Der Raumfahrtenthusiast und die Raumfahrtorganisationen

Hallöchen mit einander. Vor einiger Zeit habe ich mal den Aufruf gestartet, sich hier als Gastkommentator zu betätigen. Dem ist nun Thomas Jakaitis, einer meiner Korrekturleser für das Buch gefolgt. Hier nun sein Gastkommentar:


„……..

Wir schreiben das Jahr 2029.

Nachdem 200 Milliarden Dollars ausgegeben worden sind und leider auch ein paar Tote zu beklagen gewesen sind, haben die USA endlich wieder eine sporadische, bemannte Präsenz auf dem Mond. Die NASA ist somit nach mehrjähriger Abstinenz endlich wieder in der Lage, pro Jahr ein bis zwei bemannte Missionen durchzuführen.

Die ISS ist bereits seit dem Jahr 2020 Geschichte und liegt nun, Jahre nach ihrem letzten Bremsmanöver fürs Verlassen der Umlaufbahn, auf dem Grunde des Pazifiks.

Auf dem Mars fährt endlich der lang ersehnte, nuklear getriebene Marsrover herum, um herauszufinden, wieviel wärmer es vor ein paar hundert Millionen Jahren auf dem Mars gewesen sein könnte und wie das damals mit dem Aggregatzustand des Wassers auf dem Mars gewesen ist.

Ein derartiges Projekt war nach der misslungenen Landung des MSL im Jahre 2012 viele Jahre verzögert worden, weil das Landesystem komplett überarbeitet werden musste und weil wegen der Knappheit der Mittel während der Finanzkrise das Programm mehrfach zeitlich gestreckt werden musste.

Wer erinnert sich nicht mehr ans Jahr 2025, als der neue Marsrover zwar schon auf der Startrampe stand, die NASA seinen Start aber aufs nächste Startfenster verschob, um mehr Zeit für weitere Tests zu haben, weil ihr die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Landung in letzter Minute doch nicht mehr ausreichend erschien und man sich einen erneuten Fehlschlag bei diesem Milliardenprojekt nicht mehr leisten konnte ?

……..“

Lieber Leser: Je nachdem, WARUM Sie jetzt gerade diesen Blog lesen (Sind Sie ein Raumfahrt-Enthusiast ?), könnte es sein, dass Sie sich bei der Lektüre dieser Zeilen betroffen fühlen. So oder so, stelle ich mir vor, werden Sie sich zusätzlich gedacht haben: „Irgendwie erinnert mich das an irgendwas.“

Die folgenden Fragen drängen sich auf:
Warum wird Raumfahrt betrieben ?
Was läuft dabei schief ?

Zur ersten Frage gebe ich die Meinung von Robert Parkinson, einem führenden Mitglied der British Interplanetary Society, wieder. Er nennt die folgenden Beweggründe:

1 Wissenschaft „…. das Bedürfnis stillen, zu wissen und zu verstehen“
2 Abenteuer „…. neue Orte zu sehen und neue Perspektiven zu gewinnen“
3 Herausforderung „…. der Weltraum stellt eine zu überwindende Grenze dar, welche unsere Gesellschaft herausfordert, immer höhere Ziele zu erreichen“
4 Evolution der Menschheit „…. das Schicksal der Menschheit liegt letzten Endes in den Sternen“
5 Überleben „…. die Ressourcen des Weltraums bieten uns Schutz vor Mega-Katastrophen“
6 Technologie „…. die Raumfahrt fördert fortgeschrittene Technologien, welche der Menschheit von Nutzen sein werden“
7 Sicherheit „…. militärische Erdbeobachtung, moderne Kommunikationstechnologie und internationale Zusammenarbeit machen unser Leben sicherer“
8 kommerzieller Profit „…. neue Raumfahrtanwendungen machen kommerziell gesehen Sinn“

Die in dieser Aufstellung aufgeführten Motivationen liegen teilweise auf der persönlichen (1 bis 4) und teilweise auf der kollektiven Ebene (5 bis 8). Mit andern Worten: Einerseits geht es hier um Motivationen des Individuums und andererseits um solche der Gesellschaft oder anderer Kollektive wie z.B. Firmen.

