Ohne Entdeckerbonus geht es nicht
Nebenbei lese ich gerade ein Buch über Gemini, um in der zweiten Auflage nicht nur den Stil zu verbessern, sondern auch mehr Informationen in mein Buch reinzupacken. Irgendwie kam ich (mal wieder) auf den Gedanken, warum damals die viel teureren Raumfahrtprogramme nicht so kritisiert wurden wie heute. Es gibt dafür viele Gründe. Einer, vielleicht nicht damals der wichtigste, aber sicher heute nicht unbedeutend, ist sportlicher Natur: Es ging bei Gemini und Apollo darum mit jeder Mission mehr zu erreichen, Rekorde aufzustellen, Erstleistungen zu bringen. Gerade bei Apollo zeigt sich ja auch ein Abfall des Interesses als die erste Mondlandung absolviert war – nun erschienen die folgenden nur noch als „Wiederholung“.
Ähnlich gelagert ist das Argument, bemannte Raumfahrt müsste gemacht werden, weil Menschen immer neue Herausforderungen suchen, Entdecker sind. Ich bestreite nicht, dass einige Menschen so veranlagt sind, so wie einige Forscher mit Leib und Leben sind, andere gerne Bücher schreiben und Lehren. Aber der Großteil ist es nicht. Gerne zitiert wird dann der Ausspruch eines Bergsteigers, als ihn ein Reporter fragte, warum er denn nun gerade diesen Berg besteigen will: „Weil er da ist“. Das soll die Antriebsfeder der ganzen Menschheit sein.
Das ist Blödsinn. Die meisten Expeditionen die es in der Vergangenheit vor dem Raumfahrtzeitalter gab, waren wirtschaftlicher Natur: Finden neuer Handelswege, Zugang zu Rohstoffen oder nur die Hoffnung das dem so sein könnte. Später kamen Expeditionen dazu, die diese neuen Handelswege sicherer machen sollten, indem sie die Route kartierten. Erst sehr jung sind die finanzierten Forschungsreisen, ohne jeden konkreten wirtschaftlichen Zwecke, wie die von Darwin oder Humboldt. Sie sind mit unseren heutigen Raumflügen vergleichbar: Finanziert nicht von einem Einzelnen, und sei es ein König, sondern vom Kollektiv, das begonnen hatte Wissenschaft als Kulturgut zu begreifen. (Wobei natürlich jede Wissenschaft irgendwann auch Ergebnisse fördert die praktisch genutzt werden können).
Vor allem gibt es genügend Gegenbeweise, dass Menschen etwas nicht erforscht haben, obwohl es vor ihrer Haustür liegt, weil es offensichtlich kein wirtschaftliches Interesse daran gab. Als kleines Gegenargument zu dem Spruch „Weil er einfach da ist“ – Die Alpen liegen mitten in Europa. Über sie marschierte schon Ötzi oder Hannibal. Trotzdem kam während der ganzen Jahrtausende kein Schwein auf die Idee auf die höheren Gipfel zu klettern. Wächst dort was was man ernten könnte? Gibt es dort Erzvorkommen? Das setzte erst im neunzehnten Jahrhundert ein, als die ersten Touristen in die Alpen kamen. Die Zugspitze wurde erstmals 1820 bestiegen.
Nun was hat das mit der Raumfahrt zu tun. Ich glaube nicht, dass es diesen Trieb gibt permanent etwas neues zu entdecken ohne das man konkrete wirtschaftliche Vorteile sich erhofft. Wenn die da sind, dann bewegen sich ganze Völkerschaften auf zu etwas neues. Es mag einzelne geben, die so veranlagt sind, aber nicht die breite Masse. Daher wird man sich schwer tun, wenn die breite Masse dann Marsexpeditionen oder ähnliches finanzieren soll dies mit diesem Argument zu begründen.
Eher glaube ich zieht das sportliche Argument: Wir wollen erster sein, Rekorde aufstellen oder besser sein als andere. Nun das letzte scheidet aus, wenn man schon international eine Raumstation betreibt. Erster sein können wir höchstens noch beim Mars. Und mit Rekorden aufstellen hapert es auch. Jetzt kann die NASA noch jeden Shuttle Flug als kleinen Rekord feiern, weil jedesmal die ISS etwas größer wird. Doch wenn sie mal fertig ist? Wer hat sich noch für Skylab interessiert, als die erste Mission zurückkam und die Station repariert hatte?
