Bin ich froh, dass ich nicht Ernährungslehre studiert habe
Auf das Thema kam ich als ich vor einigen Wochen Maischberger angeschaut habe. Das Thema war Zucker und in der illustren Runde bekamen die beiden Pro-Zucker Protagonisten ziemlichen Gegenwind. Im Prinzip erzählte jeder aus seiner Erfahrungswelt. Vor allem als einer der beiden Protagonisten darauf hinwies, dass es nach Studienlage keinerlei Beweise dafür gibt, das Zucker per se ungesund ist wurde nicht akzeptiert. Den einzigen Anflug von Selbstzweifel zeigte ein Diabetiker, der darauf hinwies das sein Blutzuckerspiegel auch stark anstieg, wenn er nur etwas aß das Fett und Eiweiß enthielt, wie ein Steak.
Ich habe mein Abi nicht direkt gemacht sondern zuerst nach der Hauptschule über die Berufsfachschule als Zwischenstufe nachgeholt. Da ich in derbHauptschule keine Ahnung hatte was ich machen sollte und mir komischerweise Masseur als toller Beruf vorkam bin ich auf einer hauswirtschaftlichen Berufsfachschule gelandet und dann dort in der Schule geblieben und habe das hauswirtschaftliche Gymnasium genommen. Das hat einen schlechten Ruf gehabt, ich habe oft von „Puddinggymnasium“ gehört, obwohl man nichts mit Kochen zu tun hat. Der einzige Unterschied war das Chemie und Ernährungslehre ein Pflicht-LK war und das war vom Lehrstoff her vor allem Biochemie. Inzwischen heißt es „Ernährungswissenschaftliches Gymnasium“.
Ernährungslehre machte mir viel Spaß, ich habe das Fach geliebt und gerne gelernt. Damals spielte ich mit dem Gedanken Ernährungslehre zu studieren, das wäre sogar sehr nahe möglich gewesen, da die uni Hohenheim der übernächste Ort ist. Ich befürchtete damals, da das Fach ein NC-Fach ist keinen Platz in Hohenheim zu bekommen und wegziehen wollte ich nicht. Ich habe mich dann für Chemie entschieden als das nächstliegende Nicht-NC Fach. Bald bemerkte ich, dass die Chemie mir zu theoretisch war, vor allem der Bezug zur Natur fehlte den ich in er Schule so geliebt hatte. Man also mit Chemie verstehen konnte, wie der Körper funktioniert, Pflanzen aus Sonnenlicht Zucker erzeugen etc. Ich schaute mir schon das Studium in Hohenheim an und erkundigte mich darüber wie und ob ich wechseln könnte, als der Studienberater der Uni Stuttgart mir dann die Möglichkeit bot zur Lebensmittelchemie zu wechseln. Das habe ich nie bereut und dort waren die Inhalte genauso das was mich interessiert, vielleicht mit Ausnahme des Lebensmittelrechts das nicht sehr viel mit Naturwissenschaft zu tun hat.
Seit 2009, seitdem ich selbstständig bin und mir den Luxus leiste, nur einige Monate im Jahr zu arbeiten, spiele ich mit dem Gedanken doch noch Ernährungslehre zu studieren. Nicht um es als Beruf auszuüben, sondern mehr zu Selbstverwirklichung, so als „Rentnerstudent“, ist selten, aber es gibt einige z.B. hat unser ehemaliger Ministerpräsident Erwin Teufel ja auch nach Amtende Philosophie studiert. Seit ich mich für meine Bücher näher mit Ernährungslehre beschäftige, jenseits der biochemischen Grundlagen, mehr mit dem was die Leute interessiert, wie den Grundfragen „Ist das und das gesund oder nicht“ habe ich doch meine Zweifel bekommen ob das Studium das richtige für mich ist.
Chemie ist eine Naturwissenschaft. Damit ist sie logisch und Behauptungen, Theorien oder Modelle sind experimentell nachprüfbar. Das ist nicht immer einfach und oft kann man nur einen kleinen Teil richtig modellieren, aber es geht. Chemie ist mir schon deswegen sympathisch, weil es mehr Experimente und weniger Theorien gibt, es gibt nicht so viel Mathematik, wie z.B. in der Physik. Natürlich kommt man auch in der Chemie schnell an experimentelle Grenzen. An dem Institut wo ich studierte, machten die Doktoranten Forschung an Maillard-Produkten. Das sind Reaktionsprodukte von Eiweiß und Kohlenhydraten. Wir haben als Studenten drüber gewitzelt, dass jeder Doktorand mindestens ein neues Maillard-Produkt finden muss. Als ich studierte hatte man da schon über 100 gefunden. Doch die werden mit einzelnen Aminosäuren und Einfachzuckern bestimmt. Keiner wird modellieren können, was auch nur passiert wenn man ein bemehltes Fleischstück nur 1 Sekunde lang anbrät (die Maillardprodukte sind unter anderem für die braune Farbe von angebratenem Fleisch verantwortlich). aber man kann eben jeweils sehen was einzelne Verbindungen machen. Das Wesen der Chemie ist es grundsätzliche Vorgänge zu erklären und von der Makrowelt in die Mikrowelt einzutauchen.
