Bernd Leitenbergers Blog

Es ist Zeit für Meckerer

Ich bin unzufrieden. So allgemein mit der Raumfahrt und der Politik. (Sicher auch mit anderem, nur verstehe ich von dem nicht so viel). Ich habe mich gefragt, ob dies daran liegt, dass es heute mehr Möglichkeit gibt sich zu informieren, während man früher eigentlich nur größere Ereignisse in der Tageszeitung verfolgen konnte, und von dem Hickhack im Hintergrund bekam man nicht so viel mit.

Aber nein, ich denke es ist so: wir haben Grund zu meckern. Wir haben in vielen Bereichen derzeit ein heilloses Durcheinander mit Parallelentwicklungen, eingestellten Projekten und ähnlichem. Also fange ich mal an:

Europa:

Wir verschieben seit Jahren die Weiterentwicklung der Ariane 5. Warum weiss ich nicht. Dafür bezahlen wir dafür, dass eine in Russland produzierte Rakete von Kourou aus starten kann, also unterstützen wir einen direkten Konkurrenten von Ariane 5. Die muss dafür subventioniert werden. Dafür gibt es jetzt schon die Pläne für eine Ariane 6, die wahrscheinlich wenn wir sie jetzt entwickeln dann wieder zu klein ist wenn sie 10 Jahren zur Verfügung steht.

Dann wird Exomars zu treuer. Ich habe von dem Projekt eh nicht viel gehalten. Doch was macht man dann? Anstatt es einzustellen, will man es mit der NASA zusammen machen. An und für sich eine gute Idee. Doch Exomars sollte ein Lander sein. Was wird nun der europäische Anteil: Ein Kommunikationsorbiter und einige Instrumente. Hab ich irgendwas nicht kapiert? Was hat das mit einem Lander zu tun? Ach ja neueste Nachricht: Die NASA will den Exomars Orbiter auch nicht starten….

Russland:

Also Russland entwickelt die Angara und als Konkurrenz dazu die RUS-M und auch noch einen neuen Weltraumbahnhof. Warum eigentlich? Die Sojus ist bewährt und zuverlässig. Die Proton kann sich vor Aufträgen kaum retten (und ILS will auch keine Angara vermarkten, sondern die Proton) und mit Kasachstan versteht man sich nach einigen problematischen Jahren auch gut. So kommt das ganze nicht in Schwung. Die Angara sollte schon längst ihren Erstflug absolvieren und nun hat man auch die Rus eingestellt. Ehrlich gesagt ich verstehe das nicht. Man hat Träger die funktionieren, die ausreichen und die nun auch global angeboten werden (für die Sojus wird ja gerade eine Startrampe in Kourou errichtet). Also wird man zumindest Proton und Sojus weiter produzieren um diesen lukrativen Markt zu bedienen. Wo gibt es dann die Nutzlasten für die Angara und Rus? Es wäre ja nicht das erste Projekt das Russland einstellt (Kliper, Baikal, verschiedene Sojus Upgrades….). Auf der anderen Seite kommt Russland seinen Plänen für den ISS Ausbau nicht nach, ist also bei anderen Projekten schon an der Leistungsgrenze. Sinnvolle Planung sieht anders aus.

USA:

einAlso hier gibt es zig Anknüpfungspunkte. Fangen wir mal mit den Nachwehen von Constellation an. Es wurde ja eingestellt. Was man nicht eingestellt hat, ist Orion (nun umbenannt als Multi-Purpose Crew Vehicle, obwohl es eigentlich keine Mehrzweckfähigkeit hat) – ohne das es eine konkrete Verwendung dafür gäbe. Anstatt der Ares V soll nun eine Trägerrakete SLS entwickelt werden. Sie ist etwas kleiner als die Ares V und wird nur 70 bis 130 t befördern können. Nur – selbst wenn sie mal entwickelt wird, dann gibt es keinen Einsatzzweck für sie, denn was soll man damit machen? Ein paar Mondumrundungen mit dem MPCV? Mehr kann man nicht durchführen. Dazu gibt es ein Technologieforschungsprogramm für zukünftige Trägertechnologien und für robotische Missionen als Vorbereitung für bemannte Projekte – aber auch hier beides ohne konkrete Ziele, Zeitpläne oder Vorgaben.

Was immer noch leidet unter diesen Programmen ist die unbemannte Forschung, die nicht davon profitiert hat, das Constellation eingestellt wurde und sei es nur, dass man das alte Niveau vor den Budgetkürzungen von 2006 wiederherstellt. Auch hier schiebt man das Geld in teure Prestigeprokjekte deren Nutzen zweifelhaft ist wie das MSL und JWST. Die Folge die NASA startet nur noch so wenige wissenschaftliche Nutzlasten pro Jahr, dass sie an den Fingern einer Hand abzählbar sind.

