Bernd Leitenbergers Blog

Die Crux mit den Gleitern

Kürzlich bekam ich eine Mail von Martin Rosenkranz mit einem ganz interessanten Ansatz:

Da die Entwicklung ganz neuer Konzepte ja offenbar an der technischen Umsetzbarkeit scheitert scheint es auch in absehbarer Zukunft recht „konventionell“ weiter zu gehen – > siehe Ares-Konzept mit bewährten Komponenten und Konzepten.

Auf Grundlage vorhandener Technologien habe ich eigene Überlegungen angestellt und ich würde gerne mal eine zweite Meinung hören – von jemandem der offenbar genügend Überblick hat und siehe „Technische Spinnereien“ auch gern mal ein bisschen spekuliert.

Folgende Voraussetzungen bildeten meine Vorgaben:

Treibstoff: LHX/LO2: Trotz der niedrigen Dichte des flüssigen Wasserstoffs und der damit verbundenen großen Tanks glaube ich, dass eine hohe Startfrequenz nur mit umweltfreundlichen und unbegrenzt vorhandenen Treibstoffen realisierbar sein wird. Das DLR ist im Versuchsstadium bereits in der Lage Wasserstoffe Solar zu erzeugen. Auch wenn das streng Ökonomisch betrachtet noch lange kein „Gratistreibstoff“ ist reizt die Kombination, dass am Äquator nicht nur der beste Startplatz sondern auch der Ort der stärksten Sonneneinstrahlung ist doch sehr….

Wiederverwendbarkeit: Auch wenn die Shuttlestarts in Realität weit nicht so billig waren wie ursprünglich geplant denke ich doch dass man der Lernkurve eine Chance geben sollte – vor allem was den Bereich SSME sowie dem Gleiterkonzept an sich betrifft.

Eine möglichst „kompakte“ Entwicklung. Keine verschiedenen Antriebe und Treibstoffe – bodengestartete, im Flug gestartete und daher wenn möglich keine Flugkörper verschiedener Größe – somit Serienfertigung und wenn möglich kombinierbar – mal mehr mal weniger, mal schwerer, mal leichter. Das Stufenkonzept fällt also flach.

Einen richtigen spinn-off haben meine Gedankengänge genommen, nachdem ich gelesen habe, dass für die Ariane V an wiederverwendbare Feststoffbooster gedacht wird die zum Startplatz zurückfliegen.

Also hab ich angefangen zu überlegen und her umzurechnen und rausgekommen ist bisher folgendes:

Der gesamte Antrieb meines Launchers besteht aus möglichst kleinen Gleitflugköpern welche die Triebwerke, Pumpen, Steuerelektronik, Telemetrie beinhalten – faktisch all die teure Technik die man gerne zurück haben möchte.

Diese sind angeordnet um einen gemeinsamen Treibstofftank auf dem auch die Nutzlast sitzt und werden im Zuge des Starts nach und nach abgekoppelt – sobald sie nicht mehr benötigt werden – und fliegen antriebslos zum Startplatz zurück. All das ist kein Neuland – genau so wenig wie die SSME Motoren und Leitungsdaten die ich unverändert in das Konzept eingearbeitet habe.

Derzeit schaut mein Launcher so aus (gerundete Werte):

5 idente Gleitflugkörper mit je 3xSSME – das Gerät zu je 42,9t 2 Treibstofftanks á 654,7t LOX und 109,1t LH2 sowie einer Leermasse von je 31,7t (einer davon ist fast ident zu den Werten des Space Shuttle ET’s – nur würden sie wohl jeweils etwas kürzer und breiter ausfallen). Die Tanks werden gestackt – dazwischen kommen 103t Nutzlast – die Gleitflugkörper werden rundum angeordnet. Die gesamte Startmasse beträgt 1.908.746kg – im Vergleich dazu Startschub: ca. 2.556t Der erste Gleitflugkörper brennt 50 Sek. bis zum Abkoppeln, der zweite 100, der dritte 150 Sek. Der vierte brennt 240 Sekunden und nimmt beim abkoppeln einen – jetzt leeren – Tank mit. Der fünfte Gleitflugkörper brennt ab Start 540 Sekunden und erreicht mit der Nutzlast, einem Tank und sich selbst (= 177,6t bei Brennschluss) nach diesen 9 Minuten eine rechnerische Endgeschwindigkeit von 9.700,25 m/s – das sollte glaub ich reichen für ein LEO.

