COTS und CRS – Industriepolitik anstatt Sicherheit und Kostenbewusstsein
Nun da alle COTS bejubeln, wird es mal wieder Zeit mal ein bisschen Essig in den Wein zu schütten – das ganze hätte man nämlich billiger, effizienter und früher haben können. COTS wird ja gefeiert und zwar weil es ein Festpreis-Kontrakt ist und die NASA nur Kunde ist. Das Erstaunliche was gefeiert wird, ist dass dieses Konzept tatsächlich funktioniert hat und nur 42% teurer war als geplant. (ja Festpreiskontrakt ist ein dehnbarer Begriff, wenn man 278 Millionen und drei Flüge ausmacht und dann 396 Millionen für zwei Flüge zahlt). Auch bei OSC wird es teurer: 388 Millionen anstatt 170 Millionen.
Es folgt nun das CRS, bei dem nun 3,5 Milliarden für den Transport von 41 t Fracht bezahlt werden. Die NASA feiert auch das, weil man nun ja nur noch für Servies zahlt. Auch hier ist der Begriff dehnbar, wenn SpaceX schon vor dem ersten CRS Flug 337,5 Millionen Dollar erhalten hat, also soviel wie zweieinhalb Füge kosten. Welche Services sind denn „nichts transportiert“? Mal sehen wenn es einen Fehlstart gibt ob dann tatsächlich umsonst nachgeliefert wird.
Was die wenigsten wissen. Es geht nicht um die ISS Versorgung. Die ist völlige Nebensache und wird ja jetzt schon von Europa, Russland und Japan bestreiten. Was bitte haben die USA im letzten Jahr an Fracht zur ISS gebracht? Es geht um Industriepolitik.
Bei der ersten COTS Runde gab es jede Menge Newcomer. Aber es gab auch etablierte Firmen. Boeing wollte mit der Delta IV das ATV starten und Lockheed Martin mit der Atlas V ebenfalls ATV und HTV.
Die Frage: Warum hat man die nicht genommen. Für einen logisch denkenden Menschen gibt es folgende Vorteile:
- Trägerraketen und Transporter existieren. Es gibt also keine Lücke
- Trägerraketen und Transporter sind bis COTS abgeschlossen ist, erprobt und sicher
- Es werden mehr Transporter gefertigt und sie werden dadurch durch höhere Stückzahl billiger.
- ATV und HTV haben höhere Nutzlastkapazität, es werden also weniger Flüge gebraucht.
Schauen wir es uns erst mal genauer an. Die Standard Delta IVM kann maximal 13.452 kg zur ISS befördern, das ist für das ATV, das vollgefüllt bis zu 20,75 t wiegen kann zu wenig. Man benötigt dann die Delta IVH. Die kann 21.792 kg starten, ist also leistungsfähig genug, gilt aber als sehr teuer. Der letzte Flug soll 254 Millionen Dollar gekostet haben. Die Atlas 551 hat eine Nutzlast von 20.520 kg, das reicht für das ATV aus. Bei dem HTV reicht eine Atlas 531 mit 17.520 kg Nutzlast aus. Die Trägerraketen können es also wuppen.
Dann die Vehikel. Das ATV ist leider suboptimal. Das Problem des ATV ist dass es eine eierlegende Wollmilchsau ist, das nach dem Ausmustern des Shuttles leider mit einem veränderten Einsatzspektrum zu tun hat, Als er konzipiert wurde, war das Shuttle für den Mannschaftstransport und Frachttransport vorgesehen. Das Shuttle konnte Fracht im Druckmodul und ohne Druck auf Paletten transportieren, aber weder die Station anheben, noch mit Treibstoff versorgen, noch Gase oder viel Wasser transportieren. Das sollte das ATV leisten. Mehr noch: damit das Shuttle viel Nutzlast transportieren kann, sollte die ISS auf einer erdnahen Umlaufbahn bleiben. Die beiden letzten ATV haben/werden die ISS um 60 km anheben. Beim aktiven Shuttle entspricht diese Höhenanhebung 3.000 kg Frachtverlust pro Flug oder 12.000 kg pro Jahr. So war es billiger wenn die ISS mit dem Shuttle versorgt wird sie in einer erdnahen Bahn zu lassen und stattdessen mit dem ATV einmal pro Jahr die Bahn moderat anzuheben um das absenken auszugleichen. Dafür wurde das ATV ausgelegt.
