Ich greife mal die Frage von Hans auf:
„Wie kalt muss man Lebensmittel einfrieren, damit auch jene Keime und Bakterien absterben, die die Standard-Temperatur in Tiefkühltruhen/ -schränken von -18°C in der Regel überleben?“, gestellt bei der Fragenaktion. Ich würde mich noch über weitere Fragen freuen, denn für einen Band 2 von Was Sie schon immer über Lebensmittel und Ernährung wissen wollten
Fangen wir zuerst mal an, warum tiefe Temperaturen etwas abtöten. Die Wirkung beruht darauf dass beim Gefrieren sich Eiskristalle in den Zellen bilden, die die Zellwände durchlöchern und so beim Auftauen die Zellen zerstören, weil der Inhalt austritt. Jeder kennt das, wenn man etwas auftaut und Saft austritt oder es ganz weich wird, weil die Zellstruktur zerstört ist. Betroffen ist Fleisch, aber auch Früchte wie z.B. Erdbeeren.
Nun lehrt uns aber die Natur, dass es zahlreiche Lebewesen gibt die sehr kalte Winter überleben, obwohl sie nicht aktiv ihren Körper mit Wärme versorgen. Das passiert im Prinzip den meisten Insekten, Amphibien, Echsen jeden Winter. Die meisten Pflanzen überstehen auch wesentlich tiefere Temperaturen als -18°C. Höhere Organismen haben dazu einige Möglichkeiten. Pflanzen haben viele verholzte Teile die kaum Wasser enthalten. Das Holz stabilisiert die Zellwände, die bei Pflanzen in der Regel sowieso dicker sind als bei Tieren und wenig Wasser bedeutet wenige Eiskristalle. Viele Tiere haben natürliche Frostschutzmittel. Das gebräuchlichste ist es ins Blut oder andere Körperflüssigkeiten Substanzen abzugeben, welchen den Gefrierpunkt absenken wie Glycerin, Zucker oder Salze. Die Konzentration ist meist nicht so hoch, dass sie verhindert dass die Organismen bei tieferen Temperaturen nicht doch einfrieren, doch verhindern sie als Folge auch die Bildung großer Eiskristalle. Stattdessen entstehen zahlreiche kleine Kristalle die die Zellen nicht schädigen.
Ein Irrtum wäre es zu glauben, dass die Kälte per se selbst tödlich ist. Der Stoffwechsel wird gesenkt und dies in gleichem Maße überall sowohl bei nützlichen Reaktionen wie auch bei giftige Stoffe bildende Reaktionen. Es wird praktisch alles „eingefroren“.
Im Allgemeinen gilt: Je höher entwickelt ein Organismus und um so größer er ist, desto anfälliger ist er für Kälte. In Norwegen gibt es im ewigen Eis eine Pflanzengendatenbank – dort werden Samen eingelagert – bei konstant -18°C. Damit dürfte klar sein, dass -18°C zumindest für Samen nicht abtötend ist. Bei Mikroorganismen ist die Sache noch einfacher. Ihre Zellen sind erheblich kleiner als menschliche Zellen und es können in ihnen bei dem kleinen Volumen keine Eiskristalle entstehen. Daneben sind sie einfacher aufgebaut mit weniger Möglichkeiten das etwas kaputt geht. Zuletzt entstehen die Eiskristalle dadurch, dass Gewebe langsam abkühlt. Das kann bei einem einzelligen Organismus nicht passieren, die zudem meist an der Oberfläche sitzen. Wenn man etwas schnell genüg abkühlt überstehen selbst menschliche Zellen sehr tiefe Temperaturen – Spermien und Eizellen werden in flüssigem Stickstoff sofort „schockgefroren“ und überstehen das sehr gut. So werden zum einen Samenspenden aufbewahrt wie auch Eier, die entnommen wurden (zum einen weil die Frau eine Operation vor sich hat und danach keine Eier mehr produzieren kann oder weil es einfacher ist bei einem Eingriff mehrere Eizellen zu entnehmen als viele durchzuführen). Mit Gewebe kann man das nicht durchführen, die Kälte wurde zu langsam ins innere vorstoßen.
Kurzum: Mikroorganismen kann man beliebig tiefen Temperaturen aussetzen das überleben sie. Daneben haben viele Bakterien die Möglichkeiten Sporen zu bilden. Das sind Dauerformen, die praktisch wasserfrei sind und von einer derben Hülle umgeben. Die sind extrem wiederstandfähig gegen fast alle Umgebungseinflüsse. Streptokokken in der Surveyor 3 Sonde überstanden mehrere Jahre auf dem Mond bei Temperaturwechseln von +130 bis -160°C im 28 Tage Rhythmus. Es sterben zwar viele Bakterien beim Gefrieren ab, in einem versuch waren es 98%, doch da sie sich bei Wärme extrem schnell wieder vermehren und nun auch ein durch das Gefrieren beschädigte Nahrungsmittel mit austretenden Zellflüssigkeiten (Nahrung) stoßen erreicht die Population bald wieder den Ausgangswert.
