Bernd Leitenbergers Blog

Zu viele Triebwerke für zu wenige Raketen

Heute gab die USAF bekannt, dass sie mit 536 Millionen $ die Entwicklung des AR-1 Triebwerks fördern will. Meiner Ansicht nach läuft, seit die Privatisierung der Raketenstarts 1987 beschlossen wurde, einiges schief. Im Schock der Challenger-Katastrophe wurde beschlossen, das künftig die US-Hersteller von Trägern diese selbst starten und auf dem freien Markt anbieten sollten. Das betraf zuerst nur die NASA, die damals auch die kommerziellen Aufträge aus dem Ausland abwickelte, doch die USAF schloss sich dem an. Nach einigen Jahren des Übergangs, indem die alten Träger verbessert eingesetzt wurden, entschloss man sich zum EELV-Programm , das ja alles besser machen sollte.

Wie wir wissen, ist dem nicht so. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen der fehlende kommerzielle Erfolg von US-Trägern, zum Zweiten die Forderung der USAF, zwei Träger für große und mittelgroße Nutzlasten verfügbar zu haben, was bei den wenigen Starts der USA sie unnötig teuer macht und zum Dritten die Anforderung der Regierung die die Träger verteuert.

Nun vergibt man einen Auftrag an Aerojet für das AR-1 Triebwerk. Zu den bewilligten 536 Millionen $ will Aerojet weitere 268 Millionen selbst investieren. Vorher gab es schon einen Auftrag an ULA für das BE-4 Triebwerk und eine Oberstufe über 202 Millionen Dollar, dazu kommen 134 Millionen Dollar von ULA.

Meiner Ansicht läuft das alles in eine falsche Richtung. Obwohl die Startrate seit einigen Jahren ansteigt, denke ich brauchen die USA nicht zwei Triebwerke der gleichen Größenklasse. Ein Einziges reicht. Wenn das AR-1 entwickelt wurde – wo soll es denn eingesetzt werden? ULA hat sich weitestgehend auf das BE-4 festgelegt. Sie fördern Aerojet noch einige Zeit als Back-up-Option, doch im Laufe dieses Jahres wird endgültig festgelegt, welches Triebwerk zum Einsatz kommt. Wenn das BE-4 im Zeitplan ist, dann ist es dieses Triebwerk, den das AR-1 befand sich schon bei der Ausschreibung in einer früheren Entwicklungsphase.

Theoretisch könnte das AR-1 das RD-181 in der Antares ersetzen, doch da Orbital bisher vor allem auf russische Triebwerke und die erste Stufe aus der Ukraine gesetzt hat, glaube ich nicht das die so einfach umschwenken werden, außer es gäbe gravierende Probleme mit dem RD-181.

Das grundsätzliche Problem ist aber das, dass es zu viel Einmischung der Regierung gibt. Vielleicht ist das geprägt von den Jahren von 1985 bis 1987, als einige Träger ausfielen:

Nr.

Datum

Nutzlast

Trägerrakete

Startplatz

1

28.08.1985

USA

Titan 34D

V SLC4E

2

28.01.1986

Challenger (STS 51-L)

Space Shuttle

KSC LC39B

3

18.04.1986

USA

Titan 34D

V SLC4E

4

03.05.1986

GOES G

Delta 3914

CC LC17A

5

26.03.1987

FLTSATCOM F6

Atlas G Centaur

CC LC36B

Damals gab es 1985 noch 18 Starts, 1986 und 1987 nur noch 9 Starts, weil man schon 1982 die Produktion der „Wegwerfraketen“ eingestellt hatte. 1986 glückten daher nur zwei Drittel aller Starts. Besonders der Ausfall des Trägers für schwere Nutzlasten war bedeutsam. Die Titan hatte zweimal jeweils einen KH-11 Satelliten verloren und das Space Shuttle als Alternative war auch nicht einsatzbereit. Die für fast 4 Milliarden Dollar gebaute Startrampe in Vandenberg wurde nie genutzt. Das war wohl prägend, denn seitdem achtet die USAF immer darauf, dass sie zwei Träger für eine Nutzlast hat, auch wenn sie z. B. die Atlas häufiger nutzt als die Delta. Nur war das damals eine Ausnahme. Man hatte die Produktion eingestellt und das Shuttle bekam danach Startverbot für „einfache“ Satelliten. Bei einem normalen Programm bei dem dauernd Träger in der Produktion sind, hätte man einige Monate ausgesetzt, bis der Fehler gefunden ist und dann die Starts fortgesetzt. Schlussendlich kommt auch die NASA mit nur einem der beiden Träger aus und alle anderen Nationen nutzen auch nur einen Träger für eine bestimmte Nutzlastklasse.