Die ISS

Ein multinationales Thema ist die ISS und hier ist am meisten im Argen. Als sie mal konzipiert wurde, beweis man Weitsicht: Alle Versorgungssysteme wurden so ausgelegt, dass es mindestens zwei Transporter für jedes Gut gab, inklusive Mannschaft und weil die Besatzung die mit dem Space Shuttle kam auch gerettet werden sollte, gab es ein eigenes Crew Rescue Vehicle. Von dieser Planung ist nicht viel übrig geblieben, nachdem die Shuttles ausgemustert wurden. In vielen Punkten gibt es nun nicht mehr die Absicherung durch zwei Transporter, z.B. bei der Mannschaft. Daneben gibt es eine Versorgungslücke, die nicht rechtzeitig geschlossen wurde (die Transportverträge (CRS) wurden erst zweieinhalb Jahre nach Beschluss der Ausmusterung der Shuttles abgeschlossen, die Beförderung von Mannschaft ist bis heute noch nicht vergeben). Die Folgen sind nun sichtbar wenn eine Sojus ausfällt und weitere Starts verschoben werden.

Es wird nun richtig turbulent:

Also man beschließt die Verlängerung des ISS Betriebs. Aber: offen ist ob dies möglich ist – gibt es Ersatz für Teile / Module die dann doch ausfallen? Vor allem: wie soll es nach 2016 weitergehen? Bisher ist kein bemannter Mannschaftstransporter genehmigt. Es gibt nur Gelder für Vorentwicklungen. Wenn heute ein neuer Mannschaftstransporter gestartet wird, so ist bei bemannten Projekten von Mindestentwicklungszeiten von 5-6 Jahren auszugehen, was bedeutet dass vor Ende 2016/7 nichts zur Verfügung steht (eher später). Das lohnt sich also kaum und wenn, wozu dann das MPCV?

Für die internationalen Partner wird es noch heftiger. Ihre Transportanforderungen ergaben sich aus der Primärversorgung mit dem Shuttle. Das bedeutete: die ISS war näher der Erde und benötigte mehr Treibstoff. Das Shuttle konnte gut verpackte Fracht in Druckbehältern transportieren und weniger gut Flüssigkeiten und Gase, also sollten diese de Partner bringen. Vor allem das ATV ist darauf ausgelegt. Jetzt wird über neue Verträge verhandelt und die ESA soll mehr Fracht im Druckbehälter transportieren, was auf ein ATV-2 rausläuft, also nochmals Kosten für eine Neuentwicklung für 5 weitere Jahre.

Dabei hat sich die ISS nicht als das erweisen was man sich von ihr versprochen hat. Interesse der Industrie? gleich Null. Die NASA nutzt nicht mal ihre Racks selbst, sondern nur zum Teil und vergibt den Rest an Universitäten, auch weil ihr Forschungsbeduget für die ISS kaum wächst. Die ESA ist die einzige Nation die ihr Labor voll ausnutzt , aber europäische Astronauten können nun kaum noch zur ISS gelangen, auch weil die Mannschaft von 7 auf 6 verkleinert wurde und zusätzliche Kurzzeitaufenthalte an Bord von Shuttles ganz wegfallen. Dafür darf sie >350 Millionen Euro pro Jahr bezahlen plus natürlich noch die ATV …. Und Japan hat bis heute noch nicht mal ihr Labor fertiggestellt und die gleichen Probleme einen Astronauten an Bord zu bekommen, nur mit dem Unterschied, dass sie ihr HTV nicht modifizieren müssen.

Die einzige die sich freuen können sind die Russen: ihre eigenen Module wurden gestrichen und den Transport lassen sie sich gut bezahlen.

Also ein echtes durchdachtes Konzept sieht anders aus. Und wofür das alles? Nimmt jemand die ISS überhaupt noch wahr? Ist sie von größerer wissenschaftlichem Nutzen? Selbst dass nun die Besatzung für einige Monate auf 3 reduziert wird ging ja an den Nachrichten vorbei. Warum auch nicht. Nur für Angeberei ist das 100 Milliarden Europrojekt auch zu teuer.

Fazit

Es ist Zeit für Meckerer. Vor allem weil Leitlinien fehlen. Langfristige Pläne, die auch tragen und die nicht bei einem Fehlstart gleich die Besatzung für Monate halbieren, Aber auch für Vernunft. Wenn die ISS nicht mehr das ist, was man sich von ihr erwartet, dann stellt den Betrieb ein oder verlängert ihn wenigstens nicht, wenn dadurch nur neue Investitionen in neue Transporter für Fracht und Personen resultieren. Das gleiche gilt für Träger: fördert die die sich lohnen und stellt die ein, die sich nicht lohnen (die ESA hat das bei der Vega ja schon erkannt und betreibt das Projekt nur noch langsam voran, weshalb sich der Erststart ja auch beträchtlich verzögert hat). Dass viele ihr Heil bei Firmen wie SpaceX suchen, die erst ihre ersten Weltraumschritte machen, viel versprechen und noch mehr verheimlichen, zeigt wie schlimm die Situation inzwischen ist. Dabei vertrauen nicht mal ihre Kunden SpaceX: Bigelow Aerospace hat mehr als die Hälfte ihrer Belegschaft entlassen, weil es keine Möglichkeit gibt Mannschaften mit US-Raumschiffen in den Orbit zu bringen. Dabei steht das BA-330 als Nutzlast bei SpaceX in der Startliste. Eigentlich sollte es dann doch kein Problem sein, die Dragon dafür zu nehmen, schließlich soll sie ja bemannt einsetzbar sein – aber Bigelow glaubt wohl nicht daran. Das lässt tief blicken…

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