Ein unbemannter Raumstationsersatz? Teil 2: Alternativen
Kommen wir nun zu dem eigentlichen Teil – wie könnte man die ISS unbemannt ersetzen? Um sich mit der Frage zu beschäftigen, ist es zuerst mal ganz sinnvoll sich zu informieren, was es an Konzepten in dieser Richtung schon gab. Es ist erstaunlich wenig. Die CNES plante mal eine unbemannte Raumstation Solaris, die nur kurzzeitig von Astronauten zum Reparieren und Auswechseln von Proben besucht wäre. Das fand dann seine Fortsetzung im ersten Konzept von Columbus, das damals auch autonom arbeiten konnte und von einer ebenfalls von Astronauten ausgesetzten und wieder eingefangenen „Free Flying Plattform“ ergänzt wurde. Aus letzterer wurde Eureca, die auch einmal ins All flog. (Ausgesetzt im Juli 1992, eingefangen im Juni 1993). Die NASA hatte als Gegenstück den LDEF Satelliten in dem man Experimente unterbrachte und der später eingefangen wurde. Beides waren aber Plattformen mit Experimenten, nicht gedacht für biologische Forschung oder Materialforschung, ohne Druckbehälter sondern eher Instrumententräger oder Träger für Materialproben deren Veränderung im All man untersuchen wollte. Beide waren aber anders als Satelliten nominell wiederverwendbar wie dies auch bei einer Raumstation der Fall ist (die Station bleibt, die Experimente werden ausgewechselt).
Bei den USA verwundert milch dies nicht, nachdem ich ein Buch (Digital Apollo) über die Entwicklung des Apollo Computers gelesen habe. Das Thema ist dort sehr weit gefächert behandelt und geht auch auf die Konzepte für die Unterstützung des Menschen bei der Arbeit ein. Sehr deutlich wird, das in der NASA sehr bald die Astronauten durchsetzten, alles selbst zu steuern. Die Bodenkontrolle bekommt zwar viel mehr Informationen über den Zustand des Fahrzeugs (einfach weil man gar nicht den Platz hat die alle im Raumfahrzeug darzustellen und zwei Piloten auch mit der Informationsfülle überfordert wären), sie kann aber nicht steuern. Das begann mit Mercury, in denen die Astronauten ursprünglich nach NASA-Planungen nur Passagier sein sollten, wo die Astronauten durchsetzten, dass sie alle Bodenkommandos „überstimmen“ konnten. Bei Apollo wollte man wegen der vielen Kommandos und Tasteneingaben (10.500 im Schnitt bei einer Mission), wenn man schon nicht steuern konnte wenigstens einen Fernschreiber installieren – das ersparte, das man die Kommandos mündlich durchgab, die Besatzung diese aufschrieb und nochmals vorlas. Er wurde von den Astronauten abgelehnt, die sich nicht als „Befehlsempfänger“ sehen wollten. Bei Skylab zog er ein, auch weil die Aufgaben durch die vielen Experimente komplexer wurden und nur wenige Astronauten im Programm waren. Skylab konnte auch vom Boden gesteuert werden, allerdings nur die Station, nicht die Experimente.
Das ganze blieb bis in die Shuttle Ära – auch nach Anpassungen gab bis zum letzten Shuttleflug das Hardwarehindernis noch, das man das Landefahrwerk nur von Hand ausfahren kann.
Nach dieser Vorrede ist klar, dass man sich sicher in den USA nicht sehr mit unbemannten Raumstationen beschäftigt hat, da könnte ja der Eindruck entstehen, man bräuchte keine Menschen im All. Bei der ISS ist heute dagegen schon vieles automatisiert und wird nicht von den Astronauten betreut, sondern von den Experimentatoren die an einem Kontrollzentrum einen Daten- und videolink zu ihrem Experiment haben oder ferngesteuert Einstellungen verändern können. Das ergibt sich aus der einfachen Tatsache, das es in der Regel drei Nicht-russische Astronauten auf der ISS gibt, die an Bord von drei Labors im westlichen Teil mit insgesamt 33 Racks Experimente betreuen können. Jedes Rack hat mehrere (3-5) Einschübe. Experimente belegen meistens einen Einschub, größere auch mehrere. Die Zahl der Experimente ist daher groß, alleine wenn man die unterschiedlichen Instrumente nimmt (die meist für mehrere verschiedene Fragestellungen genutzt werden können) kommt man leicht auf über 100. Es ist klar das 3 Personen die nur wenige Stunden pro Tag für Experimente Zeit haben, diese nicht alle gleichzeitig betreuen können.
