Hitlers Tagebücher
Als ich vor einigen Wochen eine Dokumentation über den Skandal der Hitler-Tagebücher gesehen habe, tat sich mir eine Frage auf: Was ist mit den 9,3 Millionen Mark passiert, die der Stern an Heidemann gezahlt hat. Der Beitrag lieferte nur die Antwort eines Bekannten von Kujau, der als persönliche Meinung sagte, das hätten die beiden „verprasst“. Mir kam das bei der Summe und dem kurzen Zeitraum von 2 Jahren doch etwas komisch vor und weil auch die ganze Geschichte so abstrus klang habe ich mir zuerst ein Buch, dann zwei weitere zu dem Thema gekauft und will die mal hier besprechen.
Das erste Buch war von Manuel Seufert „Der Skandal um die Hitler Tagebücher„. Manuel Seufert war nach eigenen Angaben von Henri Nannen beauftragt, den Skandal aufzuklären. Der Stern wollte das Ergebnis veröffentlichen, hat das aber ne getan (wenn man sich das Buch durchgelesen hat, weiß man auch warum) und aus diesem Material ist dann das Buch entstanden. Da Seufert damals Stern-Redakteur war, konzentriert sich die Sache auf den Stern, man bekommt viele interne Details mit auch Schriftstücke zwischen dem Verlag und Heidemann. Es ist das neueste Buch, erschienen 2008. Das hat den Vorteil, dass auch der Prozessausgang und die Vita der Betroffenen danach mit dabei ist.
Es ist ein sehr lesenswertes Buch, sehr spannend beschrieben. Was mich ein bisschen gestört hat, ist das man schnell den Überblick, man schnell den Überblick verliert von den vielen Namen, und wer welche Funktion im Verlag hat und welche Befugnisse. Zudem neigt er dazu wichtige Dinge zu wiederholen wie „Da dieses Dokument sich als falsch erweisen hat, hätte man doch nachdenken müssen“. Das kam einige Male vor. Nach Lektüre des Buchs konnte ich allerdings die Aussage einer Stern-Redakteurin aus dem Film bestätigen. Als der Film „Schtonk“ erschien, wurde sie von Bekannten gefragt: „War es denn wirklich so grotesk?“ Sie antwortete darauf „Noch viel grotesker“. Ja Schtonk als Film ist noch viel zu harmlos. Man findet den Hinweis das zumindest die reale Fundgeschichte bei der Absturzstelle so bizarr war (die Stasi fuhr die Stern-Reporter nach Börnersdorf) das Dietel sich eine eigene ausdachte, weil sie ihm zu unwahrscheinlich vorkam.
Die Sicht vom Stern-Redakteur aus hat einen Nachteil: Kujau kommt in dem Buch so gut wie nicht vor. Es dreht sich um Heidemann. Daher habe ich zwei weitere aus den achtziger Jahren, beide als Schnellschuss nach dem Skandal veröffentlicht, gelesen. Die gerichtliche Nachbearbeitung findet man daher nicht in beiden Büchern, aber sonst auch die meisten Details. Sehr schnell weggelegt habe ich „Erich Kuby: Der Fall „stern“ und die Folgen„. Das dies ein Fehlkauf war, sah ich an einem Stempel innen „Eigentum des Zentralkomitee der SED“ (ich kaufe Bücher gerne als Antiquariat, bei gebrauchten Büchern kann man eigentlich nichts falsch machen sie nützen sich nicht ab und haben auch keinen Akku der an Leistung nachlässt). Das Vorwort, in dem der Verfasser schreibt, das man sein Manuskript bei einem anderen Verlag kurz vor dem Druck ablehnte, nachdem man es sich erstmals durchlas (sehr früh!), war auch bezeichnend. Die ersten Seiten zeigten dann, was das Buch war: eine persönliche Abrechnung des Autors mit dem Stern und von Nannen. Um die Hitler Tagebücher ging es nur in einem Kapitel. Schon auf den ersten Seiten kann man dafür Wörter wie „kapitalistisch“ finden und weiter hinten sind dann alle Nazis. Das ist kein Sachbuch, das ist die persönliche Abrechnung eines Autors mit Henri Nannen. Zumal er persönliche Theorien spinnt, wie einige Geschichten von Heidemann zusammengekommen sind (die sich nicht mit der recherchierten Wirklichkeit decken) und da er früher mit Heidemann unterwegs war, kommt der auch gut weg. Schuld ist eigentlich nur der Stern. Eine gute Kritik des Buchs findet sich im Spiegel.
