Das hat sich doch gelohnt
Gestern Abend ist Alexander Gerst als erster des neuen Astronautenchors zur ISS aufgebrochen. Klar, so was kommt in den Nachrichten. auch das er einen neuen Ofen einweiht, den er auch schon vorher in Interviews ausgiebig erwähnte weil er wohl viel mit diesem neuen Experiment geübt hat. Doch in paar Tagen wird sich der Rummel legen und dann wird Gerst erst wieder im November in die Nachrichten kommen, wenn er wieder zurückkehrt.
Wie man weiß sehe ich die bemannte Raumfahrt kritisch, vor allem weil sie von Forschungsgeldern finanziert wird und die sind nicht so in Fülle vorhanden. Hier in BW hat unser MP gerade eine Finanzspritze für die Universitäten beschlossen, nachdem ihr Budget in den letzten 15 Jahren durch Inflation gefallen ist, während die Studentenzahlen und Energiekosten stiegen (komischerweise scheint man bei öffentlichen Bauten diese vollkommen zu ignorieren. In keiner Schule/Uni in der ich war, sah ich eine Energiedämmung, dafür immer große Glasfassaden). Selbst wenn man nur das Geld für andere Raumfahrtprojekte verteilen würde könnte man viel bewegen.
Es ist relativ schwer die Kosten von Raumfahrtprojekten für Europa herauszubekommen. Bei der NASA gibt es ein veröffentlichtes Budget mit Unterposten. So was fehlt bei der ESA und noch mehr beim DLR. Ich fand drei Zahlen: In Countdown 28 der DLR ein Gesamtbudget der ESA für die ISS von 2010 bis 2020 über 4 Milliarden Euro, das aber nachdemselben Bericht nicht eingehalten wird und 1075 Millionen für die Zeit nach Neapel (leider ohne Angabe des Zeitraums, ich tippe aber auf zwei Jahre, da Ende dieses Jahres wieder ein Ministerratstreffen geplant ist). Das sind 538 Millionen Euro pro Jahr. Im ESA Annual Report wurden für 2012 12,2% des Budgets von 4200 Millionen Euro für diesen Bereich ausgewiesen, das sind also auch über 512 Millionen Euro. So scheinen 512-538 Millionen Euro pro Jahr eine vernünftige Zahl zu sein. Dafür bekommen die ESA alle 18 Monate einen Astronauten ins All.
Deutschland war an diesem Budget bisher mit 40% beteiligt. Da bei 6 Astronauten im europäischen Chor und diesem Rhythmus ein zweiter Einsatz von Gerst erst 2023 zu erwarten ist und die ESA keinen Beschluss für eine Beteiligung nach 2020 gefasst hat bedeutet dies, dass Deutschland in 9 Jahren rund 1,9 Milliarden Euro für einen Flug eines Astronauten ausgibt. Das hat sich doch gelohnt oder? England ist erst jetzt eingestiegen mit eine Finanzierung von 20 Millionen Euro für zwei Jahre, also 90 Millionen Euro in 9 Jahren, hat mit Timothy Peake aber schon einen gebuchten Sitzplatz.
Ich habe es ja schon mal erwähnt: Nur Deutschland hat innerhalb der ESA diesen Wunsch bemannte Raumfahrt zu betrieben. Das ging mit dem Spacelab los, wurde mit den D-1 und D-2 Missionen fortgesetzt, danach kamen Euromir Missionen und nun eben die Führung bei der ISS Beteiligung. Die anderen ESA Staaten sehen dies anders. Frankreich und Italien haben ihre ISS Beteiligung schon in Neapel reduziert – Deutschland musste im Gegenzug erhöhen und zahlt nun 51,7% des Gesamtbudgets. Es wird dabei nicht bleiben, denn das Servicemodul für die Orion wird auch teurer als geplant. Es ist die Kompensation für die drei Jahre von 2018-2020. Die CNES hat schon angekündigt dass sie nicht für eine Verlängerung über 2020 sein wird. Klar: beide Nationen brauchen das Geld für die Ariane 6, die übrigens inklusive Ariane 5 und anderen Aktivitäten im Trägerprogramm nur 618 Millionen in den zwei Jahren kostet. Deutschland wiederum hat durch Zypries schon eine Absage erteilt dass man mehr Geld für Träger locker machen könnte, was eine Finanzierungslücke hinterlässt. Rechnet die CNES doch mit 25% Beteiligung an der Ariane 6. Inzwischen will auch Russland nach 2020 aus der ISS aussteigen. Angesichts der Situation von Russlands Raumfahrt und der aktuellen Krise würde ich diese aussage aber noch nicht auf die Goldwaage legen.