Sämtliche Antriebskomponenten kommen von allein zurück – und ich erreiche fast 5,4% Nutzlastanteil – ein halbes % besser als die Ares V – von der man grad mal zwei ausgebrannte Feststoffbooster aus dem Meer fischen darf….

Was mich jetzt interessieren würde ist ob ich hier Schwachsinn errechnet habe oder ob die Kalkulation in etwa passt? (Ich hab z.B. bis 240Sek. mit dem spezifischen Impuls SL und ab da mit Vakuum gerechnet).

Das tolle an diesen Gleitflugkörpern wäre, dass man sie nach Bedarf früher abkoppeln bzw. auch länger laufen lassen könnte – je nach Problemlage beim Start – bzw. man während des Starts selektieren kann welchen man weiter laufen lässt und welcher abgekoppelt wird – und man hat fünf komplette Sets an Flugsteuerrechnern. Und man kann diese Antriebseinheiten natürlich auch anders kombinieren – mit einer geringeren Nutzlast und entsprechend kleineren Tanks eben nur drei oder vier ohne gleich ein vollständig neue Entwicklung in Angriff nehmen zu müssen.

Spaß macht natürlich auch die Sache mit Zukunftsprojekten durchzurechnen – z.B. der Cobra Engine. Unter der Annahme eines identen spezifischen Impulses und Treibstoffverbrauches (verglichen mit SSME) käme ein Gleitflugkörper mit 2 Cobras auf 32,4t – die Startmasse auf 2.614t, Startschub 3.674t, die Nutzlast auf 158t bei 9.720m/s.

Was halten sie davon ?

Ja was halte ich davon?

Es ist eben doch eine Stufung, auch wenn sie etwas versteckt ist. Das Konzept ist das einer praktischen Paralellstufenrakete. Ein zugegebenermaßen optimiertes Konzept mit einer Mischung aus der Atlas (Abwurf der Triebwerke) und R-7 (Abwurf der Triebwerke mit Tanks). In Wirklichkeit hat Martin Rosenkranz eine fünfstufige Rakete modelliert.

Die Problematik besteht in einem anderen Ecke. Nehmen wir mal die Wiederverwendung ganzer Stufen. Ich kenne hier zwei konkrete Projektstudien. Zum einen die von Ariane 5 EPC als Booster der Ariane 5 anstatt den EAP. Das zweite ist der Baikal Booster, eine geflügelte Version der Angara 1.2. Bei letzteren ist der Effekt deutlich zu sehen. Verglichen mit dem Angara URM wiegt Baikal mehr als das doppelte bei der Abtrennung von der Oberstufe. Und genauso stark sinkt die Nutzlast ab: Von 3800 auf 1900 kg.

Das zweite Beispiel sind die LFBB Booster der Ariane 5. Auf den DLR Seiten haben sie die dreifache Trockenmasse einer EPC. Auch hier sinkt die Nutzlast ab – durch zwei Oberstufen und den höheren Geschwindigkeitsbedarf für den Orbit aber nicht so sehr. Hier wird immerhin ein Drittel verschenkt, (16.5 anstatt 12.5 t).

Das zeigt, dass die Wiederverwendung von Stufen deutlich Nutzlast kostet und das nicht zu knapp. Dabei wird hier nur die erste Stufe geborgen. bei der die Anforderungen noch klein sind. Das Hauptproblem ist folgendes: Eine Rakete startet vereinfacht gesagt in einem ballistischen Profil, wie bei einer Wurfparabel. Die Stufen landen dann auf der Aufstiegsbahn wenn nichts passiert einige Hundert Kilometer vom Startplatz entfernt. Da alle Weltraumbahnhöfe nah am Ozean sind (mit wenigen Ausnahmen) gibt es da keinen Landeplatz. Also muss eine Raketenstufe, wenn sie zurück zum Startplatz fliegen will, erst mal die gesamte Geschwindigkeit aerodynamisch abgebaut werden und dann fliegt das Vehikel mit einem Düsentriebwerk zurück zum Startplatz. Der Baikalbooster braucht dazu 3,2 t Treibstoff, die Ariane 5 Stufe 4 t. Das Düsentriebwerk und den Treibstoff – das alles bringen wir erst mal mit in die Höhe, und brauchen es nur zur Landung, weil der Landeplatz nicht da ist wo wir ihn haben wollen.

