Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, als noch vor wenigen Tagen eine Option für den Transport von deutschen RADAR-Satelliten bekannt wurde. Nun ja die Firma nimmt schon noch Aufträge an, doch keine mehr, deren Starttermin innerhalb der nächsten zwei Jahre liegt. Gwen Shotwell gab bekannt, ab Ende des Jahres könnte man über die Entscheidung für weitere Transporte nachdenken.
Natürlich schießen nun in den gängigen Foren die Gerüchte hoch. Verschiedenste Thesen werden diskutiert. Die meisten meinen, dass SpaceX die Verzögerungen bei der Entwicklung der Falcon 9 „v1.1“ unterschätzt hat. Gerade erst scheiteten vier Versuche die erste Stufe über die volle Betriebsdauer zu betreiben vorzeitig. Dabei kam es in zwei Fällen zu Beschädigungen. So was sollte bei einem Träger nicht passieren, der in wenigen Monaten starten soll. Andere bezweifeln, dass die Firma überhaupt die Fähigkeit hat so schnell die Produktion zu steigern. Für dieses Jahr, das ja nur noch 6 Monate hat sind fünf Flüge nach Launch manifest geplant, für 2014 sogar zwölf. Bislang haben sie maximal zwei Start pro Jahr durchgeführt.
Andere mutmaßen die NASA und das DoD würden Druck ausüben, dass ihre Missionen Vorrang haben, schließlich sind sie die beiden größten Auftraggeber. Nur wenige glauben, dass SpaceX nicht schon existierende Kunden verlieren möchte, weil man nicht rechtzeitig starten kann. Doch was ist der Grund für diese Sinneswandlung einer Firma die noch vor einem Jahr von zehn Starts der Falcon 9 und zehn der Falcon Heavy pro Jahr als Ziel sprach?
Ich möchte einen neuen Gesichtsprunkt hereinbringen. Vor etwa zwei Monaten bekam ich nach einem SpaceX Blog eine Mail von einem Mitarbeiter der Münchner Rückversicherung. er möchte nicht genannt werden, aber den Inhalt darf ich wiedergeben. Er erklärt mir, das Startpreis nicht Startpreis ist. Zum einen wird heute ein Packet angeboten – der Satellit „schlüsselfertig“ im Orbit, wozu Fertigung, Start und Inbetriebnahme gehören. Dazu gehört auch eine Versicherung, die alle Risiken bis zu Übergabe abdeckt. Der Großteil entfällt auf den Start aber es gibt auch Risiken nach dem Start (keine Kommunikation mit dem Satelliten, er ist „verloren“, bei der Fertigung und Transport und auch bedeutend: Verzögerungen, die bei Kommunikationssatelliten gleichbedeutend mit einem Einnahmeausfall sind. Allerdings ist das Startrisiko der größte Anteil und wenn es erhöht ist, so ist auch die Gesamtversicherungssumme und nicht nur die des Raketenstarts erhöht, was bei einem Vergleich verschiedener Träger zu berücksichtigen ist.
Nachdem es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Jahre mit sehr hohen Verlusten für die Versicherungsunternehmen gab, ist man heute bestrebt das Risiko genauer einzugrenzen. Dazu gehört das Launch Service Provider (LSP) den Versicherungen umfangreiche Unterlagen zur Verfügung stellen, die fast einem Audit gleichkommen. Bei jüngeren Trägern umfassen diese auch den Entwicklungszyklus, in jedem Falle aber Details der Fertigung, Qualitätssicherungsmaßnahmen und Prüfungen. Wenn es Änderungen am System gab, wie wurde die Auswirkung auf den Träger geprüft? Dazu kommt dann noch die Startvorbereitung. Es liegt im Eigeninteresse der Launch Service diese Unterlagen bereitzustellen, da ansonsten die Versicherungen die Risiken einschätzen. Und natürlich schätzen die Gutachter die Risiken möglichst konservativ ein, um ihre Versicherung vor Verlusten zu bewahren. Das Ergebnis kann durchaus überraschend sein. Arianespace hat die niedrigsten Prämien, nicht nur wegen der makellosen Bilanz von über 50 Starts ohne Versicherungsfall. Führend sei auch das Qualitätsmanagement sowie die Vorgehensweise bei Problemen, selbst wenn diese sich nicht auf den Start selbst auswirken. Dazu später mehr. Dahinter folgt die Proton mit einem größeren Abstand zu Sealaunch. Hier ist die Einstufung der höheren Qualitätssicherung bei der Fertigung ausschlaggebend, obwohl die Proton nicht wesentlich zuverlässiger als die Zenit ist.
Nur zwei Firmen bleiben diese Daten schuldig: Die CGWIC (China Great Wall Industries Corporation) und SpaceX. Bei China will man offensichtlich keine Details ihrer Träger und der Herstellung offenlegen, vielleicht befürchtet man auch hohe Prämien wegen der Gefahr von zivilen Opfern bei einem Fehlstart. Doch auch hier scheint sich eine Wende anzudeuten mit dem neuen Weltraumbahnhof und der Langen Marsch 5 gab es die Bereitschaft die entsprechenden Unterlagen bei einem Abschluss bereitzustellen. Bisher hat China Kunden daher eine Absicherung durch eine staatliche chinesische Versicherung angeboten, die auch wegen der niedrigeren Prämien bisher immer genutzt wurde.
