Die Wahrnehmung und Werte
Die Kommentare von Präjudix führen mich zu einem weiteren Eintrag, diesmal zum Thema Wahrnehmung und Werte. Fangen wir mal mit einem unverfänglicherem Thema an. Die Ernährung. Schon innerhalb Deutschlands ist diese recht unterschiedlich. Pfälzer Saumagen mag eine Spezialität sein, die meisten anderen mögen da eher die Nase rümpfen. Das gleiche dürfte wohl für die schwäbische Spezialität Kutteln gelten. Dazu gibt es persönliche Abneigungen.
Schaut man sich dann auf der Welt um, so sieht man durchaus exotischere Ernährungsformen. Sei es das Trinken von Blut bei den Massai oder das Essen von Heuschrecken und Maden in vielen Ländern. Schaut man sich auf einem chinesischen Wochenmarkt um, so kommt aber meist eine andere Dimension hinzu. Würden sie Katzen oder Hunde essen? In einigen Teilen Chinas sind das Delikatessen (und um Präjudix zuvorzukommen: In anderen asiatischen Ländern wie den Philippinen auch und in anderen Teilen Chinas werden Katzen und Hunde auch als Haustiere gehalten und niemand käme auf die Idee sie zu essen). Tiere die bei uns Haustiere sind zu essen ist für uns mehr als ungewohnt Ich denke die meisten von uns würden wohl eher geröstete Mehlwürmer essen, als gebratene Katzen. Wir sehen Tiere zum einen als Nahrung. Schlussendlich werden dazu bei uns Kühe, Schweine, Hühner und anderes gehalten. Wir können auch verstehen, dass dies in anderen Kulturen anders ist, weil dort nicht die Ressourcen zur Verfügung stehen, um Viehwirtschaft in großem Ausmaß zu betreiben und dort Insekten gegessen werden. Mit etwas Überwindung können wir auch das Essen (und exotische Tiere wie Strauße oder Krokodilsteaks werden ja schon bei uns in Restaurants angeboten). Doch wir halten Tiere auch als Haustiere. Zu diesen Tieren haben einer eine Beziehung und manche Menschen mögen ihre Haustiere mehr als Menschen. Die Vorstellung dass man Katzen oder Hunde nur zum Essen züchtet, und das Menschen die Tiere essen die wir liebkosen, löst befremdliche Gefühle aus. Ekel, Abschau, Entrüstung sind vielleicht einige davon.
Ich habe dieses Beispiel genommen um zu zeigen wie sich die Wahrnehmung ändern kann und werte unterschiedlich sind. Ein zweites Beispiel habe ich kürzlich im Fernsehen gesehen. Es ist wie die Berichterstattung über Terrorismus unsere Wahrnehmung und unsere Werte ändern. Das erste ist die Wahrnehmung von Gefahr. Ein Beispiel sind die Anschläge vom 11.9.2001: Es ist das subjektive Risikoempfinden. Menschen überschätzen das Risiko wenn Ereignisse sehr selten sind, aber mit drastischen Konsequenzen verbunden sind. Solche Ereignisse führen dann zu einer Sammlung von allen irrationalen Ängsten und Fokussierung dieser auf die angst vor diesen Ereignissen. Seit 2001 starben in Europa 247 Menschen durch Terroranschläge, aber 256 durch Stürme. Mehr als 9000 starben alleine 2003 während der Hitzewelle in Deutschland: Und es gab über 2000 Lottogewinner mit mehr als 1 Million Euro. (Anders ausgedrückt: Einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen ist 8 mal unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn von 1 Million Euro). Es ist also unwahrscheinlich Opfer eines Anschlags zu werden, warum haben wir daher so große Angst davon? Es sind auch die Bilder, die ja immer wieder auftauchen, der Aufprall der Flugzeuge auf das Wourld Trade Center. Menschen bekommen dann ein unbewusstes Angstvermeidungsverhalten. So sind in den USA mehr Menschen auf das Auto für kürzere Strecken umgestiegen. Dadurch gab es seit 2001 weitere 1600 zusätzliche Verkehrstote. Das Ausweichen der Situation die einem Angst macht, bewirkt ein Verhalten bei dem man mehr Risiken in Kauf nimmt als normal.