Wo ist der Mensch heute nötig?
Offensichtlich wenn man etwas auswechseln muss. Das können Proben sein, das können Reparaturen sein, es können aber auch Experimente sein. Die Versorgung mit Gasen, Strom, Wasser etc. kann auch durch Systeme gewährleistet werden. Eine/Ausschalten, Daten Abrufen, Steuern der Umgebungsbedingungen, ist auch durch Telemetrie und Videoüberwachung möglich.
Ich sehe auch keinen Grund, warum der Mensch hier nicht durch Roboter ersetzt werden kann. Vielleicht nicht durch einen, aber durch mehrere mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Werkzeugen an den Armen. Es könnte so mehrere Roboteer genutzt werden die zusammen die Fähigkeiten eines Manschen haben. Die Grenze wäre wo sie sich gegenseitig beeinträchtigen, also im Wege stehen. Jeder Roboter könnte von einem Team im 24 Stunden Betrieb in mehreren Schichten betreut werden. In der Summe bin ich mir sicher, wird man selbst, wenn jeder Roboter durch Fernsteuerung langsamer ist, als ein Mensch, leicht die Besatzung ersetzen, denn diese hat derzeit nur wenige Stunden pro Tag für Experimente Zeit. Ich bin mir sicher, das die Herausforderungen auch der industriell genutzten Robotertechnik zugute kommen und damit einem Industriezweig der wichtig ist und in dem viele in Deutschland arbeiten. Die eingesetzten Roboter sollten im Idealfall den Menschen nicht nur ersetzen, sondern übertreffen. Davon sind sie heute weit entfernt, auch wenn sie einzelne Tätigkeiten besser können, so ist die Summe der Dinge die man mit Händen und Armen tun kann noch von keinem Roboter erreicht. weiterhin müssen sie auf engstem Raum zusammen arbeiten können und wünschenswert wäre auch ein kabelloser Betrieb (Akku mit dem Gang zur Aufladestation), sonst könnte es leicht zum Kabelsalat kommen. Auch hier fällt es leicht sich Einsatzgebiete bei der Herstellung auszumalen wo dies von Nutzen sein könnte.
Ob man Experimente auswechselt, repariert oder ersetzt ist prinzipiell eine Designphilosophie. Reparieren ist das zeitnaheste, aber sicher auch herausforderndste an die Robotik – man muss die Experimente entsprechend auslegen und trotzdem gibt es da keine Routinehandlungen. Einfacher ist es da ein Experiment auszuwechseln, doch muss man trotzdem Feinarbeit erledigen, z.b. es an Stromanschlüsse, Datenleitungen, Gas oder Flüssigkeitsversorgungsleitungen anschließen, letzteres noch dazu dicht. Zudem fällt es länger aus, als wenn man repariert. Die einfachste Möglichkeit ist es gar nicht zu ersetzen sondern bei der nächsten Station ein neues verbessertes zu starten. Das setzt voraus, das eine Station nicht sehr lange betrieben wird.
Das hat auch viel mit dem Design der Station zu tun. Die Extreme sind die die Wegwerfstation und der ISS Nachbau. Das letztere wäre das unwahrscheinlichste Szenario. Es wären wie bei der ISS drei Labore. Sie wären wohl dann aber eher den russischen Modulen vergleichbar, denn es bietet sich an sie mit eigener Stromversorgung auszustatten, sie brauchen zudem Triebwerke um aneinander anzukoppeln, weil kein Shuttle sie zusammenbringt. Der russische Kopplungsadapter hat zudem Leitungen, mit denen man Wasser und Treibstoff transferieren kann, die von einem Versorger gebracht werden. Das Szenario ist aber sehr unwahrscheinlich weil wir drei Labore haben weil es drei große Raumfahrtagenturen im westlichen Teil der ISS gibt und jedes sein eigenes Modul hat. Würde man eine Station nur für die Forschung betreiben, so fände man nicht genug Geldgeber um drei Labore zu betreiben. Die relativ preiswerten Foton Kapseln (umgebaute Wostokraumschiffe) werden z.b. im Schnitt alle drei Jahre gestartet, und sind einige Monate im All. Da fällt es schwer zu glauben, dass man eine unbemannte Station mit mehreren Laboren betreibt.