Nicht dass ich für die Ariane 6 wäre, aber es knirscht derzeit arg in Europa. Man kann nur hoffen, dass man beim nächsten Konzil tragfähige und vor allem sinnvolle Entscheidungen trifft.
Russland hat neue Projekte bezüglich der bemannten Raumfahrt, die Rede ist jetzt von einer möglichen Kooperation mit China nach 2020 als auch über zukünftige Mondflüge. Die Sojus werden wahrscheinlich noch bis 2025 fliegen. Demnächst kommt eine neue Variante (Sojus-MS) mit Satellitennavigationssystem GLONASS und GPS, neuen Kurs System, digital-TV Leitung, neuen Meteoritenschutzsystem als auch ausgestatet mit neuen Materialien zum Einsatz. Das neue PTK Raumschiff (bis zu 7 Kosmonauten) ist noch auf dem Papier, zur Zeit werden Arbeitsdokumente für die PPTS-2 Variante vorbereitet.
Die internationale Raumfahrt ist im wesentlichen ein Mittel der Diplomatie und wissentschaftliche Erkenntnisse dienen dann eher um die Kosten irgendwie zu begründen. Die ISS liegt unserer Regierung so am Herzen, da man gemeinsam mit den US-Amerikanern und den Russen ein Projekt teilt. Vorallem jetzt dürfte die Bedeutung der ISS als letztes gemeinsames Projekt des Westens und Russlands steigen.
Von daher denke Ich nicht das sinnvolle Entscheidungen (im Sinne von technologisch oder wissenschaftlich) sich durchsetzten werden. Bleibt uns nur auf diplomatisch sinnvolle Entscheidungen zu hoffen.
„Hanswurst“ sagt das vollkommen richtig: Politisch ist eine multinationale Weiterführung der ISS sehr, sehr wünschenswert. Dafür sind einige hundert Millionen Euro pro Jahr als „deutscher“ Beitrag sehr gut investiertes Geld.
Wissenschaftlich macht die ISS hingegen keinen Sinn, was dort alles an nichtmedizinischen Experimenten läuft, geht alles billiger mit Höhenforschungsraketen und/oder Sekundärnutzlasten zu normalen Missionen. Und die medizinischen Experimente auf der ISS sind reiner Selbstzweck, helfen also, künftig Astronauten mit weniger Nebenwirkungen (Raumfahrer-Krankheit, Muskelschwund etc. pp.) ins All zu bringen, bringen aber der Medizin auf der Erde nichts.
Aber politisch hat die ISS eine Menge erreicht. Nur waren diese Ergebnisse anscheinend nicht von Dauer.
Kai
Bleiben wir lieber sachlich und technisch und dazu folgendes:
Über die weitere ISS Nutzung weit über 2020 ev. bis 28 entscheidet der technische Zustand der Station. Dazu gibt es eine Roskosmos Ausschreibung für die Entwicklung von Methoden und Instrumenten für eine umfassende Untersuchung des russischen Teils der ISS. Mit Hilfe der Daten und der Prognosen wird die Effektivität ermittelt, als auch weitere Entscheidungen getroffen.
Fakt, Russland will um 28-30 zum Mond. Die Entwicklung der Trägerrakete, Landefähren, Raumschlepper erfordert grosse finanzielle Summen, somit ist die weitere Funktion der ISS nach 2020 für Russland fraglich.
Auch Fakt, neue Module können auch autarkt arbeiten, der NEM kann auch als ein Baustein für die zukünftige LOS (Lunar Orbital Station) Verwendung finden. Der sehr wichtige OKA-T Modul für Materialforschung fliegt ja 90-180 Tage sowieso ohne Kosmonauten auf elliptischen Bahnen bis 3000-5000 km als auch noch höher.
> Fakt, Russland will um 28-30 zum Mond.
Was zählt ist das was man kann, nicht was man will. Das gilt für Russland genau so wie für SpaceX. Bei beiden glaube ich nur noch das, was wirklich fliegt. Nicht das was mit viel Rummel angekündigt wird. Selbst bei der NASA gibt es immer mehr Projekte, die bevor sie fertig sind beerdigt werden.
Die Raumfahrt entwickelt sich international immer mehr von der Geschichte der Pionierleistungen zu einer Geschichte der Streichungen. Und durch die Ukraine-Kriese wird wohl bald noch weniger Geld da sein – auf beiden Seiten.