Diese Unterscheidung ist deshalb sehr wichtig, weil auf diesen zwei „Spielwiesen“ verschiedene „Spielregeln“ gelten: Auf der Ebene des Individuums gelten die Regeln der Psychologie, auf derjenigen des Kollektivs hingegen die Regeln der kollektiven Entscheidungsfindung, wie z.B. in der Demokratie.

Es ist offensichtlich, dass der Raumfahrtenthusiast normalerweise von den Motivationen 1 bis 4 „angetrieben“ wird. Da eine Aktivität wie die Raumfahrt für den  Geldbeutel eines normalen Individuums aber mehrere Nummern zu groß ist, ist er gezwungen, die Durchführung der Raumfahrt einer (normalerweise staatlichen) Organisation anzuvertrauen.

Es stellt sich darum die Frage: Wie steht es mit der „Mehrheitsfähigkeit“ der Motivationen 1 bis 4 in einer Demokratie ?

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass die Motivationen 2 bis 4 in westlichen Gesellschaften Minderheitspositionen sind und dass betreffend Motivation 1 nur ein beschränkter Konsens herrscht.

Anders formuliert: Für Abenteuer und Herausforderung sowie das pseudo-religiöse Gefühl, dass die Menschheit zu den Sternen expandieren soll, gibt es keine Mehrheiten. Eine Mehrheit der Bürger ist hingegen in beschränktem Ausmaß bereit, für die Wissenschaft Steuergelder aufzuwenden.

Dieser Sachverhalt manifestiert sich z.B. im Wissenschaftsprogramm der ESA.

Wer kann aufgrund der übrigen Motivationen 5 bis 8 möglicherweise zur Raumfahrt bewegt werden ?

Diese potenziellen Motivationen sind rational begründet und eignen sich deshalb (anders als diejenigen auf der Ebene des Individuums) als Werkzeuge der Raumfahrtenthusiasten, die Gesellschaft vom Nutzen der Raumfahrt zu überzeugen.

Gelingt es den Raumfahrtenthusiasten, eine Mehrheit in der Gesellschaft von diesen Beweggründen zu überzeugen, so können sie zu Motivationen staatlicher Raumfahrtorganisationen „befördert“ werden.

Dies ist in Europa bei den Motivationen 6 bis 8 der Fall: Die ESA und die Verteidigungsministerien als Players in der staatlichen Raumfahrt befassen sich mit Aktivitäten, welche durch die Motivationen Technologie, Sicherheit und kommerzieller Profit bestimmt werden.

Meine Meinung zum aktuellen Thema ist die folgende:

Einige (nicht alle ! ) staatliche Raumfahrtprojekte wurden offenbar von Individuen initiiert, welche ursprünglich durch die Motivationen „Herausforderung“, „Abenteuer“ und „Evolution der Menschheit“ dazu bewegt wurden.

Erst im Laufe des Durchsetzungsprozesses mussten andere Motivationen dafür instrumentalisiert werden, um die benötigten Steuergelder locker zu machen, die Politiker bei der Stange zu halten usw. und dies führte zu Abweichungen von der ursprünglichen Idee.

(Mit der Einleitung zu diesem Blog-Eintrag wollte ich solche Verfremdungen des ursprünglichen Gedankens beschreiben.)

Der primär wissenschaftlich motivierte Raumfahrtenthusiast kann mit den staatlichen Raumfahrtorganisationen mässig zufrieden sein. Immerhin läuft ab und zu mal was.     😉

Der von den Motivationen 2 bis 4 beseelte Raumfahrtenthusiast wird durch die staatlichen Raumfahrtorganisationen überhaupt nicht „bedient“. Es gibt gegenwärtig keine Raumfahrt betreibende Organisation, welche für diese Sorte Mensch „zuständig“ ist.

Kann man das ändern ?