Die nächst kleinere Lösung ist eine permanent betriebene Station aus einem Modul. Das würde sich unterteilen in einen Druckbehälter und ein Servicemodul wenn man es wie im Westen aufzieht oder einem Labor mit integriertem Servicemodul bei dem dafür der Innenraum verkleinert ist, wenn man es wie in Russland aufzieht. Das ATV dazu zu nutzen, wie vorgeschlagen, wäre möglich aber ineffizient. Wegen der Funktion als Versorger müsste man zu viel umbauen. So wiegt alleine das Treibstoffsystem für den Reboosttreibstoff 1,5 t die nun wegfallen würden, der ICC wäre ohne den rückwärtigen Teil in dem weitere Gas und Flüssigkeitstanks sind auch 1,5 t schwerer als nötig. Dafür reicht die Stromversorgung nicht aus und mit acht Racks ist es trotzdem erheblich kleiner als das Columbuslabor mit 16 Racks.
Wie die ISS könnte ein Versorger das Modul regelmäßig besuchen. Die Bahnanheben, Verbrauchsflüssigkeiten liefern und Proben liefern bzw. Ergebnisse zurückbringen. Für letztere braucht man keine große Kapsel. Die ESA hat für das Columbuslabor den Betrag an essentieller Rückkehrfracht auf 120 kg pro Jahr geschätzt die man problemlos in einer 60-80 cm großen Kapsel unterbringen kann. Natürlich könnte es eine größere Kapsel wie die Dragon sein, es würde aber auch eine kleine reichen die entweder vor dem Weidereintritt ausgestoßen wird oder gleich im Versorger bleibt. Das lehnt sich an das Experiment an, das derzeit im ATV läuft: eine Kamera macht Aufnahmen die von einer Kapsel aufgezeichnet wird, die den Wiedereintritt übersteht, Wenn sie freigelegt ist sendet sie die Bilder über Iridiumsatelliten. Bei entsprechender Robustness bräuchte man nicht mal Fallschirme, die Kapsel müsste nur schwimmen und ein Peilsignal aussenden können.
Wenn die Station relativ preiswert zu bauen ist, z.B. nur so viel kostet wie ein ATV (drei ATV kosten mit Start so viel wie das Columbusmodul ohne Start) dann wäre der nächste Schritt die Wegwerfstation – im Prinzip das gleiche wie beim ersten, nur plant man keinen Experimentenaustausch und keine Versorgung. stattdessen hat die Station einige Rückkehrkapseln für Ergebnisse an Bord und wenn die aufgebraucht sind wird die nächste Station mit neuen Experimenten gestartet. Das Konzept hat auch Vorteile, so kann man Experimente einfacher austauschen und weiterentwickeln. Das ähnelt dann mehr den Spionagesatelliten vom Typ Corona bis Hexagon die damals Filme mit Rückkehrkapseln zur Erde zurückbrachten. das System funktioniert also. Man würde dann eine Station nur so lange betrieben wie es sich lohnt oder sie an Bahnhöhe so viel verloren hat bis sie verglüht. Der Vorteil dieses Konzeptes ist das man einfacher mit einer neuen Station verbesserte oder neue Experimente starten kann, d.h. einen viel schnelleren Innovationszyklus hat.