Nun hat man aber sich an das Ausbleiben der Shuttles angepasst. Die ISS zieht nun in 400 anstatt 350 km Höhe ihre Kreise – sie braucht weniger als halb so viel Treibstoff. Wasser wird mehr zurückgewonnen um weniger Fracht zu transportieren, vor allem fehlt nun aber die Transportfähigkeit von Fracht im Druckmodul.
Das HTV sollte dagegen schon immer nur Fracht im Druckmodul befördern und kann zudem Paletten transportieren, also genau das gleiche Einsatzspektrum wie das Shuttle. Es wäre daher der ideale Ersatz.
Kommen wir zu dem, was stattdessen entwickelt wurde. Da haben wir die Cygnus. Eine an und für sich gute Lösung: Damit es nicht zu teuer wird bedient man sich bei anderen Transportern. Die Hülle des Druckmoduls ist die des ATV, nur im Durchmesser verringert. Annäherungssensoren stammen ebenfalls von ATV/HTV. Der Bus selbst von Kommunikationssatelliten von OSC.
SpaceX preist seine Dragon zwar als eierlegende Wollmilchsau, hat aber im Grunde das gleiche Problem wie die ESA. Sie hat ein Vehikel entwickelt, das für den jetzigen zweck suboptimal ist. Das Problem ist das die Kapsel ein viel zu kleines Volumen hat – 10 m³, gegenüber 18,75 beim Cygnus. Der dritte ATV ist vollgepackter als der zweite, und trotzdem startete er mit weniger Fracht. Warum? weil er weniger Treibstoff transportiert und die Fracht zu voluminös ist. Bei der Konzeption der ISS gingen die Raumfahrtagenturen von einem durchschnittlichen Gewicht von 500 kg/m³ aus. Tatsächlich sind es aber nun nur 240 kg/m³. Das Volumen ist zu klein. Trotz weiterer Befestigungsmöglichkeiten kann das ATV seine Maximalfracht nicht ausnützen und das gilt auch für die Dragon.
Das gleiche Problem hat nun auch SpaceX. Mag ihre kommende Falcon 9 v1.1 nun endlich die Nutzlast haben, um nennenswert Fracht zu transportieren. In die kleine Kapsel passt sie nicht rein. Flug 1+2 haben nach derzeitiger Planung nur jeweils rund 1.280 kg Nutzlast. Dazu kommt noch der Trunk, wo man weitere Fracht unterbringen kann. Doch da die letzten Shuttles sehr viele Ersatzteile, die außen gelagert werden, (sogenannte ORU’s) befördert haben gibt es erst mal nicht den großen Bedarf. Er wird erst in einigen Jahren ansteigen. Insgesamt rechnet die NASA bei CRS mit 2/3 Fracht im Druckmodul und 1/3 ohne Druckausgleich. So kommt SpaceX maximal auf 2 t pro Flug und da nützt es nix, wenn die Rakete auch 6 t wuppen könnte. Da die gesamte „Downmass“ auch nur 1,5 t pro Jahr beträgt kann man auch damit die Defizite in der Upmasse Bilanz ausbessern.
Ein weiterer Vorteil: Weniger Gedränge. HTV, Cygnus und Dragon werden alle drei an dem letzten verbliebenen CBM andocken. Es sind derzeit drei Flüge der Dragon, zwei der Cygnus und ein HTV pro Jahr geplant. Die Folgen wenn es zu Startverschiebungen gibt kann man sich denken. Dazu gibt es bei allen Transportern himmelsmechanische Einschränkungen und das Problem, dass zu bestimmten Zeiten die Solarzellen der ISS den Rendezvouspfad beschatten, was bei Cygnus und Dragon ein No-Go ist.
Mit dem nachgebauten HTV kann man drei Dragon und etwas mehr als zwei Cygnusflüge ersetzen, entschärft also das Gedränge und es ist wegen der Solarzellen auf der ganzen Außenseite immun gegen den Beta-Cut out.
Kommen wir zur Rechnung. Ein HTV kostet derzeit 140 Millionen Dollar in der Fertigung, die Atlas 551 für Juno kostete 221 Millionen Dollar. Das sind Startkosten von 361 Millionen Dollar für 6 t Nutzlast also 60.200 Dollar pro Kilogramm Nutzlast. Nach den CRS Verträgen bezahlt die NASA OTS 1,9 Milliarden für 20 t Nutzlast (95.000 Dollar/kg) und SpaceX 1,6 Milliarden für ebenfalls 20 t (80,000 Dollar/kg) – man sieht schon es ist billiger.
