Warum neue Musik lauter klingt als alte
Heute mal ein Gastblog von Arne. Damit ihr ihn auch würdigen könnt, gibt es erst am Montag neues von mir.
Bei den vielen Musiktipps in letzter Zeit hier im Blog ist mir mal wieder aufgefallen, wie sich doch die Musikaufnahmen im Laufe der Jahre verändert haben. Bei Youtube ist der Effekt nicht unbedingt zu hören, da es davon abhängt, wie die Aufnahme digitalisiert wurde. Wer aber eine CD von Abba oder den Beatles einlegt und danach eine aktuelle, wird feststellen, dass die aktuelle bei unveränderter Lautstärkeeinstellung im allgemeinen deutlich lauter klingt. Woran liegt das?
Tatsächlich ist die aktuelle Aufnahme nicht wirklich lauter, jedenfalls nicht der Maximalpegel, es erscheint nur so. Um die sogenannte Lautheit (sozusagen die gefühlte Lautstärke) zu erhöhen, wird ein Dynamikkompressor eingesetzt. Das ist ein Gerät oder auch ein Softwaremodul, das den Signalpegel misst und die Verstärkung erhöht, wenn ein gewisser Schwellwert unterschritten wird. Vereinfacht gesagt, werden die leiseren Teile der Aufnahme lauter gemacht, die lauten bleiben unverändert. Schon klingt die Aufnahme insgesamt lauter, dafür geht aber natürlich einiges an Dynamik (die Spanne zwischen leisen und lauten Stellen) verloren.
Warum macht man das? Um sich von anderen abzuheben. Begonnen hat der Krieg der Lautheit (siehe auch Wikipedia – Loudness War) im Radio. Ein Lied wird eher wahrgenommen, wenn es lauter klingt als das vorige. Das gilt natürlich auch für Werbung, die besonders aus der Musik herausstechen soll. Das Problem bei der Sache ist, dass es nichts mehr bringt, wenn es jeder macht. Seit Jahren werden die Einstellungen der Kompressoren immer extremer, um das letzte Bisschen gefühlte Lautstärke herauszuholen und die anderen zu übertrumpfen. Wer heutzutage noch eine Hifi-Anlage mit Aussteuerungsanzeige hat, kann sehen, wie bei aktueller Musik die Anzeige viel mehr am Anschlag klebt als bei älterer. Das machen auch nicht mehr nur die Radiosender, sondern die Tonstudios, wenn die Aufnahme eines Songs fertig ist und es ans sogenannte Mastering geht.
Gutes Mastering erfordert viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl des Toningenieurs, um das ganze nicht unnatürlich oder aufdringlich klingen zu lassen. Besonders bei der Komprimierung kann man viel falsch machen, die Einstellungen des Kompressors müssen auf jeden Fall für jeden Song individuell gemacht werden. Das können Radiosender im Gegensatz zu den Tonstudios natürlich nicht leisten.
Den Vogel abgeschossen hatte hier im Norden N-Joy Radio, das Anfang der 90er auf Sendung ging. Sämtliche Musik wurde vorm Senden noch einmal durch einen Kompressor mit extremen Einstellungen gejagt, was die Songs teilweise richtiggehend kaputtgemacht hat. Man stelle sich ein Lied vor, das leise beginnt. Der Kompressor regelt nun sofort die Verstärkung hoch. Dann setzt das Schlagzeug ein, und da die erste Bassdrum im Original viel lauter als das Intro ist, muss der Kompressor die Verstärkung wieder zurücknehmen, mit dem Erfolg, dass die übrigen Instrumente aus dem Intro plötzlich kaum noch hörbar sind. Mit dem Original hat das dann nicht mehr viel zu tun. Heutzutage ist das nicht mehr so extrem, unter anderem auch, weil sich die Technik verbessert hat. Um unerwünschte Effekte wie z.B. das sogenannte “Pumpen” zu vermeiden (die Lautstärke ändert sich rhythmisch mit dem Schlagzeug), werden im Mastering eher Multibandkompressoren verwendet. Die funktionieren so, dass das Audiosignal zunächst mittels Filtern in mehrere Frequenzbänder aufgeteilt wird, z.B. Höhen, Mitten und Bässe. Dann werden die Bänder einzeln komprimiert und wieder zusammengemischt. So kann dann, um bei obigem Beispiel zu bleiben, eine laute Bassdrum die höheren Töne nicht mehr beeinflussen.
In der Praxis werden noch weitere Signalbearbeitungen eingesetzt, das würde hier jedoch zu weit führen. Letztlich zielt es immer darauf ab, noch mehr Lautheit herauszuholen bei minimal wahrnehmbarer Klangverfälschung. Ohne Verfälschungen geht es aber nicht, weshalb das Wettrüsten im Kampf um die lauteste Aufnahme durchaus auf Kritik bei manchen Künstlern und Produzenten stößt. Ein unbestreitbarer Vorteil ist aber, dass komprimierte Aufnahmen sowohl bei niedriger Lautstärke als auch in Umgebungen mit Hintergrundgeräuschen besser verständlich sind, in denen die leisen Passagen ansonsten untergehen würden.
So, das war mein erster Gastblogeintrag hier und auch mein erster Blog überhaupt. Ich freue mich über Rückmeldungen.
Arne