Bernd Leitenbergers Blog

Mars, Venus und Erde als Sprungbretter im Sonnensystem

Wenn man an Gravity Assist oder Swing-By denkt, dann sicher an die klassischen Reisen von Voyager, vielleicht auch Mariner 10. Seit Galileo jedoch nicht mehr direkt zu Jupiter gelangen konnte sind Vorbeiflüge an den inneren Planeten die Regel. Heute will ich mal Venus und Mars als Sprungbrett untersuchen. Fangen wir mit dem Mars an.

Mars ist kein so attraktives Ziel, wenn man die Beschleunigung als Maßstab nimmt. Er ist nach Merkur der zweitleichteste Planet und da der „Schubs“ den er verleiht von der Masse und Passage Distanz abhängen ist er so nicht so alterativ wie Venus, Erde oder gar Jupiter. Aber Mars hat andere Vorzüge. So ist er der einzige Planet der Auf dem Weg von der Erde zu Jupiter liegt. Nur er kann also eine Reise dorthin beschleunigen, will man nicht einige Extrarunden drehen. Bisher gab es zwei gezielte Vorbeiflüge an Mars um Geschwindigkeit aufzunehmen: einmal durch Dawn und einmal durch Rosetta. zuerst betrachte ich mal die Nützlichkeit um Jupiter zu erreichen.

Wenn ich Jupiters Entfernung zu 778 Millionen km annehme und aus 150 Millionen km Entfernung aus starte so brauche ich eine solare Geschwindigkeit von 38522 m/s um diese Distanz zu erreichen. Das entspricht wenn man von einer 186 km hohen Erdbahn aus startet, einer Mindestgeschwindigkeit von 14118,3 m/s relativ zur Erdoberfläche. Passiert man Mars in 227,5 Millionen km Entfernung so reduziert sich die solare Startgeschwindigkeit von 38522 auf 37.600 m/s. Das klingt nach viel, doch aufgrund der Tatsache das man von der Erde aus startet, spart man nur knapp 500 m/s ein – 13516 m/s als Startgeschwindigkeit. Das klingt nach wenig, doch bei Hochenergiemissionen mit ihrer starken Nutzlastabnahme durchaus eine Größe die man gerne mitnimmt. Bei Galileo war die Passage des Mars beim 1982-er Startfenster geplant. Es hätte die Nutzlast von 2380 auf 3340 kg angehoben. Das resultiert neben der Geschwindigkeitseinsparung auch darauf das neben dem 2380 kg schweren Galileo auch die 2970 kg schwere Centaur auf die Erdbahn kommt, alle Nutzlastgewinne aber nur der Sonde zugute kommen. Heute wären es auf einer Atlas 551 als Träger 1912 zu 2510 kg, also auch ein deutlicher Gewinn. Für Galileo wichtiger war, dass man so Treibstoff bei der Centaur einsparen konnte und damit lag diese Mission nicht mehr an der Nutzlastgrenze der Orbiter. Galileo wäre in der Originalmission nur von Discovery und Atlantis startbar gewesen, für alle anderen Orbiter war die Kombination Centaur und Sonde mit zusammen fast 27 t Startgewicht zu schwer.

Der wichtigste Vorteil von Mars ist aber seine Umlaufszeit: Alle 26 Monate gibt es ein Startfenster von der Erde zum Mars. Zu Jupiter gibt es eines alle 398 Tage, also 13 Monate. Das bedeutet: Alle zwei Jahre wiederholt sich ein gemeinsames Startfenster von Mars und Jupiter und Mars steht als Sprungbrett zur Verfügung. Zum Asteroidengürtel braucht man eine kleinere Geschwindigkeit. Mit einer Marspassage müsste man direkt zu Ceres (411 Mill. km) mit 34790 m/s solarer Geschwindigkeit starten (12108 m/s von der Erdoberfläche aus). Ohne Vorbeiflug wären es 37606 m/s bzw. 12711 m/s. Mars liefert so relativ unabhängig von der Distanz einen Geschwindigkeitsgewinn von etwa 600 m/s.

Venus ist dagegen das Sprungbrett zu Merkur. Das ist logisch, denn auch hier liegt Venus auf dem Weg.  Bisher erfolgte das immer mit mehreren Vorbeiflügen. Meinen Simulationen zufolge sollte es aber auch mit einem klappen, wenn man mit etwas Überschussgeschwindigkeit startet. Mit 11467 m/s aus der Erdbahn (26.666 m/s Solar) und 570 km Passagedistanz verringert ein Venusvorbeiflug das Perihel von 100 auf 64 Millionen km Entfernung. Damit wäre man mit einem Vorbeiflug bei Merkur und würde nur wenig mehr Geschwindigkeit (160 m/s) benötigen um zu Venus (108,4 Millionen km) aufzubrechen.

