Bernd Leitenbergers Blog

Das Rätsel des Fluges der Europa F.9

Während ich für mein Buch über europäische Trägerraketen recherchiere, bin ich auf etwas interessantes gestoßen. Es geht um den Flug F.9 der Europa I, den letzten der Europa I, der auch fast in einem Orbit führte. Folgende Daten wurden dazu veröffentlicht:

Zur Erklärung für die, die es nicht wissen: F.9 hätte einen 265 kg schweren Satelliten in einen Orbit bringen sollen. Der Orbit war nach einer Quelle ein 400 x 2000 km Orbit von 84.3 Grad Neigung, wenn alles nominal gelaufen wäre und ein 485 x 3400 km, wenn die Astris nicht korrekt funktioniert hätte. Die Differenz zu einem höheren Orbit resultierter daraus, dass die Astris sich nach 356 Sekunden abschalten sollte, bei einem Fehler sollte sie 9 Sekunden länger brennen und so einen höheren Orbit erreichen.

Was passierte? Die Nutzlasthülle wurde nach 228 Sekunden nicht abgetrennt und die Nutzlast stieg so von 265 auf 550-573 kg. Diese zu hohe Nutzlast soll daran schuld sein, dass die Nutzlast nicht den Orbit erreichte. Die zweite Anomalie war ein Absinken des Schubs zum Ende des Astris Betriebs, weil ein verschmutztes Helium-Überdruck Ventil Druck abließ. Der spezifische Impuls war aber nach Angaben von Erne wie erwartet.

Nur: Da stimmt was nicht. Die nominelle Brennzeit der Blue Streak beträgt 153-157 Sekunden. Bei einer Brennzeit von 157 Sekunden ist sie also ausgebrannt.. Die zweite Stufe brannte voll aus – 102 Sekunden waren geplant. 105 Sekunden waren es und das gleiche gilt für die Astris (356 zu 366 Sekunden). Wenn alle 3 Stufen ihre nominelle Brennzeit haben, dann muss so auch die nominelle Nutzlast transportiert werden.

Diese sollte aber bei der Europa 1 etwa 850-900 kg in einen niedrigen polaren Orbit betragen. Man hätte zwar den hochelliptischen Orbit nicht erreicht, aber sicherlich einen Orbit. 570 kg Nutzlast liegen deutlich unter der Nutzlast von 850 bis 900 kg!.

Das zweite Rätsel: Die Geschwindigkeit in der Periapsis sollte beim nominellen Orbit 8069 m/s betragen, nicht 7893 m/s. Eine positive Differenz durch die Erdrotation fällt bei der Polarbahn weg. Bei Ausbrennen der Astris wären es sogar 8262 m/s für den 485 x 3400 km Orbit. Wenn das Perigäum mit 400 km feststeht, entsprechen 7893 m/s Bahngeschwindigkeit einem Apogäum von 1250 km Entfernung.

Was gibt es noch an Erklärungsmöglichleiten? Es gibt noch die Abnahme des Schubs der Astris zum Ende der Brennzeit. Dies sollte keine Auswirkungen haben. Die Astris hat einen Schub von 2.3 t. Sie wiegt 3.4 t, dazu kommen noch etwa 0.6 t Nutzlast. Sofern die Abnahme erst nach der Hälfte der Brennzeit erfolgt, hat die Astris so viel Treibstoff verbrannt, dass der verringerte Schub auf jeden Fall ausreicht um die Bahn weiter anzuheben.

Es gibt also noch unbekannte Fakten, die nötig sind um den Fehlschlag zu erklären. Ich persönlich tendiere zu zwei möglichen Erklärungen:

In der Summe gibt es doch noch viele Rätsel. Mein Buch über Europa Raketen wird daher wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Ich habe gerade eine neue Quelle gefunden: Flightglobal.com: Dort kann man die eingescannten Jahrgänge der Zeitschrift "Flight International" über fast ein Jahrhundert durchsuchen. Das ist eine wirklich tolle Quelle für Original-Informationen aus dieser Zeit. Die Freude wird nur durch zwei Dinge getrübt: Das erste ist, dass die Suche sehr unspezifisch ist. Es ist nicht möglich logische Verknüpfungen zu machen. Das zweite ist, dass das Übertragen der PDF Seiten sehr langsam ist und bei mir im Geschäft immer wieder Acrobat beim Ansehen abstürzt.

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