Bernd Leitenbergers Blog

Macht was aus der Angara

Niels hat vor zwei Jahren mal „Macht mehr aus der Angara“ und „Macht noch mehr aus der Angara“ publiziert die Jewgeni, dank seiner gewohnt einfühlsamen Art Kommentare zu machen, wieder ins Gedächtnis gebracht. Gerade habe ich das Angara Kapitel in der zweiten Auflage von „Internationale Trägerraketen“ fertiggestellt. Da ich mich daher mit den Trägern neu beschäftigen musste, liegt es auf der Hand einen Blog drüber zu schreiben. Aber zuerst was zum Buch. Ich bin jetzt mit der Hälfte durch und hoffe es geht jetzt schneller. Die russischen Träger sind erledigt. Bei den europäischen kann ich auf andere Bücher von mir zurückgreifen und über Indiens, Japans und Chinas Träger gibt es sehr wenige Informationen, was dann auch die Recherche verkürzt. Ich dachte ich komme mit 500 Seiten aus, aber das wird wohl nicht reichen, derzeit habe ich schon 481 Seiten voll.

Aber zur Angara. Es geht in dem Blog nicht um die Verzögerungen, die Kostenexplosion oder andere Entscheidungen, die mit der Angara zusammenhängen (z.B. der in Wostotschny einen neuen Weltraumbahnhof aufzubauen, aber dort entsteht als erste Rampe eine für die Sojus nicht Angara, wo doch die Angara angetreten ist die Sojus abzulösen …). Es geht darum, dass aus einem Konzept mit wenigen Stufen die bisherigen Träger abzulösen, das genaue Gegenteil wurde.

So war es mal gedacht:

Es gibt eine Erststufe, das URM-1 mit dem RD-191 Triebwerk, das vom RD-171/180 abstammt. Nur eben eine Brennkammer hat, anstatt zwei oder vier. Das sollte die Entwicklungskosten niedrig halten.

Je nach Version sollen dann vier Oberstufen zum Einsatz kommen. Unverändert die Breeze KM der Rockot und Breeze M der Proton. Leicht verändert der Block I der Sojus 2.1b mit etwas mehr Treibstoff und eine neue Stufe KVTK mit LOX/LH2 als Antrieb.

Daraus kann man folgende Versionen erzeugen:

Schon an der Anfangskonfiguration kann man einiges kritisieren. Das erste ist dass die Angara ja alte Träger ablösen sollte. Das klappt auch mit einer Ausnahme:

Leider fehlt die Rakete die Russland am häufigsten einsetzt: die Sojus. Eine Angara mit zwei Boostern läge in dem Bereich, doch sie wurde nie angegangen (Raketen müssen nicht symmetrisch aufgebaut sein: das Shuttle ist ein gutes Beispiel dafür)

Das zweite ist die Größe des URM. Es wiegt voll betankt 141,5 t bei 196 t Startschub. Bei einem Start mit 1,2 g, wie bei anderen Typen üblich, kann jedes URM noch 21,5 Masse transportieren, also Oberstufen oder Nutzlast. Das ist zu wenig. Bei den kleinen Typen muss man so Treibstoff weglassen, bei den großen reicht es nicht, dass man ein URM später zündet. Lediglich ohne Oberstufe geht es bei der Angara 7 mit relativ geringer Beschleunigung (1,16 g).

Anstatt dass man die Größe richtig auslegt, z.B. nur 120 t kam man – als ersten Schritt der Verwässerung – auf die Idee bei der Angara 7 das zentrale URM auf 4,1 m Durchmesser zu vergrößern was die Treibstoffzuladung verdoppelt. Doch dann ist das eben schon wieder eine neue Stufe. So verwässert man ein Konzept.

Doch zurück zum ursprünglichen Konzept. Die Angara 1.1 ist eine gezielt verschlechterte Rakete, denn die Oberstufe ist zu klein. Man kann mit dem leben, wenn die Einsparung durch Serienfertigung dies rechtfertigt. So etwas kennen wir auch von woanders, so der Einsatz der Atlas-Agena noch Jahre nachdem es mit der Atlas Centaur eine bessere Alternative gab.

Bei der Angara 1.2 muss man Treibstoff ablassen sonst wäre Block I zu schwer. Stattdessen hätte man auch die Breeze M einsetzen können, die ist leichter und durch die geringere Trockenmasse wäre die Nutzlast fast gleich hoch.

