Möglichkeiten Geschwindigkeiten aufzunehmen
Ich habe es schon mal bei einer hypothetischen Raumsonde erklärt, aber nun heute mal allgemein. Die Möglichkeiten die man heute hat, wenn man eine möglichst hohe Geschwindigkeit im Sonnensystem erreichen will. Das betrifft vor allem Missionen ins äußere Sonnensystem. Vorbeiflüge an Uranus, Neptun und Transneptunen.
Möglichkeit 1: Fly-Bys
Jeder Vorbeiflug an einem Planeten ermöglicht es einem Geschwindigkeit aufzunehmen. Venus und Erde sind für 3-4 km/s Geschwindigkeitsgewinn unter optimalen Bedingungen gut, Mars für 1 km/s. Am meisten gewinnt man durch einen Vorbeiflug an Jupiter, der eine Raumsonde über die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem (Geschwindigkeit dann im unendlichen 12-14 km/s) beschleunigen kann.
Das Problem ist nur das die Geometrie stimmen muss. Bei einem Vorbeiflug ist das kein Problem. Doch je mehr man durchführen muss, desto seltener sind die Himmelskonstellationen. Wenn man nicht eine einmalige Gelegenheit wie bei der Grand Tour, die sich aber nur alle 176 Jahre wiederholt hat, dann wird die Raumsonde zwischen den Vorbeiflügen Anpassungen der Bahn durchführen. Das taten bisher Galileo und auch Cassini. Selbst Juno, die nur einen Vorbeiflug durchführte ist da keine Ausnahme. Mehr als ein Drittel des Treibstoffs ging alleine dafür drauf. Alternativ kann man sich Zeit lassen. So kann man eine Sonde zuerst in eine 1 Jahres Erdumlaufbahn schicken. Sie passiert die Erde nach 1 Jahr. Der Vorbeiflug lenkt sie auf eine Umlaufbahn mit 2 Jahren Dauer, dann passiert sie nach weiteren zwei Jahren die Erde erneut und erreicht so die Geschwindigkeit um Jupiter zu erreichen. So dauert die Reise 3 Jahre länger. Nimmt man Umlaufbahnen die ein Vielfaches der Planetenumlaufbahn sind so ist die Planung einfach, aber es dauert lang.
Vorbeiflüge an Venus und Erde sind am effizienteste. Unter optimalen Bedingungen kann man mit zweien Jupiter erreichen (Cassini) startete man mit höherer Geschwindigkeit (Juno) so reicht auch einer. In jedem Falle wären Vorbeiflug an Erde und Venus nur Mittel um Jupiter zu erreichen ohne mit einer hohen Startgeschwindigkeit von der Erde aus zu starten. Er ist als massereichster Planet das eigentliche Sprungbrett. Alle anderen bieten weniger Geschwindigkeitszuwachs und erfordern eine höhere Energie um sie zu erreichen.
Möglichkeit 2: Ionenantriebe im inneren Sonnensystem
Solange eine Raumsonde sich nahe der Sonne befindet, kann sie mit Solarzellen bei der heutigen Technologie sehr viel Strom gewinnen und mit einem Ionenantrieb beschleunigen. Leider nimmt das quadratisch mit der Entfernung ab und bedeutsamer noch: wenn man schon eine hohe Geschwindigkeit hat, bewegt man sich viel schneller von der Sonne weg, als die langsamen Sonden zum Mars. New Horizons kreuzte in 76 Tagen den Orbit des Mars Juno in 104 Tagen. Dagegen brauchen Marssonden die mit geringerer Geschwindigkeit starten, 200-240 Tage um den Mars zu erreichen.
Die beste Strategie ist es daher zuerst die Bahn in Richtung Sonne abzuändern, d.h. gegenüber der Erde zu verlangsamen. Mit einer solaren Geschwindigkeitsänderung von 3 km/s erreicht man z.b. ein Perihel von 100 Millionen km und ist rund 8 Monate innerhalb der Erdumlaufbahn. Danach dreht man die Sonde und erweitert das Apohel. Das setzt sich auch noch fort wenn man die Erdumlaufbahn verlasen hat. Da man in der Regel nicht eines sondern mehrere Ionentriebwerke einsetzen wird, kann man mit zunehmenden abstand welche abschalten. Was passiert, wenn der Strom nicht mehr für eines reicht ist dann davon abhängig ob man den noch verfügbaren Strom noch für die Raumsonde braucht oder nicht (kein Widerspruch: Ionentriebwerke sind wesentlich stromhungriger als Raumfahrzeuge). Ansonsten wäre es gut den Ionenantrieb als abtrennbares Modul auszulegen, dass man dann zur Gewichtsreduktion abstößt.
