Unterhöhlt PISA unser Bildungssystem?
Auf den Gedanken bin ich gekommen, und zwar aufgrund der Erfahrungen die ich gemacht habe. Ich habe mal Chemie/Lebensmittelchemie studiert, Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre. Das lief dann so ab: Wo das Studium beginnt, erfuhr man in einem Aushang vor der Eingangstüre. Dort erfuhr man dann auch welche Fächer man wohl im ersten Semester sich antun sollte – und das die vorgesehenen 5 Semester fürs Grundstudium wohl nicht ausreichen würden, sondern 7 Semester die Regel sind. Im Allgemeinen lief das Studium so ab, dass man in der Halle die Anschläge studierte, welche Vorlesung für welches Semester wohl empfehlenswert ist und dahin ging. Zusätzlich noch in andere Fächer die interessant klangen oder in die einfach alle anderen auch gingen. Die Selbstorganisation des Studiums zog sich in der Praxis fort, die bei Chemie ein große Rolle spielte. Die Einführung lief noch in Kursform mit Versuchen nach Script. Danach war es so, dass alle Praktika an Eingangs und Ausgangsprüfungen gekoppelt waren. Zum einen um die Studentenzahl zu regulieren (es gab insgesamt 90 Plätze bei rund 240 Studienanfängern) und zum andern damit die Leute auch wussten was sie taten, denn dann musste man selbst arbeiten. Einführung – Unterricht etc. das gab es nur wenn teure technische Geräte zu bedienen waren.
Die Prüfungen waren nicht ohne. Am schlimmsten empfand ich das Oranikpraktikum. Es dauerte knapp 3 Monate von morgens 8 bis abends 18 Uhr. Es war also unmöglich eine Vorlesung oder was anderes nebenher zu machen. Nach zwei Wochen Theorie standen wird von morgens bis abends im Labor, unterbrochen nur von 5 Klausuren in dieser kurzen Zeit mit sehr strengen Beurteilungsmaßstab: Von 20 Punkten muss man 12,5 erreichen um durchzukommen. Verhaut man eine Klausur war das Praktikum beendet – Obwohl dem eine Eingangsprüfung vorgeschaltet war die iche rst beim zweiten Ablauf packte flogen so von meinem Kurs 4 von 12 raus.
Aber auch ohne die Prüfungen gab es viel zu lernen. Die Vorlesungen, das merkten wir bald, waren nur eine Kurzzusammenfassung der Lehrbücher die man lesen und verstehen musste. Das ganze Wissen wurde auch immer wieder abgefragt – entweder in den zahlreichen Prüfungen oder eben in der Praxis – es wurde später noch benötigt und daher sitzt es auch noch heute.
Nachdem ich als Lebensmittelchemiker keine feste Anstellung fand, habe ich mich gute 10 Jahre Später nochmals an ein Studium. Informatik war auch etwas was ich schon beim ersten Studium in Betracht zog, aber ich war mir nicht sicher ob ich es schaffen würde, weil ich dachte da ist viel Mathe drin.
Die Sorge war unbegründet. Die für Chemiker abgespeckte Mathe, war um einiges umfangreicher als die in Informatik und das obwohl ich dort nur 2 anstatt 3 Semester hatte und auch wesentlich weniger Wochenstunden. Überhaupt empfand ich das Studium als recht leicht. Sowohl von den fachlichen Anforderungen wie auch von der Durchführung. In Chemie hatte ich einige Probleme mit Fächern die mich interessierten, obwohl ich viel lernte und manche Prüfungen erst auf den zweiten Anlauf geschafft habe. Bei Softwaretechnik war es so, dass ich ohne Problem durch Fächer die ich als absolut überflüssig empfand wie Elektrotechnik und in denen ich kaum was lernte. In meinem Abschlussjahrbuch habe ich stehen „Bernd kommt nur in die Vorlesung um zu sehen um zu sehen dass er recht hat“ und öfters habe ich den Dozenten auch korrigiert. So was wäre auf der Uni unmöglich. Das Niveau war so viel höher als das ein Student keine Chance hatte den Professor zu korrigieren. Es gab Leute die waren kaum in den Vorlesungen und haben gearbeitet und sie sind auch durchgekommen. Es reichte auf die Klausuren zu lernen – eine bis zwei Woche Zeit pro Semester zu investieren. Vor allem lief es wie in der Schule – mit festem Stundenplan, Klausuren am Semesterende und man konnte danach die Vorlesung „abhaken“. Selbst wenn man den Inhalt komplett vergessen hatte, konnte man das Studium erfolgreich absolvieren. Und das ist nicht gelogen. Ich kenne Leute, die hatten Null Durchblick, waren komplett von jeder kleinen Aufgabe überfordert und haben es geschafft und eine Absolventin wurde danach als Assistentin angestellt und es stellte sich heraus, dass sie nicht mal die Grundlagen von C verstanden hatte – die zogen sich eigentlich seit dem ersten Semester durch das Studium.
