Das Ermächtigungsgesetz
Nun wie versprochen die wichtigste Schlagzeile vom 4.7.2016. Wie ich dazu gekommen bin oder kommen werde, lest ihr am besten im letzten Artikel über den Temporalfluxkompensator nach. Die Nachrichten werden an diesem Tage nicht vom gestrigen EM-Endspiel beherrscht (leider war das Ergebnis nicht in dem Teil den ich abrufen konnte). Was in Deutschland die Gemüter beherrscht, war ein Gesetz aus einem Gesetzespacket das die Regierung gestern, ausgerechnet am Sonntag mit einigen anderen Gesetzen im Paket beschließen musste, offiziell weil ein Gesetz über die Neuordnung der Straßenschilderverordnung bis zu 15.7. den Bundesrat passieren muss. Doch nicht diese Verordnung sondern eine „Vorlage zur terminlichen Anpassung von Wahlen“ erregt die Gemüter.
Es begann am Sonntag mit einem weitgehend leeren Plenum. Die wenigen Oppositionsvertreter dachten sich schon, dass die Regierung wie die letzten WM-Endspiele und EM-Endspiele nutzten würde um unbequeme Gesetze zu verabschieden, doch auf das was nun kam waren sie nicht gefasst, denn zur dritten Vorlage füllte sich das Plenum. Rund 400 Abgeordnete der Regierungsparteien – weitgehend komplett – marschierten ein und beschlossen ohne Beratung und Aussprache das Gesetz. Warum es so viele waren, dämmerte der Opposition als man abends den Vorlagentext las – es war eine Grundgesetzänderung. Um angeblich Kosten zu sparen hat die Regierung die Bundestagswahlen 2017 und 2021 abgesagt. Stattdessen erhalten die Parteien die Sitze die sie 2013 erhielten (ohne Ausgleichsmandate), direkt gewählte Abgeordnete bleiben gewählt oder können durch Nachrücker aus derselben Partei ersetzt werden. 2017 stellt die CDU wieder den Kanzler(in), 2021 die SPD, das war wohl ein Zugeständnis an die SPD.
Am Tag danach ist die Empörung bei den Grünen und Linken groß. Gregor Gysi sprach vom „Ermächtigungsgesetz“ und Anton Hofreiter von einem „ungeheuerlichen Angriff auf die Demokratie“. Wolfgang Kauder verteidigt das Gesetz: „Seit 10 Jahren haben Sozialdemokraten und Union in etwa die gleichen Prozentwerte bei Umfragen und Wahlen, warum sollte sich daran etwas etwas in der Zukunft ändern? Wir sind uns einig das wir die Zusammenarbeit noch zwei Legislaturperioden fortsetzen sollen. Warum also“ – hier reist leider mein Abruf ab.
Steinmeier verteidigt das Gesetz mit dem Hinweis, das die SPD dadurch wieder mal den Kanzler stellen kann und man sich nicht jahrelang mit verrückten Wahlversprechen der CSU herumärgern müsste, Seehofer kommentiert „Nun können wir uns endlich auf Bayern konzentrieren“. Schäuble gab als einziger eine sachliche Begründung für das Gesetz: „Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Politik getan? Mir fällt nur die Agenda 2010 ein, von der wir alle wissen, das sie notwendig war. Von ihr profitieren wir immer noch, doch Schröder verlor die Wahlen. Wenn wir nun zwei Wahlen aussetzen, können wir Gesetzesvorhaben umsetzen die genauso notwendig sind. Wir haben einen Reformstau – Rentenreform, Gesundheitsreform und Steuerreform sind die wichtigsten Vorhanden. Wir können sie nun umsetzen und wenn 2025 erneut gewählt wird, wird auch die Öffentlichkeit sehen, wie notwendig diese Gesetze sind, die in den ersten Jahren aber viele Proteste hervorrufen werden. Wir planen Einsparungen in den nächsten 9 Jahren in einem Gesamtumfang von über 300 Milliarden Euro. Damit werden wir den Schuldenberg verringern, den Sozialstaat reformieren und Vorsorge tragen das zukünftige Genrationen nicht nur für die Renten ihrer Eltern arbeiten müssen“. Christian Bäumler, Chef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) sagte in einem Interview. Das der Arbeitnehmerflügel nur unter der Voraussetzung zugestimmt habe, das nicht nur Arbeitnehmer Reformen zu erwarten haben sondern auch die Firmen. „Seit Jahren wird die Politik durch Lobbyismus geprägt. Firmen finanzieren vor allem den Wahlkampf und erwarten entsprechend Gesetze die unternehmensfreundlich sind. Wir werden in den nächsten Jahren die Subventionen herunterfahren, Sonderreglungen streichen und die Körperschaftssteuer erhöhen“.
So viel aus der Meldung der Tagesschau vom 4.7.2016. Es kann natürlich ein, da nun die Abgeordneten der Opposition vorgewarnt sind, dass dieses Gesetz schon vorher öffentlich angegriffen wird und nie kommt ….
So sehr ich dir zur feinen Ironie dieses Artikels gratuliere (die Kategorie Münchhausen ist da schon ein zu grober Klotz) so sehr bin ich erschrocken, daß nichtmal ein Akademiker die Verfahren um den Gesetzgebungsprozess in diesem Land kennt.