Die zweite Ausnahme ist SpaceX. Bei SpaceX ist die öffentlich bekannte Datenlage so schlecht und es gab so viele Vorkommnisse, dass zumindest die Münchner Rück nicht bereit ist, einen Start bei SpaceX zu versichern. Es wäre schlicht und einfach unmöglich auf Basis der bekannten Angaben das Risiko zuverlässig zu beziffern, zumal sich die Falcon 9 „v1.1“ vom Vorgängermodell weitgehend unterscheidet. Zudem wird auch das allgemeine Vorgehen negativ eingestuft. So gab es in den letzten Jahren sowohl bei SpaceX wie auch Arianespace Verzögerungen bei Starts durch Ventile. Bei der Ariane 5 war es ein nicht missionskritisches Heliumdruckregulierventil. Nachdem es zweimal Probleme bei den Startvorbereitungen gab wurde nicht nur das Ventil ausgetauscht, sondern auch die gesamte Produktion durchleuchtet und Maßnahmen zur Verbesserung dieser eingeleitet.
Bei SpaceX war es ein nicht geöffnetes Ventil zur Turbopumpe, das zu einer Explosion des Triebwerks nach wenigen Sekunden und damit zum Verlust geführt hätte. Auch hier wurde das Ventil ausgetauscht, doch weitergehende Untersuchungen ob dies ein Einzelfall war, unterblieben völlig, obwohl die Folgen viel gravierender waren als bei dem Heliumdruckventil der Ariane 5.
Dies wäre nur ein Beispiel, warum für die Münchner Rück das Risiko eines Versicherungsfalls bei SpaceX unkalkulierbar ist. Nach Angaben des Mitarbeiters scheinen auch andere Versicherungen einen Absicherung bei einem Start mit SpaceX abzulehnen.
Was bleibt dann SpaceX noch? Sie können selbst den Start versichern, was nach ihren Webseiten auch der Fall ist. In diesem Falle muss die Firma wie bei einer Versicherung vor dem Startzeitpunkt den Nachweis erbringen, dass man die Versicherungssumme bereit hat, die dann unabhängig angelegt sein muss, (auch der Bankrott des Launch Service Providers ist ein Teil des Risikos). Das sind bei Kommunikationssatelliten der 4,5 t Klasse wie sie die Falcon 9 starten kann, in etwa 300 Millionen Dollar. Das bedeutet das SpaceX für Einnahmen von unter 60 Millionen Dollar eine Finanzreserve von 300 Millionen bereitstellen muss. Dabei reicht nicht eine Rücklage für alle Starts, sondern parallel zu den Vorauszahlungen für den Start muss auch nachgewiesen werden, dass die Versicherungssumme für diesen Start vorhanden ist, schlussendlich könnte der vorherige Start ja ein Versicherungsfall sein. Will oder muss ein Unternehmen also auf eine Versicherung verzichten und dies selbst anbieten, so braucht sie im Mittel die halbe Versicherungssumme pro Start als Rücklage und dies für jeden Start für den eine Rakete in der Produktion ist (bei anderen LSP üblicherweise 2 Jahre). Das wären dann bei SpaceX wenn man die CRS Flüge ausnimmt mindestens 15 Starts und somit benötigt die Firma enorme Rücklagen.
Mein Gesprächspartner bezweifelt allerdings dass alle Starts versichert sind und auch das alles fest gebuchte Starts sind. Orbcomm habe z.B. die erste Generation ihrer Satelliten nicht versichert und Iridium auch nicht. Weiterhin enthalten die Abschlüsse für neu eingeführte Träger oft Ausstiegsklauseln, die auch sehr spät wahrgenommen werden können. Bei allen Starts nach 2015 sei von Optionen auszugehen, das heißt man reserviert sich einen Startzeitpunkt für relativ kleine Summen, und bucht erst später den Träger, typischerweise 1-2 Jahre vor dem Start je nachdem wie schnell der Anbieter reagieren kann. Erweist sich der Träger als nicht zuverlässig genug so hat man wenig Geld verloren.
Natürlich habe ich auch gefragt was passiert, wenn es denn nun einen Fehlstart gibt. Bei einem neu eingeführten Träger würden die Versicherungsprämien sehr deutlich ansteigen, da man wenig Erfahrungen hat wie wahrscheinlich dieser ist, bei einem schon länger im Einsatz befindlichen wäre der Anstieg eher moderat, weil dies ja gerade zu den versicherten Risiken gehört, nur wenn sich diese häufen so würden die Prämien langsam aber sicher ansteigen. Diesen Trend weist die Proton derzeit auf.
Wenn eine Firma selbst versichert, bedeutet ein Fehlstart natürlich ein Verlustgeschäft. Einnahmen von 60 Millionen Dollar würden Ausgaben von 300 Millionen Dollar gegenüberstehen, Sofern die Firma nicht über genügend Kapital verfügt, oder dieses aufbringen kann dies existenziell bedrohend sein.
Diese rigide Überprüfung werden übrigens von den LSP nicht als Schikane, sondern als Chance gesehen, eine unabhängige, kostenlose Überprüfung ihre Produktion und Qualitätssicherung durch Experten zu bekommen, die auch über die Ergebnisse stillschweigen müssen. Dies nutzen sogar LSP aus, die keinen versicherten Start absolvierten, wie ISC Kosmotras und Eurockot.
Das SpaceX also mangels flüssiger Mittel für Versicherungsrückstände keine weiteren Starts mehr annimmt, wäre also eine weitere Erklärungsmöglichkeit für den Auftragsstopp. Selbstverständlich sind die voll ausgelastete Produktion und Terminprobleme genauso wahrscheinliche Ursachen. Mals sehen was da noch nachkommt.