Menschen sind dann bereit Gesetze zu akzeptieren, die höhere Strafen für jedes Verbrechen vorsehen, das im Zusammenhang mit Terrorismus steht oder Einschränkungen der Grundrechte oder Einschränkungen im des täglichen Leben. Man muss sich nur einmal daran orientieren, was derzeit bei uns so abläuft, wie viele Vollmachten nun plötzlich die Strafverfolgungsbehörden zur "Strafvereitelung" oder Terrorismusabwehr bekommen – und wie man sich aufregt, wenn die Telekom nur die Verbindungsdaten für Spitzeleien nutzt (gegen die Befugnisse, die heute die Polizei hat, ist das ein Klacks). Das alles zur Abwehr einer diffusen Gefahr wobei nicht einmal sicher ist ob man so überhaupt etwas vereiteln kann. Fluggäste lassen sich immer größere Einschränkungen gefallen und packen inzwischen sogar Flüssigkeiten in kleine Plastikbeute ein. Mehr noch: Diese Kontrollen verstärken die Angst noch: Die Angst vor weiteren Anschlägen wird noch verstärkt. weil man nun dauernd an das Ereignis erinnert wird.
Auch für die Wirtschaft hat dies Folgen. der internationale Warentransport ist durch die Sicherheitsanforderungen um 0.5 % teurer geworden. Was wollen die Terroristen? Angst verbreiten. Sie können mit ihren Anschlägen nicht die Wirtschaft lahm legen, oder viele Menschen töten (viele, gemessen an der Gesamtbevölkerung). Aber gerade diese Wirkung kommt erst durch die Medien und uns zustande. Wenn man gar nichts machen würde und die Anschläge als unvermeidliche Unfälle ansehen, dann hätten die Terroristen keine Macht über uns.
Das ganze zeigt wie sich Werte verschieben können. China scheint andere Werte zu haben, glaubt man Präjudix. Sicher, in islamischen Gesellschaften haben die Rechte von Frauen, die Religion und die Toleranz zu Andersdenkenden eine andere Gewichtung als bei uns. Doch ich bezweifele dass in China die Bergleute ein höheres Sicherheitsrisiko gerne in Kauf nehmen, nur damit mehr Kohle gefördert wird. China will aufschließen zu Westeuropa und Amerika im wirtschaftlichen Sinn. Ich glaube nicht, dass dies geht ohne dass sich die Gesellschaft dann auch ändert und westliche Werte übernimmt. Dazu gehört die Freiheit sich selbst entfalten zu können und die Achtung des Indviduums. Das liegt schlicht und einfach daran, dass für wirtschaftlichen Erfolg es notwendig ist, dass viele Menschen eine hohes Bildungsniveau haben. Wer mehr verdient und mehr weiß, stellt auch Forderungen an die Gesellschaft. Schaut man sich die Diktaturen oder Einpartiengesellschaften auf der Welt an: Darunter ist keine die eine wirtschaftlich so erfolgreich ist wie eien freie Gesellschaft (Es mag reiche Gesellschaften geben, wenn man Erdöl oder andere Rohstoffe teuer verkaufen kann, doch das ist etwas anderes).
Ach ja: Wenn die Kamera von Chang E‘-1 militärische relevant ist, dann rate ich China einfach mal in Tokio sich eine Digitalkamera in einem Kaufhaus zu kaufen. Die Kamera löst 120 m aus 200 km Höhe auf. Das menschliche Auge ist da doppelt so gut. Eine käufliche 8-12 MP Kamera wie die Canon PowerShot S5 IS Digitalkamera (8 Megapixel, 12-fach opt. Zoom, 2,5″Display, Bildstabilisator) erreicht bei dem gleichen Orbit eine Auflösung von 6 m/Pixel. Ich habe mich über Shenzou nicht geäußert, weil ich das ganze als Propaganda Unternehmen sehe, also einen Schritt den die Amerikaner und Russen auch taten, nur eben vor 40 Jahren. Den Laien, die nicht wissen, dass die Kapsel eine weitgehend unveränderte nachgebaute Sojus Kapsel ist, und das dürfte der größte Teil des chinesischen Volkes kann man damit beeindrucken, ich fand es eher peinlich. Das Nachbauen zeigt ja nun nicht gerade die eigenen Fähigkeiten.
Mein Interesse an der Raumfahrt liegt an der Technik und so beurteile ich auch Missionen. Eine Raumsonde von der man weder technische Daten bekommen kann noch von der Ergebnisse veröffentlicht werden, macht da wenig Sinn. Das ist kein spezielles chinesisches Problem. Auch in Europa hocken einige Leute auf ihren Daten (Ein Gruß an Frankreich und das OMEGA Team) und über Phobos-Grunt gibt es fast nichts zu schreiben (recht wenig übrigens auch über die aktuelle Phoenix Version, wäre diese nicht weitgehend braugleich zu dem MSP 01 Projekt so wäre mein Artikel bedeutend kleiner ausgefallen) Mit Propaganda fange ich da nichts an, und ich halte auch wenig von Unternehmen die vorwiegend den Public Relations dienen wie z.B. die ISS.