Viel öfters nutzt man die Venus als Sprungbrett zu Jupiter, so Galileo, Cassini und auch JUICE wird diesen Weg einschlagen. Hier sieht man auf den ersten Blick keinen Nutzen, denn man muss um die Venus zu erreichen etwa 3 km/s relativ zur Sonne vernichten. Sicher, der Vorbeiflug bringt nun weitere Geschwindigkeit, aber man hätte ja auch gleich die 3 km/s zur Bahngeschwindigkeit addieren können und erreicht so schon fast den Mars. In der Tat zeigen Simulationen, das man fast das gleiche Aphel erreicht, wie wenn man die gleiche Geschwindigkeit beim Start nicht gegen sondern in der Bahngeschwindigkeit addiert hätte. Wenn ich mit 26500 m/s solar starte (11581 m/s von der Erde aus, erreiche ich ein Aphel von 243 Millionen km. Um diese Distanz mit einem Manöver in Bahnrichtung zu bekommen rauche ich nur 11529 m/s. Auch zeitlich spare ich nichts ein. In 284 Tagen habe ich das Aphel erreicht, beim direkten Start sind es 274 Tage.

Was ist also der wesentliche Nutzen? Der Nutzen liegt bei einem späteren Erdvorbeiflug. Die Venus ist meist nur die erste Etappe, alle folgenden Vorbeiflüge finden an der Erde statt und sie sind himmelsmechanisch dann einfach: die Sonde nähert sich immer dann der Erde, wenn ihre Umlaufszeit  ein gemeinsames Vielfaches der Erdumlaufszeit ist. Die einfachste Möglichkeit ist es so beim Start eine elliptische Umlaufbahn einzuschlagen die nach 1 Jahr die Erde wieder kreuzt.. Dies tat z.B. Near. Doch die Relativ Geschwindigkeit ist dann gering und der Beschleunigungseffekt klein. Erreiche ich dagegen bei der Venuspassage ein Aphel von 185 Millionen km Entfernung so braucht man nach der Passage 261 Tage um wieder die Erdbahn zu kreuzen, 104 tage brauchte man um Venus zu erreichen, zusammen also 365 Tage – genau ein Jahr.  Man kreuzt erneut die Erdbahn, diesmal aber mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als beim Start. Leider aber nicht an der richtigen Position wie die Grafik zeigt. Daher haben Raumsonden die diese Strategie verfolgen Treibstoff an Bord bei denen sie die Bahnen nach dem Swing-By korrigieren denn sonst müsste man zu lange warten bis die Erde wieder in der richtigen Position ist.  Die Abbildung zeigt so eine Bahn: rot der Weg der Sonde in einem Jahr, dunkelblau die Erdbahn, hellblau die Venusbahn und Türkis/lia die Bahnellipsen vor und nach der Venuspassage (jedoch nicht korrekt gedreht). Passiert man nun die Erde kann man erneut Geschwindigkeit aufnehmen und zwar wegen der höheren Relativgeschwindigkeit noch mehr. Die zweite Abbildung zeigt eine Erdpassage nach der ersten Bahn, nun erreicht man schon ein Aphel von 371 Millionen km Entfernung, dafür hätte mans mit 12556 m/s von der erde aus starten müssen.

Für die Erde selbst ist es relativ einfach: die besten Möglichkeiten sind Bahnen die nach 2,3,4,5 Umläufen ein ganzzahliges Vielfachen der Umlaufszeit der Erde haben so 1,5 Jahre (2x 1,5 = 3), 2 Jahre oder 2,5 Jahre:

Startgeschwindigkeit Solare Startgeschwindigkeit Aphel Umlaufszeit
11028 m/s (Fluchtgeschwindigkeit) 29.785 m/s 149,6 Mill. km 1 Jahr
11527 m/s 33117 m/s 242 Mill. km 1,5 Jahre
12148 34861 m/s 325 2 Jahre
12665 35952 m/s 401 2,5 Jahre
13031 36710 m/s 472 3 Jahre
14105 38583 m/s 778 5 Jahre, 168 Tage

Der Letzte Eintrag ist für Jupiter, der erste zum vergleich die reine Fluchtbahn, d.h. die Sonde umkreist die Sonne auf einer Bahn #ähnlich der erde.. Man kann also wenn man eine Sonde erst mal auf eine Bahn mit 1,5 Jahren Umlaufszeit schickt nach 3 Jahren erneut die erde passieren und Geschwindigkeit aufnehmen. Man könnte sie dann auf eine 2, 2.5 oder gar 3 Jahresbahn schicken und bei einem weiteren Vorbeiflug erneut Geschwindigkeit aufnehmen. In der Literatur wird ein Geschwindigkeitsgewinn von maximal 3-4 km/s durch Erdvorbeiflug genannt. Man bräuchte für die Reise zum Jupiter also mindestens zwei, eventuell drei Vorbeiflüge.

