Stratolaunch: Eine genauere Betrachtung des Konzepts
Um das Konzept von Stratolaunch beurteilen zu können, muss man wissen wie sich die Gesamtenergie bei einem Raketenstart verteilt. Der größte Teil entfällt natürlich auf die Energie, die man braucht um einen Orbit zu erreichen. der zweite Punkt der ebenfalls exakt berechenbar ist, ist die Hubarbeit: Genauso wie jemand Arbeit verrichtet, der etwas in das oberste Stockwerk hebt, so bedeutet auch, das Satelliten in meistens über 180 km Höhe ihre Kreise ziehen, dass man Energie aufwenden muss um sie erst dorthin zu heben.
Während man diese ersten beiden Posten exakt berechnen kann und sie auch unabhängig vom Raketentyp sind, gilt das nicht für die nächsten drei Punkte:
- Luftwiederstand: Solange die Rakete die untere dichte Atmosphäre durchquert, gibt es Reibungskräfte, wie bei jedem anderen Gegenstand. Die Höhe hängt von dem genauen Aussehen der Rakete ab (aerodynamische Form), der Beschleunigung (sie ist paradoxerweise um so geringer je schneller die Rakete beschleunigt, da sie dann schnell aus der dichten Atmosphäre heraus kommt) und der aufstiegsbahn,
- Den Steuerungsverlusten: Um die Rakete zu neigen oder zu drehen müssen die Triebwerke aus der Vertikalen geneigt werden. der Schubvektor hat nun einen kleinen Winkel zur Bewegungsrichtung und der Schub wirkt nur mit Cos(Winkel) in die Bewegungsrichtung. Das erzeugt Lenkungsverluste.
- Gravitationsverluste: Sie entstehen dadurch, dass man nicht nur die Nutzlast anhebt, sondern auch den Treibstoff. Damit verbraucht man Treibstoff um Treibstoff auf ein höheres Energielevel zu heben, von dem man aber keinen Gewinn zieht. Weiterhin wirkt nur als Beschleunigung in die Vertikalen der Teil des Schubs, der 1 g übersteigt. Der Rest geht verloren. Würde eine Rakete einen Schub von weniger als 1 g aufweisen, so würde sie solange nicht abheben bis ihre Masse soweit gesunken ist, dass er über 1 g liegt. Damit kann man eine Menge Treibstoff verbrauchen, ohne das die Rakete auch nur einen Meter abhebt.
- Verluste durch den Betrieb in der Atmosphäre: Da die Rakete einen Teil der Zeit bei einem Außendruck von >0 Bar arbeitet, behindert die Atmosphäre die Expansion der Abgase. Auch hier gilt: Je schneller die Atmosphäre durchquert wird, desto kleiner sind diese.
Am Beispiel einer Rakete bei der diese Werte bekannt sind, sollen diese drei Verluste mal mit Zahlen belegt werden:
Die Ariane 1 ist in Form und Schub/Gewichtsverhältnis mit einer Falcon 9 vergleichbar. Bei ihr gibt es folgende Werte:
- Gravitationsverluste und Hubarbeit: 1374,4 m/s
- Luftwiderstand 127,7 m/s
- Unterexpansion: 101,2 m/s
- Lenkverluste: 20 m/s
- Die Orbitalgeschwindigkeit in der GTO-Aufstiegsbahn beträgt 10227.7 m/s, berücksichtigt man die Hubarbeit sind es 10403 m/s.
Mann sieht schon: die gesamten Verluste von 1623,3 m/s sind klein im Vergleich zur Geschwindigkeit die erreicht werden muss. Kann man nun durch Stratolaunch viel davon einsparen?
Nun zum einen findet der Start nicht bei Tempo 0 statt, sondern der Geschwindigkeit mit der das Flugzeug fliegt. Es wird sicher im Unterschallbereich sein. Nimmt man das Tempo eines typischen Passagierjets an, so sind dies rund 900 km/h, rund 250 m/s.
Die Abtrennung erfolgt in 9000 m Höhe, etwas unterhalb der Zone in der bei den meisten Raketen der Punkt mit maximaler aerodynamischer Belastung liegt und dieser Punkt wird mit niedriger Geschwindigkeit passiert. Man kann also eine Reduktion der aerodynamischen Belastung annehmen. Eine Halbierung halte ich für möglich. Das sind dann etwa 60-70 m/s Gewinn
Ein niedriger Orbit liegt in rund 180 km Höhe. nun sind es nur noch 171 km um ihn zu erreichen. Das wird die Gravitationsverluste etwas absenken. Das macht jedoch wenig aus, nur etwa 10 m/s.
