Bernd Leitenbergers Blog

Militärische bemannte US-Raumfahrt 2

So, heute geht es weiter im Artikel über bemannte millitärsische US-Raumfahrt und zwar mit den Projekten Blue Gemini und MOL. Im dritten und letzten Teil übermorgen geht es um die Einflussnahme des Militärs auf die Konzeption des Space Shuttle.

So begann die Air Force mit ihrem Blue Gemini Programm. Die NASA sagte unter der Bedingung zu, das Gemini nach Plan verläuft. Auf diese Weise könnten USAF-Astronautenkandidaten ab Gemini 8 in den Flugplan eingeflochten werden. Früher als Gemini 8 wäre keine Option gewesen, weil für Apollo genügend Astronauten mit EVA und Docking Training im Weltraum verfügbar sein mussten. Ursprünglich wollte die Air Force die erste Gruppe bis zum September 1964 auslesen, damit sie noch bei Gemini mitfliegen konnten. Doch im Laufe des Jahres 1964 hatte die Air Force ihre Planungen geändert: Die US Luftwaffe plante jetzt eine kleine Raumstation mit einer Titan 3C zu starten. Diese wäre von Gemini Kapseln versorgt worden. Zwei Typen von modifizierten Gemini Raumschiffen wurden zuerst untersucht. Zum einen ein reines Versorgungsraumschiff, bei dem McDonnell alle Systeme entfernt hatte, welche nur für die Besatzung notwendig waren. Dieses Raumschiff hätte die Bahn der Raumstation periodisch angehoben und Verbrauchsgüter wie Gase und Wasser transportiert. Es wäre ein amerikanisches Gegenstück zu den Progress Raumkapseln gewesen. Diese Idee eines reinen Versorgungsraumschiffs wurde später wieder verworfen. Ein zweites Gemini Raumschiff hätte die Besatzung zur Raumstation gebracht.

Damit war eine Beteiligung am zivilen Programm hinfällig. Auch die Beziehungen zwischen NASA und DoD hatten sich verschlechtert, als das DoD forderte, Gemini sollte vom DoD durchgeführt werden und die NASA sollte sich auf Missionen beschränken, die einen Erdorbit verließen. Die erste Astronautengruppe für das Projekt wurde im November 1965 rekrutiert. Die Raumstation selbst sollte nach sechs Testflügen der Titan 3C starten. Zu diesem Zeitpunkt war dies für das Jahresende 1966 vorgesehen. Es folgten zwei weitere Gruppen im Juni 1967 und Juni 1968. Insgesamt 17 Astronauten wurden für das Programm rekrutiert, darunter Robert Lawrence, der erste Astronaut afroamerikanischer Herkunft. Er starb bei einem Flugzeugabsturz im Dezember 1967.

Die modifizierte Gemini für militärische Zwecke wurde „Gemini B“ („B“ für Blue) genannt. Die ersten Planungen sahen ein Fahrwerk für Landungen auf festem Boden und einen Rettungsturm vor. Dafür entfielen die Schleudersitze, um mehr Platz in der Kapsel zu haben.

Da die Besatzung bei den Gemini Kapseln durch Luken ein- und ausstieg, und dies bei einer Raumstation nicht sinnvoll war, machte dies den Einbau eines Verbindungstunnels durch das Servicemodul notwendig. Dadurch war auch der Hitzeschutzschild nicht mehr aus einem Stück. Es gab eine 0,635 m durchmessende Luke im Schild, durch die die Astronauten in die Station wechseln konnten. Anfangs war ein aufblasbarer Verbindungstunnel geplant. Doch diese Idee wurde verworfen.

Die Gemini B Kapsel wurde mit der Station in einen Orbit gebracht. Sie musste also nicht an diese ankoppeln und benötigte nur Reserven für die Zeit nach dem Abkoppeln, dem dann sehr bald die Landung folgte. Die Kapsel wurde daher für Kurzzeitmissionen umgerüstet. So war es beispielsweise die Energieversorgung mittels Batterien geplant und Druckgas ersetzte das Flüssiggas. Andererseits mussten alle Systeme für eine Missionsdauer von 30-40 Tage ausgelegt werden. Die Kapsel wurde strukturell verstärkt, um die Integrität im Falle eines Einsatzes des Rettungsturmes gewährleisten zu können. Der Hitzeschutzschild wurde dicker, um auch steilere Wiedereintrittstrajektorien durchfliegen zu können.

Diese Kapsel und die Luke im Hitzeschutzschild wurden bei einem unbemannten Start erprobt, als am 3.11.1966 die dafür umgebaute Gemini 2 Kapsel beim Jungfernflug der Titan 3C erprobt wurde. Dabei wurde ein Profil geflogen, das den Hitzeschutzschild stärker belastete als bei einem normalen Gemini Flug. Anstatt der Raumstation wurde bei diesem Testflug ein leerer Titan 2 Treibstofftank genommen und dieser mit Ballast gefüllt. Das System erfüllte die Kriterien und wurde als tauglich befunden.

