Chemische Wertigkeiten
Eigentlich wollte ich mich in dem heutigen Blog mit einem anderen Thema beschäftigen, nämlich der Frage ob das Vorhandensein von Schwefelwasserstoff und Carbonylsulfid in der Venusatmosphäre ein Indiz für Leben ist. Doch beim Überlegen fiel mir auf, dass ich wohl noch ein bisschen chemisches Grundlagenwissen einfließen lassen muss.
Also was sind Wertigkeiten, zumindest im chemischen Sinn? Wahrscheinlich kennen sie den Begriff nicht, er spielt einer Rolle wenn man einen Chemiker von „Eisen-Zwei“ oder zink-vier-Oxid“ sprechen hört oder man Dinge liest wie Eisen(III)oxid, wobei man meiner Ansicht nach gleich die Formel hinschreiben kann, aus der dies deutlich wird: Fe2O3.
Die chemische Wertigkeit bezeichnet ein Phänomen: Die meisten Elemente (mit Ausnahme der ersten beiden Hauptgruppen und die Edelgase) haben eine Elektronenkonfiguration bei denen die p-Orbitale (bei den Nebengruppen auch die d- und f-Orbitale) teilweise belegt sind. Wenn sie nun Bindungen zu anderen Elementen aufbauen, dann können sie nur die teilweise belegten Orbitale, oder auch andere p-Orbitale oder sogar die schon belegten s-Orbitale mit einbeziehen und dabei Hybridisierungsorbitale bilden, also praktisch eine Mischung zwischen den Typen.
Nehmen wir als Beispiel mal den Kohlenstoff. Er hat ein abgeschlossenes s-Orbital und zwei Elektronen in den p-Orbitalen in der Grundkonfiguration. Gehen nun die beiden p-Orbitale eine Bindung ein so, ist der Kohlenstoff zweiwertig. Werden aus den s-Orbitalen noch Elektronen hinzugenommen so entstehen vier sp3-Orbitale, jedes mit einem Elektron besetzt. Dann ist der Kohlenstoff vierwertig.
Entsprechend gibt es Verbindungen, in denen der Kohlenstoff zweiwertig ist, z.B. das Kohlenmonoxid und Verbindungen in denen er vierwertig ist, z.B. das Kohlendioxid. Von den verschiedenen Oxidationsstufen ist meistens eine die häufig vorkommende, manchmal auch mehrere. Welche unter bestimmten Bedingungen vorherrscht, hängt aber von den Umgebungsbedingungen ab. Kohlenmonoxid z.B. wenn die Temperatur bei einer Verbrennung niedrig ist und Sauerstoffarmut herrscht. Da höhere Oxidationsstufen einer höheren Wertigkeit entsprechen sind oftmals die höheren Wertigkeiten in einer oxydativen Umgebung stabil und die niedrigen in einer reduktiven. In der frühen Erde bestand die Atmosphäre aus Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Ammoniak Methan und Stickstoff, das ist eine reduktive Umgebung. Von den beiden stabilsten Wertigkeiten des Eisens (II und III) ist die Oxidationsstufe II stabil in einer reduktiven Umgebung. Eisen(II)Verbindungen sind chemisch äußert interessant. Es gibt zahlreiche davon und sie bilden auch Komplexverbindungen. Nicht umsonst ist das Eisen im Hämoglobin zweiwertig. Vor allem sind zahlreiche Eisen(II)Verbindungen wasserlöslich. Als das Wasser aus der Atmosphäre ausregnete, wurden enorme Mengen von Eisen im Wasser gelöst. dort verblieb es auch – bis vor 3000 Millionen Jahren die ersten Blaualgen anfingen Sauerstoff zu produzieren – es entstanden die wichtigsten Eisenlagerstätten die Bandeisenerze. Sie entstehen durch die Jahreszeiten: Im Sommer waren die Blaualgen photosyntetisch aktiv und der Sauerstoff oxidierte das Eisen, im Winter stellten sie ihre Aktivität ein und die Kohlendioxidfreisetzung durch andere Organismen überwog und das Kohlendioxid führte zum Ausfällen von Kalk, so entstanden Bänder aus Eisenoxid und Kalziumcarbonat. Weitere Erzlagerstätten z.B. von Kupfer und Uran folgten. Nach und nach fielen alle Elemente aus, die stabile Oxide bildeten die nicht wasserlöslich sind.
Vor allem die Nebengruppenelemente bilden zahlreiche Wertigkeiten. Bei ihnen ist es auch nicht so, dass sich die Wertigkeiten immer um den Faktor 2 unterscheiden, wie dies bei den Hauptgruppenelementen der Fall ist (z.B. Stickstoff: -3, +3,+5, Schwefel: -2, +2,+4,+6 oder Halogene (außer Fluor): -1,+1,+3,+5,+7). Bei Chrom, z.B. die Wertigkeiten 2,3,4,5 und 6. Welche stabil sind hängt nicht nur von der Elektronenkonfiguration ab, sondern auch von den Möglichkeiten Bindungen einzugehen. Dabei kommen in unserer Atmosphäre nur Chrom VI und Chrom III Verbindungen häufiger. Vor. Chrom(VI) entsteht wenn das s-orbital mit den 5 d-Orbitalen ein sd5-Orbital eingeht und dann sechs Bindungen eingeht. Bei Chrom(III), der zweiten stabilen Oxidationsstufe ist es so, dass durch Zunahme von drei Elektronen die d-Orbitale jeweils halb gefüllt sind, was ebenfalls eine stabile Konfiguration ist.
Die Unterschiede zwischen den Oxidationsstufen werden bei den Lanthanoiden noch kleiner und es gibt noch mehr Wertigkeiten. Damit einhergehend ergeben sich auch interessante Eigenschaften der Verbindungen weshalb diese auch als seltenen Erden bekannten Elemente heute sehr oft in der Elektronik eingesetzt werden.
Für die Betrachtung bei anderen Planeten ist es nun so, dass man sich hüten sollte die Verhältnisse von der Erde zu übertragen. Wir haben seit mindesten 1 Milliarde Jahren eine sauerstoffreiche Atmosphäre. Diese hat nicht nur alle Gesteine oxidiert, sondern vor allem werden auch alle reduktiven Verbindungen im Nu oxidiert. Methan z.B. lebt in unserer Atmosphäre nur ein paar Jahre lang. In einer reduktiven Atmosphäre können andere Oxidationsstufen stabil sein oder auch Moleküle verbleiben die bei uns schnell oxidiert werden. Vieles ist bei uns nicht mal im Labor nachstellbar, weil dazu die Zeit fehlt. Doch dazu mehr im nächsten Aufsatz.