Sind Möhren gut für die Augen?
Natürlich, oder haben Sie jemals einen Hasen mit Brille gesehen? Nein Spaß beiseite. Diese Vermutung kommt durch den hohen Gehalt an Provitamin A. Das Vitamin-A hat neben anderen Aufgaben eine Schlüsselstellung beim Sehvorgang. Aus Vitamin A, chemisch als Retinol bezeichnet, wird im Körper Retinal gebildet. Dieses geht mit einem Protein, dem Opsin eine chemische Verbindung ein. Daraus entsteht das Rhodopsin. Es ist verantwortlich, dass wir Licht wahrnehmen können. Das Reinal hat eine Doppelbindung in einer von Chemikern „cis“ genannten Ausrichtung. Licht führt dazu, dass diese in die energetisch günstigere „trans“ Position umklappen kann. Dabei verändert sich jedoch die Struktur des Rhodopsins, denn durch die cis-Doppelbindung hat dieses einen Knick. Das Retinal passt nun nicht mehr in eine Vertiefung des Opsins. Opsin und Retinal trennen sich, und dabei wird ein Nervenimpuls ausgelöst. Dies geschieht bei den Stäbchen, die für die Hellwahrnehmung wichtig sind genauso wie bei den Zapfen, die für die Farbwahrnehmung wichtig sind. Durch Enzyme wird dann das Retinal in die Cis-Form umgewandelt und verbindet sich erneut mit dem Opsin und so wird der Sehfarbstoff erneut gebildet.
Allerdings hat das Retinal in den Augen eine Lebensdauer von 5 bis 13 Tagen. Danach muss es durch Neues ersetzt werden. Liegt nun eine Vitamin-A Unterversorgung vor, so erfolgt dies nicht und wegen der kurzen Lebensdauer des Sehfarbstoffs ist das erste Symptom eines Vitamin-A Mangels die Nachtblindheit, das heißt, man sieht bei wenig Licht fast nichts mehr. Bei genügend Licht ist dies kein Problem mehr.
Die Nachtblindheit gilt als eine der ältesten Vitaminmangelkrankheiten, wenn nicht die älteste und auch eine der bekanntesten. Schon 2500 v.Chr. wurde sie erfolgreich mit Leber behandelt und 400 v.Chr von Hippokrates beschrieben. Bei einem dauerhaften Mangel zeigen sich dann auch andere Vitamin A Mangelsymptome. So ist Vitamin A auch bei der Differenzierung zahlreicher Zelltypen beteiligt. Dies zeigt sich bei den Knochen (Wachstumsstörungen), vor allem aber Schleimhaut- und Hautzellen. Es kommt zu rissiger Haut und dadurch zu Infektionen sowie Fortpflanzungsstörungen durch gestörte Schleimhautbildung. Darüber hinaus ist Vitamin A auch bei der Zellexpression beteiligt.
Vitamin A kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor. Besonders reich sind Eigelb, Käse, Thunfisch, Aal und vor allem Leber und daraus hergestellte Produkte: 10 g Leber decken den Tagesbedarf, da die Leber bei tierischen Organismen eine Speicherfunktion hat – beim Menschen speichert sie so viel Vitamin A wie der Körper in einem Jahre benötigt.
Pflanzen enthalten gar kein Retinol, aber sie enthalten Vorläufermoleküle, die Carotinoide. Bekannt sind rund 100 Verbindungen, aus rund 40 kann Retinol gebildet werden. Jedoch ist der Körper dabei nicht sehr effizient. Bei dem bekanntesten Molekül, dem β-Carotin (sprich: „Beta-Carotin“) rechnet man, damit das aus 6 µg β-Carotin 1 µg Retinol gebildet werden kann, bei den anderen Carotinoiden ist es nur ein Zwölftel. Daher verwendet man heute auch lieber den Ausdruck „Retinol-Äquivalente“, also wie viel Vitamin A entsprechen die Carotinoide in der Nahrung.
Carotinoide haben aber noch eine andere Wirkung. Sie wirken als Antioxidantien im Körper bevor sie zu gespalten und aus ihnen Vitamin A gebildet wird. Die antioxidative Wirkung von Vitamin A ist eher gering. Die der Carotine dagegen erheblich höher, da ihre Moleküle doppelt so groß, wie das Retinol sind. Ihnen wird daher eine krebspräventive Wirkung zugesprochen.