Auch aus der Geschichte des Space Shuttles kann man lernen – als dieser nach dem Challenger Unglück wieder flog, es keine Probleme mehr gab, interessierte sich kein Schwein mehr für das Space Shuttle. Ich wage zu prognostizieren, dass es schon vor 10-15 Jahren außer Dienst gestellt worden wäre, wenn nicht die russische Wirtschaft zusammengebrochen wäre und es so zu den Shuttle-Mir Flügen gekommen wäre, bei denen die NASA die Mir mitfinanzierte und dafür US-Astronauten dort Langzeiteinsätze absolvieren dürften.
Das Konstellation Programm hat nun ein ziemliches Problem: Es hat schon nicht den Anspruch einen Entdeckerbonus einzuheimsen. Zuerst mal geht es zum Mond und zwar in Apollo -Style. Vielleicht kommt mal später so was sie eine Mondstation und noch viel später eine Marsexpedition. Aber erst mal soll ein dreistelliger Milliardenbetrag für die Wiederholung eines Programmes aufgewandt werden, das vor nahezu 40 Jahren abgeschlossen wurde.
Leute, schaut mal Nachrichten. Wenn da Sportnews kommen, dann hört man nicht „Läufer XY ist bei der Olympiade genauso schnell gelaufen wie vor 40 Jahren Läufer Z, er wurde vorletzter“. Es interessiert keinen Schwein, wenn man etwas erreicht was schon mal einer erreicht. Es interessieren nur Rekorde und Erstleistungen.
Ein paar Tröpfchen Essig in den Wein gefällig? Der Entdeckerbonus-Effekt gilt mit Sicherheit auch für unbemannte Sonden. Da kommen beim Start einer neuen Marssonde eben so Fragen wie „Was, schon wieder eine?“ und selbst bei Merkur, Pluto- oder Neptunsonden fragt sich der Unwissende, was das ganze soll, denn schließlich wurden doch schon überall Sonden hingeschickt. (Das stimmt natürlich nicht, aber machen Sie das erst mal einem klar!) Und seien wir einmal ehrlich: Ob eine Planetenmission oder ein Weltraumteleskop sich jemals in irgendeiner Weise „auszahlen“ wird, ist und bleibt höchst fraglich.
Nun das auch unbemannte Raumfahrt überlegt sein sollte ist unbestritten. Und die x.te Mission zum Mars muss es auch nicht sein, wenn die anderen Planeten noch weitgehend unerforscht sind.
Es gibt nur den Unterschied eines Faktors 100 in den Kosten. Da fangen dann Leute an zu klagen man könnte dieses Geld auch woanders investieren. Es wird sicher immer eine große Mehrheit geben die nicht weiß wofür man dieses oder jenes Projekt betreibt, doch das ist eigentlich bei jeder Forschung so, ob im Kleinen bei einem Universitätsinstitut oder im Großen wie z.B. bei CERN. Der Rechtfertigungszwang wird stärker je größer die Summen sind und damit auch die Forderung nach einem allgemeinen Konsens, dass die Gesellschaft diese Summe aufwenden will.
Solange für so etwas banales wie 34 x 18 Bundesliga Fussballspiele rund 500 Millionen Euro nur für die Sendrechte verlangt werden (entspricht einer großen Raumsonde jedes Jahr) bleibt der Unmut klein.
Wobei die soundsovielte Mission zum Mond oder zum Mars ja sogar Sinn macht, weil man aufbauend auf bisherigen Erkenntnissen gezielter nachschauen kann oder schlicht und einfach mit einer neuen Generation von Messinstrumenten arbeiten kann. Wenn ich da nur an die Geschichte mit dem „Marsgesicht“ denke…
Natürlich gibt es auch Menschen, die eher wenig für die Raumfahrt übrig haben und sich trotzdem für manche Erkenntnisse interessieren. Ich kenne da etwa jemanden, der sich gerne die neuesten Bilder vom Tiefraum anschaut. Planetenmissionen und ISS interessieren ihn dagegen überhaupt nicht.
Bei den Weltraumteleskopen gibt es übrigens auch noch ein potenziell wachsendes Problem: Hubble gilt heute quasi als Fehlkonstruktion, da man für die gesamten Betriebskosten inklusive Wartungsmissionen mehr als ausreichend kurzlaufende Ersatzgeräte hätte starten können, die zudem automatisch immer auf dem neuesten Stand gewesen wären. Neuere Geräte wie Herschel oder James Webb Telescope sind auf kurze Missionsdauern ausgelegt und sicherlich preiswerter als Hubble. Ich fürchte allerdings, dass es zu keinem kontinuierlichen Strom an Teleskopen kommen wird, da letztlich jedes einzelne einen entsprechenden Etat benötigt, der leicht gestrichen werden kann.
