Clusterung und die Falcon 9

Der Hinweis auf die Chang Zheng 5 und weil die Falcon 9 nun ja wieder im Gespräch ist bringt mich auf mein heutiges Thema: Das Bündeln von Raketentriebwerken und Stufen, Clusterung genannt. Zuerst mal die Grundidee die dahinter steht: Nehmen wir an, wir entwickele zwei Triebwerke von 80 kN und 1280 kN Schub (also dem 16 fachen des ersten). Und wir bauen diese in 4 Stufen ein:

  • Stufe 1: 1 Triebwerk Typ A: 5 t Gewicht
  • Stufe 2:  4 Triebwerke Typ A: 20 t Gewicht
  • Stufe 3: 1 Triebwerk Typ B: 80 t Gewicht
  • Stufe 4: 4 Triebwerke Typ B:320 t Gewicht.

Dann kann man mit diesen Stufen 4 Basisträgerraketen konstruieren:

  • Typ 1: 1 x Stufe 1 + 1 x Stufe 2
  • Typ 2: 1 x Stufe 2 + 1 x Stufe 3
  • Typ 3: 1 x Stufe 3 + 1 x Stufe 4

Bei LOX/LH2 als Treibstoff entsprechen diese Raketen 1 t, 4 t und 16 t Nutzlast.. Mit der Nutzung dieser Stufen als Oberstufen und Zusatzbooster kann man diese Palette noch um weitere Modelle erweitern. In der Summe könnte man also mit zwei Triebwerkstypen alle bisherigen Trägerraketen von der Rockot Klasse bis zur Ariane 5 oder Delta IV Heavy ersetzen.

Die Vorteile scheinen zuerst auf der Hand zu liegen: Die Entwicklungskosten sind geringer, weil man nur zwei Triebwerke für alles hat, jedes Triebwerk wird in einer größeren Stückzahl gefertigt und dadurch günstiger zu produzieren. Warum tut man es dann nicht einfach?

Nun es gibt eine Reihe von Einwänden. Das erste ist, das es billiger ist, als erste Stufe Feststoffbooster einzusetzen als ein Triebwerk mit LOX/LH2. Die Typen mit 4 Triebwerken in der ersten Stufe könnte man also ersetzen durch zusätzlich angebrachte Feststoffbooster – Dann bräuchte man also noch zwei Typen von Feststoffboostern.

Der Haupteinwand der eingebracht wird ist die Zuverlässigkeit. Es steigt die Ausfallwahrscheinlichkeit rapide an wenn man mehr Triebwerke einsetzt. Dieser Tatbestand ist unstrittig. Worüber es Diskussionen gibt, sind die Folgen. Bei der N-1 installierte man ein System, welches beim Ausfall eines Triebwerks das gegenüberliegende abschaltete. Genützt hat es nichts. Denn es gab bei den Ausfällen Beschädigungen der umliegenden Triebwerke oder es lagen systematische  Designfehler vor, die zum Versagen der Rakete bei jedem der vier Flüge führten.

Selbst wenn es gelingt, so fehlt Schub. In einem frühen Stadium des Flugs kann dies so viel sein, dass er nicht ausreicht die Bahn zu erreichen. Später kann dann eine zu niedrige, unbrauchbare Bahn resultieren. Ich kann natürlich zumindest für den letzten Fall Treibstoffreserven allokieren um dies aufzufangen, doch dann wird die Nutzlast recht klein und das ist ja auch nicht erwünscht.

Soll eine Rakete eine definierte Zuverlässigkeit haben und setzt man viele Triebwerke ein, so bedeutet dies, dass jedes einzelne eine viel höhere Zuverlässigkeit aufweisen muss als ein einzelnes Triebwerk. Das ist nicht unmöglich: Die Ariane 4 setzte bis zu 8 Triebwerke in der ersten Stufe ein, und entwickelte sich zum zuverlässigsten kommerziell verfügbaren Träger. Auch die Saturn V mit 11 Triebwerken in 3 Stufen kann als positives Beispiel angesehen werden. Im Normalfall ist aber ein solches Triebwerk erheblich teurer als ein vergleichbares mit weniger harten Anforderungen (F-1, J-2 Triebwerk) oder ich muss auf Leistung verzichten (Viking Triebwerke der Ariane 1-4). Beides ist suboptimal: Entweder es wird teurer oder die Nutzlast ist nicht so hoch wie sie sein könnte (Ariane 1 und die Atlas Centaur hatten beide 1.86 t Nutzlast. Die Ariane 1 wog 202 t, die Atlas Centaur nur 149.5 t.)