Thomas Jakaitis

6 thoughts on “Der Raumfahrtenthusiast und die Raumfahrtorganisationen

  1. Also ich teile die Folgerungen nicht ganz:
    Abenteuer und Herausforderung habe ich bei keinem Raumfahrtprojekt als Initiation gefunden. Das Apollo Programm wurde den Amis als Abenteuer und Herausforderung verkauft, aber das Programm hatte eigentlich nur den Zweck die Sowjets zu schlagen.

    Die Evolution der Menschheit wird von niemand vertreten der sich auskennt. Es gibt zwei Unteraspekte in diesem Punkt: Das Überleben der Menschheit durch Besiedelung anderer Himmelskörper und der Schutz vor Asteroideneinschlägen. zu ersterem ist zu sagen, dass der Aufwand dafür so groß ist, das es um ein vielfaches leichter wäre die bislang unnutzbaren Gebiete der Erde urbar zu machen und zum zweiten, dass ein Schutz gegenüber wirklich großen Asteroiden, die globale Folgen haben wegen ihrer Größe nicht möglich ist.

    Wo ein Nutzen offensichtlich ist (6-8) wird sich immer leicht ein Geldgeber finden. Nummer 1 ist denke ich auch unbestritten, aber nicht wegen eines Minderheitennutzens, sondern weil Wissenschaftliche Forschung bei uns allgemein anerkannt und staatliche Aufgabe ist. Das gilt ja im Prinzip auch für die restliche Forschung die ja auch vom Steuerzahler bezahlt wird.

    Was für mich fehlt ist ein Punkt: Prestige! Er war die Triebfeder für das Mercury Programm, den Space Shuttle, die ISS. Alle Projekte die initiert wurden weil man es besser können wollte als die Sowjets. Das kann man auch für zahlreiche Bestrebungen eine eigene Trägerrakete zu haben nennen: Jüngstes Beispiel: Nordkorea gibt sich Mühe vor Südkorea einen Satelliten in den Orbit zu bringen. Ich wage zu prophezeie, dass wir bald wieder einen Start der Taepodong sehen werden.

    Die umfrage habe ich übrigens nun ausgelagert: Man findet sie unter
    http://bernd-leitenberger.de/blog/die-aktuelle-umfrage/
    unabhängig vom Blog

  2. Diese Gelegenheit nutze ich, Bernd ganz herzlich dafür zu danken, auf seiner Website Gastautor sein zu dürfen !!!

    Zu Bernds Kommentar nehme ich folgendermassen Stellung:

    Abenteuer und Herausforderung werden in den USA unter der Etikette „frontier spirit“ verkauft (siehe Mars Society, Space Frontier Foundation usw.). Auch die Idealisten der Deutschen Gesellschaft für Raketentechnik, welche in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit den Vorarbeiten zur Raumfahrt begannen, waren von diesem Pioniergeist geprägt (von Braun & Co.).

    Das Ziel im Apolloprogramm, die Sowjets zu schlagen, ist aus meiner Sicht ganz genau eine der in meinem Artikel angesprochenen, typischen Verfremdungen des ursprünglichen, idealistisch geprägten Gedankens.

    Zum zweiten Punkt: Die Tatsache, dass die Evolution der Menschheit von niemandem vertreten wird, der sich auskennt, heisst noch lange nicht, dass sie von niemandem vertreten wird ! 😉

    im Ernst: Parkinson machte in seinem Artikel einfach eine Auslegeordnung der existierenden Motivationstypen. Welche davon sinnvoll sind, ist eine andere Frage, und diese kann übrigens oft nicht einfach mit ja oder nein beantwortet werden (==> Grautöne) ……

    Zur wissenschaftlichen Forschung: Richtig, sie ist allgemein anerkannt und staatliche Aufgabe; Sie ist somit mehrheitsfähig. Der Konsens ist allerdings insofern beschränkt, als die wissenschaftliche Forschung in der Raumfahrt dem Steuerzahler nur ca. 1 Euro pro Kopf und Jahr wert ist (vielleicht sind’s auch 2 oder so). Meiner Meinung nach ist das aber schon mal einiges wert, und immerhin fliessen die Mittel im Wissenschaftsprogramm der ESA regelmässig.

    Zum Punkt Prestige: Hier schliesse ich mich Bernds Meinung hundertprozentig an; Auch mir fehlt dieser Punkt in Parkinsons Aufzählung.

