Nächste Woche steht die Abstimmung über den Breakxit an, Zeit das Thema mal aufzugreifen. Nicht nur den Breakxit, sondern allgemein das Thema Europäische Union. Die EU begann als Wirtschaftsunion. zuerst nur im Bereich Stahl (Montan-Union), dann auch in anderen Wirtschaftsbereichen. Das hat sich ausgeweitet bis hin hin zum Binnenmarkt, ohne Zölle, ohne Grenzkontrollen und mit einer gemeinsamen Währung. Ich halte das für eine tolle Errungenschaft, nicht nur für die Wirtschaft, sondern jeden Einzelnen. Man kann innerhalb von Europa reisen ohne dauernd den Pass vorlegen zu müssen oder Geld umtauschen zu müssen oder Preise im Kopf in die nationale Währung umrechnen zu können.
Unumstritten ist aber auch das die EU immer mehr in die nationale Gesetzgebung eingreift. Als Lebensmittelchemiker habe ich das schon im Studium mitbekommen. Bei Lebensmitteln ist es so das alle Kennzeichnungsvorschriften auf die EU zurückgehen. Der Sinn ist offensichtlich: ein Produkt das in einem Staat korrekt gekennzeichnet ist sollte so in der ganzen EU verkehrsfähig sein. Der Hersteller muss zwar die Beschriftung in verschiedenen Sprachen übersetzen lassen, doch die Elemente sind immer gleich. Dazu kommen einige Spezialvorschriften die zum einen bestimmte Produkte schützen indem Bezeichnungen unter Schutz stehen wie „Champagner“ oder „Parmaschinken“ und zum anderen bestimmte Agrarbereiche betreffen die von der EU reguliert werden wie z.B. den Weinanbau.
Da sind wir auch schon bei den Nachteilen der EU. Sie neigt dazu zu viel zu regulieren. Schon in den Achtzigern stand die Agrarpolitik in der Kritik die Milchseen und Butterberge produzierte. Es war nicht vermittelbar, warum ganze LKW-Ladungen mit geernteten Tomaten auf der Müllkippe landen. Heute ist das Problem weg, aber nur weil die Politik nun die Mengen begrenzt, nicht weil sie weniger eingreift. Ich würde mir wünschen, dass die EU in der Agrarwirtschaft wenn man sowieso zu viel produziert mehr auf Umweltschutz hinarbeitet, also z.B. Bioprodukte fördert, konventionelle Produkte nicht mehr, auf strengere Biovorschriften hinarbeitet (die heute nur als „Bio-light“ zu bezeichnen sind), mehr tut für dauerhafte Flächenstilllegungen.
In dieser Kritik steht auch die Regelungswut in anderen Bereichen wie das Glühlampenverbot oder die Beschränkung von Leistungen von Staubsaugern. Doch nicht alles ist doof. Ich finde eine gesetzlich vorgeschriebene Abschaltautomatik für Kaffeemaschinen nämlich sehr praktisch.
Die Hauptprobleme der EU sind aber andere: Zum einen die überhastete Erweiterung der EU. Zum andern die Machtverteilung und zum dritten die Grenzen der EU-Befugnisse.
Zum ersten: Lange Zeit wurde die EU behutsam erweitert. Ein Land musste wirtschaftlich an die EU aufgeschlossen haben, auch wenn es immer so war, das es Staaten gab die Netto mehr bekamen als sie zahlten. Das haben wir auch im kleinen bei uns als Länderfinanzausgleich. So sollte das wirtschaftliche Gefälle innerhalb Europas sinken. Doch dann hat man mit einem Schlag fast den gesamten Ostblock aufgenommen. In vielem sind diese zuletzt aufgenommenen Staaten aber heute noch nicht so weit wie der Rest von Europa. Man sieht das daran dass einige Regierungen mehr Diktaturen ähneln als Demokratien, oder wie in Polen Grundrechte eingeschränkt werden. Wenn die Begründung gegen die Aufnahme von Flüchtlinge die ist, die Bevölkerung wäre nicht bereit für diese, schließlich wäre man immer unter sich gewesen, dann disqualifizieren sich dei Länder sowieso für Europa, denn schließlich sieht das EU-Recht auch vor dass man überall in der EU seinen Arbeitsplatz wählen kann. Und so viel unterscheiden Flüchtlinge sich im Aussehen nicht von EU-Bürgern aus Südeuropa oder Spanien/Portugal, Aber auch wirtschaftlich hinken viele Länder dem Rest Europas nach.
Das zweite ist, dass das einzige von der Bevölkerung direkt gewählte Gremium, das Europarlament in der Gesetzgebung eigentlich am wenigsten zu sagen hat. Vorschriften werden von der EU-Kommission beschlossen. Das sind ernannte Vertreter die mehr oder weniger auf Vorschläge und Absprachen der Regierungen zurückgehen. In meinen Augen werden dort Politiker entsorgt, die national nicht mehr tragbar ist wie unser ehemaliger MP Günter Öttinger der EU-Kommissar für Energie und jetzt für Digitalwirtschaft wurde und von beidem eigentlich keine Ahnung hatte und hat. Schon früher war ein Kommissar ein Posten für Politiker auf dem Abstellgleich. Als Bangemann zur EU ging heiß es schon in den Achtzigern „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“. Wichtige Entscheidungen die über Gesetzescharakter hinausgehen, werden vom Ministerrat, den Vertretern der Regierungen beschlossen. In einem demokratischen Europa würde das Parlament die meisten Befugnisse haben. Vor allem aber würden Entscheidungen demokratisch fallen. Heute können die Regierungen Entscheidungen blockieren und verhindern. So die deutsche Regierung strenge Abgasvorschriften oder Polen, Ungarn und Tschechien eine Einigung über die Verteilung von Flüchtlingen.
