Bernd Leitenbergers Blog

Grundeinkommen, Harz-IV und die Diskussion

Passend zum letzten Beitrag gestern, gab es auch am Dienstag eine Dokumentation im ZDF: 37 Grad., Es ging um eine Familie die unverschuldet in Harz IV gelangte. Der Vater langzeitarbeitslos und inzwischen in einem Alter wo ihn keiner mehr einstellt, die Mutter krank. Die Kinder versuchen aber nicht aufzugeben und tragen Zeitungen aus, die kleinsten (10 und 11) klappern Schrebergartenbesitzer ab, um mit Gartenarbeit sich was dazuzuverdienen.

Danach kam eine Diskussion bei Markus Lanz um das Thema. Eines hat nicht nur ihn erbost, sondern auch mich: Angelique, die 17-jährige Tochter, darf nur 100 Euro dazuverdienen, bei mehr wird das einbehalten und sie wollte sparen für einen Führerschein. Ähnliches berichtete auch ein Leiter eine karitativen Vereinigung, der Sachspenden organisiert. Wenn diese „geldwerte“ Leistung wie ein gebrauchtes Fahrrad bekannt wird, dann kann das Arbeitsamt den Bezug kürzen.

Ingrid Stegers berichtete wie sie mal Harz-IV benötigte und empfand das als „angenehm“, weil sie vorher verschuldet war und nun alle Rechnungen beglichen wurden.  Mario Barth brachte auch den Gegenstandpunkt „Natürlich gibt es auch die Väter, die eine X-Box daheim stehen haben und die Jungen kriegen nichts“. Selbst der Leiter der karitativen Organisation war gegen eine Erhöhung der Harz-IV Sätze: „Es soll kein Dauerzustand sein, in dem man es sich bequem macht“. Das zeigt relativ gut, wie die Diskussion um Harz IV läuft und man könnte noch weitere Gesichtspunkte anfügen. Das gibt es die ALG-II Empfänger die arbeiten könnten und nicht wollen und sich mit ärztlichen Gutachten drücken oder sehen, dass sie bald wieder entlassen werden. Andere arbeiten noch schwarz nebenher und so nicht von Harz-IV, während andere regulär arbeiten aber so wenig verdienen, dass sie Unterstützung brauchen. Trotzdem kämen sie nicht auf die Idee gar nicht zuarbeiten.

Das zeigt warum man seit 10 Jahren über Harz -IV diskutiert und es wahrscheinlich noch weiter tun wird. Jeder kann Beispiele vorbringen, die seine These unterstützen, sowohl von Missbrauch wie auch dem Fall, das die Sätze nicht ausreichen, obwohl die Menschen sparsam sind.

Dazu gibt es noch die beiden Ansätze des Grundeinkommens und des bedingungslosen Grundeinkommens. Das kleine Wort „bedingungslos“ macht einen Riesenunterschied. Beim Grundeinkommen wird das Einkommen auf das Grundeinkommen angehoben wenn er es nicht reicht. Beträgt es 1000 Euro und verdient er selbst 600 so bekommt er 400. Verdient er 1100, bekommt er nichts, sondern muss mehr Steuern zahlen, um die Zuzahlungen zu finanzieren. Anders als das bedingungslose Grundeinkommen hat dieses zumindest eine theoretische Chance, finanziert zu werden, denn es sind nicht 82 Millionen Empfänger und nicht jeder bekommt 1000 Euro. Das ist beim bedingungslosen Grundeinkommen der Fall. Dieses hat einen Finanzierungsbedarf von 914 Millionen Euro pro Jahr.

Nach diesen verschiedenen Meinungen nun meine. Es wird immer Missbrauch geben, wenn es um Leistungen geht. Das gibt auch in der entgegengesetzten Richtung der Einkommen, dort nennt man es Steuerbetrug. Interessanterweise ist der Hass gegen die „Sozialschmarozer“ größer als gegen Steuerhinterzieher die Millionen hinterziehen. Manch einer. wie Hoeneß wird sogar gefeiert, und wenn man überhaupt keine Steuern zahlt, wie Sebastian Vettel (Wohnsitz im Ausland) so ist man sogar ein Held….