Das β-Carotin (zugelassen als Lebensmittelfarbstoff E160) galt lange Zeit als unbedenklich und es gab keinen Grenzwert für den Zusatz zu Lebensmitteln. Eine Studie zeigte 2003 bei β-Carotin, das von Rauchern aufgenommen wurde, bei hohen Dosen (über 20 mg/Tag, etwa der drei- bis vierfache Tagesbedarf) eine Zunahme der Dickdarmcarcinome um 44%. Seitdem muss bei hohen Dosen ein Warnhinweis angebracht werden. Das β-Carotin kommt in Paprika, Möhren, Kresse, Spinat, Grünkohl, Aprikosen, Brokkoli, aber auch Blattsalat, Endiviensalat, Feldsalat vor. Das verwundert viele, da Salate nicht die typische orange Farbe aufweisen, die man mit dem β-Carotin verbindet, das eine orangene Farbe aufweist und daher auch zum Färben von Süßspeisen und Eis eingesetzt wird. Es wird dort von dem Chlorophyll überdeckt. Man kennt das aber auch vom Herbst – wenn die Pflanzen das Chlorophyll aus den Blättern ziehen, so werden diese orange bis rot, weil man nun die Carotinoide und andere Pflanzenfarbstoffe sieht – bis auch diese abgezogen werden und die braunen Gerbstoffe übrig bleiben.
Zurück zu den Möhren. Mit einem Gehalt von rund 1,2 mg Retinoläquivalenten sind Möhren wirklich die wichtigste pflanzliche Quelle für dieses Vitamin. Aber dicht auf den Fersen sind Süßkartoffeln mit 1 mg und Petersilie und Löwenzahnblätter enthalten noch mehr, werden aber kaum gegessen. Feldsalat, Grünkohl und Spinat enthalten aber auch 0,65 bis 0,8 mg/100 g. (Der Tagesbedarf beträgt 0,8 mg für Frauen und 1,0 mg für Männer). Zudem ist die Resportionsrate bei diesen Lebensmitteln erheblich höher, da die Karotten doch sehr feste Zellstrukturen haben und man Spinat und Kohl eher in gekochter Form zu sich nimmt als gelbe Rüben. Auch scheint es sehr individuelle Unterschiede zu geben, wie effektiv der Körper aus dem Provitamin das eigentliche Vitamin bilden kann.
Die Situation ist in Deutschland so, dass eher eine tendenzielle Unterversorgung vorliegt, insbesondere von den Carotinoiden, wird nur 50% der Empfehlung erreicht. Etwa die Hälfte des Vitamin A sollte aus tierischen Nahrungsmitteln stammen, die andere Hälfte aus Pflanzen. Vom β-Carotin sollte man 2-4 mg jeden Tag zu sich nehmen, dass ist nicht mal eine normalgroße Möhre, denn diese enthalten rund 12 mg des Provitamins pro 100 g..
Mal eine Frage: Ich will die Fragen wie schon erwähnt ja auch für mein Buch verwenden. Also genauer gesagt diesen Antworttext. Ist das in der Form schon zu ausführlich?
> Aus Vitamin A, chemisch als Retinol bezeichnet, wird
> im Körper Retinol gebildet.
Hää? – Einer davon müsste doch eher Retin_a_l heissen, oder?
Für viele Leser könnte das etwas zu viel Chemie sein, den Mechanismus mit den cis- und trans-Formen solltest Du vielleicht etwas einfacher beschreiben. Davon abgesehen finde ich die Menge an Antworttext genau richtig.
Moin,
manche Themen sind so komplex, dass sie nur schwer kürzer dargestellt werden können. Dann lieber etwas länger, und dafür richtig.
ciao,Michael
PS: J.R.R. Tolkien meinte mal: Wenn du schon kein großes Buch schreiben kannst, so schreib wenigstens ein dickes 😉
Ich fühle mich eher verarscht, wenn die Antwort zu kurz ausfällt. Vielleicht könntest du die Antwort so gliedern, dass es zuerst eine kurze einfach Antwort folgt, und danach eine längere, die auch für Fortgeschrittene interessant ist.
Der heutige Text fand ich bis jetzt am besten.
„cis“ und „trans“ könnte man am Anfang des Buch bildlich erklären, da dies öfters vorkommt. Ich finde, das nicht so schwierig, wenn man es auf Bilder sehen kann.