Bei der Angara 3 und 5 könnte man sich Block I sparen und gleich eine KTVK einsetzen. Doch diese Einsparung ist nur bei der Angara 7 vorgesehen. Die Angara 3 sollte im ursprünglichen Konzept überhaupt keine KTVK bekommen. Umgekehrt ist die Breeze M wie die KTVK bei fast gleicher Masse dann überflüssig, könnte also eingespart werden.

Es gäbe also schon einiges beim Ursprungskonzept zu verbessern. Doch was hat sich in den letzten Jahren getan?

Die Angara 1.1 wurde gestrichen und zwar zugunsten (nein das ist kein Scherz) der Sojus 2.1v. Man lässt also eine neue entwickelte Konfiguration fallen um sie durch einen veralteten Träger zu ersetzen, der 40 Jahre alte aufgearbeitete NK-33 (Ursache für den ersten Fehlstart der Antares) und eine neue Volga Oberstufe einsetzt (die nebenbei schon beim zweiten Flug versagt hat). So wirds nichts mit dem Ersetzen der Sojus. Das ist das Duale System in Russland: Wiederverwendung veralteter Hardware.

Aus dem modifizierten Block I wurde eine neue Stufe mit einem deutlich größeren Durchmesser von 3,60 m (Block I: 2,66 m). Und die Treibstoffzuladung wurde um 50% vergrößert: Das ist in meinen Augen eine sinnvolle Erweiterung. Wären die URM etwas leichter, so wäre eine noch größere Stufe denkbar. Dann gäbe es auch ein besseres Verhältnis der Stufenmassen zu den beiden Oberstufen Breeze M und KVTK. Das lässt aber das RD-0124A nicht zu, es hat zu wenig Schub. Eine Stufe mit dem RD-120 wäre besser geeignet, doch dieses stammt aus der Ukraine. Energomasch hat es mal entwickelt, doch produziert es seit 1982 KB Juschnoje.

Ganz schlimm erwischte es die KVTK. Aus einer Stufe wurde eine ganze Familie von 13,6 bis 48 t Startmasse: je eine für die Angara 3,5 und 7 und dann noch zwei weitere mit zwei Triebwerken für besondere Angara 7 Versionen. Das leitet über zur KTVK. Sie hinkt Jahre hinter der Entwicklung zurück. Inzwischen wird gemunkelt dass sie gar nicht kommt, stattdessen Block DM-3 die neueste Variation des Block DM, der nun auch schon 45 Jahre auf dem Buckel hat. Ja so ersetzt man alte Raketen durch neue …

Die KTVK ist die zweite Neuentwicklung mit einem neuen Triebwerk, dem RD-0146. Das verwundert, denn Russland hat schon eine LOX/LH2 Stufe: Die KVD-1 die sie für Indien produziert hat. Sie hat fast de gleiche Startmasse der kleinsten KTVK-Version. Warum setzt man sie nicht ein und entwickelt ein neues Triebwerk und eine neue Stufe? Es ist wohl die Technologie-Mannia die man jetzt ja auch bei Acetam/Methan sieht. Das RD-56 in der KVD-1 ist wie alle anderen russische Triebwerk ab 20 kN Schub eines mit Staged-Combustion Cycle. Das ist für die Schubklasse ungewöhnlich. Das neue RD-0146 setzt wie andere Triebwerke der Klasse den Expander Cycle ein. Das bringt etwas mehr spezifischen Impuls und senkt die Triebwerksmasse um 100 kg – aber deswegen eines neue Stufe? Zumal die kleinste KVTK nicht leichter als die KVD1 ist. Beide wiegen 2,6 t leer, die KVD-1 aber bei 15,1 t Startmasse und die KVTK bei 13,7 t. Noch verwunderlicher sind fünf Untertypen. Sicher beim Einsatz auf drei Typen mit unterschiedlicher Startmasse reicht eine nicht aus, aber zwei Stück mit einem und zwei Triebwerken hätten gereicht. Eine könnte dann die KVD-1 sein, die zweite etwa doppelt so schwer. Dann kann man den Einsatz von Block I (nun URM-2) auch auf die Angara 1.2 oder LEO-Missionen begrenzen.