Meine Meinung ist die, das jeder von seiner Arbeit erst mal leben können sollte. Daher ist die Forderung nach einem Mindestlohn für mich etwas selbstverständliches. Wenn nun einige meinen, das führe zu höherer Arbeitslosigkeit, dann muss ich dem wiedersprechen: Die Leute die wenig verdienen, arbeiten vor allem im Dienstleistungssektor. Die Arbeit ist da vorhanden, und wenn sie mehr kostet, wird der Haarschnitt teurer, aber ein Frisör kann niemanden entlassen, wenn er nicht Kunden verlieren will, weil sie nicht bedient/versorgt werden.  Das wäre schon mal eine Lösung. für die heutige übliche Praxis der Zuzahlungen. Dazu gehört auch die Schlupflöcher bei Leiharbeit oder „Subunternehmern“ zu schließen. Eine Daueranstellung über 2 Jahre bei einem betrieb ohne Festanstellung muss egal wie das Beschäftigungsverhältnis aussieht zu einer Festanstellung führen. Das hätte übrigens weitreichende Folgen für den Staat, der das Modell der Zeitarbeitsverträge mehr nutzt als die Wirtshcaft.

Man wird die, die arbeiten könnten, es aber nicht tun und die die schwarz arbeiten, wohl kaum wirksam an ihrem Tun hindern können. Kürzungen greifen wegen des geringen Einkommens kaum. Eher wäre bei Schwarzarbeit der Entzug des Geldes oder der davon erworbenen Güter wirksam. Was in der Tat schlimm ist, das Kinder und Jugendliche mit Harz-IV aufwachsen und kaum eine Chance haben diesem Armutskreislauf zu entfliehen. Auch sollte es nicht so sein, dass die Eltern ein trotz Harz-IV angenehmes Leben haben, indem sie Gelder die für die Kinder sind für sich mitvereinnahmen.

Dafür gäbe es nur eine Lösung, und zwar das ein Teil des Geldes für die Ausbildung nicht den Eltern direkt zur Verfügung steht sondern vom Arbeitsamt direkt an Vereine, Schulen etc. gekaufte Lehrmittel und Bücher überwiesen wird. Weiterhin sollte diese dämliche Regelung, dass man maximal 100 Euro dazuverdienen darf und darüber hinaus alles abgeben muss weg. Natürlich hat der Staat Interesse nur so viel zu bezahlen wie nötig. Aber auf der anderen Seite muss es auch einen Anreiz für Leistung geben. 2/3 des Geldes für den der es verdient und 1/3 für den Staat, wäre gerechter.

Wird es, egal mit welchem Modell man arbeitet keine Armut mehr geben? Nein, weil es die Armut nicht gibt. Armut ist definiert als ein Einkommen weniger als 60% des Durchschnittseinkommens. Das bedeutet man kann es nicht an bestimmten Kriterien festmachen und Armut ist in verschiedenen Ländern auch unterschiedlich. Weiterhin wird es immer welche geben die unter dem Durchschnittseinkommen liegen (außer man möchte alle gleich bezahlen) und so wird es immer Arme geben.  Selbst wenn man, wie beim bedingungslosen Grundeinkommen jedem 1000 Euro geben würde, so wäre die Armut nicht verschwunden. Die Grenze würde nur nach oben gehen. Wir müssen auch nur über den Tellerrand schauen. Selbst in Europa gibt es enorme Unterschiede. Als ich mich mit meinem Blog über das Verbot der Prostitution eingelesen habe, kam in einem Focus Artikel auch das Schicksal einer Rumänin, die angelockt wurde mit dem Versprachen 800 Euro als Kindermädchen zu verdienen. In dem Dorf, in dem sie lebte, war der Durchschnittsverdienst 200 Euro. Mit 800 Euro, so dachte sie sich würde sie gut verdienen. Hier wäre sie mit 800 Euro weit unter der Armutsgrenze. Nebenbei bemerkt ging es in dem Artikel dann auch darum, dass die meisten „Nicht-Zwangsprostituierten“ dies nur täten weil sie Geld brauchten. „Armutsprostitution“ heißt das. Es mag die Journalisten überraschen, aber die meisten müssen sich dann „prostituieren“, die meisten haben eine Arbeit, die sie nur machen weil sie Geld verdienen müssen. Eigentlich sind die meisten sogar noch schlimmer da. Prostituierte können freier ablehnen die ihnen nicht gefallen. Bei der Arbeit geht das nicht. Ich programmiere gerne, aber wenn ich für einen Kunden tagelang nur Icons austauschen, Hilfetexte und Menüs umschreiben muss und leicht verständliche Variablennamen wie „Kanalfehler“ in „SysNumberOfChannelsWithErrorsOfComparisonCase“ umbenennen muss, dann habe ich auch das Gefühl, ich bin Softwareprostutierter und die Bezahlung ist Schmerzensgeld,

