Al Gore hat ja letztes Jahr den Friedensnobelpreis bekommen für seine Aktivitäten im Bereich Klimaschutz. Über den Sinn dessen, oder ob es nicht bessere Kandidaten für den Nobelpreis gab, will ich mich nicht groß auslassen. Aber über eine Idee, die er einmal hatte, zu den Zeiten als er noch Vizepräsident war und gegen Bush um das Amt des Präsidenten kandidierte. Um einer breiten Öffentlichkeit klar zu machen, dass wir nur eine Erde haben, und nicht auf eine andere wechseln können, wenn es hier unbehaglich ist, schlug er damals vor eine Raumsonde in dem Librationspunkt L1 zu stationieren. Sie sollte dauernd Bilder der Erde aus dieser Perspektive nach Hause funken. Diese sollten als Film vor den Nachrichten kommen und die Öffentlichkeit sensibilisieren. Ich will das mal nutzen, um die Librationspunkte oder Lagrangepunkte zu erklären.
In einem System aus zwei unterschiedlichen schweren Körpern, wie Sonne und Erde, oder Erde und Mond stellt sich die Frage nach den Bahnen kleinerer Körper wie Raumsonden oder Asteroiden um diese. Die meisten werden den schwereren Körper umkreisen, so wie die Sonne von zahllosen Asteroiden und ein paar Planeten umkreist wird. Nahe des kleineren Körpers sind Bahnen um diesen stabil, so wir dieeErde von dem Mond und künstlichen Erdsatelliten umkreist wird.
Doch wie sieht es bei der Zone aus, bei der sich die Anziehungskräfte aufheben? Der Mathematiker Joseph-Louis Lagrange fand heraus, dass die meisten Bahnen instabil sind: Ein Körper in dieser Zone wird entweder in einer stabilen Umlaufbahn um einen der beiden Körper gezogen, oder fällt auf einen der Körper, oder wird aus dem System herauskatapultiert. Es gab jedoch 5 Punkte die stabil sind. Nehmen wir an, wir sprechen vom Sonne-Erde System
Es sind dies:
- Der Punkt L1 auf der Verbindungslinie Sonne-Erde etwa 1.5 Millionen km vor der Erde, der Sonne näher. In dieser Entfernung heben sich beide Anziehungskräfte genau auf. Einige Körper zur Sonnenbobachtung befinden sich dort.
- L2 liegt auf derselben Verbindungslinie, ist jedoch weiter von der Erde weg, ebenfalls etwa 1.5 Millionen km von der Erde entfernt. Beide Punkte haben die Eigenschaften, dass in dieser Entfernung die Umlaufbahn um die Erde etwa 1 Jahr Umlaufszeit hat, das heißt da sich die Erde in einem Jahr um die Sonne dreht bleibt diese Position raumfest. Satelliten die ein IR Teleskop haben profitieren davon, dass in diesem Punkt die Erde teilweise die Sonne abdeckt. Die europäischen Raumsonden Herschel und Planck werden Ende des Jahres dorthin aufbrechen.
- L3 liegt in der Entfernung der Erde von der Sonne, jedoch auf der gegenüberliegenden Seite.
- L4 und L5 liegen in einem Winkel von 60 Grad vor und nach der erde auf der Umlaufbahn um die Sonne. Astronomisch gesehen sind diese Punkte die wichtigsten. In dem L4 und L5 Librationspunkte des Systems Jupiter-Sonne befinden sich zahlreiche Asteroiden und im System Saturn-Saturnmond befinden sich an diesen Punkten weitere Monde von nur einigen Kilometern Größe. Ein Satellit in L4 oder L5 im Erde/Mondsystem könnte genutzt werden um eine dauernde Funkverbindung zur Mondrückseite herzustellen.
