Machen wir einen Zeitsprung in die Anfangszeit der Raumfahrt. So Ende der fünfziger Jahre, Anfang der sechziger Jahre. Damals gab es noch keine Raumfahrtindustrie und die Herangehensweise an die Sache war anders. Von Wernher von Braun stammt folgender Ausspruch (wenn auch nicht wörtlich): „Es ist egal ob eine Rakete bei einem Test explodiert, Hauptsache wir haben die Testdaten und können feststellen woran es lag.“ Entsprechend war er auch ein Vertreter der stufenweise Erprobung. Also erst mal die erste Stufe und wenn die getestet ist dann die erste und zweite und so weiter…
Überhaupt wurde damals viel mehr Hardware im Einsatz getestet. Schaut man sich die Anzahl der Testflüge bei der Redstone, Jupiter, Thor, Atlas und Titan an, so wird man feststellen das es im Vergleich zu heute enorm viele sind, teilweise mehr als später operationelle Exemplare stationiert wurden.
Das erste Projekt der US-Luftwaffe waren die Discoverer Satelliten. Eigentlich hieß das Projekt Corona, doch erfand man den Tarnnamen um die eigentliche Aufgabe zu verschleiern. Ziel war es mit einer Kamera Aufnahmen des Ostblocks zu machen und an einer Kapsel zur Erde zurückzubringen. Die ersten vier von 15 Missionen waren Erprobungsmissionen. Doch auch danach klappte es nicht. Trotzdem startete man eine Mission nach der anderen – 15 zwischen Januar 1959 und September 1960. Erst zum Ende hin begann man Tests in Orbit, lies die Fotoausrüstung weg und baute Messinstrumente ein, änderte das Trägermaterial des Films. Nur eine, die vorletzte war wirklich erfolgreich.
Als die ersten Ranger Mondsonden alle ausfielen, geriet das (in der Raumfahrt noch) junge JPL in die Kritik. Man würde Raumsonden bauen wie Strahlantriebe für Flugzeuge und dort testete man eben und wenn’s nicht klappte baute man den Antrieb aus und untersuchte ihn nach der Fehlerursache. Nur klappt das mit einer Raumsonde nicht und ein Fehler kostete bei den Ranger rund 28 Millionen (rund 200 Millionen heutige) Dollar.
Oder ich lenke euren Blick mal auf dieses Bild, das die Montage von Vangaurd 1 auf die Trägerrakete zeigt und diese zeigt Explorer 33 (IMP D) bei der Montage.
Bevor du nun weiterliest. Was will Dir der Bernd den in diesem Blog nun sagen?
Nun worauf ich raus will ist, dass sich seitdem nicht nur eine eigene Industrie gebildet hat, sondern auch eigene Regeln wie man Raumfahrt betreibt. Würde heute noch die Öffentlichkeit es dulden, dass eine Trägerrakete erst mal 10 bis 20 mal getestet wird bis der erste operationelle Flug stattfindet? Würde man einen Satelliten nach und nach nachbessern bis er mal nach dem 14-ten Flug funktioniert? Würde man in Alltagskleidung im Freien einen Satelliten auf die Trägerrakete montieren?
Was Raumfahrt von anderen Gebieten unterscheidet, ist dass es nur Einzelexemplare gibt und die meisten Fehler zum Ausfall oder Missionsende führen. Das bedeutet: Will man nicht zig Erprobungsexemplare starten, dann muss alles funktionieren. Es gibt nicht wie bei einem Flugzeug die Möglichkeit einer Notlandung oder zumindest die Untersuchung des Wracks. Als sich dies in die Köpfe eingebrannt hatte, begann man damit alles vor der Mission zu testen. Das geht los bei Simulationen, Studien, dann wenn es Hardware gibt bei Komponenten, also einzelnen Bauteilen, geht weiter über Subsysteme, so entstehen von Satelliten verschiedene Modelle, die z.B. nur einen Aspekt beinhalten, wie das elektrische System, die Struktur oder das Antriebssystem und schließlich entstehen neben dem Flugexemplar noch weitere Exemplare für Tests wie Thermaltests, Schütteln um den Start zu simulieren. und und und.