Das Grenzproblem der Ernährungslehre ist, dass die Fragen die wirklich wichtig sind, alle aus der Makrowelt stammen. Keiner interessiert sich für den Stoffwechsel des Vitamin-A, seine Verbindung mit dem Opsin und wie der Sehvorgang abläuft. Das einzige was die Leute interessiert ist wo Vitamin A enthalten ist und wie viel man davon essen muss. Vor allem aber interessieren die Leute wirklich wichtige Fragen wie „Ist Zucker gesund?“, „Welche Ernährung ist die beste“. Das ist aber nicht experimentell beantwortbar. Das geht nur durch Studien und die leiden unter Mängeln. Die wichtigsten sind: zu kleine Teilnehmerzahl und zu kurze Dauer. es geht schließlich darum zu sagen ob eine Ernährungsform auf Dauer, also über das ganze Leben gesund ist. Damit dies statistisch relevant ist und man auch die Neigung zu seltenen Krankheiten erfasst, muss man Teilnehmerzahlen in den Tausendern haben und die Beobachtung muss sich über einen Teil der Lebenszeit (wünschenswert >10 Jahre) erstrecken, das wird extrem teuer. Zudem fallen viele Teilnehmer weg, weil man ja in der Zeit seine Ernährung aber auch sonst die Lebensweise nicht ändern darf. Wer Vegetarier wird oder abnimmt, hat seien Lebensweise verändert und damit fällt er aus der Gruppe heraus.
Trotzdem schwirren in den Köpfen immer noch viele „Ernährungsirrtümer“ herum die man im letzten Jahrtausend auf Basis kleiner Gruppen und kurzer Beobachtung aufstellte und die heute widerlegt sind. Dagegen anzukämpfen ist wie gegen Windmühlen zu kämpfen. Das hat auch der Experte gemerkt, der darauf hinwies, das die Studienlage nicht hergibt das Zucker per se ungesund ist. (Relativ unbestritten ist das er schnell verdaulich ist und das Belohnungszentrum aktiviert, doch das bedeutet nicht das er ungesund ist). Ich denke er hat dann das zweitbeste Mittel gewählt, das mit dem Internet aufgekommen ist: die Metastudie. Man nimmt sich alle Studien zu einem Thema vor und klopft sie ab auf Gemeinsamkeiten. So bekommt man die größere Teilnehmerzahl zusammen hat aber das Problem dass man die Studien anhand ihrer Methodik und Durchführung und Fragestellung vergleichen muss. Immerhin hat man mit der Methode schon einige Dauerbrenner entkräftet so das Antioxidantien in Megadosen gesund sind. Sie sind es nicht. Viele Antioxidantien senken sind in größeren Mengen sogar die Lebenserwartung.
Für mich stellt sich die Situation so dar, dass die wichtigen Aspekte der Ernährungslehre nun nicht mehr die sind, die für eine Naturwissenschaft typisch. Es gibt kein Modell das ich nachprüfen kann, kein Experiment das ich durchführen kann. Stattdessen bin ich auf Statistiken angewiesen die ich oft nicht nachprüfen kann und andere Statistiken die vielleicht der ersten Studie wiedersprechen und damit rutscht das ganze so in die Richtung der Sozialwissenschaften wo man auch viel Statistik einsetzt um Fragebögen auszuwerten. Ein anderer Punkt sind die Medien die dem Thema viel Aufmerksamkeit widmen, weitaus mehr als anderen Wissenschaften und die extrem unkritisch sind. das hat die ZDF-Doku „Schlank durch Schokolade“ beweisen. Wer Medien und ihren „Informationen“ über Ernährung glaubt sollte diese Sendung unbedingt mal ansehen. Eine Adaption für Arte findet man auf Youtube. So entstehen aber Vorurteile und anders als bei der Chemie sind die Leute von denen sehr überzeugt.
Das wäre möglicherweise eine sinnvolle Verwendung für das Abfischen von immer mehr Daten: Letztendlich Ernährungs- und Gesundheitsdaten von einem Großteil der Bevölkerung auswerten zu können. Wenn man die Einkaufsdaten von Singlehaushalten in großer Zahl zusammenführt und mit denen der Krankenkassen vernetzt, ließen sich dort viele Fragen beantworten. In einem land, in dem die Krankenkassen Fitnessarmbänder durchsetzen wollen, halte ich Alles für möglich.