Eigentlich habe ich für heute schon einen Blogeintrag für SpaceX vorgehabt, das sich als Nachlese mit dem geplanten „Reflight“ einer Erststufe und mit einem Interview vor 13 Jahren beschäftigt an dem schon erkennbar ist, wie realitätsfern Musk damals war. Dazu komme ich aber weiter unten, denn SpaceX sorgt ja derzeit für andere Schlagzeilen.
Wie bekannt ist die Falcon 9 beim Betanken bei einem Test vor dem Start explodiert. Nach dem Video begann die Explosion in der Mitte der Oberstufe nahe der Trennebene zwischen beiden Tanks und zwar urplötzlich. Auch Musks Tweed gibt nicht viel mehr her. Die Ursache ist auch für SpaceX unbekannt.
Ziehen wir mal Bilanz. Bisher gab es folgende Anomalitäten bei SpaceX-Starts:
- Erster Start: Die Oberstufe taumelt im Orbit, dieser ist stark elliptisch. SpaceX erklärt den Start für erfolgreich. Wäre die Nutzlast eine Dragon gewesen wie geplant für diesen Flug. So wäre sie verloren gewesen, weil ihre Solarpaneele so nicht auf die Sonne ausgerichtet werden können. Auf ähnliche Weise ging vor zwei Jahren eine Progress verloren. Die Wiederzündung der zweiten Stufe scheitert.
- Zweiter Start: Beschädigung des Starturms, erst nach dem Start bekannt wurde ein verfrühtes Abschalten eines Merlin Triebwerks in der ersten Stufe. Er wirkte sich nicht aus, weil die Nutzlast nur 5,2 t schwer war.
- Vierter Start: Triebwerksausfall in der ersten Stufe, diesmal mit der Auswirkung, dass die Bahn zu niedrig war und die Sekundärnutzlast ohne eigenen Treibstoff verloren ging. Auch hier: Bei einem GTO-Start wäre der Satellit ein Versicherungsfall gewesen, da seine Lebensdauer durch höheren Treibstoffverbrauch gesunken wäre.
- Sechster Start: Wiederzündung der zweiten Stufe scheitert erneut.
- 19-ster Start: Explosion der Oberstufe während des Fluges. Verlust der Dragon
- 29-ster Start: Explosion der Rakete bei der Betankung.
Man kann nun über Erfolg und nicht Erfolg debattieren. Für SpaceX sind alle erfolgreich. Für mich ist ein Start erfolgreich, wenn die Missionsziele voll erreicht wurden. Gerade bei Kommunikationssatelliten haben wir ja in den letzten Jahren oft den Fall, das eine Bahn erreicht wurde aber nicht die gewünschte. Die Starts galten alle als Fehlstarts. Ich erinnere mal an den zehnten Ariane 5 Start, als das Apogäum 10.000 km zu niedrig war. Da braucht man nur etwa 100 m/s mehr, eine Geschwindigkeit, die auch der Kommunikationssatellit noch als Reserve hatte. Trotzdem wurde er als Fehlstart deklariert. Die japanische Nutzlast wurde zum Versicherungsfall, die europäische erreichte mit ihren elektrischen Triebwerken noch die Bahn und arbeitete über ihre geplante Betriebsdauer.
Doch, wenn ich das ausblende, so sind zwei Dinge auffällig. Das eine ist, das die ersten Fehlstarts den Erfahrungswerten gehorchen: Die Rakete ist neu. Es gibt Kinderkrankheiten. Es treten Dinge auf, die man nur im Flug beobachten kann, wie die taumelnde Stufe (Parallele: zu geringes Rollkontrollsystem beim Zweiten Ariane 5 Start führt zum vorzeitigen Brennschluss der EPC) oder die Wiederzündung der Oberstufe scheitert durch ausgefrorenen Treibstoff. So was beobachtet man vielen Trägern bei den ersten Starts, das ist mehr oder weniger Normal.
Nicht normal ist aber das wir in den folgenden 20 Einsätzen nun wieder zwei Verluste haben, von Fehlstart kann man beim Zweiten ja schon nicht mehr sprechen. Das ist heute schon ungewöhnlich. Vor allem finde ich die Ursachen für heutige Verhältnisse sehr seltsam. Wenn man sich die letzten Fehlstarts Revue passieren lässt, dann sind das meist Triebwerksausfälle. Die Triebwerke sind die teuersten und hochgezüchteten Teile der Rakete. Sie haben bewegliche Teile und bestehen aus zahlreichen Komponenten. Strukturen sind dagegen relativ einfach und bei LOX/Kerosin auch nicht gewichtskritisch. Beide Explosionen beruhen aber auf dem Versagen von Strukturen. Man muss wirklich lange zurückgehen, bis man auf solche Fälle in der Raumfahrtgeschichte der USA kommt. Beim der Explosion im Flug bin ich mir nicht sicher, aber ich komme auf die erste Atlas Centaur die 1962 startete und bei der Explosion auf der Startrampe auf eine Atlas Able.