Es gibt auch eigene Verfahrensweisen. Heute werden alle Satelliten in Cleanrooms vorbereitet. Die Leute laufen in Plastikanzügen rum, damit keine Hautschuppen und Haare freigesetzt werden. Während ich das noch bei empfindlichen Instrumenten verstehe, um die optischen Oberflächen nicht zu kontaminieren leuchtet mir der Sinn bei anderen Satelliten nicht so ein. Aber ich denke irgendwann man hat man es eingeführt um eine Fehlerquelle auszuschalten. Genauso geht es bei der Montage vor. Ich möchte da zwei Dinge wiedergeben die ich mal in einem Film sah. Das erste war die Montage der Ariane 4, genauer gesagt das Verbinden von erster und zweiter Stufe. Ein Monteur ging drehte die Schrauben fest, und einer folgte ihm und maß das Drehmoment mit dem angezogen wurde und notierte das. Das zweite waren Monatearbeiten an der Aestusstufe. Da gab es einen Rollwagen mit Werkzeugen. Ein Arbeiter kam, nahm aus der obersten Schublade ein Journal, machte Eintragung und entnahm erst dann das Werkzeug. Und nach Beendigung der Arbeit wieder das gleiche. Ich vermute mal man hat mal einen Arbeitsschritt oder noch schlimmer das Werkzeug vergessen. Ein Metallteil soll ja beim ersten N-1 Start die Ursache des Fehlschlags gewesen sein und bei V-35 der Ariane fanden sich auch Tücher in den den Treibstoffleitungen. So eine Vorgehensweise verzögert die Arbeit und macht sie teuer, aber der Fehler tritt nicht auf.
Was sich etabliert hat, ist eine Kultur des Testens, Nachprüfens, Dokumentierens. Das Prüf und Produktionsprotokoll einer Leuchte auf der ISS soll über 500 Seiten umfassen. In der bemannten Raumfahrt ist ex extrem. Wer mal Bücher über die Entwicklung dieser Projekte gelesen hat weiß eines: auch wenn man Lichtjahre von der heutigen Technik weg ist wusste man schon damals dass man eines immer konnte: Prüfen, Testen nachkontrollieren. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern x-mal.
So haben wir heute Satelliten die über Jahrzehnte arbeiten. Ausfälle sind selten. Die Frage ist nur: hätten wir dasselbe Ergebnis auch einfacher bekommen? Hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Bürokratie eingebürgert die alles unnötig teuer macht und man auch mit weniger Tests eine Zuverlässigkeit erreicht die ausreichend ist?
Ich glaube dieser „frische Geist“ ist das was einige der neuen Raumfahrtfirmen ausmacht. Vielleicht machen sie nicht so viel anders, aber vieles weniger aufwendig. Da können Leute aus anderen Branchen inspirierend sein. Es müssen nur die richtigen Branchen sein. Also wenn eine Raumfahrtfirma von Naturwissenschaftlern gegründet wird, sagen wir mal Chemiker und Physiker, dann wird das Produkt nie fertig. Denen fallen immer noch neue Tests zur Überprüfung der Hypothese „Raumschiff“ ein. Genauso schlimm ist es wenn die Leute aus einem Bereich kommen, indem es reicht, das etwas formal in Ordnung ist, also z.B. Juristen oder Mathematiker. Okay die kommen auch sicher nicht drauf, Raumfahrtgeräte zu entwickeln. Die absolute Katastrophe ist allerdings wenn jemand aus dem Softwarebereich eine Raumfahrtfirma gründet. Bekanntlicherweise lernt jeder Programmierer, dass man die Fehlerfreiheit von Programmen nicht beweisen kann und alle Programme fehlerhaft sind – nur haben gute Programme weniger Fehler als schlechte. Außerdem hat es sich dort eingebürgert Programme auszuliefern, ohne groß zu testen und dann die Fehler zu korrigieren wenn sie auftreten. („Bananensoftware – sie reift beim Kunden“).
