Wann ist Raketentechnik veraltet?
Schön wenn mir die Nachrichten ein Stichwort für meine Blogs liefern. Gemäß SpaceNews.com hat die ehemalige Vizeadministratorin Garver folgendes über die SLS gesagt:
Garver was not convinced. “The rocket is so similar, and it’s built off of 1970s technology. The very engines we’re going to use are space shuttle engines that were developed in the 1970s. Would you really go to Mars with technology that’s 50 years old? That’s not what innovation and our space exploration program should be all about.”
Nun mit mir muss man nicht darüber streiten, dass die NASA keinen Bedarf am SLS hat, es wurde ihr ja auch vom Kongress aufs Auge gedrückt und wird gerne auch „Senate Launch System“ genannt. Aber die Begründung ist falsch. Es gibt für jede Technologie einen Zeitpunkt ab dem kann man die Leistung nur gering steigern. Gehen wir von der Raumfahrt weg zu Werkzeugen, Stichwaffen, Schusswaffen, ohne die Benutzung von Schießpulver. Immer wieder höre ich in Sendungen über alte Werkzeuge und Waffen, man könnte sie heute auch nicht besser bauen. Kohlenstoffarmer Stahl wurde schon im Altertum entdeckt, Schwerter aus zahlreichen Schichten von Eisen/Stahl (Damaststahl) gab es auch schon seit dem frühen Mittelalter. Selbst Kompositbögen (nur aus Sehnen, Knochenleim, Holz und Bastfasern) gab es schon in der Antike. Wenn wir uns auf moderneres Terrain bewegen, können wir mal die Entwicklung von LOX/Kerosintreibwerken, den am längsten im Dienst befindlichen Treibstoffkombination mal ansehen. Hier einige Daten aus Russland, wo man die Technologie sehr lange weiter entwickelte:
Triebwerk | Schub | Gewicht | Schub/Gewicht | spezifischer impuls |
---|---|---|---|---|
RD-0105 (Luna dritte Stufe) (1958) | 49,4 kN | 125 kg | 39,5 | 3099 m/s |
RD-0110 (Woschod, Sojus) (1964) | 297,9 kN | 408 kg | 74,4 | 3234 m/s |
RD-58 (N-1, Proton, 1968) | 83,4 kN | 300 kg | 27,8 | 3422 m/s |
NK-9V (N-1F, 1972) | 408 kN | 722 kg | 57,6 | 3463 m/s |
RD-0120 (Zenit) (1985) | 833 kN | 1125 kg | 75,5 | 3432 m/s |
RD-0124 (Sojus 2-1b) (2006) | 294,3 kN | 480 kg | 62,5 | 3520 m/s |
Es sind die Daten von Oberstufentriebwerken, sodass man keine Beschränkungen durch den Start bei 1 bar hat (was die Leistung herabsenkt). Die Triebwerke haben unterschiedliche Schublevel, was den Vergleich erschwert. Deutlich ist aber das der spezifische Impuls angestiegen ist von 3100 auf über 3500 m/s, allerdings entfiel die größte Steigerung auf das erste Jahrzehnt, seit 1970 jedoch nur noch um 100 m/s. der spezifische Impuls ist ein guter Gradmesser für die Fähigkeit eines Triebwerks die Energie des Treibstoffs maximal auszunutzen, also sein Wirkungsgrad. Das Voll/Leermasseverhältnis dagegen eines das über die ingenieurstechnische Leistung Aufschluss gibt. Allerdings hängt es vom Schub ab, physikalisch bedingt sind kleinere Triebwerke im Verhältnis zum Schub schwerer als große. Das Streben nach einem hohen spezifischen Impuls kann durch die Leermasse erhöhen. Das wird deutlich am Paar RD-0110 und RD-0124, dabei hat das RD-0124 das RD-110 abgelöst. Bei fast gleichem Schub ist es schwerer, weil es eine höhere Effizienz durch eine viel größere Düse erreicht.
Dies bei russischen Triebwerken beobachtete, das man die Leistung kaum noch steigern kann, sieht man auch bei anderen Triebwerken. Der Aufwand wird immer größer, so arbeitet das RD-0104 mit 45 Bar Brennkammerdruck und einer Düse mit einem Expansionsverhältnis von 40. Das RD-0124 arbeitet mit 162 Bar und einem Expansionsverhältnis von 194. Will man die Leistung weiter steigern, so wird das Triebwerk schwerer, da der Druck und die Düsenlänge größer werden.