Mich wundert nicht, das man hier auf diese frühen Termine kommt, denn wenn man sich die frühen Atlas und Titan ansieht so sieht man deutlich, wie das Strukturgewicht bei den späteren Trägern der zweiten Generation zunahm. Man hat wohl gelernt und diese strukturell verstärkt. Ich kann mich noch an einen Kommentar erinnern, als ich das Strukturmassenverhältnis von 30 bei der Falcon 9 bezweifelt habe. Da verwies der Kommentator darauf das die frühen Titan und Atlas (ICBM Versionen) tatsächlich in diese Region kamen (erreicht wurde etwa 24). Heute ist eher 18-20 üblich.
Die beiden Explosionen lasen für mich zwei Schlüsse zu. Zum einen, dass SpaceX es mit der Leichtbauweise etwas übertrieben hat und vielleicht einen Schritt zurück machen muss. Das zweite ist, das das Konzept die nötigen Reserven hat, man aber bei der Qualitätssicherung schlampt. Das habe ich schon vor sechs Jahren prognostiziert, schon bevor die Falcon 9 geflogen ist. Dazu gehört ehrlich gesagt nicht viel. Man muss nur von anderen Trägern die Kostenstruktur kennen und wissen das die Qualitätssicherung der größte Kostenfaktor ist. Wenn man dann noch eine realistische Einstellung hat und nicht annimmt, dass alle Konkurrenten seit 40 Jahren alles falsch gemacht haben aber ein Neuling alles richtig macht, dann kommt man fast automatisch drauf. Woanders kann man nicht so viel sparen.
Nach den beiden letzten Fehlstarts würde ich SpaceX raten, für die Flüge mit den schon gelandeten Stufen nicht 30% abzuziehen, sondern 25% aufzuschlagen. Denn seit gestern macht der scherzhafte Ausdruck „flight proven“ für die wiederverwendete Stufe bei SES-10 richtig Sinn. Ja wenn die Stufen mal geflogen sind, dann sind sie sicherer. Hätte nie gedacht, dass die Wiederverwendung bei SpaceX Sinn macht, aber es ist so. Das ist wohl das Gegenstück zum früher bei PC‘s üblichen „Burn-in Tests“.
Das leitet mich zum nächsten Thema über. Die Wiederverwendung. Auch hier: Es freut mich, Recht zu haben! Die erneut eingesetzte Stufe wird den Start bei SES-10 um 30% verbilligen. Auch das habe ich schon vor Jahren so berechnet. Auch dazu: Es gibt alle Daten im Netz. Man weiß, was bei anderen Trägern der Start (nur Druchführung) kostet, man kennt den Anteil der ersten Stufe an den Produktionskosten und so kann man leicht eine Abschätzung machen, was die Wiederverwendung bringt, ich bin auf etwa 25 bis 30% gekommen. Auch Musk hat vor einigen Jahren mal 25% als Ziffer genannt, dann aber zu dem Thema geschwiegen. SpaceX Fanboys haben hier ja viel höhere Zahlen „durchgerechnet“. Man muss einfach nur die Start und Bergungskosten auf Null setzen und mit 50 oder 80% Gewinn rechnen schon kommt man auf bessere Werte (aber auch nur wenn die Firma dann auf die hohe Gewinnspanne verzichtet …).
Da SES auch beim ersten kommerziellen Start nur 450 anstatt 54-59 Millionen Dollar mit denen die Falcon 9 damals auf der Webseite stand, zahlte denke ich sind die jetzigen 30% auch die Obergrenze und langfristig werden es eher 25% sein. Dafür das ganze TamTam? Alleine die Verlagerung der Produktion bei dem Übergang von der Ariane 5 auf die 6 soll diese von 160 auf 90 Millionen verbilligen, also viel stärker, und die Ariane 6 ist technisch nur eine recycelte Ariane 5.
Bleibt noch die Frage zu den Auswirkungen. Es sind einige. Die unmittelbare Folge für SpaceX ist, das es nun deutlich schwerer wird, neue Aufträge zu akquirieren. Die gingen ja schon zurück nach dem letzten Fehlstart. Lediglich drei verzeichnet ihre Webseite seit Jahresanfang. Neben dem Vertrauensverlust durch den letzten Fehlstart war das primär die Auswirkung dessen auf das Startmanifest zudem konnte man bis dahin auch schon sehen das SpaceX in 6 Monaten etwa 6 Starts schaffte, aber nach ihrem Manifest 24-mal pro Jahr und nicht 12-mal starten soll. Inzwischen haben alle kommerziellen Kunden die Falcon heavy verlassen bzw. Back-up-Optionen gebucht. Der Fehlschlag ist noch gravierender als der Letzte. Zum einen kommen Schäden an der Startanlage hinzu, die bezahlt werden müssen. Nach der Sprengung der Antares vor em Aufschlag wurde das Pad beschädigt das kostete 15,2 Millionen Dollar. Die Falcon 9 ist doppelt so schwer und die Explosion geschah näher am Boden. Mal sehen, wie teuer das ist. Bezahlen wird es SpaceX, auch wenn die Startanlage nur gemietet ist. Zudem fällt die Startanlage so für Monate aus. Von ihrem Weltraumbahnhof bei Brownsville wurden in den letzten zwei Jahren kaum Fortschritte gemeldet und ob Pad 39A schon bereit für Starts ist? Lediglich die wenigen polaren Starts in Vandenberg könnten durchgeführt werden.