Nach dem Flug von Gemini 6 wurde die Kapsel für Trainingszwecke dem MOL-Programm zugeordnet.

Gemini B Kapsel
Startgewicht (mit Rettungsturm) 3.851 kg
Gewicht im Orbit: 2.767 kg
Länge: 4,91 m
Durchmesser Kapsel: 2,32 m
Durchmesser Ausrüstungseinheit: 3,05 m
Betriebsdauer: 14 Stunden
Orbit Verweildauer: Maximal 40 Tage
Wiedereintrittseinheit 1.983 kg
  Davon Struktur 638 kg
  Davon Hitzschutzschild 144 kg
  Davon Lageregelungssysteme 163 kg
  Davon Rückkehrsystem, Fallschirme, Bergungsausrüstung 98 kg
  Davon Navigationsausrüstung 62 kg
  Davon Steuerungssystem 51 kg
  Davon Stromversorgungssystem 126 kg
  Davon Kommunikationssystem 26 kg
  Davon Besatzung und ihre Ausrüstung 426 kg
  Verschiedenes und Reserven 100 kg
Adaptermodul 738 kg
  Davon Struktur 131 kg
  Davon Transfertunnel 82 kg
  Davon Bremstriebwerke 231 kg
  Davon Stromversorgung 92 kg
  Davon Umweltkontrollsystem 117 kg
  Davon Fernsteuerungssysteme 40 kg
  Verschiedenes und Reserven 50 kg
Rettungsturm 1.134 kg
  Davon Restmasse nach Abtrennung 90 kg

MOL

Das eigentliche Kernstück war die zusammen mit der Gemini B Kapsel gestartete militärische Raumstation MOL (Manned Orbital Laboratory). Im USAF-System der Aufklärungssatelliten des Keyhole Programmes erhielt sie das Kürzel „KH-10“. Das MOL hätte einen Durchmesser von 3.05 m und eine Länge von 11.24 m gehabt. Ein Teleskop in der Raumstation hätte Aufnahmen von hoher Auflösung ermöglicht. Die manuelle Bedienung durch die Besatzung sollte eine höhere Ausbeute an brauchbaren Aufnahmen ergeben. Der Film wäre in vier Rückkehrkapseln während einer Mission zur Erde zurückgebracht worden, bevor die Besatzung das MOL verlassen hätte. Mindestens fünf Raumstationen waren geplant. MOL sollte modular aufgebaut sein; bestehend aus einem austauschbaren Experimentalteil, der bis zu 2.700 kg an Instrumenten aufnehmen sollte, einer zweiteiligen Mannschaftskabine und einem Versorgungsteil. Ursprünglich bestand MOL aus je einem Drittel Mannschaftskabine, Überwachungs- und Kontrollraum mit dem Teleskop sowie einem Ausrüstungsteil mit den Gasen, Treibstoffen und den Triebwerken. Das erste Konzept hatte in dem Ausrüstungsteil noch einen zweiten Einstiegstunnel. Ob er für ein Rettungsraumschiff oder den Besatzungsaustausch vorgesehen war, ist offen.

Im Laufe der Zeit wurde MOL immer komplexer und schwerer. Der Tunnel entfiel und die Mannschaftskabine wurde deutlich größer. Die dritte Stufe der Titan 3C sollte mit der Station verbunden bleiben und die Bahn bei Bedarf korrigieren. Auf den veröffentlichten Bildern war die Gemini Kapsel beim Start schon an MOL angebracht gewesen. Wahrscheinlich wäre jede Station von nur einer Besatzung benutzt worden. Die Startmasse stieg von 11,34 auf 14,47 t, wodurch MOL eine größere Trägerrakete gebraucht hätte, genannt „Titan 3M“. Dabei hätte es sich um eine Titan 3C mit verlängerten Boostern gehandelt, welche aus sieben anstatt fünf Segmenten bestanden. Das Konzept der Titan 3M wurde bei der Titan 4 erneut aufgegriffen.

Die Kosten des Programms steigen stetig von 1,5 bis auf 3 Milliarden Dollar. Der sich ausweitende Vietnamkrieg machte den Träumen von einer militärisch genutzten Raumstation ein Ende. Im Juni 1969 wurden die Arbeiten an der Raumstation eingestellt. Wesentliche Details des Projektes unterliegen heute noch der Geheimhaltung. Die Sowjetunion baute dagegen eine militärische genutzte Raumstation unter der Bezeichnung „Almaz“ und startete diese zusammen mit zivilen Modellen im Saljut Programm. Almaz hatte eine Gemeinsamkeit mit MOL: Die frühen Stationen waren nicht für eine Versorgung ausgelegt. Sie waren nach Verbrauch der Treibstoffe, der Nahrung und Gasvorräte nutzlos. Auch dieser Aspekt führte wahrscheinlich zur Einstellung des Programmes: Es war schlicht und einfach unökonomisch. Die Kamera DORIAN von MOL war enorm groß.  Das Teleskop hatte einen Durchmesser von 50-60 Zoll (127-152 cm). 1965 schlug der Hersteller Perkin-Elmer vor, sogar einen Primärspiegel von 70-72 Zoll Größe zu verwenden. Ein solches Teleskop kann aus einer typischen Flughöhe von 220 bis 310 km Details von 10 cm Größe auflösen (je nach Spiegel). Limitierend war vielmehr das Filmmaterial, was die praktisch erreichbare Auflösung deutlich reduzierte. Die Satelliten des Corona-Programmes erreichten mit Teleskopen von 61 cm Objektivgröße eine Bodenauflösung von 1,8 m. Hexagons Auflösung betrug 60 cm und dieser Satellit war in etwas genauso schwer und groß wie MOL.

