Sind Vorbeiflugmissionen außer der Mode?

Nun ist ja mit JUICE wieder eine Mission zu Jupiter geplant – die erste seit Galileo welche sich auf die vier großen Monde konzentriert (JUNO soll ja vor allem die Plasmaumgebung erforschen). JUICE könnte man fast als „Galileo 2“ ansehen – sie wird auch drei der Monde mehrmals nahe passieren, Ganymed sogar umkreisen. Io wird nicht passiert werden, doch der war in der Primärmission von Galileo auch nicht vorgesehen und wurde nur beim Einschwenken in den Orbit passiert.

Die Frage die ich heute untersuchen will ist die – bringen Missionen die Himmelskörper (dazu zählen auch die Monde eines Riesenplaneten) nur im Vorbeiflug passieren uns genügend Wissenschaft, oder sollten wir unser Geld lieber in Orbiter oder Landesonden stecken. Außen vor möchte ich lassen, dass wir viele Orbiter- und Landemissionen heute technisch nicht durchführen können. Aber wir könnten ja anstatt einen Orbiter um Europa zu bauen (eine projektierte Mission) einen um Phobos oder die Venus.

Was wird sich nie ändern?

Das sofort verständliche ist, dass jede Vorbeiflugmission eine Momentaufnahme ist. Eine Momentaufnahme im Raum und in der Zeit. Der Raum ist meist nicht so bedeutet, legt aber die Lichtbedingungen fest und was wir sehen – mit optischen Instrumenten wird immer nur eine Hälfte der Oberfläche beobachtbar sein, der Rest liegt im Dunkel. Aber es ist auch eine Momentaufnahme in der Zeit. Nun rechnen wir bei den meisten Himmelskörpern nicht mit zeitlichen Veränderungen. Unser Mond und Merkur sehen wahrscheinlich in 100 Jahren noch genauso aus und Aktivität hat man nicht beobachtet. Die Venus scheint aber aktiv zu sein. Dumm nur dass alle Indizien nur indirekt beobachtbar sind weil die Wolken einen Blick auf die Oberfläche verwehren, doch es gibt wechselnde Konzentrationen von Spurengasen und Wärmeinseln. Beim Mars gibt es Wetter und auch geologische Veränderungen (Dünen, Hangabbrüche), aber die meisten dieser Phänomene sind sehr kleinskalig. Sie auf einem Vorbeiflug zu entdecken, selbst wenn mehrere erfolgen, ist recht schwer.

Die Riesenplaneten sind aktiv-. Sie haben eine Atmosphäre die sich verändert, aber auch Strahlungsgürtel und Magnetfelder die Veränderungen unterworfen sind. Doch ihre Monde, so dachte man lange Zeit sind ebenfalls unveränderliche Eiswelten. Dem ist nicht so. Io ist vulkanisch aktiv. Seine Oberfläche wird laufend verändert. Die Oberfläche von Galileo wird sich auch verändern, Gezeitenkräfte walken diesen Mond genauso wie Io durch, nur offen ist, welche Zeitskalen wir hier haben, ob wir dies also noch beobachten können. Enceladus hat heute noch aktive Geysire und Titan zeigt ebenfalls Veränderungen der Oberfläche. Die Saturnringe verändern sich durch die Gravitationswirkung von Hirtenmonden in kurzen Zeitskalen.

Vorbeiflüge können nur eine Momentaufnahme liefern. Manchmal entdecken wir, dass da was ist, so wie als Voyager 1 1979 beim Vorbeiflug an Io aktive Vulkane aufnahm, manchmal haben wir Pech, so konnten die beiden Voyager auf Enceladus keinerlei Aktivität erkennen, das gelang erst Cassini, 20 Jahre später.

Die Haupteinschränkung ist aber, dass wir nur einen Teil beobachten können. Neben der beleuchteten Phase gibt es oft Einschränkungen in der Distanz (so ist bei einem Uranusvorbeiflug es nur alle 42 Jahre möglich alle Monde in geringer Distanz zu beobachten. Wegen der Achsenlage bedeutet sonst ein Vorbeiflug der aus der Ekliptik erfolgt, dass man nur einen Mond nahe passieren kann. Das ist extrem, doch was immer gegeben ist, ist die geometrische Verzerrung. Man muss nur auf dieses Bild von Meteosat schauen: Europa ist schon sehr verzerrt, Brasilien ebenfalls. Afrika, worüber der Satellit steht dagegen kaum. Für die Beobachtung der Erde mit Wettersatelliten sollte alle 60 Grad einer stehen, das bedeutet, dass man wenn eine Karte nur durch Vorbeiflügen erstellt werden soll, man sechs Vorbeiflüge am Äquator und zwei am Pol braucht. Nähert man sich zu sehr einem Himmelskörper so gibt es eine weitere Verzerrung durch den schrägen Blickwinkel, das limitiert die globale Auflösung.