Das Zweite ist, das dieser Start ein kommerzieller war. Beim letzten Fehlstart ging eine Dragon verloren, der war nicht versichert. Nun werden die Versicherungsprämien deutlich steigen, alleine der Satellit war 200 Millionen Dollar wert. Rechnet man Rakete, Inbetriebnahme hinzu, kommt man in die Nähe von 250 Millionen Dollar und Versicherungen haben nun eine Hausmarke für die Zuverlässigkeit der Falcon 9 von 90%. Bei durchschnittlich 250 Millionen Dollar pro Start macht das, wenn die Versicherung eine Prämie von 25 Millionen also 10% der versicherten Summe verlangt, einen schönen Aufpreis und die Falcon 9 ist nicht mehr so billig.
Freuen wird das ILS. Arianespace musste schon beim Fehlstart letztes Jahr Kunden abweisen, weil sie ausgebucht sind, auf Jahre schon durch den OneWeb Deal mit über 30 Starts. Die Proton hat in den letzten Monaten einige Aufträge ergattern und auch die Atlas, obwohl Kunden sie für viel zu teuer halten, doch wenn es keine andere Alternative gibt?
Ich persönlich würde mir wünschen das man vielleicht noch mal über die Ariane 6 nacheenkt. Sie ist zwar formell beschlossen, aber seit dem Beschluss hat sich das Konzept nun doch gravierend geöändert, was meist einen zweiten beschluss nötig macht. Zudem ist nach zwei fehlstarts nun nicht mehr so viel Angst mit dem Buzzwort SpaceX zu machen. Wie man heute weiß ist SpaceX das China im Raketenbau – billig, aber nicht zuverlässig. In einem Business, in dem gerade das letzte wichtiger als Performance oder Kosten ist, ist das eigentlich ein gravierendes Gegenargument.
Das betrifft auch den anvisierten Regierungsmarkt den Musk schon 2003 (s.u) anstrebte. Die Chancen das SpaceX ULA bei Aufträgen des DoD und NRO verdrängen kann stehen nach zwei Fehlstarts schlecht. Bisher gingen von über 60 EELV Starts keine einzige Nutzlast verloren und die sind extrem teuer. Das gleiche wird für wissenschaftliche Missionen der NASA gelten. Anders sieht es bei den CRS-Missionen aus. Hier ist SpaceX nur eine von drei Firmen und Orbital hat auch einen Fehlstart auf der Liste und der Dreamchaser fliegt noch nicht. Bei den bemannten Flügen denke ich werden wie aber nach zwei Fehlstarts wohl eher mehr Starts des Boeing Raumschiffs sehen, denn die Atlas steht bisher makellos da. Unterperformance konnten durch Reserven aufgefangen werden.
Die Frage ist natürlich auch wie glaubhaft jemand ist der einerseits dauernd von Flügen zum Mars redet und Riesenraketen, die er ganz alleine ohne staatliche Finanzmittel entwickeln will und andererseits nicht mal eine zehnmal kleinere in der Auslegung ganz konventionelle Trägerrakete für Satellitentransporte auch nur betanken kann. Aber ich denke SpaceX Fans wird es nicht stören. Sie treiben sich eben in ihrem Forum rum wo nur sie posten. Dort glaubt man alles, was anonyme Leute, die man nur von einem Nickname kennt, posten sofern es Pro-SpaceX ist. Erinnert mich irgendwie an die Anhänger der AFD. Auch die haben ein völlig anderes Bild von der Situation als der Rest der Bevölkerung.
Autosuggestion ist doch was Faszinierendes.
Zuletzt noch ein Interview von 2003, das ich von Musk fand. Es zeigt schon, wie er damals völlig abseits jeden Realismus war. Das Interview ist vom Juli 2003 datiert. Elon Musk: „By the end of next year we will do at least two launches and maybe three“. 2-3 Starts, wenn es gerade mal Jahresmitte ist, bei (siehe unten beim Interview) 22 Angestellten in der Firma? Tatsächlich fand der erste Start am 24.3.2006 statt, also fast drei Jhre später. Die versprochenen zwei Starts hat er am 21.3.2007 erreicht, fast vier Jahre später.
Acht Jahre später kündigt er die Falcon Heavy im April 2011 für „Ende 2013“ an. Wenn sie vor Ende 2017 kommt, wäre ich schon überrascht. Kunden hat sie ja ehe keine mehr.