Doch das ist noch nicht alles. Da nun eine Schwerlastrakete wegfällt, die man 2011-2013 plante will man die Angara umrüsten. Die Angara 7 sollte ein kryogenes URM mit 5,7 m Durchmesser bekommen. Das hätte dann etwa 170 bis 180 t Treibstoff aufgenommen. Als Antrieb käme meiner Ansicht nach das RD-0120 in Frage, das existiert wenigstens, auch wenn der letzte Einsatz 1988 war. Doch was macht man in Russland? Alte Triebwerke die man 10 Jahre lang getestet hat, intensiver als jedes andere Triebwerke nachzubauen? „Nö so was machen wir nicht. Wir bauen ein neues mit 400 bis 800 kN Schub.. Dann baucht man zwar mehrere davon, aber Scheiß drauf, sonst ist es ja nicht neu.“ In etwa das muss man sich dort wohl gerade denken.

Wo die Kryostufe hinkommt weiß man noch nicht so genau. Weil es ja für die Angara 7 schon heute keine Nutzlasten gibt, sie ist einfach zu groß, diskutiert man nun eine Angara 5 mit der Kryostufe. Das erinnert an das letzte was ich ansprechen will: Die Angara und bemannte Raumfahrt. Ursprünglich war die Angara 3 dafür vorgesehen. Die hätte ein 12-13 t schweres Gefährt starten können. Dann hat man die Konzeption gewechselt und ist auf die Angara 7 gewechselt. Irgendwie war die Angara 7 zu groß und derzeit soll es nun die Angara 5 richten.

Die bemannte Version der Angara verzichtet einfach auf Oberstufe, dafür brennt das mittlere URM noch etwas länger als sonst (um die Belastung zu reduzieren brennen die mittleren URM länger, drosseln aber nach dem Start bis zur Boosterabtrennung den Schub). Das Tolle daran: Das Raumschiff gibt es nur auf dem Papier und keine Angara ist ausgelegt die derzeit einsetzten Typen Sojus und Progress zu starten, ja genauso so ersetzt man alte Raketen in Russland. Eine Angara 2 (zwei URM) ohne Oberstufe hätte übrigens mit 8 t Nutzlast gerade die richtige Größe für die Sojus – vielleicht liest diesen Blog ja jemand der Russland nachdenken kann ….

Die Angara 3 braucht niemand, weil sie die gleiche Nutzlast der Zenit hat. Die hat man schon vor der Ukrainekrise langsam aber sicher ausgemustert, indem man die Nutzlast ihrer Gewichtsklasse auslaufen lies. Sie hatte letzte Woche ihren letzten Flug. Traurig aber wahr: Russland stellt seine neuen und modernsten Träger ein und fliegt lieber mit den alten weiter. Die Proton wird noch mindestens 10 Jahre lang fliegen. (Ein Fehlstart auf 10 Starts) Die Rockot wird nur deswegen ausgemustert, weil sie ukrainische Computerhardware einsetzt, das fast gleiche Schwerster Modell Strela wird aber die Flüge übernehmen und kommerzielle Starts der Rockot durch Eurockot wird es weiterhin geben.

Einer Meldung von Intertass, dass man nun nach dem Jungfernflug der Angara 1.2 die Dnepr ausmustern würde, widersprach ISC Kosmotras vehement, die Firma  vermarktet die Dnepr kommerziell.

Die Sojus kann man wegen der Transporte zur ISS nicht vollständig ersetzen, darüber hinaus hat Arianespace Aufträge die im letzten Jahr sogar deutlich zugenommen haben (mit der OneWeb Konstellation) und mit der Sojus 2.1v gibt es sogar eine neue Konfiguration als Konkurrenz zur Rockot.

Also so richtig trennen will man sich nicht von den anderen Trägern. Eher scheint es darauf hinauszulaufen dass nur zwei der Angara Konfigurationen eine Zukunft haben und die auch nur in Konkurrenz zu eingeführten Trägern. Wenn wundert es dass dann das Roskosmos Leiter Oleg Ostapenko 2013 die Angara Family als „Dead End Projekt“ bezeichnete. 150 Milliarden Rubel hatte man bis dahin schon ausgegeben, der Startpreis einer Angara 5 wurde zu dem Zeitpunkt mit 105 bis 115 Millionen Dollar angegeben. Geplant waren mal 73. Inzwischen ist die Proton sogar billiger als die Angara 5, die sie mal ablösen sollte …

Ja macht was aus der Angara – aber was richtiges. Dazu hier bald mehr.

Die mobile Version verlassen