Möglichkeit 3: Nutzung des Energieerhaltungssatzes
Die Physik erlaubt noch eine weitere Möglichkeit. Wenn man bei 200 km/h um 10 km/h beschleunigt, so steigt die Geschwindigkeit auf 210 km/h. Geschwindigkeit addiert sich. Die Energie jedoch steigt deutlich an, da sie im Quadrat zur Geschwindigkeit ansteigt. Denselben Effekt hat man auch, wenn man bei einem Planeten Swing-By Geschwindigkeit addiert. Vom Planeten aus gesehen ist es so, dass die Raumsonde dabei zuerst schneller wird, den planetennächsten Punkt passiert und ihn wieder verlässt. Sie hat dann die gleiche Geschwindigkeit wie sie hatte, als sie vor der Einflussphäre des Planeten sich ihm näherte. Das sieht anders aus wenn die Raumsonde einen Antrieb zündet und schneller wird. Eine Raumsonde die mit 5 km/s Jupiter erreicht hat in 5000 km Entfernung von den Wolken eine Geschwindigkeit von 57.810 m/s. Mit einem Antrieb 1 km/s addiert ist die Geschwindigkeit 58.810 m/s. Beim Verlassen wird sie im unendlichen aber keine 5 km/s haben sondern 11.911 m/s. Das beruht auf dem Energieerhaltungssatz. Bei der Ankunft gilt: 5²+Fluschtgeschwindigkeit in 5000 km Höhe]² = Ankunftsenergie. Das entspricht einer Geschwindigkeit von 57810 m/s. Beim verlassen gilt dann: 58810²-Fluschtgeschwindigkeit in 5000 km Höhe]² = Abflugsenergie. Da 1000 m/s zu 58 km/s addiert wurden ist diese im Quadrat um einiges höher und so wurde die Sonde um fast 7 km/s anstatt 1 km/s beschleunigt.
Sinnvollerweise macht man das bei den Riesenplaneten also am Jupiter, denn der Effekt ist um so höher je größer die Gravitation ist. Theoretisch denkbar ist auch dass man von Jupiter aus die Sonde in eine Umlaufbahn nahe über die Oberfläche der Sonne schickt. In 1 Million km Entfernung von derer Oberfläche würde sie 514 km/s schnell sein. 1 km/s addiert wären ein Geschwindigkeitsgewinn von 27,8 km/s. Allerdings müsste die Sonde dann gut verpackt sein.
Möglichkeit 4: Niedrigschubionentriebwerke
Während eine Raumsonde ins äußere Sonnensystem unterwegs ist wird sie nicht die ganze Zeit aktiv sein. Sender und Instrumente sind nur zu bestimmten Zeiten aktiv. Daneben wird die Stromversorgung so ausgelegt sein, dass sie genügend Strom bei der Ankunft liefern. Bei RTG sinkt die Strommenge aufgrund des radioaktiven Zerfalls aber ab. Wenn man den Strom den man so übirg hat, über Jahre nutzt um eine Raumsonde mit einem kleinen Ionentriebwerk zu beschleunigen, so verändert das die Geschwindigkeit nicht großartig, aber über Jahre hinweg schon 100 W die einen Ionenantrieb mit 70% Wirkungsgrad und 25 km/s Ausströmgeschwindigkeit speisen würden ein 500 kg schwere Sonde um 353 m/s pro Jahr beschleunigen. Über 10 Jahre kommen so 3,53 km/s zusammen. Bei einer niedrigeren Ausströmgeschwindigkeit sind es sogar noch mehr.
All together Now
Man kann das natürlich kombinieren. Das habe ich schon mal skizziert und sieht so aus:
- eine Raumsonde spiralt sich aus dem Erdorbit heraus oder wird chemisch zur Venus gestartet
- Die Venus wird passiert und sie gewinnt rund 3 km/s
- Danach wir der ionenantrieb aktiviert und betrieben solange dies geht. Danach wird er abgetrennt. Die Sonde ist auf einem Jupiterkiurs
- Die Sonde passiert Jupiter und zündet bei der Passage einen kleinen Feststoffantrieb der sie weiter beschleunigt. So kann sie über 20 km/s Geschwindigkeit gewinnen.
- Danach wird ein Ionenantrieb betrieben bis die Sonde ihr Ziel erreicht. 10 Milliarden km müsste sie in 13 Jahren erreichen. Beschleunigt man sie noch durch einen Niedrigschubionentriebwerksantrieb sind es zweieinhalb Jahre weniger.
Mal eine ganz grundsätzliche Frage, die Antriebe habe ja gewisse Ausströmungsgeschwindigkeiten, bei chemischen Triebwerken so 3-4km/s, bei Ionen bis über 30km/s – kann man die Sonder auf eine höhere Geschwindigkeit beschleunigen als diese Ausströmgeschwindigkeit, oder geht das physikalisch nicht?
Das geht auf jeden Fall, siehe dazu die Raketengrundgleichung. Es waren ja auch schon Einstufer angedacht, die müssten eine theoretische Mindestgeschwindigkeit von gut neuneinhalbtausend m/s erreichen, bei einer Ausströmgeschwindigkeit von gut 4300 m/s. Bei einem Masseverhältnis v/l von 10 ist etwa die 2,3 fache Ausströmgeschwindigkeit erreichbar,