Eine Firma hat zum Beispiel gerade mal zwanzig Tests ihres Triebwerks absolviert, bevor sie es als qualifiziert betrachtete – Gesamtlaufzeit 3300 s. Das ist bei Triebwerken fast nichts. Das Vulcain hat z.B. 90.000 s absolviert, das RS-68 über 30,000 s und dessen Entwicklung galt als „schnell“. Aus Softwaresicht ist das logisch: Wenn ich ein Programm einmal teste und es kommt kein Fehler, dann ist es okay. Nur ist das bei Hardware etwas anderes. Noch besser ist es natürlich, man schenkt sich die Tests gleich ganz. Die Firma stellt auch eine Raumkapsel her. Sie produziert sie und dann gehts in den Weltraum. Tests in einer Vakuumkammer um den Weltraum zu simulieren? Warum denn? Für die paar Tage gehts doch auch ohne, und das kostet nur Geld… Und weil sie Computer und Software so lieben, simulieren sie mal die Bergung ihrer Stufe im Computer, machen keinen Windkanalversuch und wundern sich dann dass die Stufe Purzelbäume wegen des tiefliegenden Schwerpunkts schlägt und in Trümmern zur Erde kommt. Die so als „verkrustet“ angeschriene ESA hat nach den Simulationen bei der Ariane 1 auch Modelle im Windkanal getestet und ist zum selben Ergebnis gekommen….
Neulinge können frischen Wind reinbringen, vor allem wenn sie sich mit alten Hasen zusammensetzen und man voneinander lernt und Dinge hinterfragt. Fatal ist wenn dieses gegenseitige befruchten nicht klappt. Bei der Firma gab es inzwischen schon eine ganze Reihe von Managern aus anderen Firmen, die nach wenigen Monaten das Handtuch geschmissen haben. Auf der anderen Seite stellt sie nur Hochschulabsolventen oder Neulinge mit wenig Berufserfahrung bei niederen Positionen ein. So bleibt das agile, aber auch riskante erhalten. Mal sehen wie lange dies gut geht.
Eines dürfte klar sein: Im Endeffekt entscheiden die Kunden. Hauptkunde ist bisher die US-Regierung. Solange diese nur Dienstleistungen bucht wird das auch gut gehen. Nur rechnet die Firma mit mehr. Milliardenteuere Satelliten des US-Militärs transportieren und Astronauten. Und das einzige was sie zur Sicherheit sagen kann ist: „der strukturelle Sicherheitsfaktor liegt bei uns bei 1,4 anstatt bei 1,25 als Vorgabe für unbemannte Raumfahrtprojekte“. Das ist genauso richtig wie die Aussage „64 Bit Programme sind doppelt so sicher wie 32 Bit Programme“. Es zeigt, dass die Firma völlig anders denkt als ihre Auftragnehmer. Ich glaube nicht, dass dies der Weg ist erfolgreich zu sein.
Das heist natürlich nicht, dass man die Strukturen wie sie heute sind so akzeptieren muss und nicht hinterfragen soll. Ist heute nicht zu viel Bürokratie aufgebaut worden? Reicht es nicht etwas ei- oder zweimal nachzuprüfen anstatt vier oder fünfmal? Radikale Änderungen werden aber nicht funktionieren. Das zeigt auch das Disvoery Programm, das ja alles „fast, cheaper, better“ machen sollte – nun ja die ersten zwei Punkten trafen auch zu. Nur beim dritten Punkt haperte es: drei verlorene Raumsonden sprechen Bände. Wie deutlich dere Wechsel ist zeigt sich als aus Discovery das Mars Scout Programm wurde:
- Mars Polar Lander: Budget: 165 Millionen Dollar: Discovery Programm
- Phoenix: Budget: 385,6 Millionen Dollar, Mars Scout Programm
- Mars Climate Orbiter: 160,9 Millionen Dollar, Discovery Programm
- Mars Odyssey 2001: 297 Millionen Dollar, Mars Scout Programm
Die Projekte sind vergleichbar. Phoenix und Odyssey waren die direkten Nachfolgesonden der 1998-er Sonden. 1999 kam der Wechsel und beide Sonden erhielten eine bessere finanzielle Basis – die Missionskosten explodierten, aber die Projekte wurden erfolgreich und gingen nicht verloren.