Bernd Leitenbergers Blog

Russland ist kein Vorbild

Heute bin ich mal in der Laune, mich wieder bei einigen unbeliebt zu machen. Rühri kann mich schon mal überall als Gegner der russischen Raumfahrt verunglimpfen. Ich bekomme ja immer wieder Mails und auch Kommentare hier im Blog, man möge doch diese oder jene russische Trägerrakete verwenden oder dieses russische Triebwerk und überhaupt hätten es die Russen raus wie man alles preiswert produzieren könnte und die ESA/EADS/Arianespace wären viel zu teuer.

Ich halte das für völligen Blödsinn

Warum? Nun weil verkannt wird, was die Preistreiber bei einer Rakete sind und wie sie produziert wird. Das teure an einer Rakete ist die Arbeit. Es werden so wenige hergestellt, das vieles nicht automatisierbar ist und selbst wenn, dann machen Kontrollen einen großen Kostenfaktor aus. Bei der Saturn V entfielen nur 6 % der Herstellungskosten auf die Materialen, 28 % auf die Fertigung und 66 % auf die Qualitätskontrolle. Eine Rakete ist vereinfacht gesagt so teuer, weil sie noch viele Leute von Hand daran arbeiten und vor allem viel kontrollieren und prüfen. Das machen in der Regel qualifizierte Techniker, die dafür gut bezahlt werden. Die Fertigung ist damit eher mit Einzelanfertigungen vergleichbar. Schon der Vergleich mit Großraumflugzeugen hinkt, weil dort schon mehr automatisiert wird und die Produktionsserien größer sind. Verglichen mit einem Flugzeugbau ist das wie der Vergleich der Fertigung der S-Klasse mit einem Maybach.

Warum sind nun russische und chinesische Träger preiswerter? Ganz einfach, weil bei einem Produkt mit hohem Anteil an menschlicher Arbeit die Lohnkosten die Produktionskosten bestimmen. Das gleiche gilt ja auch für Bekleidung, die vernäht werden muss und daher gibt es in Deutschland gerade noch ein Unternehmen welches Kleider näht. Der Rest konnte mit Billiglohnländern nicht mithalten. Ich wage zu prognostizieren, dass wenn Russland und China westliches Lohnniveau erreicht haben, ihre Raketen teurer sein werden als Ariane 5, die schon auf niedrige Produktionskosten ausgelegt wurde. Wenn ich also das als Basis für Entscheidungen nehme, dann kann ich auch gleich sagen „Sparen wir uns das Geld für CSG und Ariane, wir können eh nicht mithalten“.

Das zweite ist dass immer gerne betont wird, dass russische Raketen sich über Jahrzehnte nicht verändert haben und dadurch preisgünstig und zuverlässig sind. Das ist völliger Quatsch und auch nicht generell richtig. So ist die Zuverlässigkeit nicht bei allen Typen hoch. Proton und Molnija haben trotz vier Einsatzjahrzehnten eine schlechtere Zuverlässigkeit als Ariane 5 und Delta. Dabei sind von diesen Trägern schon über 200 gestartet. Wie die meisten wissen, gibt es die Kinderkrankheiten immer bei den ersten Flügen. Von sieben Fehlstarts von Ariane 1-4 fanden vier bei den ersten 18 Starts statt und die letzten 78 gelangen in Folge. So gesehen verwundert es eher, dass die Molnija so unzuverlässig ist und die Sojus ohne vierte Stufe erheblich zuverlässiger.

Vor allem aber ist das Modell nicht übertragbar. Man kann im Westen nicht eine Rakete über Jahrzehnte unverändert produzieren und wenn man es tut wird sie teurer anstatt billiger. Das ist kein Feature, es ist ein Bug des kommunistischen Systems: Es gab keine privaten Initiativen, keine privaten Investitionen und deswegen wurde auch nichts verändert. Doch das ist doch kein Vorteil sondern ein Nachteil. Auch der Trabant wurde 1957 zum ersten mal produziert, auch er wurde über 30 Jahre unverändert produziert – warum will ihn den heute keiner mehr haben?

Die Sache ist die: Es wird ja nicht nur die Rakete selbst zusammengebaut, das kann vielleicht über Jahrzehnte nicht verändert werden, aber sie besteht ja aus zig Teilen die wiederum von zig Subunternehmern geliefert werden. Und deren Produktpalette ändert sich im Laufe der Zeit. Verfahren und Werkstoffe ändern sich. Manchmal werden komplette Technologien obsolet. So waren 1957 elektromechanische Steuerungen „State of the Art“ und heute sind es GPS, Laserringkreisel und Bordcomputer. Will man von allen Zulieferern ein Bauteil trotz dieser Änderungen über Jahrzehnte beziehen, so muss man sie teuer bezahlen, nämlich dafür dass sie etwas künstlich am Leben halten was sie sonst längst ausgemustert hätten. Das ist ein Grund warum z.B. das Space Shuttle nicht nochmal kommen wird, obwohl es „die Gap“ gibt: Die Verträge mit Zulieferern sind gekündigt und vieles was benötigt wird an Ersatz- und Verschleißteilen ist nun nicht mehr zu bekommen. Die NASA hat dafür auch dreistellige Millionenbeträge jedes Jahr ausgegeben, dass Betriebe Teile noch liefern können, die sie in den 70 er Jahren entwickelt haben.

Es wird also im Westen nicht billiger und dass sich Russland und China schwer tun, nach ein paar Jahrzehnten nur mal Anschubfinanzierungen für neue Trägerraketen zu erbringen sieht man ja an dem langsamen Fortschritt bei Angara und CZ-5.Dieses System ist nicht auf Europa oder Amerika übertragbar.

So das wars. Das Thema drängte sich mir gerade auf, weil ich gerade beim zweiten Korrekturlesen des Bandes 2 des Raketenlexikons bin. Ich bin ganz zufrieden damit. Ich denke es ist ein tolles Buch geworden in dem ich noch oft nachschlagen werde. (Ich schreibe eigentlich die Bücher für mich selbst. Momentan liegt auch Band 1 neben dem Computer, weil ich vieles wieder vergesse). Aber es wird wohl das vorletzte zu dem Thema sein. Es ist viel Arbeit Bücher über unbemannte Raumfahrt zu schreiben. Das Publikum ist kritisch, informiert und dann ist die Nachfrage gering. Für Fans der bemannten Raumfahrt braucht man weitaus weniger Fakten zusammen tragen, kann mehr Geschichten erzählen und sie sind auch dankbar für Seiten die nur mit Bildern gefüllt sind und damit noch weniger Arbeit machen. Kurzum: Weniger Arbeit, höhere Auflage.

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