Bei einer ersten Stufe geht das noch, die Nutzlasteinbuße ist noch verschmerzbar, auch weil die Struktur nur begrenzt verstärkt werden muss. Doch bei oberen Stufen nimmt sowohl die Distanz die zurückgelegt wird, wie auch die Kräfte die beim Abbremsen wirken, rapide zu und sie wird deutlich schwerer. Dann müssen die Tanks strukturell verstärkt werden oder brauchen einen Hitzeschutzschild. Weil die obere Stufe aber größeren Einfluss auf die Nutzlast hat sinkt so die Nutzlast rapide ab.

Eine Lösung ist es, wie von Martin Rosenkranz vorgeschlagen, das Problem zu umgehen, indem man das teuerste birgt: Die Triebwerk und den Tank als Verlustgerät einstuft. Auf den ersten Blick gewinnt man viel, weil man rund die Hälfte bis zwei Drittel der Startmasse nicht bergen muss und auch die Tanks nicht schwerer werden. Man verliert aber auch ohne die Tanks mächtig Auftrieb und muss dies durch einen größeren Flügel kompensieren. Auch hier braucht man ein Triebwerk um zurück zum Startplatz zu kommen, aber ich halte das für die erste Stufe für machbar,. Eine solche Rakete sähe dann aus wie ein Shuttle-ET an dem unten ein Gleiter sitzt – er nimmt die Triebwerke auf.

Die Frage ist ob jemand den logistischen Aufwand betrieben wird jedes einzelne Triebwerk zu bergen, wie Martin Rosenkranz es vorschlägt. Meine Vorstellung: Eher nein. Der Gewinn dieses Übergangs auf fünf Stufen ist auch bei LOX/LH2 minimal. Schon eine dreistufige Lösung bringt nur 25 % mehr Nutzlast und mit jeder weiteren Stufe wird der Gewinn kleiner.

Optimal würde ich folgendes halten: Wir legen die Booster/Gleiter so aus, dass die Abtrennung dann erfolgt, wenn sie nur durch einen aerodynamischen Gleitflug einen Flughafen oder eine andere Landemöglichkeit erreichen können. Das dies möglich ist, ohne aktives Triebwerk, zeigen ja die Space Shuttles. Bei einem Start von Cape Canaveral wäre das ein Landeplatz in Spanien oder Portugal, bei Ariane auf Ascension Island oder an der Spitze Brasiliens. Natürlich muss dann die Abtrennung bei höheren Geschwindigkeiten erfolgen, ich schätze rund 4000-5000 m/s anstatt wie bisher rund 2000 m/s. Damit bergen wir aber auch die meisten Triebwerke und verlieren in der Oberstufe nur eines. Dafür wäre dann eine reine Gleitlandung nötig. Das spart Treibstoff und Düsentriebwerke ein.

Eine mögliche Konfiguration auf Basis der Shuttles wäre dann diese:

Zwei Tanks übereinander, am oberen, kleineren die Nutzlast befestigt. Am oberen ein einzelnes SSME (Tank: 200 t voll, 7,3 t leer, SSME mit Schubgerüst 4,7 t) und am unteren Tank 8 SSME (mit Schubgerüst 72 t – 36 t Triebwerke, 36 t Gleiter) und ein Tank mit 828 t Startmasse und 31,3 t Leermasse).

Beim Start werden alle SSME aus dem unteren Tank gespeist, sie starten mit 1,25 g. Nach 190 Sekunden ist er leer und unterer Tank und SSME werden abgetrennt, nur die SSME werden geborgen. Danach fliegt das einzelne SSME mit dem oberen Tank weiter, bis es einen Orbit erreicht. (weitere 413 Sekunden). Die Nutzlast des beim Start rund 1200 t schweren Gefährts beträgt rund 91,2 t, Das sind 7,6 % Nutzlastanteil und damit gute 50 % mehr (trotz nur zwei Stufen). Allerdings hat Herr Rosenkranz auch den Fehler gemacht mit dem Bodenimpuls zu rechnen – bei 9700 m/s kann er ruhig den Vakuumimpuls nehmen, ich tu das bei meinen Simulationen und Vergleichen mit existierenden Raketen auch.

Eine Alternative wäre es auf eine weiche Landung zu verzichten und die Stufe oder Triebwerke durch Fallschirme/Airbags abzubremsen und dann zu bergen. Das ganze scheint aber nicht ganz ausgereift zu sein. Bei meiner Recherche zum Ariane 5+Vega Buch scheinen die Hälfte aller Booster untergegangen zu sein und bei der Falcon 1 hat man bei fünf Flügen es auch noch nicht geschafft auch nur einmal die erste Stufe zu bergen. So wundert es mich nicht, dass man an diese einfache Möglichkeit bei der DLR wohl nicht denkt.

Die mobile Version verlassen