Nun zum Casus Knacksus:: Lohnt es sich ja oder nein? Und wie immer gibt es keine allgemeingültige Antwort. Wenn ich eine bestimmte Rakete entwickele, dann sind die Produktionskosten am geringsten, wenn ich ein großes anstatt mehrerer kleiner Triebwerke einsetze. Eine Saturn V S IC Stufe mit fünf F-1 (6670 kN Schub) kostete in der Produktion z.B.21.3 Millionen Dollar, die kleinere Saturn 1C mit acht H-2 von jeweils 890 kN Schub dagegen 9.4 Millionen Dollar. Pro kN Schub war die S-1C also 2.5 mal preiswerter als die S-1B trotz weniger Triebwerke.

Sofern ich also nur eine Rakete entwickele, wird es immer am günstigsten sein in jeder Stufe nur ein Triebwerk einzusetzen. Das ganze ändert sich wenn ich nicht eine Rakete entwickele sondern eine Familie die einen breiten Nutzlastbereich abdecken soll. Dann sinken die Produktionskosten pro Triebwerk, weil ich weniger verschiedene Typen produziere. Weiterhin reduziere ich die Entwicklungskosten gravierend da ich nicht verschiedene Raketen neu entwickeln muss, sondern den Aufwand nur einmal tätige.

Diese Vorteile muss ich gegen die Nachteile des Ausfallsrisikos abwägen. Wenn ich die bisherigen Designs durchgehe scheint so ein Optimum bei um die 10-12 Triebwerken in der Rakete zu sein. Ariane 4 hatte bis zu 10, die Saturn V 11, die Proton bis zu 12. (Wobei die Zuverlässigkeit der Proton auch nicht besonders hoch ist). Auch die Langer Marsch 5  Familie liegt mit maximal 12 Triebwerken in diesem Bereich.

Ob dies auch noch bei der Falcon 9 Heavy so ist? Diese wird 28 Triebwerke einsetzen. Ich glaube nicht. Dazu müsste SpaceX dreimal zuverlässigere Triebwerke entwickeln als die Chinesen, die immerhin damit Erfahrung haben (und trotzdem 14 Jahre für die Entwicklung der Chang Zheng 5 angesetzt haben). Bislang hat kein einziger Start einer Falcon 1 mit nur zwei Triebwerken geklappt. Die Ursachen lagen bis auf den ersten Fehlstart nicht bei einem Triebwerk, doch es zeigt eben wie hoch die Kompetenz von SpaceX ist, wenn Designfehler z.B. bei der Stufentrennung erst bei einem Testflug bemerkt werden. Wie zuverlässig kann man dann ein das Merlin !C einstufen?

Die 27 Triebwerke bei der Falcon 9 Heavy sind eine Notlösung, das ist recht deutlich sichtbar. Zum einen ist das Voll/Leermasse Verhältnis von den 3 Boostern zu der zweiten Stufe sehr schlecht. Zum anderen stammt das Merlin 1C von der Falcon 1 ab, einer Rakete für 420 kg schwere Nutzlasten. Damit braucht man überhaupt so viele Triebwerke. Würde SpaceX ein leistungsfähigeres Triebwerk zur Verfügung stehen, so würden sie sicher dieses einsetzen. Aber die Entwicklung eines solchen Triebwerks kostet mehr Geld und das hat man bei SpaceX nicht. Daher muss man auf das zurückgreifen was man hat.