Das letzte Buch stammt von Manfred Bissinger „Hitlers Sternstunde„. Es wurde ebenfalls kurz nach dem Skandal geschrieben. Obwohl auch Bissinger wie Kuby beim Stern war und dann wie er entlassen wurde, ist das Buch neutral geschrieben, vom Schreibstil das Beste der Drei. Man erfährt einiges über Kujaus Lebenslauf und auch einige Zitate von ihm. Bissinger hat ihn in der Untersuchungshaft zweimal interviewt, aber auch hier konzentriert sich alles auf Heidemann. Immerhin lässt sich Bissinger zu der Aussage herab, das Heidemann ziemlich genau wusste, dass alles gefälscht war. Das belegt er mit einigen Zitaten Kujaus. Bei Seufert muss sich das der Leser selbst zusammenreimen und bei Kuby ist ja der Stern an allem schuld.
Ich glaube ein weiteres Buch kann ich mir schenken (es gäbe ja noch den Fall Kujau), denn die Wahrheit ist so profan wie unglaublich. Bei einem Deal über 9,34 Millionen Mark macht sich Kujau nicht mal viel Mühe mit den Fälschungen. Man erwartet ja von Fälschen in Zeiten, in denen man Materialen chemisch und physikalisch leicht auf ihr Alter und Zusammensetzung bestimmen kann, dass sie sich etwas Mühe geben, z.B. Bücher aus der Zeit nehmen (Maler die fälschen kaufen z. B. alte Bilder, entfernen die Gemälde und bemalen die Leinwände neu). Bei der NS-Zeit, die damals gerade mal 40-50 Jahre zurück lag, hätte man wohl ohne größere Probleme mit Anzeigen leicht an altes Papier und Tinten kommen können.
Überhaupt liest sich das Ganze wie eine Posse, die man wenn sie jemand als Roman veröffentlichen würde kaum glauben würde. Gerd Heidemann, der einen Nazi-Spleen hat, entdeckt bei einem anderen Sammler einen Band von Hitlers Tagebücher. Konrad Kujau, der sich Fischer nennt, verspricht weitere zu beschaffen und erzählt eine abenteuerliche Story über die Herkunft der DDR. Nun geht Heidemann, eigentlich nur Redakteur direkt zur Verlagsleitung über Chefredaktion und Herausgeber hinweg und bekommt tatsächlich einen Vertrag, der ihm nicht nur das völlige Verwertungsrecht einräumt, sondern ihn auch finanziell bei den Einkünften beteiligt. Er setzt durch das er die Quellen nicht nennen muss und er darf mitbestimmen, wer die Bücher auf Echtheit untersucht. Dann bekommt er 300.000 Mark für die ersten drei Bände. Davon zahlt er 108.000 DM an Kujau und den Rest behält er. Quittungen über das ausgegebene Geld muss er nicht vorlegen! So geht das munter zwei Jahre weiter. Kujau, auf den Geschmack gekommen macht aus 27 Bänden 67 Bände. Er erfindet neue werke wie Abhandlungen über Ludwig den II oder eine Oper „Wieland der Schmidt“. Dabei steigen sie Summen für jeden Band immer weiter an. Es fällt nicht mal auf, das Heidemann nun das Geld hat die Jacht von Göring, die er vorher notverkaufen wollte, er mit seinem Gehalt von 9000 DM nicht die Liegegebühren von 6000 DM finanzieren konnte nun aufwendig restaurieren lässt, sich eine zweite Etage in dem Mietshaus anmietet. Als Nannen ihn mal besucht, seien zwei Etagen und das Boot und die Sammlung sieht, ist ihm klar das Heidemann Geld abzweigt, doch als der dies dem Verlagsleiter Schulte-Hillen sagt entgegnet der nur, dass man ach den Erkenntnissen der Psychologie anderen nur das unterstellt was man sich selbst zutraut. Bei den Gehältern habe ich geschlottert. 9000 DM waren damals viel Geld, dabei war das noch wenig. Die Chefredakteure verdienten 500.000 DM/Jahr. Gereicht hat es ihm nicht, obwohl das Gehalt dann auf 10.500 DM hochgeschraubt wurde und er einen Bonus von 380.000 DM bekam. Er betrog den Stern um Millionen.
Es gibt keine Zweifel, als in den Tagebüchern Ungereimtheiten auftauchen. Heidemann der inzwischen mit NS-Prominenz auf Du ist glaubte auch nicht Hitlers Adjutanten und Sekretärin die versichern, das Hitler extrem schreibfaul war und kein Tagebuch führte und auch nicht als andere Dokumente von Kujau, die in einem Buch veröffentlicht werden, sich als falsch herausstellen macht ihn stutzig.