Al Gore hatte die Idee, im Punkt L1 eine Raumsonde zu stationieren. Da dieser Punkt immer vor der Erde auf der Linie zur Sonne ist sieht eine Raumsonde von dort aus die Erde immer als Vollerde, anders als geostationäre Satelliten, die je nach Tag einen wechsel zwischen "Neu-Erde", zunehmender Erde, Vollerde abnehmender Erde wahrnehmen. (Man sieht im Fernsehen meist das Vollerdebild, das mittags aufgenommen wird, doch das dem nicht so ist kann man sich bei Eumetsat überzeugen. Eine Raumsonde hätte aus dieser Perspektive aus dann laufend Bilder machen können, die man wie die Bilder von Wettersatelliten zu einem Film zusammenschneiden kann.
Soweit die Idee, an und für sich ganz gut. Nur braucht man dafür eine Raumsonde? Mal eine erste Abschätzung: Die Erde ist etwa 3.5 mal größer als der Mond. 1.5 Millionen km Entfernung sind etwa die 4 fache Entfernung des Mondes von der Erde. Das bedeutet, dass aus dieser Perspektive die Erde in etwa so groß ist, wie der Mond von der Erde aus. Dafür braucht man aber dann kein riesiges Teleskop. Schon kleine Amateurteleskope können den Mond formatfüllend ablichten. Eine Raumsonde für diesen Zweck wäre dann unnötig, es würde reichen eine Kamera auf einem Körper zu stationieren, den man sowieso in dem L1 Punkt positioniert, wie z.B. Satelliten zur Sonnenbeobachtung.
Aber machen wir doch mal eine genaue Rechnung auf. Zuerst einmal muss man sich für eine Auflösung entscheiden. Da Al Gore an tägliche Filme im Fernsehen dachte, wäre wohl das modernste TV Format gerade das richtige. DSoas wäre Full HD mit 1920 x 1080 Punkten das richtige. Die Erde hat einen Durchmesser von 12742 km. Will man noch etwas Weltraumhintergrund zeigen, dann sieht es eindrucksvoller aus, so wäre ein Bildausschnitt von 15000 km in der Vertikalen passend. Das entspricht 1080 Punkten oder 13.9 km/Pixel. Abgebildet wird ein Gebiet von 26700 x 15000 km.
Die Auflösung eines Teleskops bestimmt man über zwei Zusammenhänge. Für ideale Optiken gilt:
- Auflösung in Bogensekunden = 122 / Optikdurchmesser in mm.
- Eine Bogensekunde entspricht einer Bildgröße von 1 m in einer einer Entfernung von 180 / Pi * 60 * 60 m. (Die Normalbrennweite bei der ein Objekt 1:1 abgebildet wird entspricht 202650 Bogensekunden)
Anders ausgedrückt: In 202650 km Entfernung hat ein 1 km großes Objekt eine Größe von 1 Bogensekunde. Um dieses Objekt gerade noch mit einem Teleskop detektieren zu können muss dieses einen Optikdurchmesser von 122 mm oder mehr besitzen.
Mit diesen Daten kann man über Dreisatz berechnen, dass 13.9 km aus 1.5 Millionen km Entfernung 1.9 Bogensekunden entsprechen und ein Teleskop mit 60 mm Durchmesser ausreicht um diese Auflösung zu erreichen. Sinnvoll ist jedoch eine etwas größere Optik, da die Abbildung dann besser, ist und das Gesichtsfeld ohne Bildfeldwölbung größer. Ein Teleskop mit 80 mm Öffnung wäre ausreichend – hier wiegt die Optik unter 3 kg.
