Rätselt Alatsee

Gestern habe ich durch Zufall mal die Wissenschaftssendung im bayrischen Fernsehen "Faszination Wissen" gesehen. Es ging dabei um den Alatsee, der in zwei Zonen unterteilt ist: an der Oberfläche ist es ein normaler Bergsee und in der Tiefe (ab etwa 15 m) durchzieht ihn eine purpurne Schicht. Darunter ist der See biologisch tot, es herrscht aerobes Milieu vor.

Viel rätselhafter ist mir der See aber nach der Sendung, denn obwohl 30 Minuten lang von einer gemeinsamen Expedition der Humboldt Universität und der Stuttgarter Universität berichtet wurde, gab es nur wenige Fakten, und die sind meiner Meinung nach noch dazu rudimentär präsentiert worden..

Fangen wir an mit den offensichtlichsten Falschinformationen: Es wird berichtet, dass dort Versuche mit der Ta-154 durchgeführt wurden. Die Ta-154 ist eine Nachfolgeversion der Ta-152, die wiederum eine besonders leistungsfähige Version der FW-190D ist, eines Abfangjägers Deutschlands mit Kolbenmotor. Es ist jedoch ein konventioneller Entwurf und nicht eines der ersten Düsenflugzeuge oder gar Raketenflugzeuge, die es auch zu Kriegsende gab.

Es wurde jedoch vom "schnellsten Jagdflugzeug seiner Zeit" und von einer Bauweise in Holz gesprochen. Das trifft nicht auf die Ta-154 zu. Diese war ein Flugzeug aus Metall. Die Abbildungen zeigen eine Bachem-Natter. Auf die in der Tat alles zutrifft: Sie ist aus Holz, mit Raketenantrieb der schnellste Jäger seine Zeit und auch die Testflüge misslangen.

Noch mysteriöser ist aber die Biologie des Sees. Hier in Kürze die vorgestellten Fakten:

  • Bis 15 m Tiefe ist der See normal
  • In 15 m Tiefe durchzieht ihn eine Schicht Purpurbakterien. Die Zone ist dort giftig. Haut brennt wie Feuer, Metall wird schwarz.
  • Darunter liegt eine anaerobe Zone
  • Die Wolke soll aus Purpurbakterien bestehen, die Schwefel verstoffwechseln. Dieser soll aus Gips aus der Umgebung stammen.

Da staunt doch der Chemiker: Haben wir hier eine einzigartige Lebensgemeinschaft vor uns, die in normalen Gewässern aus Gips Leben bilden kann ? (So etwas gibt es doch nicht in normalen Seen, sondern nur unter bestimmten Bedingungen).

Also zur Spurensuche. Fangen wir an mit dem wichtigsten Stichwort: Purpurbakterien. Das ist eine ganze Gruppe von photosynthetisch aktiven Bakterien. Aufgrund der Farbe können es nur die Schwefelpurpurbakterien sein. Diese betreiben Photosynthese wie höhere Organismen. Nur benutzen sie Schwefelwasserstoff als Elektronendonator anstatt Wasser:

normale Photosynthese:

6 H2O + 6 CO2 → C6H12O6 + 6 O2

Photosynthese mit Schwefelwasserstoff:

6 H2S + 6 CO2 → C6H12O6 + 6 S2

Dies passt recht gut zum Befund der Schwarzfärbung von Metall. Die meisten Metalle reagieren mit Schwefelwasserstoff unter der Bildung von Sulfiden, die schwarz sind. (Sie kennen das vielleicht von Silberbesteck). Sie können die Photosynthese auch bei wenig Licht durchführen und finden sich daher oft in tieferen Schichten.

Der gebildete Schwefel wird erst in den Bakterien eingelagert. Die meisten Organismen dieser Gruppe können ihn weitere oxidieren zu Sulfat oder zu Schwefelsäure. Sie gedeihen selbst noch in sehr saurem Wasser. Das würde das Brennen auf der Haut und die postulierte Verätzung der Kiemen von Fischen erklären. Dies könnte durch die erzeugte Schwefelsäure verursacht sein.

Soweit ist alles in Ordnung. Doch woher kommt der Schwefel? Und hier wird der Bericht nun interessant: Ein Professor einer deutschen Universität vertritt die Meinung, dass er vom Gips (Calciumsulfat) aus der Umgebung stammt. Aus Gips soll Schwefelwasserstoff entstehen? Aus einem Oxidationsprodukt eine oxidierbare Verbindung? Ja das geht, aber nur unter bestimmten Bedingungen, die hier nicht vorherrschen.