Was hat sich geändert?

Seit Galileo haben Instrumente große Fortschritte gemacht. Es sind weniger die optischen Instrumente als vielmehr die Detektoren und die Datenverarbeitung. Damit wir vergleichen können, hier die wesentlichen Daten der Kamera von Galileo: 800 x 800 Pixel CCD Sensor, maximale Datenrate: 134,4 kbit/s beim direkten senden, 806,4 kbit/s beim Speichern auf Band.

Heute gibt es CCD Sensoren bis bis zu 50 MP für astronomische Zwecke. Das erlaubt es ein größeres Areal mit einem Bild zu übertragen. Noch viel stärker ist die Datenrate angestiegen die verarbeitet werden kann. Die Plejades Satelliten liefern 4,5 GBit/s an Daten, die komprimiert werden und mit bis zu 1,5 GBit/s auf einem Flash Speicher abgelegt werden. Die Datenrate ist also um den Faktor 2000 angestiegen. War bei Galileo noch das Ablegen auf den Bandspeicher (oder wenn dieser voll war, das direkte Senden zur erde). Damals war das Auslesen geschwindigkeitsbestimmend, heute ist es die Neupositionierung der Instrumentenplattform, bzw., wenn man die ganze Raumsonde dreht, wie schnell dies erfolgt.

Ich habe mal eine Simulation gemacht. Sie ist recht einfach und berechnet nur die Fläche die ausgehend von der Minimalentfernung erfasst wird, bis der ganze Mond abgelichtet ist. Würde man JUICE mit dem derzeit leistungsfähigsten CCD Chip ausstatten und die gleiche Optik wie Galileo verwenden, ein Bild alle 1,2 s machen (Auslesezeit beträgt 1 Bild/s), so könnte man Europa bei einer Vorbeifluggeschwindigkeit von 20 km/s zwischen 1000 und 8400 km komplett erfassen mit einer Auflösung von 34 m/Pixel.

Bei Galileo war es noch die zehnfache Distanz (85600 km) und eine Auflösung von 870 m/Pixel (auch weil dort die Pixelgröße weitaus größer war), bei ansonsten gleichen Simulationsparametern.

Noch gravierender sind die Änderungen bei abbildenden Spektrometern. Galileo war die erste Raumsonde die eines einsetzte. Dort gab es 20 Elemente. Das leistungsfähigste heute eingesetzte hat 640 x 480 Elemente, verfügbar sind bis zu 1024 x 1024 Pixel. Sie können gleichzeitig ein Bild in bis zu 1024 Spektralkanälen erzeugen und erzeugen so auch eine enorme Datenmenge. Verglichen mit den wenigen Elementen von Galileo ist der Sprung enorm. Sowohl in der räumlichen Auflösung wie auch der spektralen Auflösung.

Mehr noch: Verwendet man dieselben CCD als Kamerachips so kann man Aufnahmen im mittleren Infrarot anfertigen. Das erlaubt es auf der Nachtseite Aufnahmen anzufertigen, wenn auch in niedriger Auflösung, da die Chips die dort abgegebene Wärmestrahlung detektieren können, ausreichende Kühlung vorausgesetzt.

Auch andere Instrumente haben sich weiterentwickelt. So sind nun erstmals Magnetometer fähig ein dreidimensionales Abbild der Plasmaumgebung anzufertigen. Staubdetektoren können nicht nur Masse und Geschwindigkeit, sondern auch chemische Zusammensetzung erforschen.

Das alles wäre aber relativ nutzlos, gäbe es nicht die Möglichkeit die Daten schnell und sicher zu speichern. Galileo arbeitete noch mit einem Bandrekorder. Wer jemals mit einem der Gerät zu tun hat, weiß wie schnell und zuverlässig die sind. Heute gibt es auch in Raumsonden Solid State Disks, bestehend aus Flash-ROM Bausteinen – in etwa dieselbe Technologie wie bei der SSD zuhause. Da gehen Hunderte von Gigabytes drauf und es wiegt fast nichts. Begrenzend ist dann vielmehr, dass man alles auch übertragen muss, selbst wenn man die Daten innerhalb kürzester Zeit gewinnen konnte, muss man sie doch langsam zur Erde übertragen. New Horizons zeichnet 107,8 GBit auf, von denen aber trotz Komprimierung nur ein Teil übertragen wird. Es würde sonst (wegen der kleinen Hauptantenne und schwachen Sendern) zu lange dauern.

4 thoughts on “Sind Vorbeiflugmissionen außer der Mode?