Nun unterrichte ich selbst Informatik, wenn auch nur als Nebenfach für Maschinenbauer. Obwohl die Stoffmenge in der Vorlesung wirklich minimal ist, in zwei Semestern kommt man nicht mal so weit wie in diesen Büchern „Learn Pascal in 21 days“ scheint das die Studenten noch zu überfordern. Vorbereitung – trotz mehrmaligem hinweis – Fehlanzeige. Trotzdem der Versuch das einfache Fach noch ein bisschen weiter runter zu ziehen. So machen andere Dozenten, wohl wahrscheinlich weil mal so vor 10 oder noch mehr Jahren eingeführt wurde eine Einführung in Excel – über ein Semester. Also nicht in VBA Programmierung oder Pivottabellen sondern in die Grundformeln und Zellformatierung. Mir geht das „das ist dann bei uns ja viel schwerer“ inzwischen so auf den Sack, dass ich dann zurückfrage ob sie ehrlich meinen dass die Schulung in einem Standardanwendungsprogramm, das selbst Sekretärinnen beherrschen müssen Inhalt eines universitären Studiums sein soll? Meistens angeschlossen die frage ob man dann nicht noch die Benutzung von Email oder Word erklären sollte.
Was mich aber am meisten erschreckt hat, nichts mit speziellen Problemen eine Programmiersprache oder ihre Syntax zu lernen zu tun, die mit Übung eigentlich zu meistern sind. Es ist das sich viele Studenten enorm schwer tun, ein gegebenes Problem oder eine Aufgabe soweit zu abstrahieren, dass sie es mit einer Programmiersprache lösen können, also der Einsatz von Logik um einen Algorithmus zu entwerfen. Ich sehe das wenn ich bei den Übungen einen Blick auf den Code werfe. Bei manchen herrscht echte Hilflosigkeit. Da gibt es in der Vorlesung zur Demonstration des Einsatzes eines syntaktischen Elements Beispiele und dann gibt es als Übung eine andere Aufgabe, welche dasselbe Element zur Lösung erforderlich macht und die Leute versuchen dann etwas von dem Code zu kopieren – was natürlich wegen der völlig anderen Aufgabenstellung völliger Unsinn ist. Ich habe auch schon mal auf die Frage, warum dies so schwer fällt und sie doch auch Programme in anderen Studienfächern bedienen müssen die Antwort bekommen, „Ja da weiß ich aber, welche Menüpunkte ich nacheinander anwählen muss“ – klar so funktioniert Programmieren nicht.
Ich weiß nicht ob das typisch ist, zumal es ja auch ein Abfall im Abschluss ist (Lebensmittelchemiker mit zwei Staatsexamen, das erste davon akademisch gleichwertig mit einem Abschluss als Diplom, dann Dipl. Ing an einer FH und nun eben der Unterricht an der DHBW – Bachelor nach 6 Semestern plus Berufsausbildung nebenher), aber es ist für mich erschreckend. Das die Studiendauer in den letzten Jahren stark gekürzt wurde und es solche 6-semestrigen Studien mit Abschluss überhaupt gibt (mithin wenn man die Semesterferien mitzählt kürzer als eine Lehre) ist schon schlimm genug. In beiden Studiengängen habe ich am meisten in den letzten Semestern gelernt.