    …. der Vollständigkeit halber noch der Quellenverweis zu Parkinsons Artikel:
    Journal of The British Interplanetary Society, Vol. 51, Juli 1998: „Review of Rationales for Space Activity“ von R.C. Parkinson

  3. Nun es ist ein Unterschied zwischen den Raumfahrtenthusiasten vom Type Oberth und Goddard – die alles noch selbst machten – und den heutigen Projekten. Heute sind alles große Unternehmen, und entsprechend muss für ein solches Unternehmen auch eine Gesellschaft begeistert werden – das gelang bei Apollo. Bei der ISS und inzwischen auch beim Space Shuttle fragt sich die Öfentlichkeit aber nur: Wozu macht man das? Vielleicht ist Elon Musk der letzte der heute noch diesen Enthusiasmus hat – Die Probleme die SpaceX hat, beruhen aber auch zum Teil darauf, dass Idealismus alleine heute nicht ausreicht.

    Zur Wissenschaft. Ich denke das läuft anders als die bemannte Raumfahrt weitgehend frei von politischen Einflussnahmen – Wissenschaftler schlagen Projekte vor und diese müssen sich in allen Weltraumagenturen gegen andere Vorschläge durchsetzen. Manchmal ist mir da sogar viel zu viel Wissenschaft – die eine oder andere Kamera an Bord einiger ESA Sonden die mehr publikumswirksame Bilder macht wäre da schon eine Verbesserung gewesen.

    zur Rettung der Menschheit: Ich gehe davon aus, das ein raumfahrtenthusiast auch zumindest etwas Ahnung von Raumfahrt, eventuell sogar Naturwissenschaft hat.

  4. … doch nochmals zu den Motivationen 4 (Evolution der Menschheit) und 5 (Ueberleben): Dies sind notabene zwei unterschiedliche Dinge.

    Unter der Evolution der Menschheit verstehe ich im Zusammenhang mit der Raumfahrt einerseits ihre geistige Reifung (==> z.B. globales Denken) und anderseits auch die theoretische Möglichkeit, die menschliche Domäne in den Weltraum expandieren zu lassen (==> Ansiedlung von Menschen ausserhalb unseres Heimatplaneten).

    Mindestens das globale Denken, welches ja ein Verlassen der nationalistischen Perspektive impliziert, verkörpert einen echten, ethischen Wert; Allerdings basiert es zugegebenermassen nicht zwingend auf der Raumfahrt.

  5. Mein lieber Mann, komplizierter Stoff!

    Ich würde ja 1 bis 8 mit ner 9 Multiplizieren. Und 9 steht für „Zeit“. Also heute Grundlagenforschung und Satellitenfernsehn. Morgen bemannte Raumfahrt mit ihren Hotelketten und Imbissständen. Und übermorgen Flucht in nem rießigen Raumschiff vor der bösen dunkelroten Sonne (zur Rettung der Menschheit).

    Weils bissl zum Thema passt (nicht weils meine Meinung repräsentiert):
    http://www.lrt.mw.tum.de/documents/Faszination_Raumfahrt/Evolution_Menschheit_UW.pdf

  6. Ja, Hannes, you’re right, das ist ziemlich heavy Kopfweh-stuff in diesem Blogeintrag; Aber immerhin bin ich nicht wo weit gegangen, das Ende der Menschheit auszurechnen, wie das in deinem Link getan wird ! 😉

    Du hast recht: Wenn genug Zeit vergeht, kommt zuerst mal die Sache mit dem Weltraumtourismus, d.h.: Auf Anbieterseite Motivation 8 (= kommerzieller Profit) und auf Kundenseite Motivationen 2 und 3 (= Abenteuer und Herausforderung). Schade, dass sich die ESA nicht darum kümmert, nur schon wegen der Arbeitsplätze ….

    …. und wenn dann die böse, rote Riesensonne kommt, ist es Zeit für Motivation 5 (= Ueberleben), obwohl der Bernd ausgerechnet hat, dass das zu teuer ist ………. 😉 😉 😉

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