Bernd Leitenbergers Blog

Der englische Langbogen

Auf das Thema bin ich gekommen, nachdem ich mir einige Dokumentationen zum Mittelalter gesehen habe. ZDF Info überträgt einige von der BBC zu dieser Zeit und darunter auch eine dreiteilige über den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich. Da geht es natürlich auch um die Schlachten und die berühmteste dieser ist die von Azincourt, die ja durch Shakespeare, aber auch zahlreichen neuen Darstellungen als epochaler Sieg des englischen Langbogens gilt. Ich erfuhr aber, dass dieser durchaus nicht nur erfolgreich im Hundertjährigen Krieg eingesetzt wurde. Es gab einige Siege, aber auch etliche Niederlagen. Ich nehme das einmal zum Anlass, diese Mythen zu untersuchen.

Fangen wir mit der Geschichte des Bogens in Schlachten an. Sicherlich ist der Bogen eine der ältesten Waffen. Für die Jagd wurde er schon in der Jungsteinzeit eingesetzt. Soweit wir wissen, spielte er in den bekannten Schlachten nur eine geringe Rolle. Bogenschützen gab es in vielen Heeren, doch meistens als Hilfstruppen oder um eine Schlacht zu eröffnen. Der Grund ist relativ einfach. Ein Bogenschütze hat zwar einen Reichweitenvorteil. Doch wenn der Gegner die Distanz zum Bogenschützen überbrückt hat, ist dieser im Nachteil. Er kann keine schwere Rüstung tragen, die ihn beim Abschuss behindern würde und er hat dann meistens nicht die Zeit den Bogen abzulegen und einen Schild oder ein Schwert anzulegen. Bogenschützen etablierten sich daher in zwei Bereichen: Entweder sie waren sehr mobil, sodass sie dem Gegner wieder entkommen konnten: So waren die Streitwagen mit Bogenschützen bestückt und Bogenschützen waren als Reiter sehr erfolgreich. So die Hunnen oder Skythen. Bei beiden dominierten die Kompositbogen, die aus verschiedenen Materialen bestanden und viel stärker gedehnt werden konnten, als Bögen aus Holz (höhere Spannkraft) und die trotzdem kürzer waren (Vorteil, wenn man auf einem Pferd sitzt und ein Bogen nur bis zur Hüfte reichen darf).. Der bogen wurde auch mit Erfolg eingesetzt, um von einer befestigten Stelle aus den Gegner zu beschießen. Hier kam dieser nicht an den Bogenschützen heran.

Schaut man sich die klassischen Schlachten der Antike an, so basierten diese darauf, dass man eine Schlachtordnung einhielt, in der jeder Soldat seinen Nachbarn mitschützte, so bei der Phalanx aber auch der etwas flexibleren Manipeltaktik der Römer. Dazu hatten die Soldaten einen großen Schild, der sie auch vor einem Pfeilhagel schützte, die Römer entwickelten sogar eine Formation, in der sie rundum geschützt waren – die Schildkröte und ihre Schilde waren überdimensional groß. So verwundert es nicht, dass der Pfeilhagel vieler persischer Soldaten Leonidas mit nur 300 Spartanern nicht besiegen konnte. er musste sich zwar schlussendlich geschlagen geben, blockierte den Thermophilen Pass aber lange genug, um dem restlichen Heer die Flucht und Neuformation zu ermöglichen.