  1. Einen wichtigen Aspekt finde ich das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag. gerade Missionen ins äußere Sonnensystem sind langwierig, es dauert Jahre, bis die Sonde überhaupt in die Nähe des Zieles kommt. Die Voyager-Sonden waren aufgrund der besonderen Planetenkonstellation, die ein Anfliegen aller vier Gasriesen zumindest durch Voyager 2 ermöglichte, eine Ausnahme und Pioneer 10 und 11 waren, wie der Name schon sagt, Pioniere. Wenn die Pionierzeit aber vorüber ist und die technischen Möglichkeiten bestehen, ein Zielobjekt langfristig aus dem Orbit zu beobachten, dann sollte man das auch möglichst umfassend tun. Eine Raumsonde, die mehrere Jahre zu ihrem Ziel unterwegs ist, sollte vor Ort dann auch so viele Aufgaben wie möglich so lange wie möglich ausführen können, alleine schon, um dem Aufwand des Anfluges einen angemessenen Ertrag entgegen zu setzen. Falls jemals nochmal ein Schwerstlastträger wie Saturn 5, Energija oder das SLS zur Verfügung steht, könnte auch eine Clustermission interessant werden, die eine ganze Ladung von Tochtersonden mitführt und diesen als Träger und Relaisstation dient. Jupiter und Saturn geben sicherlich ausreichend Ziele für ein solches Vorhaben ab.

  2. Also bei den Monden eines Riesenplanet, ist es meiner Meinung nach keine reine Vorbeiflugmission. Durch die geschickte Orbitwahl kann man ein Ziel über einen längeren Zeitraum immer wieder ansteuern, dadurch auch zeitliche Veränderung sehen. Entdeckt man etwas besonders kann man es dann gezielt anfliegen. Bei Cassini war das so, Titan wurde über hundert Mal angeflogen. Dann entdeckte man die Geysir auf Enceladus, wo durch der Mond ins Visier kam, und man dann viele gezielte Flybys machen konnte.

    Bei einem Titanorbiter könnte man alles andere nur von sehr weitem sehen. Von Titan hätte man sehr Infos.
    Man muss halt abwägen.

    Bei Plantensonden ist der Ertrag von einem Vorbeiflug zu klein. Man hätte sicher bei New Horizon einen Plutoorbiter statt eine Vorbeisflugsonde gebaut, aber dies ist heute noch nicht möglich.

  3. Ein Plutoorbiter wäre auch mit der heutigen Technik durchaus möglich. Daß man es nicht so gemacht hat, hat zwei Gründe. Der Hauptgrund waren die Kosten. New Horizons ist ja eine Sparmaßnahme, weil vorhergehende Projekte zu teuer waren. Der zweite Grund ist die Flugzeit. Zum Einschwenken in den Planetenumlauf wird Treibstoff gebraucht. Und zwar um so mehr, je schneller die Sonde ist. Minimal wäre der Treibstoffverbrauch bei einer Bahn, bei der der sonnenfernste Punkt genau bei der Plutopassage erreicht wird. Der geringere Treibstoffverbrauch wird dabei aber mit einer recht großen Flugzeit erkauft. Durch den größeren Treibstoffvorrat wäre die Sonde dann aber so schwer geworden, daß sie zum Schwung holen den Jupiter nicht mehr direkt anfliegen kann. Ein Beschleunigen durch mehrere Passagen an Erde, Venus oder Mars wäre dann nötig, was die Flugzeit dann zusätzlich um einige Jahre verlängert hätte.

  4. Pluto ist recht klein und hat eine niedrige Fluchtgeschwindigkeit, gerade mal 1,1 km/s. Entsprechend kann Pluto der Sonde kaum helfen, die relativ zur Sonne nötigen Bahnkorrekturen (salopp werden die meist als „einfangen“ bezeichnet) durchzuführen. Eine Sonde, die vom Inneren des Sonnensystems kommt, muss für das Einschwenken in die Pluto-Bahn also einen großen Teil der Pluto-Bahngeschwindigkeit von 4,666 km/s aufbringen, zusätzlich zum Abbau des Geschwindigkeitsüberschusses in radialer Richtung von der Sonne weg. Ein Delta-V von 5 … 6 km/s ist für Planetensonden aber absolut unüblich!

    Mit Gravity Assist von Uranus oder Neptun wäre es natürlich möglich, das zum Schluss benötigte Delta-V zu reduzieren, aber die beiden Planeten befinden sich aktuell in der falschen Position dafür, nämlich „vor“ Pluto statt dahinter. Mit Gravity Assist vom Saturn hat man wiederum ein recht hohes Delta-V beim Pluto.

    Die sinnvollste Option für eine Einfangmission zu Pluto ist sicher nuklear-elektrisch. Doch dafür fehlt den USA schon ein geeigneter weltraumtauglicher Reaktor. Mit RTGs hat man wiederum zu wenig Strom zur Verfügung.

    Kai

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