Quao Vadis Europa? – Teil 2

Gestern habe ich meinen Senf zu den Forderungen gegeben, heute anzufangen "unabhängig" bei der bemannten Raumfahrt zu sein (meiner Meinung nach ist das heute außer den Chinesen wohl keiner mehr so richtig). Doch angenommen, Europa wäre aus der ISS ausgestiegen – wann und wie wäre es wohl am besten gewesen?

Zuerst einmal: Es gab schon lange vor der ISS bei der ESA Pläne für eigene Raumstationen. Als 1988 der Bau von Ariane 5 beschlossen wurde, sah dies auch als Nutzlast Hermes und Columbus (noch als unabhängiges Labor) vor. Aus Kostengründen ist nichts daraus geworden. Und die Kosten sind auch heute der Knackpunkt. Also heute der Ansatz: Wie kann Europa eine eigene bemannte Raumfahrt möglichst kostengünstig aufbauen?

Nun in der jüngsten Vergangenheit wäre der ideale Zeitpunkt zum Ausstieg wohl 2003 gewesen – Schon 2002 wollten die USA den ISS Ausbau einstellen. Als die Columbia 2003 verloren ging war klar, dass sich der Ausbau um Jahre verzögern würde. Ein Jahr später wurde der Ausstieg aus dem Space Shuttle Programm beschlossen. Also ziehen wir Bilanz: Was entwickelte zu diesem Zeitpunkt die ESA für die ISS:

  • Das Raumlabor Columbus
  • Die beiden Kopplungsknoten Node 2 und Node 3
  • Die Cupola als Aussichtspunkt
  • Den Roboterarm für das russische Raumsegment
  • Das ATV

Wie kann man damit eine eigene Raumstation aufbauen? Einen der Kopplungsknoten (mit 6 Anschlüssen, 4 über dem Umfang im 90 Grad Winkel verteilt, 2 an den Enden) kann man unverändert übernehmen. Der andere ist als Kopplungsknoten überflüssig. Da aber diese Kopplungsknoten aus derselben Struktur bestehen wie das Raumlabor Columbus, müsste man beim zweiten (Node 3, der derzeit bei der NASA zum Start vorbereitet wird) nur die Kopplungsadapter entfernen und es innen einrichten. Aus Node 3 würde so ein Wohnquartier werden. Der Innenraum von Node 2 könnte als Lagerraum genutzt werden (wie dies auch heute der Fall ist).

Damit hatte man ein Wohnquartier, ein Labor und einen Verbindungsknoten mit Lagerräumen. Die Cupola findet ihren Platz an einem der 6 Kopplungspunkte,  zwei weitere belegen das Wohnquartier und Columbus.

Wichtig ist aber für eine Raumstation ein Lebenserhaltungssystem und der bemannte Zugang. Anstatt hier nun alles neu zu entwickeln, würde ich bei beiden Dingen auf Russland zurückgreifen – Warum auch nicht – die USA tun es auch. Das Lebenserhaltungssystem der ISS ist bis Node 3 im Orbit ist, in Swesda. Dort sind auch die sanitären Einrichtungen und Tanks für Treibstoff. Swesda wurde 1998 für 320 Millionen Dollar gebaut – billiger kann es die ESA auch nicht bauen. Warum sollte also die ESA nicht ein zweites FGB bei Russland bestellen?

Swesda hat noch zwei andere Vorteile: Damit verfügt die Station auch über Kopplungsadapter für das ATV und die Sojus, die je beide vom russischen Typ sind. Umgerüstet müsste der vordere Adapter werden, damit es an den Kopplungsknoten ankoppeln kann. Damit ist der vierte Ankopplungspunkt dessen belegt.

Damit hat die Station alle grundlegenden Elemente die eine bemannte Raumstation braucht. Was fehlt ist noch eine ausreichende Stromversorgung. Diese kann man gewährleisten, wenn alle zylindrischen Module mit Solarzellen ausgerüstet werden. Das dürfte keine große Änderung sein. Es muss noch möglich sein, die Station zu verlassen. Das durfte durch den Kopplungsknoten möglich sein, doch erfordert das dann praktisch die einzelnen Sektionen abzuschotten. Einfacher ist es einen Nachbau des Pirs Moduls zu verwenden. Damit hat man alles was man braucht:

  • Kopplungsmöglichkeiten für ATV und Sojus
  • Lebenserhaltung
  • Wohnmöglichkeit
  • ein Labor
  • Zwei freie Docking Adapter mit US-Anschlüssen
  • Zwei freie Docking Adapter mit russischen Anschlüssen.

Abhängigkeit von Russland?

Es ist immer interessant, wie vor allem in den USA davon gesprochen wird von Russland abhängig zu sein. Fakt ist: Wenn Russland für Dienstleistungen bezahlt wird, dann erbringt sie diese. Das ist bei der NASA nicht immer der Fall. In jedem Fall gibt es die Möglichkeit erst den Swesda Nachbau und den Pirs Nachbau zu starten und dann die europäischen Module (da diese keinen eigenen Antrieb haben, muss sowieso das Swesda Modul das erste im Orbit sein, um aktiv an diese anzukoppeln). Sojus Raumschiffe und Sojus Trägerraketen kann man im 4 er Pack kaufen und einlagern und danach starten – bei zwei Besatzungswechseln pro Jahr reicht das für 42 Jahre – genug auch bei politischen Krisen diese zu klären. Die Startmöglichkeit für die Sojus gibt es ja ab 2009 in Kourou – so gesehen sind wir sogar unabhängiger als die USA, die nicht die Sojus selbst starten können.