Die Brennweite ist vom verwendeten CCD Chip abhängig. Zum einen gilt: Je kleiner der CCD Chip, desto kurzbrennweitiger kann die Optik sein, damit spart man Gewicht. Zudem gibt es weniger Verzeichnungen am Bildrand. Allerdings steigen die Farbfehler bei langbrennweitiges Optiken an. Katadioptisches Systeme haben Prinzip bedingt lange Brennweiten. Astronomische CCD haben heute Pixelgrößen von 5-14 µm. Handelsübliche Digitalkameras welche von etwa 1.5-2 µm. Die Brennweite errechnet sich nach:
- Entfernung/Auflösung * Pixelgröße
oder hier:
- 108000 * Pixelgröße
Das sind 540 mm bei 5 µm und 1080 mm bei 10 µm Pixelgröße. Ein guter Kompromiss zwischen Abbildungsleistung und Farbfehlern liegt bei einem Öffnungsverhältnis von 8, also 8 x 80 mm = 640 mm Brennweite. Ein CCD Chip mit 6 µm Pixelgröße ist also geeignet. Das ist für ein astronomisches CCD eine kleine Pixelgröße, doch diese Kamera soll ja auch keine Langzeitbelichtungen machen oder bei Mars oder Jupiter arbeiten (wo es weitaus weniger Licht gibt). Immerhin ist sie schon ohne Kühlung 9 mal lichtempfindlicher als eine Digitalkamera vom Elektronikdiscount.
Damit hat man alles zusammen, was man braucht, um die Kenndaten eines Instruments anzugeben: Es ist ein Refraktor oder ein katadioptisches Fernrohr von 80 mm Durchmesser und 640 mm Brennweite mit einem CCD Chip von 11.52 x 6.48 mm Größe, entweder als 3 Chip Modell (ein Chip pro Spektralfarbe, Aufspaltung des Lichts über einen Strahlenteiler) oder Einchipmodell wie bei heutigen Digitalkameras (Eine Grün/Rot/Blau Maske liegt über den Sensoren). Ein solches Instrument wiegt um die 5 kg und kann zusätzlich auf einer Raumsonde untergebracht werden, eine spezielle Sonde ist nicht nötig.
Es werden auch nicht viele Daten erzeugt. Zwar hat ein Full HD Bild 2073600 Bildpunkte – Bei 8 Bit pro Farbe sind dies etwa 50 MBit pro Bild. Aber der Zweck ist es ja einen täglichen Film zu erstellen. Wenn die Nachrichten diesem 10 Sekunden einräumen (schon viel, meiner Ansicht nach), so braucht man 240 Bilder pro Tag, also eines alle 6 Minuten. Um in 6 Minuten 50 MBit zu übertragen, reicht eine Datenrate von 50.000.000/600 = 83 KBit/s. Das ist nicht sehr viel. Das können heute locker Raumsonden aus Mars Entfernung also 100 mal größeren Distanzen übertragen. Der im Oktober 2008 startende LRO wird aus Mondentfernung (also 4 mal geringerer Distanz) 100 MBit/s über 1 m Antenne zur Erde senden. Man benötigt also auch nicht gerade eine zusätzliche schwere Parabolantenne oder einen starken Sender, man könnte es in den normalen Datenstrom mit einbringen.
Wenn man eine Raumsonde bauen würde, dann sicherlich eine mit mehr Anspruch: Denkbar wäre z.B. ein Multspektralscanner der viel mehr Spektralkanäle abtastet und dann auch die in dieser geringen Entfernung von der erde noch hohe Datenrate ausnützt. Ich sehe allerdings keine direkten Zusatznutzen, den man nicht einfacher mit einem geostationären Satelliten gewinnen könnte, der etwa 40 mal näher an der Erde ist – mit kleineren Anforderungen und höherer Datenrate. Weiterhin sieht dieser immer dieselbe Region auf der Erde. Das erleichtert Vergleiche über Jahreszeiten und Jahre erheblich, denn schließlich hat Wasser und Land unterschiedliche spektrale Eigenschaften, bilden sich Wolken anders etc.
Kurzum: Es ist machbar, sogar relativ einfach. Wenn man nur wöllte. Doch leider ist derzeit keiner der US Kandidaten an der Umweltproblematik oder Raumfahrt besonders interessiert.