Was allerdings verringert wird sind die Verluste durch Unterexpansion, da in 9000 m Höhe weniger als die Hälfte des Luftdrucks wie am Boden herrschen. Ein Drittel weniger sollte hier möglich sein. Das sind weitere 30 m/s.
Zusammen sind das dann Einsparungen von rund 360 m/s. Das ist nicht viel. Würde man 360 m/s mehr Geschwindigkeit erreichen müssen, indem man vom Erdboden aus startet, so würde dies bei einer angenommen Trockenmasse der zweiten Stufe von 2 t die Nutzlast von 6,1 auf 5,25 t absenken, Für einen Gewinn von weniger als 14 % Nutzlast ein eigenes Trägerflugzeug zu entwickeln ist also nicht wirtschaftlich sinnvoll.
Natürlich spart man eine Startanlage am Boden ein. Doch gerade die Falcon 9 Anlage zeigt ja gerade, dass diese recht minimal und daher kostengünstig gebaut werden kann. Die Kosten für eine zweite Startrampe in Vandenberg wurden von SpaceX mit rund 80 bis 125 Millionen Dollar beziffert. Man kann davon ausgehen, dass die Entwicklungskosten für das Trägerflugzeug von Stratolaunch bei seiner Größe die einen A380 in Schatten stellt sicher teurer kommt.
Bleibt nur ein Vorteil, der gerne erwähnt wird: Der Start kann von überall aus auf der Welt erfolgen. Nur was ist der praktische Nutzen?
Bei Bahnen mit niedriger Inklination würde man etwas gewinnen, da von Cape aus maximal 28 Grad Inklination möglich sind. Nur werden in solche Bahnen nur geostationäre Satelliten befördert. Dafür ist die Rakete aber zu klein, Mit 6,1 t LEO Nutzlast wird die GTO Nutzlast unter 2 t liegen, Die gewonnenen 55 m/s durch die Erdrotation machen da auch den Kohl nicht fett.
Die meisten Starts einer Rakete in diesem Nutzlastsegment gehen in sonnensynchrone Bahnen. Bei diesen Bahnen mit Inklinationen über 90 Grad ist die geographische Breite des Startortes absolut irrelevant. Selbst bei ISS-Missionen (wofür auch die Rakete zu klein ist, sie könnte nicht einmal eine leere Dragon befördern) gibt es keinen Nutzen, da auch hier die Inklination mit 51,7 Grad höher als die der US-Startorte ist.
Stattdessen gibt es neue Risiken. Bisher war es bei vier Starts nur einmal möglich, pünktlich zu starten. Einmal wurde der Start nach Zündung der Rakete abgebrochen (dritter Flug) und ein defektes Teil musste ausgewechselt werden (hier wäre die Rakete bei einem Abwurf verloren gewesen), beim Jungfernflug wurde der Countdown mehrmals unterbrochen und einmal auch wenige Sekunden vor dem Start abgebrochen – wenn die Rakete dann schon ausgeklinkt worden wäre, wäre sie ebenfalls verloren gewesen und beim zweiten Start betrugen die Verzögerungen mehrere Stunden, soviel Zeit hätte wohl bei begrenzten Treibstoffvorräten nicht zur Verfügung gestanden.
Das grundsätzliche Problem einer Rakete mit flüssigen Treibstoffen ist, das sie komplexer als eine Feststoffrakete ist, deswegen werden im Militär ja nur diese eingesetzt. Ein Countdown erstreckt sich über Stunden. Und die Gefahr von Verzögerungen oder kleinen Problemen die zu einem „Scrub“ führen sind höher. Bei einer Falcon 9 dauert der gesamte Countdown über 7:30 h. Selbst wenn man den Teil nur nimmt, nachdem die Tanks voll sind (ab dann kann das Flugzeug abheben) ist man bei 3:15 h. De fakto gibt es viel was gegen das Vorhaben spricht. So verdampft laufend flüssiger Sauerstoff. Er kann nicht mehr nachgefüllt werden.