Wohin?

Die ISS Bahn ist ein Kompromiss. Die Bahnneigung ist vorgegeben durch Russland – kleinere Bahnneigungen als 52 Grad sind von Baikonur aus nicht möglich. Die Höhe ist durch den Space Shuttle vorgegeben – je höher desto geringer ist dessen Nutzlast. Für eine europäische Station muss darauf nicht Rücksicht genommen werden. Die maximale Nutzlast hat man vom Start von Kourou aus bei 5-7 Grad Inklination. Um allerdings den Treibstoffverbrauch für die Bahn der Station zu minimiere,n sollte die Station einen höheren Orbit von 450-500 km Höhe aufweisen. Von Kourou aus ist wegen der Erdrotation die Nutzlast trotzdem höher als zur ISS: Ein Hin- und Rückflug in 450 km Höhe braucht etwa 60 m/s mehr Geschwindigkeit als einer zu 350 km. Der Gewinn durch die Erdrotation macht aber 175 m/s aus. Bei einer Ariane 5 ES steigt so die Nutzlast von 20.75 auf 21.8 t an.  Dies ist ausreichend um die Labors voll ausgestattet zu starten – Das schafft der Space Shuttle nicht, weshalb z.B. ein Teil der Racks von Columbus not einem zweiten Transport zur ISS kommen müssen.

Eine Alternative wäre Japan mit ins Boot zu holen – Das Kibo Labor könnte an einen der beiden US-Kopplungsadaptern andocken, das HTV an den anderen. Das würde dann auch die Kosten senken. Dann wäre eine Bahn mit 37 Grad Bahnneigung notwendig, damit die H-2B die Station erreichen kann. Neben einer größeren Station und geringeren Kosten für Europa hätte dies den Vorteil, dass ein HTV auch Racks transportieren kann – so hat man die Möglichkeit diese nach einigen Jahren dem neuesten technischen Stand anzupassen.

Kosten

Da sind wir bei dem Casus Knackses. Was kostet der Spaß? Nehmen wir an die Umrüstung der Knoten wäre kostenneutral. (Schließlich wurde Columbus vor allem deswegen so teuer, weil es eigentlich schon 2003 im Orbit sein sollte und Raumlabore kosten auch wenn sie nur auf der Erde rumstehen – die Spezialisten die es bauen kann man schlecht entlassen bis es im Orbit ist). Dann fallen für den Aufbau der Station noch folgende Kosten an:

  • Kauf eines Swesda Moduls (geschätzt: 350 Millionen Euro)
  • Kauf eines Pirs Moduls (geschätzt: 100 Millionen Euro)
  • Start der Module: 4 Ariane 5 Starts, 1 Sojus Start: 4 x 130 Millionen Euro + 1 x 35 Millionen Euro.
  • Laufender Mannschaftstransport: 2 Sojus Flüge pro Jahr: Die NASA zahlt rund 16 Millionen Euro pro Sitzplatz an Roskomos – das macht rund 100 Millionen Euro pro Jahr bei 2 Sojus Starts.
  • Laufende Versorgung: 1 ATV Flug pro Jahr: Rund 320 Millionen Euro/Jahr.

Das wären zusätzliche Investitionskosten von rund 1 Milliarden Euro und Kosten pro Jahr in der Höhe von rund 420 Millionen Euro. Dem Gegenüber stehen die bisherigen ESA Ausgaben für Columbus und die ISS mit 8 Milliarden Euro und alleine der deutsche Betrag für die nächsten Jahre von 562 Millionen Euro für den Betrieb der ISS und 146 Millionen Euro für das Forschungsprogramm. Es käme vielleicht noch etwas teurer, wenn man noch 2-3 Satelliten braucht um die Daten zur Erde zu übertragen. Einen haben wir ja schon im Orbit – Artemis. Doch es würden sicher auch zwei 2 Nachrichtensatelliten ausreichen, die etwa 200-250 Millionen Euro pro Stück kosten und dann für 10-15 Jahre zur Verfügung stehen – ein Betrag der nichts ins Gewicht fällt.

Doch anstatt 8 % der Astronautenzeit der ISS (oder rund einem halben Astronauten) hätte man 3 im Orbit. Dazu eine eigene Station mit rund 90 t Gewicht und rund 300 m³ Volumen. Wenn Japan mit ins Boot käme wären es 125-130 t und 420 m³ und die Betriebskosten würden sich halbieren – bei trotzdem 6 mal mehr europäischer Präsenz im Weltraum.

Das wäre vielleicht ein gangbarer Weg für Europa gewesen. Nur würde das voraussetzen, dass der Hauptfinanzier der bemannten Raumfahrt – Deutschland – auch auf Eigenständigkeit Wert legt. Doch daran ist nicht zu denken. Was dies angeht hängt die deutsche Raumfahrtpolitik immer noch am Rockschoß der NASA. Der DLR Projektleiter für das ATV glaubt trotz veröffentlichter Langzeitplanung und gekündigten Zulieferverträgen der NASA nicht einmal daran, dass die Space Shuttles 2010 ausgemustert werden. So viel Blauäugigkeit kostet dann schon mal die eine oder andere Milliarde….

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