Im Mittelalter wechselten die Taktiken, auch bedingt durch ein neues System: Anstatt einer einberufenen Armee oder Söldnern waren nun Ritter einem Herrscher verpflichtet und diese waren vermögend. Sie achteten auf einen maximalen persönlichen Schutz und Sicherheit. Sie konnten sich auf Pferde leisten – Reiterei gab es schon vorher doch mit Ausnahme einiger „Reitervölker“ spielte sich nur eine kleine Rolle. Das römische Heer bestand z. B. fast nur aus Fußsoldaten. Nur 10% waren Reiter. Wie sehen aber einen Trend, den es schon immer gab: Die Rüstungen wurden immer besser. Das setzte sich auch im Mittelalter fort. Als der Hundertjährige Krieg begann, war man schon im Hochmittelalter angekommen. Damals warne die Ritter schon in individuell angefertigten Rüstungen, die praktisch jeden Körperteil schützten. Diese Rüstungen konnten nicht von konventionellen Pfeilen durchschlagen werden. Das zeigten Beschussversuche wie auch historische Überlieferungen. So wird von Richard Löwenherz Kreuzzug berichtet, dass die Soldaten Saladins, nachdem sie die Rüstungen nicht durchschlagen konnten, sich darauf spezialisieren die wenigen Augenblicke ausnutzen wenn ein empfindliches Körperteil frei war, um zu schießen. Die Rüstungen hatten offene Stellen bei den Gelenken, und wenn ein Ritter den Arm hob, konnte er in der Achselhöhle getroffen werden. So verliefen mittelalterliche Schlachten anders, als gerne darstellt. Auch Schwerter konnten die Rüstungen nicht durchdringen. Stattdessen haute man gegenseitig auf die Schilde, oder wenn es möglich war, auf die Rüstung, bis einer ins Straucheln geriet oder ihm die Kondition ausging. So wurden die Schwerter immer länger und schwerer um den nötigen Impuls aufzubringen, um den Gegner ins Wanken zu bringen. Dann öffnete man eine Pulsader in der Kniekehle oder Achsel mit einem Dolch und der Ritter verblutete. Aufgrund des Schutzes zogen auch Waffen ein, die mehr Impuls aufbrachten, auch wenn sie als Abwehrwaffen kaum geeignet waren, wie Streitäxte oder Morgensterne/Kriegshammer.

Weniger gut geschützt war das Fußvolk. Es hatte schon allein wegen der Beweglichkeit meist nur Kettenhemde. Diese konnten von Pfeilen durchschlagen werden. Beim Kreuzzug schützte Richard dieses durch dicke Filzschichten – die hielten die Pfeile ab, aber dafür starben die Soldaten dann an Hitzschlag. Verwundbar waren auch die Pferde, die später auch eine Rüstung bekamen, denn ohne Pferd war ein Ritter zu unbeweglich, weil die Rüstung zu schwer war. Bedrohlich für die Ritter dieser Zeit waren daher weniger die Bogenschützen, sondern die Armbrustschützen (auch Richard II wurde von einem getötet). Eine Armbrust hatte eine viel höhere Spannkraft und die Bolzen waren leichter und hatten eine Spitze mit kleinerem Querschnitt das konzentrierte die Energie auf weniger Fläche.

Kommen wir zur Schlacht von Azincourt. Allgemein gibt es einige Mythen über die Schlacht. So die, das wenige Engländer viel mehr Franzosen besiegt haben. Dann die das es ein Kampf der Bauern (englische Bogenschützen) gegen den Adel (französische ritter) war und eben den Mythos, dass die Engländer durch eine bessere Taktik siegten. Mir stellten sich schon vorher Fragen: Wenn die Taktik so erfolgreich ist, warum wurde sie während des ganzen Mittelalters nicht angewandt und warum verloren die Engländer dann den Krieg?