Neben allgemeinen Bedenken, wenn eine so große Nutzlast transportiert wird, gibt es auch spezifische bei einer Rakete mit 200 t Flüssigkeit. Wie verändert Schwappen des Treibstoffs oder verändern Flüsse beim Aufstieg die Gewichtsbilanz, welche Kräfte wirken dann? Die Hülle der Rakete muss angepasst sein, da nun nicht nur wie bei normalen Starts die meisten Lasten in der Längsachse wirken, sondern auch zusätzliche senkrecht dazu. Das Zusatzgewicht für eine stabilere Hülle kann dann leicht den Gewinn durch den Start aus der Luft mehr als kompensieren.
Gab es nichtmal Überlegungen, statt einem Flugzeug einen Ballon zu nehmen. Damit wäre ja ein Start auf 30 km Höhe möglich. Wie sähe es damit aus?
Bei einer 200 Tonnen-Rakete bräuchte man dann schon einen Cargolifter. Nur war der nicht für so extreme Höhen gedacht, für 30 km Höhe müßte der also nochmal deutlich größer sein. Wäre also mit der vorhandenen Technik nur für deutlich kleinere Raketen möglich.
Außerdem hat ein Start von einem Ballon einen großen Nachteil: Startgeschwindigkeit 0, und gerade die bringt den größten Anteil vom Gesamtnutzen.
Ich würde vermuten, dass die Lenkungsverluste bei einem Start vom Flugzeug aus sehr hoch sind, da die Rakete wahrscheinlich nahezu horizontal starten wird und deshalb die Triebwerke zunächst sehr weit schwenken müssen, um das Gefährt zu heben. Das US-Kampfflugzeug, das irgendwann mal mit einer Rakete einen US-Satelliten abschoss startete diese zwar aus der Vertikalen, jedoch vermute ich dass ein Riesenjet mit einer 200t – Rakete an Bord nicht vertikal wird steigen können.
Bernd, ich glaube du unterschätzt das Problem der Unterexpansion.
Wenn man in 9km Höhe startet, bei einem Drittel des Luftdrucks, dann werden nicht nur die Triebwerke effizienter, man kann auch Triebwerke mit höherem Expansionsverhältnis benutzen. Es wird nicht ausreichend für ein typisches Vakuum-Triebwerk sein, das eine 300-400m/s an Ausströmgeschwindigkeit gewinnt. Aber wenigstens 100-150m/s mehr sollten möglich sein.
Wenn der Treibstoff der 1. Stufe 75% der Gesamtmasse ausmacht, entspricht das 140-200m/s zusätzlich.
Die Unterexpansion ist oben bei der Ariane 1 beziffert. Bei der Falcon 9 ist der Unterschied zwischen Vakuum und Bodenimpuls gleich groß wie beider Ariane 1 (etwa 300 m/s). Mehr als der Vakuumimpuls kann man nicht erreichen und viel größer kann man sie bei 1´0,5 bar auch nicht machen. Also 100 sind das Maximum und da sie ja langsamer startet (eine Rakete hat schon über 300 m/s drauf wenn sie in 9 km ist) wird der gewinn klein sein. Doch selbst wenn, dann sind es 460 anstatt 360 m/s – der Unterschied ist zu vernachlässigen.
Ich habe das Gefühl, Stratolaunch wäre besser für eine Großversion von SpaceShip 2 geeignet, das ja nur auf knapp über 100 km steigen soll. Um mit einem solchen Flieger auf einen Schlag ca. 100 Passagieren einen Kurzausflug in den Suborbit zu ermöglichen, dazu ist das Konzept im Verhältnis zum potentiellen Kundenkreis wiederum wahrscheinlich zu aufwändig. Der Flieger würde nach den ersten paar Starts wahrscheinlich zum größten Teil leer fliegen.
Daher wäre Stratolaunch meiner Meinung nach am besten als Startplattform für einen „point to point suborbital flight“ geeignet, bei dem das vom Trägerflugzeug mitgeschleppte Gefährt innerhalb von zwei Stunden die gegenüberliegende Seite der Erde erreichen kann. Bei ca. 100 Passagieren würde sich das schon lohnen. Natürlich braucht man dafür mehr als nur ein Trägerflugzeug. Für den Rückflug…
Ich war auch sehr erstaunt von diesem Konzept – ich denke nicht, dass sich das in irgend einer Weise lohnt. Wie Philipp K denke ich, dass das System für einen Point-to-Point-Suborbitalflug viel besser geeignet wäre. Vielleicht dauert es einfach noch etwas, bis die Oberstufe („Space Ship 3“?) zur PowerPoint-Reife entwickelt ist…