodurch dann die Fähre auseinanderbrach. Es sind aber praktisch alle Teile am Boden angekommen. Z. B. das Bugfahrwerk mit Reifen war nicht mehr beschädigt als bei einem normalen Flugzeugunglück.