Sehen wir uns die Situation in Deutschland an. Betrachtet man den Lebensstandard, so steht ein Sozialhilfeempfänger heute besser da als vor 60 Jahren ein Gutverdienender. Obwohl die Bevölkerung in Deutschland seit 100 Jahren konstant ist, steigt der bewohnte Raum seit Jahrzehnten an, jeder hat immer mehr Wohnfläche zur Verfügung. Fleisch, früher Luxusprodukt, kann sich heute jeder Leisten. Jeder hat einen Telefonanschluss und jeder zweite ein Auto, es gibt sogar mehr Autos als Führerscheininhaber. Was Armut ist, ändert sich, auch durch sozialen Druck. In dem obigen Beispiel achteten die Kinder darauf Markenklamotten zu tragen – aus dem Second Hand Shop. Dieser Markenfetischismus muss inzwischen einen enormen sozialen Druck ausüben. Andere Dinge, die vor 10 Jahren noch was Besonderes waren, sind heute selbstverständlich. In unserer Nachbargemeinde gab es seitens der Telekom nur DSL-Lite mit maximal 768 kbit/s. Das rief sogar die Stadt auf den Plan die zusammen mit einem Betreiber die kosten für einen Hochgeschwindigkeitsanschluss aufbrachte. Vor 10 Jahren hatten die meisten noch Modem und 768 kbit waren „schnell“. Analog wurde in einer Sendung über die Diskussion ob man kleine Strafen nicht durch Führerscheinentzug ahnden könnte, auch der Vorschlag gemacht wie in Frankreich (dort bei Internetdelikten) den Internetzugang zu sperren oder zu drosseln. Die Antwort des Rechtsexperten: Ein Internetzugang ist heute ein Grundrecht. Vor 15 Jahren war es noch Luxus.

Auf der anderen Seite kann man noch unter der Armutsgrenze liegt gut leben, wenn man auf Dinge verzichten kann, die nicht notwendig sind. Ich habe kein Auto, ich bin nicht reiselustig und habe keine teuren Hobbys. Ich brauche kein Smartphone und anderes technische Spielzug. Ich komme mit weitaus weniger Geld aus als mir zur Verfügung steht und kann es mir so leisten im Jahr etwa einen Monat zu arbeiten und Bücher und Blogs zu schreiben.

Daher glaube ich auch, dass die von „Andy“ geäußerte Meinung, man werde  dem Problem durch Automatisierung begegnen können, eine Illusion ist. Zum einen hat die Erhöhung der Automatisierung nur zur Folge gehabt, das immer weniger etwas herstellen und immer mehr im Dienstleistungsgewerbe arbeiten. Zum anderen ist die Erwerbsquote seit Jahren stetig gestiegen. Nach dem zweiten Weltkrieg war es normal, das in der Familie nur einer (meist der Mann) Geld verdiente, es gab sogar „Hausfrauenschulen“. Nach dem statistischen Bundesamt stieg alleine in Westdeutschland die Erwerbsquote von 67,3 auf 76,8% seit 1990. Das zeigt übrigens auch, dass es illusorisch ist, zu glauben es gäbe mal einen Zustand, in der es keine Arbeitslose in dem Sinn, das alle die Arbeit wollen, auch welche bekommen gibt, denn alleine die Steigerung der Erwerbsquote um 9,5% entsprecht in Deutschland rund 5 Millionen Arbeitsplätzen, also mehr als wir heute Arbeitslose haben.

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