Wie Martin schon mitgeteilt hat: Die Fehlstarts werden auch bei militärischen Missionen untersucht und die Ergebnisse veröffentlicht. Warum auch nicht: Es geht darum einen Fehler zu finden und zukünftig zu vermeiden. Niemand hat etwas davon, wenn hier etwas vertuscht oder geheim gehalten wird. Das der Fehlstart erfolgte, das ist ja eh bekannt. Es gibt natürlich Grenzen. Die beginnen dann wo der Fehler bei der geheimen Nutzlast beginnt. so gingen schon ein paar Satelliten nach dem Start verloren und die Ursache wurde dann nicht öffentlich mitgeteilt. Abschließend zum Thema Sicherheit möge man dieses Dokument sich ansehen.
Wow, das Dod veröffentlicht ein paar Minimalinformationen über seine Launchfehlschläge…ich bin tief beeindruckt! Hauptsache niemand stellt Fragen über die 20 t ´Black Box`…LOL
Ganz klar, Shenzou ist zumindest in der ersten Phase weitgehend eine Propagandamission und diese wurde in einem akzeptablen Zeitrahmen mit überschaubaren Kosten erfolgreich erfüllt. So what…?
Die ESA gibt seit mehr als 25 Jahren Milliardensummen für Projekte wie `Hermes´ aus, (…mal abwarten ob ATV mit Hilfe der Russen tatsächlich so weiterentwickelt wird wie geplant) die schöne Mockups produzieren aber außer in PR Computersimulationen noch nie einen einzigen Europäer in die Umlaufbahn gebracht haben! Das Scheitern der europäischen Raumfahrtmanager und deren politischer Chefs ist hier doch offensichtlich (…durchaus im Gegensatz zu den beeindruckenden Leistungen der europ. Ingenieure!). Vor diesem Hintergrund sollte man als Europäer eher eine selbstkritische Haltung einnehmen, anstatt die chin. Newcomer mit verächtlichmachenden Kommentaren zu überziehen.
(Shenzou ist übrigens KEIN simpler Nachbau der Sojus-TM! Das Orbitalmodul ist eine komplette Neukonstruktion ohne jede Ähnlichkeit mit russ. Vorbildern und das Abstiegsmodul ist signifikant vergrößert und in der Lage 4 Raumfahrer aufzunehmen.)
Schliesslich noch eine Anmerkung zu Chang’e: Leider gibt es in China immer noch eine (definitiv schlechte!) Tradition der strukturellen Desinformation. In der Tat sind die wenigen veröffentlichten Daten kaum beeindruckend, doch die müssen nicht unbedingt korrekt sein! Schon im letzten Post habe ich darauf hingewiesen, dass alle chin. Projekte einer starken obfuskierenden Geheimhaltung unterliegen und alles was darüber veröffentlicht wird kann nur als massives ´Understatement´ angesehen werden. Möglicherweise hat man für Chang’e tatsächlich die beste verfügbare CCD Technologie der Japaner gerippt…und natürlich will man deswegen unbedingt in Tokyo keine schlafenden Hunde wecken — daher die Story mit der ´unterirdischen´ Performance der Kamera und deswegen auch nur ein paar nichtssagende gering aufgelöste Mondbilder.LOL
P.S.:
Ihre Analyse bezüglich westlicher Werte und ökonomischen Fortschritts entspricht der etablierten Standardtheorie. Allerdings zeigen sich in Ost- und Südost-Asien bei genauer Betrachtung dennoch erhebliche Abweichungen von diesem Dogma. Schon ein Blick nach Japan, ein Land dem ein westliches politisches System nach 1945 von den USA aufgepropft wurde zeigt wie hohl und oberflächlich westliche Theorien von Individualismus und subjektiver Freiheit bezogen auf die gesellschaftliche Realität in Japan sind. Meiner unwesentlichen persönlichen Einschätzung nach leben die meisten Japaner in einer sozial und mental wesentlich repressiveren Gesellschaft als die meisten Chinesen der neuen Mittelschichten und falls Sie lieber Herr Leitenberger ernsthaft glauben in Japan gäbe es ´Demokratie´, dann wären Sie in der Tat über die Herrschaftspraxis der seit 50 Jahren dauerregierenden LDP,(die nebenbei auch noch die Opposition spielt!) doch sehr überrascht.
Abschliessend noch ein Hinweis auf einen sehr reichen, hocheffizienten und seit seiner Gründung von einer de facto Einheitspartei regierten Staat: SINGAPUR. Hier herrscht die PAP (Peoples Action Party) mittels eines meritokratischen Autoritarismus, der das kleine Land binnen weniger Jahrzehnte zu einem weltweit führenden Handels- und Finanzzentrum gemacht hat und dessen durchschnittliches Bildungsniveau übrigens weit über dem der BRD liegt. Bestimmt ist es nur wieder so ein dummer Zufall, dass 80% der Singapurer abstammungsmäßig Chinesen sind…LOL