Ich hoffe nur ich habe mich geirrt, aber wenn mein Eindruck repräsentativ ist und vielleicht auch das Unistudium im selben Maße abgebaut hat, dann sehe ich wirklich schwarz für Deutschland als Technologie- und Wissenschaftsstandort.
gerade was Code entwerfen angeht habe ich das Gefühl das sowas bei uns (technische Informatik) zu kurz kommt… meist waren die zu programmierenden Aufgaben so eng verwoben mit den Beispielen der Vorlesung das man teilweise wirklich nur Beispiele zusammenbasteln muss. Gut wären beispielsweise mal Aufgaben wo ein gegebener Code auseinandergenommen wird und mal genau beschrieben werden muss was der macht oder so…
auf jeden Fall hatte ich im Praxissemester schwerste Probleme mal was in echt zu programmieren und „gelerntes“ anzuwenden. Mag aber auch daran liegen das z.B. einige Professoren sich garnicht mehr die Mühe machen neue Klausuren zu entwerfen. Ich find ja gut das man sich alte Klausuren anguckt um mal zu sehen wie so die Art der Fragen sind. Wenn aber seit Jahr und Tag fast genau diesselben Aufgaben rankommen macht man sich irgendwie auch nicht mehr die Mühe so richtig nachzudenken sondern schreibt das Richtige hin und kriegt seine 1.3…
In meiner Zeit an der FH (Studienfach Elektrotechnik) war es zwar auch so, das die Datenverarbeitung bei manchen auch das Fach war, vor dem sich viele am meissten fürchteten, weil sie nur einen geringen Durchblick hatten. – Da war dann ja immer der Prof. dran schuld, weil der es nicht so erklärt hat, das es auch jeder verstanden hat. – Okay, er war etwas eigensinnig und manchmal vielleicht auch komisch, aber ich hatte keine Probleme damit, seinen Erklärungen zu folgen. Lernen musste man bei ihm erst Basic, dann C und später noch Assembler – alles auf einer PDP-11. Da waren dann noch so Sachen wie Zahlensysteme und die Umrechnungen im Stoff eingebaut oder der Aufbau von Fliesspunktzahlen, einfache Such- und Sortieralgoritmen. Numerik wurde angekratzt, und die praktische Verwendung boolscher Algebra bei der Programmierung, um ein paar Beispiele zu nennen, die mir noch einfallen.
Dann gab es da noch die Messtechnik. Der Prof hat zur Übung und zur Klausurvorbereitung die letzten 6 Klausuren heraus gegeben. Im Copyshop vom Asta konnte man auch noch ältere finden. Auffällig war daran aber, das keine Aufgabe identisch war. Manche waren zwar ähnlich, aber der hat sehr pingelig darauf geachtet, das sich Aufgaben wenn überhaupt, dann erst nach etwa 5 Jahren wiederholen. Ein anderes gefürchtetes Fach war Regelungstechnik. Davon wurde erzählt, das bei den Personalchefs der umliegenden Firmen bekannt war, das eine 4 in Regelungstechnik bei uns vergleichbar mit einer 3 oder gar 2 an der Nachbar FH war.
Kleine hoffentlich konstruktive Kritik: Ich glaube es ist hier nicht Pisa sondern der Bologna-Prozess gemeint (Die Sache mit dem Bachelor und dem Master). Pisa war ja dieses Schulrankingding das dann in solche Dinge wie G8 und Prüferitis ausartet.
PISA hatte vor allem ein Ergebnis: Der Unterricht wurde so „optimiert“, daß bei solchen Tests bessere Ergebnisse zustande kommen sollten. Was zur Folge hatte, daß dann die Zeit für solche Sachen fehlte, die man wirklich braucht.
In der Computerbranche ist dieses Verfahren ja bestens bekannt als Benchmarkschwindel.
Mit anderen Worten: Schwindel statt Bildung. Aber wozu den Leuten überhaupt was beibringen? Schließlich braucht man ja keine Denker, sondern Idioten, die jahrzehntelang immer wieder die gleichen Versager wählen.