Eine Klasse von Archaebakterien kann dies in der Tat. Sie benutzen Wasserstoff aus organischen Substanzen und oxidieren diese zu Kohlendioxid. Dies muss im anaeroben Mille geschehen. Ist Sauerstoff vorhanden, so würden andere Bakterien die viel effizientere oxidative Phosphorylierung betreiben. Das Sulfat dient hier als Sauerstoffquelle. Es entsteht als Endprodukt Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid. Nach wie vor benötigt man aber eine oxidierbare Kohlenstoffquelle also Biomasse.

So denkt sich der Professor das. Das Dumme: Diese Bakterien sind nur bei relativ hohen Temperaturen von 30 bis 50 Grad hoch aktiv. Weiterhin ist zwar bekannt, dass sie in Erdschichten aktiv sind und auch im Untergrund von Teichen, nicht jedoch im freien Wasser. Woher soll im freien Wasser denn auch der Nachschub an Sulfat kommen, das sich nur schlecht in Wasser löst (schlicht vergleichen mit normalem Kochsalz, natürlich gut im Vergleich zu Granit).

Viel wahrscheinlicher (und dass sagen wohl offensichtlich auch die Messungen) stammt der Schwefelwasserstoff aus einem anaeroben Abbau im sauerstofffreien Milieu des Sees: Organische Materie, die Schwefel in den Aminosäuren enthält, sinkt zum Boden, unter Luftabschluss findet eine Gärung statt bei der auch Schwefelwasserstoff gebildet wird. Dieser ist wasserlöslich und steigt auf, wo er von den Purpurbakterien verstoffwechselt wird. Das entstehende Sulfat kann auch in den Kreislauf einbezogen werden. Mit Calcium aus dem ausgewaschenen Gestein reagiert es zu Gips, dieser sinkt ab und auf dem Boden (aber eben nicht in der Wasserschicht) wird es zu Schwefelwasserstoff reduziert.

Warum der Gips aus den Sedimenten als Quelle ausscheidet? Ganz einfach: Es fehlt die Wasserstoffquelle. Organische Substanzen als Wasserstoffquelle müssen auch zur Verfügung stehen. Es mag dort große Gipsschichten geben, doch eben reine Gipsschichten. Was benötigt wird ist eine Mischung von Gips und organsicher Materie. Diese dürfte nur in den oberen Schichten, wo laufend tote Materie von oben herunter regnet gegeben sein.

Was bleibt ist ein besondere See, aber nicht so besonders wie die Dokumentation uns weiß machen will. In einem normalen See läuft das so: Der obere Teil eines Sees ist photosynthetisch aktiv. Dort wird aus Kohlendioxid und Licht organische Materie aufgebaut. Ab einer bestimmten Tiefe, die je nach Pflanzenwuchs und Trübstoffgehalt schon in geringer Tiefe erreicht ist, kann keine Pflanze mehr Photosynthese betrieben. Es beginnt die Zone in der Tiere von dem Leben was von oben nach unten regnet und diese Zone geht bis zum Boden. Bis dorthin ist der See aber noch aerob, es gibt genügend Sauerstoff für alle Lebewesen. Am Boden herschen im Schlick anaerobe Bedingungen vor und der nicht oben verstoffwechselte Teil der organischen Substanz wird abgebaut. In dieser anaeroben Zone können auch Bakterien leben die Sulfat zu Schwefelwasserstoff abbauen. doch ist dies nur ein kleiner Teil der Materie, da ein Großteil des Schwefels schon vorher wieder in den Stoffwechselkreislauf gelangt ist.

Der Alatsee ist nun etwas anders. Wahrscheinlich weil es kaum Durchmischung der Wasserschichten gibt. So fehlt der Sauerstoffnachschub in den unteren Schichten und da dort keine Photosynthese mehr möglich ist wird nur der Sauerstoff verbraucht. Die Zone wird anaerob und nach Verbrauch des Sauerstoffs wird Schwefelwasserstoff als Faulgas gebildet. Dieses steigt nach oben und kann den See zum Umkippen bringen. Hier verlief es durch eine Laune der Natur anders: es siedelten sich unterhalb der photosynthetisch aktiven Zone die Purpurbakterien an. Diese verbrauchen den Schwefelwasserstoff, so gelangt er nicht nach oben und sie werden von oben mit organischem Substrat versorgt. Vielleicht ist dies nicht so ungewöhnlich sondern diese Schichtung entsteht automatisch, wenn ein See recht tief ist, verglichen mit seiner Größe – Bei 250 x 500 m Fläche ist der Alatsee 35 m tief. Das ist recht tief für einen so kleinen See.