Das Zweite was mir nicht verständlich sind, sind die Sonderwünsche. Bekannt ist das Starts für die Regierung signifikant teurer sind. Sie scheinen unabhängig vom Träger Kosten in Höhe von 20 bis 30 Millionen Dollar zu addieren. Diese Differenz findet man bei Atlas V und Falcon 9, vergleicht man die veröffentlichten Abschlusspreise und die von ULA / SpaceX veröffentlichten Priese für ihre Träger. Das ist nicht neu. Schon als die Raketen privatisiert wurden, klagte General Dynamics darüber, dass der Vertrag über den Start mit Eutelsat 91 Seiten lang ist, bei der NASA dagegen 4.150 Seiten umfasste. Die Steigerung um den Faktor 40 beim Umfang macht die Träger aber nicht sicherer. Sicher ist so ein Oberhead nicht ungewöhnlich. Anja beklagt in Kommentaren ja auch immer wieder die „Sonderwünsche“ seitens der ESA. Zumindest aber sind die Starts für die ESA nicht teuerer als die kommerziellen Starts. Das heißt woanders geht es auch ohne die Bürokratie (zumindest in dem Ausmaße).

zurück zum Anfang. Ich glaube, die USA entwickeln die falschen Triebwerke. Anstatt zwei in der 2000 bis 2500 kN Schubklasse (wozu dann ja noch das RD-193 in der Antares käme) benötigt man eine Ergänzung des RL-10. Das wurde entworfen für die Centaur C, eine 16 t schwere Stufe für maximal 4,5 t Nutzlast. Heute wird Triebwerk im Schub zwar um 60% gesteigert auf Stufen mit 28 t Startmasse und bis zu 28 t Nutzlast eingesetzt. Für die SLS sollen vier RL10 eine neue Oberstufe antreiben. Die Vulcan wird auch eine neue Oberstufe namens AES bekommen. Diese wird 450 bis 670 kN Gesamtschub aufweisen. Die USA bräuchten für beide Oberstufen ein leistungsfähigeres Triebwerk, mit dem drei bis vierfachen Schub des RL10. Ein Triebwerk von 450 kN Schub wäre noch optimaler. Ein einzelnes Triebwerk könnte die ACES antreiben, zwei die SLS Oberstufe, die dann wegen des höheren Schubs (900 zu 440 kN) dann auch größer werden könnte, was die Nutzlast steigert. Da dieses Triebwerk auch für die SLS benötigt wird, wäre eine Beteilligung der Regierung an der Entwicklung sinnvoll.

Noch besser wäre, wenn man zumindest für die Regierung ein flexibles System hätte, das herstellerübergreifend ist. Derzeit ist die Situation so, dass es theoretisch folgende Träger gibt:

  1. Pegasus XL
  2. Taurus
  3. Minotaur I
  4. Minotaur IV/V
  5. Athena IC
  6. Athena IIC
  7. Antares 2xx
  8. Delta 2
  9. Delta 4M
  10. Delta 4H
  11. Atlas V
  12. Falcon 9
  13. Falcon Heavy

Das sind 13 Träger. Häufig in den letzten Jahren eingesetzt wurden nur die Antares, Falcon 9, Delta 4M, Delta 4H, Atlas V. Die Minotaur stehen nur für militärische Starts zur Verfügung, die Pegasus wird nur von der NASA benutzt. Athena IC und IIC haben noch keinen Startauftrag. Auch hier gibt es Konkurrenz. So liegen Falcon 9, Delta 4M und Atlas V in einem ähnlichen Nutzlastbereich. Antares und Delta 2 sind ebenfalls Konkurrenten, wobei die Delta 2 ausläuft. Die NASA hat noch drei Reserveexemplare geordert, weil ihr Antares und Falcon 9 nicht zuverlässig genug waren.

Hinsichtlich Stückzahlen wäre es von Vorteil, wenn die Hersteller auf wenige Triebwerke und Stufen zurückgreifen würden. Die Antares hat z. B. fast denselben Startschub wie die Vulcan ohne Booster. Nur mit einer Feststoffoberstufe ist sie eben weniger leistungsfähig. Würde man die Centaur Oberstufe einsetzen, so wäre eine weitere Option für schwere Nutzlasten verfügbar und natürlich könnte man auch das BE-4 Triebwerk einsetzen.

Die Centaur wäre auch eine Option für die Falcon 9. Umgekehrt wären Booster auf Basis eines Merlin eine Option für die Vulcan anstatt der bisherigen Feststoffbooster. SpaceX könnte die Booster um eine kleine Oberstufe mit dem Kestrel oder dem AJ10 ersetzen, dann hätte man noch eine Trägerrakete für 700 kg Nutzlast, als Alternative zur Pegasus und der Minotaur, mit drei dieser Boostern könnte man in den Nutzlastbereich der Taurus kommen. Das bedeutet mit zwei Erststufentriebwerken (BE-4 und Merlin) und drei Oberstufentriebwerken (AJ10 / Kestrel, RL10, 450 kn Triebwerk) könnte man alle Träger der USA ausrüsten und zudem die Feststoffbooster ersetzen. Dazu gehört natürlich guter Wille. Meiner Ansicht nach nicht unmöglich, denn die Firmen wollen ja verdienen. Abseits sonstiger Rivalitäten gibt es ja auch sonst die Zusammenarbeit: Saturn, Space Shuttle und SLS verwenden jeweils Stufen, Triebwerke und Booster verschiedener Hersteller Wenn der Auftrag stimmt, dann klappt das.

Immerhin eines ist vorbildlich und ich wünschte mir, das gäbe es auch in Europa: bei den neuen Aufträgen trägt der Auftragnehmer mindestens ein Drittel der Entwicklungskosten. Davon ist man bei der ESA bei der Auftragsvergabe für die Ariane 6 weit entfernt.

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