Nun wir wissen einiges über die Taktik, aber Mythen gibt es immer noch. So in diesem Spiegel Artikel von 1993. er enthält neben falschen Angaben (Zugkraft in Kilogramm anstatt englischen Pfund) auch falsche Zahlen. Aber gehen wir mal über zu dem, was heute gesichert ist. Die Taktik beim massiven Einsatz von Bogenschützen bestand darin, in kurzer Zeit möglichst viele Pfeile auf das gegnerische Heer abzufeuern. Man zielte nicht auf den einzelnen Soldaten, sondern deckte die Fläche mit Pfeilen ein. Die Opferzahlen sollten so erhöht werden, der Gegner demoralisiert oder noch besser er bricht den Angriff ab. Das Training, das nach einem Gesetz vorgeschrieben war, dürfte wohl dazu dienen die Kondition zu erhöhen und die Frequenz der Schüsse zu erhöhen nicht genau zu zielen. Ein englischer Langbogen hatte eine Zugkraft von bis zu 80 Pfund (heute üblich sind 40 Pfund für Sportbogen für Trainierte) und trotzdem musste man um das Salven-Modell umzusetzen 6 Schüsse pro Minute abfeuern. Der Zeitfaktor war kritisch, denn hatte der Gegner die Distanz zu den Bogenschützen überwunden, so waren diese weitestgehend wehrlos und konnten niedergemacht werden. Die Taktik, die im Hundertjährigen Krieg mal erfolgreich war, mal nicht wurde kurz vorher von den Engländern bei der Niederschlagung der Rebellion von William Wallace („Braveheart“) eingesetzt: Man schützte die Bogenschützen durch Ritter, die die vorderste Linie bildeten und so wichen die Bogenschützen nicht zurück, nachdem der Gegner näherkam.

Erstmals war sie erfolgreich bei der Schlacht von Crécy. Dort beginn das französische Heer einen taktischen Fehler. Man wartete nicht, bis der Tross mit den Schutzwällen angekommen war, sondern ging direkt zum Angriff über. Schutzwälle wurden mitgeführt, weil Armbrustschützen zwar die Rüstung durchschlagen konnten, aber sie lange brauchten, um die Armbrust zu spannen. Das taten sie hinter mobilen Schilden. Die Franzosen eröffneten nun das Treffen mit dem Armbrustschützen, eine klassische Taktik, doch diese konnten nicht auf Schussentfernung herankommen und wurden vorher im Pfeilhagel niedergemacht. Zudem hatte es geregnet, das weichte die Compositbögen der Armbrüste auf, auch ein Grund, warum der Kompositbogen sich in Mitteleuropa nie durchsetzte. Sie waren bald nutzlos. Danach griffen die Ritter an doch zögerlich in drei Wellen. Zusammen mit dem schlammigen Grund kamen sie zu langsam voran und nur wenige konnten die britische Linie erreichen. Hätte man mit einer Welle angegriffen, hätte es auch Verluste gegeben, doch viele wären bei den Briten angekommen und der Beschuss hätte aufgehört und das Fußvolk hätte nachrücken können.

Bei Poitiers hatten die Engländer wieder einen Sieg, begünstigt durch die Geografie, die verhinderte, dass das französische Heer auf breiter Front angreifen konnte. Trotzdem gelang es der französischen Armee, die Frontlinie der Engländer zu erreichen. Die von der Seite hereinpreschende britische Kavallerie konnte ein Debakel verhindern. In diesem Sinne waren also nicht die Bogenschützen siegreich, sondern die klassischen Ritter, die die Schlachtlinie umgingen.

Später waren die englischen Langbogen durchaus nicht so erfolgreich. In der Schlacht von La Brossinière schlug ein zahlenmäßig kleineres Heer die englische Streitkraft vernichtend. Es zeigte sich, dass er nur effektiv war, wenn geografisch das Gelände mitspielte oder der Gegner entscheidende Fehler machte. In der dritten Phase des Hundertjährigen Krieges vermieden die Franzosen die Fehler und oft genug überrannte die Kavallerie nur die Bogenschützen.

Aber kommen wir zu Azincourt und wie die Taktik war. Bis vor einigen Jahren war man der Überzeugung, dass die Bogenschützen eine enorme Reichweite hatten und ein zahlenmäßig weitaus größeres französisches Heer schlugen, 15.000, 24.000 und 40.000 Franzosen wurden genannt. Inzwischen weiß man durch Besoldungslisten, dass beide Heere gleich groß waren, etwa 9000 Mann nur auf französischer Seite 3000 Bogenschützen und auf englischer 6000.