Die Performance ist daher auch nicht besonders hoch. Nehme ich die Daten von SpaceX, so kann ich ihre Nutzlasten nicht nachvollziehen. Nehme ich die Daten der Falcon 1 als Basis, so komme ich auch Differenzen zu SpaceX Werten:

  SpaceX Bernd Leitenberger
Falcon 9 LEO 12.5 t 7.0 t
Falcon 9 GTO 4.64 t 1.2 t
Falcon 9 Heavy LEO 29.61 t 17.0 t
Falcon 9 Heavy GTO 15.01 t 5.0 t

Ich schreibe das, weil ich damit rechne, das SpaceX uns bald wieder mit "neuen, korrigierten" Werten überraschen wird. Für die die es nachvollziehen wollen: Die Raketengrundgleichung mit folgenden Daten lösen:

Rakete: Falcon 1

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
28009 420 157 7802 1663
Stufe Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 22851 1360 2981
2 4581 544 3109

Rakete: Falcon 1e

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
47757 1010 136 7802 1391
Stufe Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 42030 2577 2981
2 4581 544 3109

Rakete: Falcon 9

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
322730 1230 2500 10228 1770
Stufe Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 267350 17000 2982
2 51650 3200 3041

Rakete: Falcon 9 Heavy

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
860413 5063 2000 10228 1770
Stufe Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 801750 51000 2982
2 51600 3200 3041

Die Daten der Falcon 1/1e stammen von SpaceX und sind vollständig. Die anderen sind aus den kümmerlichen Daten auf der Website zurückgerechnet. Ich habe die gesamten Verluste der Falcon 1, für die ja Daten vorliegen für die Falcon 9 und 9 Heavy übernommen. Ich wage auch zu prognostizieren, das die Falcon 9 Heavy kein zuverlässiger Träger sein wird. Schaun mer mal….

2 thoughts on “Clusterung und die Falcon 9

  1. Ich bin der gleiche Meinung wie der Autor
    ( besonderes dem Chaos bei Space X Falcon Programm :-[ )

    man könnte die Ariane 5 zu eine Cluster Rakete umbauen !
    anstatt 2xEAP 2 x EPC mit je 4xVulcain 2 Triebwerke (der Rest bleib das gleiche)
    man könnte anstatt 4xVulcain-2 auch das RS-68 (Delta IV )von Rocketdyne nehmen

    Vorteil: umweltschonend (keine chlor Verbindung in Abgas) Engine-out Sicherheit.
    die Rakete ist leichter und benötig somit keine hohen Schub als mit EAP
    ausbaufähig 2-4-6 EPC Booster um den Kern EPC
    Nachteil: Aerodynamische Bremsung durch große Tankvolumen bei Start

    wenn ich aber sehe wie sich Verhältnis ESA-RSA entwickelt
    könnte vielleicht eines Tages die EAP durch 4x Angara UM ersetzt werden. (Ariane-Angara)
    das wahre ironisch: Energia come-back durch ESA-RSA

    Notiz zu Saturn 1B und Sowjetische N-1
    die Erststufe der 1B besteht aus cluster Tanks von Redstone und Jupiter Raketen
    könnte meinen wahre billiger durch verwenden bestehender Teile,
    aber die komplexe Montage und Tests machen es teuer als ein einziger tank gleicher große

    zu N-1 sie hatte 30 [DREISSIG!] Triebwerke in der Erststufe
    die Probleme ? ursprünglich hatte nur 24 eingebaut werden.
    nach Koroljows Tod übernahm Mischin das Projekt und machte Veränderungen
    erhöhte die Triebwerk zahl auf 30 und kühlte den Brennstoff runter auf -191 °C
    wofür das verwende Metall der Brennstoffleitung nicht ausgelegt war
    Kusnezow stelle die Triebwerke her aber teste sie kaum oder gar nicht !

  2. Kleine Korrektur: Die Triebwerke wurden getestet, aber niemals die ganze Stufe, zudem war man in der Entwicklung spät dran, so dass man die ersten Testflüge noch mit frühen Versionen der Triebwerke durchführte die nicht die geforderten Zuverlässigkeitswerte für bemannte Flüge aufweisen, doch da man in Zeitnot war blieb nichts anderes übrig.

    Die Erweiterung von 24 auf 30 Triebwerke geschah schon zu korolows Zeiten, weil die N-1 ursprünglich für 70 t Nutzlast im erdorbit spezifiziert war und erst später zur Mondrakete umfunktioniert wurde. Dafür reichten die 70 t nicht.

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