Zurück zum Breakxit: England tickt schon immer etwas anders. Dort wird immer vom „Continent“ gesprochen. Sicher geographisch richtig, schließlich sind sie ja auf einer Insel. Aber ich werde nicht das Gefühl los, als ist das synonym mit „ihr da auf dem Kontinent und wir die (besseren) Engländer“. Ebenso bezeichnet dort „Europe“ nicht Europa als ganzes sondern alle anderen Staaten außer England. Das merkt man wenn man einen Raspberry Pi, der ja aus England kommt zum ersten Mal einrichtet: Dort gibt es bei den Ländereinstellungen „England“ und „Europe“. Wählt man Europe an so sieht man dann als Unterliste alle anderen europäischen Länder … England selbst ist ja kein homogenes Land, sondern wie der vollständige Name schon gesagt Vereinigte Königreiche. Erst vor kurzem ist ein Abspaltungsentscheid von Schottland knapp gescheitert und Nordirland gehört in meinen Augen auch zu Irland und nicht zu England. Vielleicht stimmt man auch dort mal über einen „Breakxit“ ab….
Wirtschaftlich wäre England in der besten Position auszusteigen: sie haben noch ihre eigene Währung und durch die Insellage gibt es keine Komplikationen für die Warenströme durch Europa. Würde dagegen Deutschland austreten und man wieder an den Grenzen Kontrollen einführen, das Chaos wäre wegen der Stellung mitten in Europa perfekt. Zudem gab es schon immer in England diese antieuropäischen Bestrebungen. Mit Drohungen über den Ausstieg haben sie sich inzwischen einen saftigen „Britenrabatt“ herausgeschlagen, sprich sie zahlen weniger in die EU-Kasse ein, als sie nach wirtschaftlichen Aspekten tun müssten.
Mir ist relativ egal wie die Abstimmung ausfällt. Ein bisschen bin ich pro Breakxit. Wenn nämlich tatsächlich die Vorhersagen eintreten, das dies einen wirtschaftlichen Abschwung auslöst, dann würden vielleicht die anderen Länder sehen was sie von der EU haben, auch wenn man, wie Deutschland zu den Nettozahlern gehört. Eventuell könnte man das dann auch als Drohmittel nutzen: Staaten die nur blockieren, könnte man auch aus der EU ausschließen oder dies zumindest androhen. Lieber eine gesunde, funktionierende kleinere Europäische Gemeinschaft als eine große die sich nur um sich selbst dreht.
Vor allem denke ich dürfte bei einem Votum gegen den Breakxit die Forderung nach weiteren Sonderregelungen für England kommen, schließlich könnte man ja sonst die Abstimmung wiederholen. Das ist genau das Gegenteil von dem was wir brauchen. Noch mehr Extrawürste, anstatt Regelungen die für alle gleich gelten.
Wir brauchen wirklich eine EU-Reform, da haben die Briten recht. Aber nicht eine mit Rabatten, sondern eine in der Entscheidungen mehrheitlich gefällt werden und nicht bei 26 Staaten einer die Entscheidungen aller anderen blockieren kann. Wir brauchen auch eine EU in der das demokratisch gewählte Parlament die wichtigste Macht ist und nicht die Kommission und der Ministerrat. In beiden stecken nur Vertreter der nationalen Regierungen. Das wäre wie wenn in unserer Regierung Vertreter der Landesregierungen die Entscheidungen treffen würden. Und wir brauchen eine EU, die weniger alles mögliche reguliert, dafür mehr als Gemeinschaft nach außen auftritt. In wirtschaftlichen Dingen geht das ja schon: die TTIP-Verhandlungen werden von der EU geführt, nicht den Einzelstaaten wir brauchen aber auch eine gemeinsame Außenpolitik. Zumindest wenn es um europäische Werte geht oder Europa als ganzes betroffen ist. Das bedeutet wenn Flüchtlinge in einem EU-Land ankommen und in ein anderes wollen, dass man eben eine Einigung macht, wie man diese über alle EU-Länder je nach wirtschaftlicher Fähigkeit verteilt und nicht gerade die neuen EU-Länder dann sagen können „Nicht zu uns!“. Das bedeutet auch, dass jeder Staat seine eigene Außenpolitik machen kann, aber wenn es um Staaten geht in denen die Menschenrechte mit Füßen getöteten werden, dann muss es eine gemeinsame europäische Position geben. So können gerne Seehofer und Merkel eigene Beziehungen zu den USA pflegen, aber nicht Putin durch Besuche aufwerten.
Europa ist heute auf der einen Seite sehr stark und auf der anderen sehr schwach. Es ist sehr stark im wirtschaftlichen Aspekt. Hier hat die EU-Gesetzgebung praktisch die ganze Wirtschaft durchdrungen, positiv und negativ. Auf der politischen Seite ist man von einer gemeinsamen Union dagegen weit entfernt.