Nun jeder hat sicher andere Präferenzen. Ich sehe derzeit einen Marshype, während die anderen Planeten vernachlässigt werden. Nicht das die Marssonden deswegen überflüssig wären, ich würde die Investitionen nur auch in anderen Bereichen sehen. Ihr Bekannter dann wohl eher in Nachbauten von Hubble.
Letzteres ist eher ein Beispiel dass das Setzen auf die Shuttle Karte eine Mission recht teuer macht. Als 2003 die NASA noch die SM-4 streichen wollte rechneten Wissenschaftler vor, dass ein Nachbau von Hubble und der Start zwischen 747 und 911 Millionen Dollar kosten würde. Für die rund 5000 Millionen Dollar die bislang Hubble mit allen Service Missionen gekostet hat hätte man auch fünf Nachbauten starten können – das erste wäre heute sicher nicht mehr aktiv, der Gesamtnutzen aber sicher höher.
In allen anderen Aspekten sind aber Hubble und das JWST, Herschel oder Planck nicht vergleichbar, weil sie völlig andere Aufgaben haben.
Sicherlich setzt jeder seine Präferenzen. Ich glaube aber, dass man seinen Steuerzahlern eine Reparaturmission für ein bereits im All befindliches Teleskop leichter „verkaufen“ kann als den Start eines Ersatzgerätes, selbst wenn die absoluten Kosten geringer wären. Da spielt die vermaledeite Wiederverwendung mal wieder ihr übles Spiel. Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass es sinnvoller ist, etwas vorhandenes weiter zu nutzen und ggf. zu reparieren als es wegzuwerfen und durch etwas neues zu ersetzen, insbesonders bei etwas derartig teurem wie einem Stück Weltraum-Hardware.
Spätestens beim zweiten oder dritten Hubble-Nachbau wäre mit Sicherheit über die ausufernden Kosten gemault worden, zumal ja eben noch das eine oder andere funktionsfähige Exemplar im Orbit gewesen wäre. Menschliche Sichtweisen haben eben so ihre Tücken.
In diesem Falle sollte aber auch der „Otto Normalverbraucher“ sich im eigenen Leben umsehen. Von den insgesamt 5 Service Missionen war eine notwendig um die Optik zu korrigieren. Bei allen anderen wurde zwar auch repariert (neue solarzellen, Gyros), aber die Hauptaufgabe war es die Instrumente durch leistungsfähigere zu ersetzen – schlussendlich hat die Sensortechnik die ja auch auf Halbleitern basiert die gleichen Fortschritte gemacht wie die Computertechnik.
Beim Computer kommt auch keiner auf die Idee, einen 386 er aus dem Jahre 1990 zu reparieren und wahrscheinlich würde eine VGA Digitalkamera von 1998 auch nicht repariert werden….
Sicherlich, und auch Fernseher werden heutzutage kaum noch repariert. Bei so etwas großem und teurem wie einem Weltraumteleskop, zumal bezahlt mit Steuermitteln, werden solche Fragen aber eben gestellt. Ein passenderes Beispiel, das Otto Normalverbraucher heranzieht, dürfte eher das private Automobil sein. Das wird ja auch repariert und nicht sofort weggeworfen. Dass ein Weltraumteleskop mit dem Bedarf nach einer Service-Mission als „wirtschaftlicher Totalschaden“ zu betrachten ist, verstößt irgendwie gegen den gesunden Menschenverstand. Natürlich hilft einem der bei vielen Aspekten der Raumfahrt nicht wirklich weiter.
„verstößt irgendwie gegen den gesunden Menschenverstand. Natürlich hilft einem der bei vielen Aspekten der Raumfahrt nicht wirklich weiter.“ – kann ich voll unterschreiben. Das fängt dabei an, dass man für rund 100 Starts im Jahr etwa 30 verschiedene Systeme einsetzt, jeden Satelliten neu entwickelt oder eine Ares I Entwickelt die dann einsatzbereit ist, wenn die Station die sie versorgen soll am Ende der Lebenszeit angekommen ist.