Wenn man in der Industrie mit tieferen Temperaturen als -18°C arbeitet, dann aus zwei Gründen. Zum einen weil wie schon erwähnt um so kleinere Eiskristalle entstehen je schneller etwas abgekühlt wird. Das ist bei -24°C als Zieltemperatur schneller der Fall als bei -18°C, das schont die Lebensmittel und verbessert die Konsistenz beim Auftauen. Das zweite ist beim Transport das man eine Sicherheit braucht das die -18°C nicht überschritten werden, sobald etwas nicht mehr gekühlt wird erwärmt es sich und es gibt immer Zeiten wo es nicht gekühlt werden kann. Vor allem beim Be- und Entladen und im Supermarkt auch beim Einräumen in die Tiefkühltruhe.
Die -18°C haben sich eingebürgert, weil diese Temperatur tiefer ist als die bekannten Wachstumsgrenzen aller Mikroorganismen. Die meisten Bakterien stellen bei -7°C das Wachstum ein, Schimmelpilze oft bei -10°C. Bei -12 bis -15°C wachsen auch die widerstandsfähigsten Organismen nicht mehr. Sie können bei tiefen Temperaturen wachsen, weil nicht das ganze Wasser gefriert sondern geloste Stoffe konzentriert werden und das senkt den Gefrierpunkt ab. Erst bei -35°C beobachtet man ein vollständiges Gefrieren. Da durch den einfachen Aufbau der Organismen es reicht das die Enzyme in einem Restvolumen noch aktiv sind wachsen sie auch bei Minustemperaturen.
Das erklärt übrigens auch warum man selbst bei -18°C Lebensmittel unterschiedlich lange aufbewahren kann und nicht unendlich lange. So kann man Rindfleisch länger tiefgefrieren als Schweinefleisch. Der Grund sind Enzyme, die auch bei Minustemperaturen noch aktiv sind und Abbaureaktionen verursachen können. Das bekannteste Beispiel ist die Lipidperoxidase die auch bei tiefen Temperaturen noch aktiv ist und so das Fett ranzig werden lässt. Das ist bekannt von Schweinefleisch (fetthaltiger als Rindfleisch) und Bohnen die besonders viel des Enzymes enthalten. Daher wird auch oft geraten die Lebensmittel vor dem Tiefgefrieren zu evakuieren.
Übrigens ist auch bei hohen Temperaturen die Sache nicht ganz einfach. Die meisten Bakterien haben ihr Temperaturoptimum bei der Körpertemperatur von Warmblütern also so um 37 °C. Darüber hinaus vermehren sie sich langsamer und bei noch höheren Temperaturen sterben sie ab. Oberhalb von 60 bis 65 Grad z.B. die meisten krankheitsverursachenden aeroben Keime wie Salmonellen, weshalb diese Temperatur ausreicht um diese abzutöten. Dieses Temperaturniveau wird bei der Pasteurisierung erreicht und hat den Vorteil, das die meisten Eiweiße dabei noch nicht gerinnen und so die strukturellen und geschmacklichen Veränderungen gering bleiben. Doch nicht alle Bakterien. Die anderen Bakterien die hitzetolerant sind bleiben übrig, weshalb pasteurisierte Milch eben dann nur einige Tage unter Kühlung haltbar ist, während sterilisierte Milch (erhitzt über 100°C) ohne Kühlung mehrere Monate haltbar ist. In ihr sind dann wirklich alle Bakterien abgetötet.
Bestimmte Bakterienarten können sehr hitzestabile Sporen bilden, die bei Erreichen der Normaltemperatur wieder zum normalen Bakterium werden. Dazu gehören die Clostridien die vor allem in Konserven (Gemüse, sauere Produkte) vorkommen. Sie waren früher als noch mehr selbst eingemacht wurden eine Gefahr. In industriell hergestellten Konserven wird der Inhalt meist so schnell erhitzt das die Sporenbildung meist ausgeschlossen ist. Trotzdem sollte man keine Konserve verzehren bei der sich der Deckel durch Gasbildung wölbt, es beim Aufmachen aus dem selben Grund zischt oder es geruchliche, farbliche oder strukturelle Veränderungen gibt. All diese können durch Clostridien verursacht sein.