Mehr noch: Diese Zahlen gehen von den Preisen wie sie nun vorliegen aus. Nun wird aber eine Produktion von zwei bis drei Exemplaren pro Jahr die Kosten senken. Gemäß einem Lernkurvenfaktor von 0,8 (konservative Annahme) sind es 13% Ersparnis oder 122 Millionen Dollar pro HTV. Auch die Atlas wird billiger. Nimmt man vorher 5 Flüge pro Jahr an und sind es nun 6, so sinken die Fertigungskosten nach demselben Gesetz um 8 Millionen Dollar. Weitere 8 Millionen wird die NASA sparen, da diese Einsparung für alle Träger gilt und sie pro Jahr mindestens einen bestellt.
Macht also: 122+213-8 Millionen Dollar = 327 Millionen Dollar oder 54.500 Dollar pro Kilogramm. Hochgerechnet auf das ganze CRS Programm sind das 2,18 Milliarden Dollar oder eine Ersparnis um 1320 Millionen Dollar.
Aber ich sage euch nichts neues. Es ging ja nicht um eine kostengünstige Lösung, es ging um die Förderung von Industrien. Was aber erschreckend ist: das man dafür die ISS riskiert. Man sollte ja naiv meinen wenn man für 100 Milliarden Dollar die ISS aufbaut, man hätte ein vitales Interesse daran, dass die Versorgungsflüge (Fracht und Personen) unterbrechungsfrei und redundant sind. Stattdessen begann man erst 3 Jahre nach der Columbiakatastrophe mit COTS, wählt dort erst mal Firmen die keine Erfahrung haben und zumindest alles neu entwickeln müssen (vor OSC war ja Kistler der Gewinner, die gingen dann noch nach wenigen Monaten Pleite). Beim Mannschaftstransport ist es ja noch schlimmer, da gibt es seit zwei Jahren nur Vorentwicklungsaufträge. Glaubt wirklich jemand bis 2016 sind da Vehikel fertig? OSC und SpaceX sind nun ja schon um 32 Monate und >18 Monate hinter dem Terminplan hinterher. 2011 und 2012 hängt die Versorgung der ISS ganz von den internationalen Partnern ab, die zwar nur wenig zu sagen haben, aber doch viel Fracht liefern dürfen. Ja die dürfen das Chaos bei der NASA ausbügeln.
Zugegeben, es gibt nicht nur Chaos bei der NASA. Russland ist wieder klamm bei Kasse und redet offen drüber die Aufenthaltsdauer auf 270 Tage zu erweitern (derzeit 180 Tage, mit Shuttle waren 90 geplant) oder ab und an die Besatzung nur auf drei zu reduzieren …. Vielleicht überlegt man sich unter diesen Vorzeichen doch noch mal den Betrieb über 2016 hinaus.
Die gesamte private Entwicklung ist auch rein finanziell betrachtet eine reine Selbstverarschung. Man hofft ja, daß die Firmen einen Teil der Entwicklungskosten aufbringen, und rechnet das als Einsparung für die NASA ab. Das Problem dabei: Keine Firma kann es sich leisten, Milliarden einfach zu verschenken. Das Geld für die Entwicklung wird dann samt Zinsen auf den Preis aufgeschlagen. Unterm Strich zahlt damit die NASA eher mehr als weniger. Der einzige „Vorteil“: Man kann das Problem der Finanzierung seinem Nachfolger überlassen. Eine Denkweise, die gerade in der Politik weit verbreitet ist. Warum soll man ein Problem lösen, wenn man es auch verschieben kann? Wie auch bei uns mit der Schuldenbremse. Sich weiter verschulden ist in Ordnung, nur nicht so schnell daß es schon in der eigenen Amtszeit zum Zusammenbruch kommt.
Ich denke mal, bei den Trägern ist deine Rechnung etwas zu optimistisch. Sowohl Delta 4 als auch Atlas 5 können diese hohen Nutzlasten nicht aus dem Stand befördern. Die Oberstufen haben ein strukturelles Limet deutlich unter dem Gewicht der Transporter. Hier müssten die Oberstufen modifiziert werden, zudem müsste bei der Atlas 5 eine Centauer mit 2 Triebwerken eingesetzt werden. Das dürfte die Kosten der Träger etwas erhöhen.
Das HTV und die H-IIB Rakete werden also ganz selbstverständlich billiger wenn sie häufiger starten, ebenso wie die Atlas 5. Diese werden auch entgegen jeder Realität beliebig kombiniert … während schon die Möglichkeit sinkender Preise für Falcon 9 und Dragon an keiner Stelle diskutiert wird und noch dazu alle Berechnungen anhand eines Vorserienmodells vorgenommen werden.