Politikverdrossenheit hin, Wahlmüdigkeit her, ich finde es absolut wichtig, daß Politik und Medien mal ein Aktion machen würde die erklärt WIE Politik funktioniert. Sonst könnte ich mir obiges Scenario tatsächlich vorstellen. Nicht weils es rechtswidrig wäre, sondern weil des den Bürgern tatsächlich egal wäre.
„Ein Hoch auf die Monarchie!“
Der andere Bernd
@Bernie:
Bald knapp der Hälfte der (wahlberechtigten) ist es ja bereits jetzt egal, was in der Politik funktioniert. Solange es Brot und Spiele für die Massen und immer die neuesten Schlautelefonanwendungen gibt, warum soll man sich dann um seine politische Freiheit und Möglichkeiten kümmern? Oder gar aktiv mitarbeiten, was für ein Graus.
@Bernd Nr. 2
Wenn es möglich wäre, dann …
– stünde der Artikel nicht in dieser Rubrik
– gäbe es das Gesetz bei 80% Mehrheit im Parlament schon längst
– wäre Mutti Kanzler auf Lebenszeit
@Bernd Nr.1: Da muss ich aber dringend widersprechen!
So ein Gesetz würde garantiert vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Und auch Merkel wird nicht auf Lebenszeit im Kanzleramt herum turnen, selbst wenn sie an dem Posten klebt. Und 3. befürchte ich: Wenn so ein Gesetz tatsächlich kommen sollte, dann wird sich ein Teil der Gesellschaft so radikalisieren, wie wir es in den 70er Jahren schon mal hatten. Und das muss ja nicht sein.
Och, das Grundgesetz steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Die Länge der Wahlperioden ist nicht spezifiziert. Nur das es regelmäßig Wahlen und Abstimmungen geben muss ist durch die „Ewigkeitsklausel“ abgesichert.
Was nicht funktioniert ist so eine überfallmässige Wahl. Auf den Trichter sind sogar schon die Väter der Weimarer Republik gekommen.
Vorgeschieben ist eine vorher bekannt gemachte Tagesordnung, eine vorher bekannt gemachte Gesetzesvorlage und…. ein Gesetz bei dem keine Gefahr im Verzuge ist muss mindestens 2 mal im Plenum gelesen werden.
Die Gefahr sehe ich eher darin, daß ein viel, viel kleinerer Teil der heutgen Gesellschaft im Gegensatz zu der der 70er echtes politisches Interesse hat. Heute gehts nur noch um Seperatinteressen. Der Staat und seine Notwendigkeiten als Ganzes geht der überwiegenden Mehrheit am Arsch vorbei.
Guck dir die Gewerkschaften an. Wie leicht könnten die die multinationalen Konzerne mit ihrem Quartalsdenken in schwierigkeiten bringen…. Nein, der Tellerrand ist ganz eng und es wird für einzelne Berufsgruppen die ganze Nation lahmgelegt ohne irgendetwas Ernsthaftes damit zu erreichen.
Dasselbe im anderen Lager: Klagen darüber, daß die o.g. Konzerne und ihre Geldgeber sie so gängeln, sehen aber garnicht, daß ebendiese Konzerne das meiste ihrer Kernkompetenzen outgesourced haben.
Genau die selben Widersprüche findet man bei den Lautschreiern der Politik. Seien es die CSU oder die Grünen.
Weis jetzt garnicht wo ich aufhören soll. Am besten mit: Ich sehe deutliche Anzeichen von Dekadenz.
Der andere Bernd
@bernie: Der Analyse stimme ich weitgehend zu. Aber ich denke auch, dass das ein Ergebnis der „Teile und Herrsche“-Strategie derjenigen ist, die die Macht dazu haben, gesellschaftliche Verhältnisse zu ihrem Gunsten zu verändern. Die Strategie sieht so aus, dass die Gesellschaft erst mal in verschiedene Gruppen aufgeteilt wird, wobei man sich die Interessen der einzelnen Individuen zu Nutze macht. Da hat man etwa die Sportfans, speziell im Fussball, wo die einzelnen Fangruppen der unterschiedlichen Vereine mehr oder weniger freundlich miteinander umgehen. Diese werden dadurch beherrscht, dass man sie mal mehr mal weniger gegeneinader aufwiegelt. Ähnlich macht es die Konsumgüterindustrie, die uns ständig erzählt (bzw. erzählen lässt), man müsse dieses oder jenes Produkt unbedingt haben, um sich wohl zu fühlen oder irgend eine Art gesellschaftlicher Anerkennung zu bekommen. Und nach dem Motto: wer die Modemarke X nicht trägt (warum auch immer) braucht bei uns gar nicht erst anzukommen, denn der hat bei uns keine Chance, anerkannt zu werden, grenzen sich dann auch einige Leute von anderen ab. Das zieht sich durch alle Schichten, bzw. so werden auch Schichten künstlich geschaffen. Und immer wieder werden dann auf die eine oder andere Art und Weise, Gruppen gegeneinander gehetzt, so das diese so sehr mit sich selbst bzw. untereinander beschäftigt sind, dass sie für den Blick über den Tellerrand, (der in diesem Fall das Leben ausserhalb ihrer spezifischen Gruppe darstellt) keine Zeit oder keine Lust mehr haben. Und diejenigen, die die Konflikte anheizen oder auch dämpfen, beoachten fröhlich das treiben und machen ansonsten, was ihnen gefällt ohne dass ihnen irgendwer da rein redet oder sie gar daran hindert.