Doch dazu wird es nicht kommen, denn selbst wenn es die ISS nicht gäbe (mit der ja solche Konzepte konkurrieren würden), denn wenn man nicht ein Feigenblatt für die bemannte Raumfahrt bräuchte, dann würde man niemals die Gelder für die Material- und Biologische Forschung bewilligt bekommen, dafür ist sie zu „unwichtig“ in dem Sinne das man zu wenige Ergebnisse für die eingesetzten Mittel bekommt. Verglichen mit dem was ein Satellit kostet und an Nutzen einbringt ist die Materialforschung oder biologische Forschung im Weltraum einfach in der Kosten/Nutzenrelation unterlegen.<img src=“http://vg02.met.vgwort.de/na/4f792c6f40b34c808ee0d893c542f1c7″ width=“1″ height=“1″ alt=““>
Interessant wäre es auf einer Raumstation ein paar kabellose Roboter zu haben, die vorrangig Routineaufgaben machen, aber zusätzlich einen, wenn nötig kabelgebundenen Manipulator der nur remote von einem Menschen bedient werden kann. Damit kann man dann Feinarbeiten machen. Der Manipulator kann durchaus von einem Roboter an seinen Einsatzort und zurück in seinen Aufbewahrungsbehälter gebracht werden.
Die von dir beschriebene Wegwerfstation ist meiner Meinung nach die optimale Lösung. Man kann Serienbau betreiben, es können viel mehr Experimente parallel laufen (bei mehreren Satelliten) und man kann vielleicht verschiedenste Anwendungen kombinieren, für die bisher ein einzelner, kleiner Satellit gebraucht wurde. Warum nicht Technologiesatelliten zusammenfassen und übrige Nutzlast mit Cubesats auffüllen, die von der Plattform mit Strom versorgt werden?
Viele Grüße
NIels
Wenn man den Nutzen der Experimente maximieren will, ist es m.E. am besten, die Station drum herum ganz wegzulassen, und den Wissenschaftlern einen „Standardsatelliten“ für Experimente zur Verfügung zu stellen. Den gibt es in drei Varianten:
LEO/SSO ohne Rückkehrmöglichkeit (a la ATV, Envisat etc. pp.)
LEO/SSO mit Rückkehrmöglichkeit (a la Dragon)
MEO/GEO/L1/L2 (alle ohne Rückkehrmöglichkeit, aber mit der verbesserten Telemetrie, sowie Antriebsmodul, um die genannten Bahnen vom GTO aus zu erreichen)
Der Satellit übernimmt die Navigation, stellt die Stromversorgung bereit, macht thermisches Management usw. usf. Die Wissenschaftler brauchen sich also nur um die Experimente zu kümmern. Ziel ist, dass diese Standardsatelliten jeweils vollbetankt und inklusive Nutzlast 200 Kilogramm (LEO) bzw. 300 Kilogramm (sonst) wiegen, 20 Kilogramm an Experimenten aufnehmen können, und über Co-Start-Fähigkeiten verfügen. Wenn Ariane 5 ME / Ariane 6 dann endlich über Wiederstartfähigkeiten der Oberstufe verfügt, könnten LEO-Satelliten direkt dort ausgesetzt werden, und die Oberstufe fliegt mit der üblichen Nutzlast weiter. GEO/MEO/L1/L2-Satelliten werden alle im GTO ausgesetzt.
Bei Kosten der Ariane 5 von 20.000 € pro kg in den GTO bzw. 10.000 € pro kg in den LEO, einem Satellit-Vollmasse-zu-Nutzlast-Verhältnis von 10:1 (LEO ohne Rückführmöglichkeit) bzw. 15:1 (alle anderen Varianten) und Kosten für den Satelliten selber von 2 Mio. € (LEO ohne Rückkehrmöglichkeit) bzw. 5 Mio. € (die anderen beiden Varianten) könnte ein Forschungsinstitut eine 1-Kilo-Nutzlast für 200.000 € (LEO) bzw. 450.000 € (andere Missionen) starten. Das liegt vom Budget her in dem Bereich, was eine HiWi-Stelle auch kostet.
Ich bin in meinem Kommentar von einem solchen Satelliten ausgegangen (ok, ich hätte ihn nicht „Station“ nennen sollen). Ich habe Andreas eigentlich auch so verstanden, dass er einen solchen Satelliten meint, oder liege ich da falsch? Wenn die Forschungsplattform unbemannt sein soll, dann ist eine Kabine natürlich blanker Unsinn.