Die große Reichweite wurde durch die Entdeckung von Langbögen in einem Schiff prognostiziert. Sie hatten eine Zugkraft von 80 Pfund, rund 36 kg. Etwa doppelt so viel, wie heutige Sportbogen für trainierte Amateure. Ein Pfeil verließ in Versuchen die Bögen mit 160 bis 200 km/h. Im Vakuum ergibt sich daraus eine Reichweite von 140 bis 220 m. Doch schon die große Schwankung zeigt das Problem. Ein Zuggewicht von 36 kg bedeutet man muss so viel Kraft aufwenden, wie wenn man 36 kg mit einem Arm anhebt. Das muss man auch kurz halten, um die Schwingung abklingen zu lassen, damit der Pfeil stabil fliegt. Das macht man einmal bei einem gezielten Schuss, doch nicht bei der Salventaktik die die Engländer betrieben. Jeder Schütze schoss dort pro Minute 6 Pfeile ab, die durch die Zahl bewirken sollten, das die meisten Gegner getroffen wurden. Heute geht man von einer durchschnittlichen Abschussgeschwindigkeit von 130 bis 140 km/h und einer Reichweite von 80 bis 90 m aus. Es gab zwar auch Pfeile mit dünneren Spitzen, die schwere Rüstungen durchdringen konnten, doch die kamen beim Direktbeschuß zum Einsatz und wurden nicht auf den Schlachtfeldern gefunden. Die normalen Spitzen waren bei Salven gefährlich für die Infanterie, die nicht so gut gepanzert wie die Ritter waren. Bei Rittern waren die Pferde viel gefährdeter als die Ritter, was jedoch aufs gleiche herauskam. Stürzte das Pferd, so waren die Ritter meistens darunter eingeklemmt oder mit ihrer schweren Rüstung weitestgehend unbeweglich. Sie wurden dann mit Dolchen und Äxten getötet, nicht mit den Bogen.

Die Taktik war relativ einfach: Der Gegner musste gezwungen werden auf kleinem Raum die Bogenschützen anzugreifen, am besten in mehreren Wellen verteilt. Das beste Beispiel ist Azincourt. Das Schlachtfeld ist nur 800 m breit, das war für die Kavallerie schon zu wenig Platz um sich zu formieren und mit größeren Abständen anzugreifen. Nimmt man 90 m Reichweite an, und 12 km/h als Geschwindigkeit für die Kavallerie (so schnell wie ein Jogger) so braucht diese 27 Sekunden um die Distanz zu überbrücken. Also musste man auf der Fläche von 90 x 800 m so viele Pfeile in 27 s (3-4 Salven) unterbringen, dass möglichst viele Pferde getroffen wurden. Bei 6000 Schützen sind das 18.000 bis 24.000 Pfeile, die sich auf 72.000 m² erteilen, also einer auf 3 bis 4 m². Das ist nicht die flächendeckende Abdeckung, die die Filme suggerieren, aber ausreichend einige Pferde zu treffen. Bei Azincourt kam dazu, dass es vorher geregelt hatte und die Pferde kamen im schlammigen Gelände nicht schnell genug vorwärts, bzw. die zweite Welle hatte noch die Toten Pferde und Reiter als Hindernis. Neben dem geografischen Manko und dem Wetter spielte die Taktik der Franzosen den Engländern zu. Die logischerweise beste Taktik wäre so massiv wie möglich anzugreifen. Greift man in mehr Wellen an, so haben die Engländer die Chancen mehr Salven auf die gleiche Anzahl von Soldaten abzufeuern. Auch wenn die Chance das ein einzelner Soldat getroffen wird, bei einer Welle größer ist. Diese Kleckerlestaktik, die wohl darauf beruhte, dass man annahm, die erste Welle würde die Schlachtordnung ins Wanken bringen, sodass die folgenden Reiter kaum noch Beschuss ausgesetzt sind, war hier kontraproduktiv.

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