Ich habe es mal durchgerechnet. Zuerst wird die Sonde konventionell auf eine 1,5 Jahresbahn geschickt. Nach 3 Jahren passiert sie die Erde das erste Mal. Tut sie dies in 730 km Entfernung von hinten kommend (in der Bahnrichtung so resultiert eine neue Bahn von 148,9 x 403,06 Millionen km – die Halbachse beträgt 276 Millionen km und damit ist das eine Bahn mit einer Umlaufszeit von 2 Jahren 185 Tagen. Nach 5 Jahren kommt die Sonde erneut zur Erde. Sie muss diesmal die Erde nur in 13176 km Entfernung passieren um eine Bahn von 147,3 x 780,1 Millionen km zu gelangen.

Der Nachteil: Man ist so 3 + 5 Jahre + 2 Jahre 220 Tage also fast 9 Jahre unterwegs. Es geht schneller. Leider nicht indem man zuerst eine 2 Jahresbahn anstrebt, die Geschwindigkeitsdifferenz ist dann doch zu hoch. Je nach Erdenttfernung bei der Passage kommt man so maximal auf ein Aphel zwischen 550 und 575 Millionen km. Aber man kann von der Erde aus in eine 2 Jahres Bahn, dann durch Swing-By in eine 3 Jahresbahn und dann zu Jupiter gelangen. Das dauert dann noch 71/2 Jahre. Dafür müsste man allerdings mit 12148 m/s von der Erde aus starten, deutlich mehr als zur Venus.

Man erkennt nun den Nutzen des Venus Swing-Bys. Es erspart die erste Runde um die Sonne, daneben ist von Vorteil dass nun das Perihel niedriger liegt. Bahnen bei denen man den Planeten nahe des Aphels oder Perihels passiert drehen eher die Bahn als dass man viel Geschwindigkeit gewinnt, weil der Einfaltswinkel klein ist.

Was übrigens der Erde recht ist, ist der Venus billig. Starte ich mit 11480 m/s von der Erde aus, das wäre im Normalfall eine Ellipse die bis auf 99,2 Millionen km an die Sonne heranführt und passiere ich die Venus in 1126 km Entfernung so erhalte ich eine 108,3 x 235,8 Millionen km Bahn, die führt in 2 Venusjahren (486 Tagen) wieder zur Venus. Dann kann man die Erde passieren. Mehr als zwei Venuspassagen nutzen nicht so viel, weil durch die sonnennähere Position das dV zu Jupiter noch größer als bei der Erde ist. Man bräuchte mindestens vier Passagen um Jupiter zu erreichen (nach der dritten wäre man erst bei einer 3 Venusjahresumlaufbahn in maximal 342 Millionen km Entfernung angekommen, selbst nach der vierten liegt das Aphel erst in 600 Mill km Entfernung, eventuell kann man mit etwas anderen Startbedingungen noch etwas herausholen).

Saturn machte fast das Optimum, auch hier zwei Venus-Flybys nach 486 Tagen, dann die Erde. Damit die Planeten so gut stehen musste man den Kurs unterwegs mit 542 m/s ändern. Akzeptiert man dies, so kann man wie Cassini auch nach etwas mehr als 4 Jahren bei Jupiter ankommen. Habe ich den Treibstoff für solche dV Manöver so kann man diese Zündung auch bei der Passage eines Planeten machen. je schneller man beim planetennächsten Punkt ist, desto besser, denn nach dem Energieerhaltungssatz ist es ein Unterschied ob ich bei einer Geschwindigkeit von 10 km/s um 0,5 km/s beschleunige oder bei 15 km/s. Im einen fall bleiben nach Verlassen der Einflußsphäre 3,2 km/s übrig, im zweiten 3,9 km/s.

Das ist der letzte Trick: Man kommt mit lediglich einem Swingby aus, wenn man von der Erde aus in eine 2-Jahres Bahn startet, dann bei der Passage der Erde in 3000 km Entfernung die Sonden durch ein Triebwerk um 1050 m/s beschleunigt. Zusammen mit den 12148 m/s für die Startbahn kommt man so mit 13198 anstatt 14105 m/s zu Jupiter – wenig gespart, aber dafür nach weniger als 4 1/2 Jahren angekommen.

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