Betrachten wir nach dieser allgemeinen Betrachtung nun die Komponenten der SLS. Für das Triebwerk J-2X kann man in der Tat das sagen, was Garver reklamiert. Es wurde noch in den Sechzigern entwickelt als Nachfolger des J-1 mit mehr Leistung aber auch unkompliziertem Aufbau. Die NASA hat die Turbopumpe durch eine neue ersetzt und die Düse verlängert, was den Spezifischen Impuls auf fast 4400 m/s erhöht, er bleibt aber dennoch unter dem was moderne kleinere Triebwerke leisten. Doch das seinen Grund: Oberstufentriebwerke sind schwerer zu testen (das Herstellen des Vakuums ist ziemlich aufwendig), es kann zu Problemen kommen, die man bei normalen Tests nicht beobachtet wie das Versagen der J-2 beim zweiten Saturn V Start, als eine fehlende „Isolierung“ aus auskondensierter Luft bei Wasserstoffleistungen wegfiel oder dem Durchbrennen der Vulcain 2 beim Jungfernflug der Ariane 5 ECA als die Kühlung im Vakuum nicht ausriechend war. Auch hier kühlte die umgebende Luft mit. Meiner Ansicht nach ist es sinnvoller, ein gut getestetes Triebwerk zu verwenden als sich auf ein neues Design einzulassen nur um etwas mehr Leistung (2-3% maximal) zu gewinnen.
Kommen wir zu den Triebwerken der Zentralstufe, das sind die RS-25D/E. Es sind die letzten Versionen der Space Shuttle SSME. Und hier ist Garvner definitiv falsch: Das Triebwerk RS-25 (ohne Buchstabe) wurde tatsächlich von 1972 bis 1980 entwickelt, aber damit haben die RS-25D nichts zu tun. In den letzten 30 Jahren hat man jedes Teil des Triebwerks bis auf die Düse mindestens einmal ausgewechselt und durch ein neu konstruiertes ersetzt. Die Düse wäre beim RS-25E dann drangekommen. Es zeigt auch das der technische Fortschritt nicht immer mit besseren Leistungsdaten verbunden ist, denn die sanken. Das Gewicht ist höher, der spezifische Impuls geringer. Das Gewicht stieg an, weil man zahlreiche geschweißte Verbindungen durch gegossene Teile mit einer höheren Leermasse ersetzte. Aber das verringerte den Wartungsaufwand. Dieser sinkt auch, wenn die Belastungen kleiner sind, weshalb man auf etwas Leistung verzichtete. Trotzdem sind die RS-25D immer noch die effizientesten Erststufentriebwerke die es heute gibt. ein anderes Beispiel ist das RS-68, bei dem man bewusst auf Leistung verzichtet, zugunsten einer kürzeren Entwicklungszeit und niedrigeren Produktionskosten.
Dann sind da noch die SRB, auch dies sind verlängerte Shuttle-SRB. Nun hier ist die Technologie wirklich weiter. Als die SRB entwickelt wurden, gab es für Oberstufen schon die Fähigkeit Gehäuse aus Nicht-Metallwerkstoffen zu fertigen, damals Glasfaserverbundwerkstoffe. Heute nimmt man Kohlefaserverbundwerkstoffe und man kann so große Hülsen wie bei den SRB aus ihnen fertigen. Sie sind zum einen um ein Drittel leichter, zum anderen trotzdem druckbeständiger wodurch man den Brennkammerdruck erhöhen kann. Bei der Ariane 5 wäre ein Austausch vorteilhaft gewesen: Sie hätten nur noch 27 anstatt 37,5 t gewogen, der spezifische impuls wäre um 40 m/s angestiegen: das wären 10% mehr Nutzlast gewesen. Immerhin offeriert damit auch der Austausch der Booster einen Nutzlastgewinn. Je nach Größe der Booster und Technologie sollen so 25 bis 65 t mehr Nutzlast möglich sein.
Der Rest der Rakete ist allerdings State-of-the-Art: So wird die Legierung 2195 eingesetzt, die leichteste heute verfügbare.
Wir beobachten in den letzten Jahren eher das Gegenteil: Anstatt neue, technisch noch weiter entwickelte Triebwerke zu entwickeln, verzichtet man eher auf Leistung. Beispiele sind das RS-68 für die Delta 4, aber auch in Europa ist man schlauer. Die Ideen für das Vulcain 3 hatten vor allem das Ziel die Kosten zu reduzieren, auch wenn die Leistungsparameter geringer sind. Das wohl letzte Beispiel ist das Merlin mit Gasgeneratorzyklus und LOX/Kerosin als Treibstoff anstatt staged Combustion Zyklus und Einsatz von LH2. Auch in Russland denkt man weiter. In der Angara wird das RD-191 als Einkammerderivat des RD-170 eingesetzt anstatt ein neues Triebwerk zu entwickeln. Mit nur einer Kamer und einer Turbopumpe ist es potentiell risikoärmer als das RD-170 mit zwei Turbopumpen und vier Brennkammern.
Natürlich sollte am Technologien weiterentwickeln, aber nur wenn man Bedarf hat und wenn es kein Selbstzweck wird, also es nicht unnötig teuer wird. Die USA haben z.B. einen Bedarf an einem neuen Oberstufentriebwerk. Das RL-10 wurde zwar im Schub gesteigert, aber es treibt heute Stufe an, die doppelt so schwer wie die alte Centaur sind, mit Nutzlasten die bis zu 10-mal schwerer sind. Nützlich wäre ein Triebwerk der 200 bis 250 kN Klasse. Damit wären größere Oberstufen möglich die man auch in der SLS einsetzen könnte. Das wäre sinnvoll.