Als man die Echtheit überprüfen will, geht es zuerst nur um Schriftgutachten. Einige Vergleichstücke stammen aber auch von Kujau, nur das Bundesarchiv hat eigene Schriften, die es als Basis nehmen kann. Dieses ist anders als zwei andere Gutachter vorsichtig. Historiker werden nicht hinzugezogen, weil man Angst hat, sie könnten die Sensation patzen lassen, selbst die Verantwortlichen lesen einen Band erst kurz vor der Veröffentlichung. Nannen als Herausgeber findet den Inhalt „platt und voller Nebensächlichkeiten“. Materialtechnisch lies man es erst kurz vor der Veröffentlichung untersuchen, was sich als größter Fehler herausstellt. Zumindest ein Sachverhalt lässt sich nämlich in 5 Minuten klären. Es sind die Weißmacher im Papier. Das sind aromatische Substanzen mit zwei oder drei Ringen, die U-Licht absorbieren und sichtbares Licht im blauen Bereich abstrahlen. Sie machen daher gelbstichiges Papier zu weißem Papier und sind auch in Waschmitteln enthalten. Ich kann mich an mein erstes Praktikum beim Chemiestudium erinnern. Gerätschaften gab es kaum keine. Eines war eine UV-Lampe. Unsere Kittel leuchteten leuchtend blauweiß unter dem Licht, normales Schreibpapier ebenso, Umweltpapier dagegen nicht. Einen Bogen unter eine solche Lampe zu halten dauert keine Minute und schon wäre die Sache erledigt gewesen.
Selbst die Sache mit dem „FH“ auf den Kladden kam erst raus, als die Bild am 6.Mai damit aufmachte, also mehr als eine Woche nach der ersten Veröffentlichung durch den Stern. Warum fiel das keinem vorher auf? Weil kein Experte sich einen ganzen Band ansehen durfte. Die lagerten alle in einem Safe einer Züricher Bank. Als der Skandal platzt, schickt die Stern-Redaktion einige Reporter los um die Herkunft zu erfahren. Innerhalb weniger Stunden haben sie mit der Telefonauskunft Kujaus Adresse rausgefunden und waren dort, in der DDR suchen sie nach den angeblichen verwandten die Museumsdirektor und Volksarmee-General sind (in Wahrheit Hausmeister und Gepäckträger) ausgemacht.
Wie man aber jemanden von dessen Nazi-Spleen man wusste und der damit schon allen in der Redaktion auf die Nerven ging ohne Quittungen 9,34 Millionen Mark in die Hand drückt, ihm solche Rechte einräumt und zutraut, ohne Historiker alleine über 60 Tagebuchbände alleine auszuwerten, das bleibt schon einmalig. Ebenso das die Ausgaben (alleine 2,1 Millionen Barausgaben in zwei Jahren) von keinem bemerkt werden wollen. Nach dem Gerichtsurteil hat Kujau, der sich abgerackert hat um 50 Bände in zwei Jahren, also einen alle zwei Wochen zu produzieren 2,71 Millionen DM bekommen, Heidemann hat 4,39 Millionen veruntreut. Kujau hat vor allem investiert in Immobilien, Heidemann vor allem seine Nazisammlung vergrößert.
Kujau ist nach dem Prozess auch so ein gemachter Mann. Nun kann er offiziell „fälschen“. Er malt Bilder nach signiert sie aber mit Kujau und damit sind es keine Fälschungen und er verdient gut daran. Nach seinem Tod kommt noch heraus, das eine Verwandte chinesische Fälschungen mit seinem Namen versah und als “echte Kujaus“ im Internet verkauft und über 550.000 Euro verdient hat. Heidemann, der wohl das veruntreute Geld vollständig in Nazi-Devolutionalen umgesetzt hat, ist dagegen beruflich erledigt und lebt heute von Sozialhilfe. Er ist auch der Einzige, der von der Affäre negativ betroffen ist. Die Chefredaktion, die eigentlich übergangen wurde, wurde ausgetauscht, bekommt aber millionenschwere Abfindungen. Andere werden eine Leiter hochgelobt. Nur Nannen zieht selbst die Konsequenz und gibt 1984 den Stab beim Stern ab. Insgesamt hat die Affäre den Stern 18,6 Millionen DM gekostet, was den Reingewinn des Verlags in dem Jahr aber um weniger als 10% minderte.