Die exklusive Möglichkeit signifikante Frachtmengen zur Erde zu bringen hat desweiteren einen Wert von Null.
Das ist doch mal objektiv.
In Serienproduktion wird alles etwas billiger. 20% klingt da realistisch. das gilt auch für die falcons.
Leider gibts keine zahlen zu spacex‘ raketen, weil die immernoch am üben sind.
es gibt auch keine rakete von spacex die in serienproduktion gegangen ist. das sind alles prototypen.
2013 wollen sie „jeden monat eine“ starten. ich bezweifle das aus dem einfachen grunde weil zu ambitioniert. aber dann sehen wir ja wie teuer die ist.
downmass ist egal, wenn keiner es bestellt oder dafür bezahlt.
atv nachfolger atr soll das dann auch können, falls das ding gebaut wird.
Es handelt sich um das Konzept der Erfahrungskurve
http://de.wikipedia.org/wiki/Erfahrungskurve
das ich bei der Berechnung angenommen habe, dabei bin ich nur von einem HTV Start ausgegangen. Bei zwei siehts anders aus.
Man wird immer über Startkosten debattieren können, aber SpaceX und OSC haben ja einen Fixed Price Kontrakt da ist dies sicher berücksichtigt und bestimmt würden auch LM und Boeing günstigere Konditionen anbieten, wenn es ein größerer Auftrag wäre.
Doch um die Kosten geht es nur bedingt. Es geht vielmehr darum, dass man meiner Meinung nach wenn man die ISS schon politisch will, für eine Kontinuität sorgen muss, also dass wenn man 2003/4 den Shuttle Ausstieg plant und ihn 2006 formell besiegelt, man rechtzeitig für Ersatz sorgt und nicht viele Jahre verstreichen lässt
Zur „Downmas“. Ich habe bisher nicht gehört, dass dies ein Bestandteil von Verträgen ist. Dies kann sicher noch kommen, denn wie in dem einen Dokument referentiert gibt es ja einen Bedarf von 1,5 t pro Jahr. Was da draus wird muss man sehen. Ich denke SpaceX wird da einen Vertrag bekommen, aber derzeit gibt es keinen.
Nur kann ich bei Verträgen eben mich nur auf die ausgehandelten Vertragsbedingungen beziehen, wenn ich vergleiche.
Interessanterweise gehts schon wieder mit SpaceX los, dabei spreche ich ja von COTS und CRS und das schließt auch OSC ein und ich wäre genauso kritisch wenn LM eine neue Rakete und einen neuen Transporter genommen hätte, denn es geht ja um die Versorgung der ISS und nicht um Industriepolitik.
Hallo,
das Problem von all jenen, die an der kommerziellen Raumfahrt herumkritisieren, ist eine reduktionistische Sichtweise.
Ob die Entwicklungen von SpaceX und Co jetzt gleich und direkt betrachtet die Kosten senken (darüber kann man natürlich diskutieren und sollte es auch), ist dennoch viel weniger wichtig als der Faktor Psychologie. Die Erfolge von SpaceX, der „Mythos“ von Elon Musk, die vielen jüngsten Ankündigungen privater Raumfahrtinvestoren (von denen natürlich manche auf der Strecke bleiben werden) bringen die Leidenschaft und den Pioniergeist im Bereich Raumfahrt voran – und genau der Mangel an Leidenschaft und Pioniergeist war und ist Schuld daran, dass man sich seit Jahrzehnten an keine großen Schritte (wie den Mars) heranwagt und es überhaupt keine zugkräftige Raumfahrtvision rund um den Globus gibt.
VG
Hoch lebe der Pioniergeist!
Der Haken dabei ist blos, dass der in einem Volk nicht so recht aufkommt, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung mehr mit existentiellen Fragen beschäftigt ist, die dem Erhalt der Unterkunft oder die nächste Mahlzeit betreffen. Und auf der anderen Seite scheint er bei denen, die diese Probleme nicht haben, auch nicht wirklich vorhanden zu sein.
Von daher vermute ich, dass Bernd mit seiner Einschätzung ziemlich richtig liegt: Es geht um Industriepolitik. Des weiteren ist die ISS für die Politik dann interessant, wenn man damit positive Schlagzeilen erzeugen kann, aber sonst völlig egal.
Entscheidend ist nicht der Pioniergeist der Leute, die nichts zu essen haben. Entscheidend ist der Pioniergeist der Leute, die die Gelder für die Raumfahrt bewilligen. Und der scheint in Indien und China deutlich stärker zu sein als in Europa oder den USA, die sich ja so viel auf ihren Pioniergeist einbilden.