Ein Rätsel ist gelöst – und ich musste nicht mal eine Expedition machen. Der Expeditionsleiter ist Franz Brümmer. Seines Zeichens Biologe mit Schwerpunkt aquatische und Meeresbiologie. Vielleicht hätte er mal einen Chemiker hinzuziehen sollen….

Kleines Detail am Rande: Als ich bei Google Maps nach dem Alatsee gesucht habe fand ich ihn nicht. Auch die Angabe von der Sendung (6 km von Füssen entfernt) zeigte zwar ein paar Seen aber keinen Alatsee. Erst wenn man von Karte oder Gelände auf die Satellitensicht umschaltet sieht man den See als einförmigen, grünen Fleck. Er ist nicht sehr groß – bei 250 x 500 m Größe wäre Alatteich wohl eher passend gewesen. Aber es ist wirklich interessant, dass er auf Karten nicht verzeichnet ist. Wie viele Autos die von Routenplanern gesteuert werden, werden da wohl im See ihre letzte ruhe finden?


Größere Kartenansicht

2 thoughts on “Rätselt Alatsee

  1. Hallo,
    Ich denke, es wäre hilfreich, daß Sie sich eingehend mit der Thematik beschäftigen, bevor Sie solche Kommentare ins Netz stellen!
    Natürlich vereinfacht die Doku die Zusammenhänge, z.B. entsteht natürlich kein Schwefelwasserstoff, wenn sich Gips in Wasser löst, ansonsten aber macht die Doku zumindest was die Biologie / Geologie angeht durchaus Sinn (den Rest kann ich nicht beurteilen). Es gibt nicht nur Archaeen, die Sulfat reduzieren können. Eine der wichtigsten Gruppen von Bakterien im anaeroben Milleu sind sulfatreduzierende Bakterien und die kommen nicht nur bei erhöhten Temperaturen vor, sondern ziemlich überall, wo Sulfat ist, kein Sauerstoff und etwas organische Substanz, z.B. in den oberen Sedimentschichten im Meer, wo viel Organik abgelagert wird und durch den Abbau dieser Organik der Sauerstoff rasch verbraucht ist. Im Alatsee gibt es offensichtlich beides Sulfat aus der Lösung des umgebenden Gipses und Organik, durch die Primärproduzenten im oberen Teil des Sees. –> Sulfatreduktion –> Schwefelwasserstoffbildung –> Grundlage für die Schwefelpurpurbakterien.
    Demnach ist der Alatsee doch etwas sehr besonderes, da in „normalen“ Seen der Sulfatgehalt für bakterielle Sulfatreduktion viel zu niedrig ist. Übrigens ist Gips auch verglichen mit Karbonat ziemlich gut löslich, da viel Gips da ist, reicht das offensichtlich aus. Ausserdem möchte ich bezweifeln, dass die Menge an Schwefel in der organischen Substant ausreicht um die Menge an Schwefelbakterien ausreichend zu versorgen…

    Hier ein paar Artikel zum Nachlesen (da gibt es sehr !!! viel Literatur zum Thema):
    Joergensen (1982) Mineralization of organic matter in the sea bed – the role of sulphate reduction. Nature 296, 643-645.
    Lindtke et al. (2011) Authigenesis of native sulphur and dolomite in a lacustrine evaporitic setting (Hellín basin, Late Miocene, SE Spain). Geological Magazine 148, 655-669.
    Schulz & Zabel (2000) Marine Geochemistry, Springer Verlag: besonders Kapitel 5: Bacteria and Marine Biogeochemistry von B.B. Joergensen und Kapitel 8 Sulfate Reduction in Marine Sediments von S. Kasten und B.B. Joergensen

    Ich würde sehr darum bitten, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, mit der Kritik!
    Mit freundlichen Grüßen,
    Simone Ziegenbalg

  2. Ich habe mich informiert, obwohl der Beitrag einige Jahre alt ist wie am Datum erkennbar. Nach neueren Untersuchungen stammt der Schwefelwasserstoff nicht aus dem Gips der Umgebung, was auch Isotopenmessungen belegen. Vielleicht informieren sie sich auch mal gezielt über die besondere Situation im Alatsee

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