Gedacht war an eine Arbeitsteilung: HEXAGON, der nach MOL genehmigt wurde, sollte wie CORONA und GAMBIT größere Gebiete aufnehmen, daher wurde die Auflösung begrenzt um trotz der über 90 km Film große Gebiete ablichten zu können. Die Astronauten an Bord von MOL sollten dann nur von den Zielen detaillierte Aufnahmen machen. Doch um diese zu entdecken brauchte man eben HEXAGON.

Der KH-9 Satellit bot die wesentlichen Vorteile von MOL, ohne eine bemannte und teure Raumstation zu bauen. Er arbeitete auch mit Film in vier, später sechs, Rückkehrkapseln. Die Lebensdauer war bedeutend höher als bei MOL und betrug im Durchschnitt 138 Tage, das letzte Exemplar war zwei Jahre lang aktiv. Der einzige Vorteil von MOL gegenüber dem KH-9 war, dass die Besatzung entscheiden konnte, ob es sich lohnte, ein Ziel zu fotografieren und daher die Auflösung höher war. Später wurden Fernsehkameras in die Satelliten eingebaut auf denen Beobachter in der Missionskontrolle entscheiden konnten, ob es Veränderungen am Boden gab oder Wolken gute Bilder verhinderten. Das Akronym „KH-10“ für MOL wurde niemals neu vergeben. Auf den KH-9 Satelliten folgte das Modell KH-11. Dieser hatte dann auch die Fähigkeit von MOL übernommen, sehr hochauflösende Bilder anzufertigen.

Die US Luftwaffe hatte zum Zeitpunkt der Einstellung der MOL-Entwicklung schon eigene Astronautengruppen für diese militärischen Missionen rekrutiert. Die 17 Astronauten wechselten dann teilweise zur NASA. Robert Crippen wurde erster Copilot einer Shuttle-Mission und flog dreimal ins All. Karol J. Bobko flog auf drei Shuttle Missionen ins All. Gordon C. Fullerton und Robert F. Ovenmeyer absolvierten zwei Shuttle Missionen. Don H. Peterson startete einmal auf der sechsten Space Shuttle Mission ins All. Am höchsten stieg Richard H. Truly auf. Nachdem er Copilot von STS-2 und Kommandant von STS-8 war, wurde er 1986 Direktor der Abteilung bemannte Raumfahrt und von 1989-1992 Leiter (Administrator) der NASA.

Wenige Jahre nach dem Ende des MOL Programmes machte die Erfindung des CCD die Benutzung von fotografischem Film zu einer veralteten Technik. Damit wurde eine bemannte Raumstation zu Aufklärungszwecken überflüssig.

Kurz nach der Einstellung von MOL veröffentlichte McDonnell das Ergebnis der „Big-G“ oder „Big Gemini“ Studie. Dies war das zivile Gegenstück zu MOL. Eine verlängerte und auf 3,98 m Durchmesser verbreiterte Kapsel hätte bis zu neun Astronauten zu einer Raumstation gebracht. Die Astronauten saßen in vier Reihen (2,3,2,2 Astronauten) in der Kapsel, es folgte ein Antriebsmodul und ein begehbares Frachtmodul. Ein Fluchtturm, übernommen von Apollo, war als Rettungsmöglichkeit vorgesehen. Die Landung sollte an einem Paraglider erfolgen. Dieses Raumschiff hätte eine Raumstation mit astronomisch genutzten Teleskopen versorgt. Ein zylindrisches Modul dieser Raumstation sollte 8,54 m lang und 6,58 m durchmessend sein. Die Startmasse wurde auf 18.600 kg geschätzt. Als Trägerraketen wurden die Saturn 1B, Saturn V und Titan 3M untersucht, die Saturn 1B aber verworfen. Das Konzept war somit eine Minimalanpassung des MOL Konzepts für eine große Raumstation. Modernere Systeme sollten später sogar eine Besatzung von 12 Astronauten zulassen.

MOL
Länge: 11,24 m (anfangs), später 21,90 m mit Gemini-B Kapsel
Maximaler Durchmesser: 3,05 m
Startgewicht: 11.340 kg anfangs, später 14.470 kg
Kamera DORIAN 1,52 m Durchmesser anfangs, später auf 1,78 m vergrößert
Orbit: mindestens 160 km Höhe, sonnensynchrone Umlaufbahn
Missionsdauer: 40 Tage
Nutzlast: 2.700 kg
Druckvolumen: 11,3 m³
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