Muss man Triebwerke vor dem Start testen?

Die Explosion der Falcon 9 lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Besonderheit der Firma: die Hot Fire Tests. Die Firma macht ihn wenige Tage vor dem Start. Er ist im Prinzip vergleichbar mit einem Countdown. Er endet damit, dass die Triebwerke gezündet werden. Alle Raketentriebwerke brauchen einige Sekunden, um hochzulaufen, bis sie den Nennschub erreicht haben. Dies dauert bei den Merlin 3,5 s. danach werden sie abgeschaltet. Der Hot-Fire Test kann so Probleme aufdecken, die im Countdown auftreten können und er kann Triebwerksproblem erkennen. Triebwerke können zwar jederzeit ausfallen, doch die Erfahrung lehrt, dass sehr viele Probleme schon in den ersten Sekunden während des Hochlaufens sich manifestieren. So Verbrennungsinstabilitäten. Haben die sich einmal gebildet, so gehen sie normalerweise nicht mehr weg und ist eine Verbrennung stabil mit (ebenfalls) stabilen anderen Parametern wie Brennkammerdruck und Förderleistung so tritt auch keine auf. Das nutzen auch andere LSP, die beim echten Start die Triebwerke wieder abschalten, wenn es Probleme gibt. Ich führe nun nicht Buch über alle Ereignisse, doch kann ich mich an mindestens einen Abbruch bei Ariane 4, zwei beim Space Shuttle, einen bei der Titan und auch einen bei SpaceX erinnern, wo man nach einem negativen Test die Triebwerke beim echten Start wieder abschaltete. Bevor die Rakete abheben darf, wird sie am Launchpad festgehalten, meist mit Klammern. Die werden vom Computer gelöst, wenn er den Start freigibt.

Daneben treten auch andere Probleme auf. Vor einigen Jahren taten bei Ariane 5 z.B. Probleme mit einem Heliumregulierventil auf, das man dann auswechselte und die Produktion dann genauer überwachte, nachdem
das nicht nur einmal vorkam.

Also warum macht man es nicht bei jedem Träger? Man kann nur spekulieren und kann zwei Positionen einnehmen.

Pro Hot Fire Test: Der Test ist eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Daher führen wirr ihn auch mit der Nutzlast durch. Er ermöglicht uns den gesamten Countdown durchzuspielen und wir riskieren so keine Startverschiebung. Er ist insbesondere dann möglich, wenn man dazu Zeit hat. Bei einem Countdown ist die Zeit knapp man hat ein definiertes Startfenster. So kann man eher beim ersten Versuch starten.

Gegen Hot-Fire Tests: Jeder Test, jeder Probecountdown, egal ob er mit einer Zündung endet oder nicht, kostet Geld. Be den EELV hat man anfangs eine Wet-Dress Rehersal durchgeführt, das entspricht dem Test von SpaceX nur ohne Zündung der Triebwerke. Er kostete 500.000 Dollar extra und wurde weggelassen, nachdem man mehr Erfahrungen mit den Trägern hatte.

Weiterhin verzögert es den Start. Nach einem Test muss man die Treibstoffe abpumpen, die Daten auswerten, und kann dann erst einen erneuten Countdown durchführen. Bei SpaceX liegen z.B. zwischen Test und Start in der Regel zwei Tage. Solange ist auch das Launchpad blockiert. Das ist von Bedeutung, wenn dieses sowieso ein kritischer Punkt bei den Startvorbereitungen ist, z.B. die Rakete dort zusammenbaut wird (geschieht heute z.B. noch bei der Vega so).

Nicht jedes Triebwerk ist mehrmals zündbar.  Feststofftriebwerke sind es nie. Die meisten Erststufentriebwerke sind es, weil man mit einem Startabbruch rechnen muss. Es gibt aber auch Ausnahmen. Die NK-15 der ersten Generation der N-1 Mondrakete waren es z.B. auch nicht. Selbst wenn sie es sind, muss das nicht bedeuten, dass man sie dann ohne Wartung neu zünden kann oder nicht etwas tun muss.

Ich glaube der grundlegende Ansatz ist der: Die meisten Hersteller von Trägerraketen stehen auf dem Standpunkt: Wir bauen eine Trägerrakete bei der wir in allen Phasen der Produktion alles mehrfach kontrollieren, dies protokollieren und überwachen. Wir sind uns sicher, dass unsere Trägerrakete zuverlässig ist und wir alles getan haben, um Fehler oder Probleme zu entdecken. Wenn wir sie nun Probezünden, dann ist das keine weitere Sicherheitsmaßnahme, sondern einfach nur überflüssig.

Der gegenteilige Ansatz ist der, dass man sagt „Das Durchlaufen des Countdowns liefert mit noch mehr Sicherheit, als wenn ich ihn nicht durchlaufe“.

Schaut man es historisch an, so gibt es wesentlich weniger Beispiel für Tests der Triebwerke vor dem Start als den gegenteiligen Ansatz. Die Saturn V Erststufen wurden mehrfach getestet, bevor sie gezündet wurden und nicht nur über einige Sekunden. Sie liefen vor dem Start bei insgesamt drei Tests länger als später im Betrieb. Das war ein Teil des Sicherheitskonzepts damals wollte man die zuverlässigste mit der damaligen Zeit mögliche Rakete haben.

Bei den ersten Space Shuttles gab es ebenfalls einen Start der Triebwerke vor dem Abheben. Das hat man aber später eingestellt.

Ebenso wurden die ersten Ariane 5 EPC Stufen noch in Frankreich (also nicht am Startort) getestet. Auch hier: als man wusste, dass es keine Probleme in der Serienproduktion gab, hat man dies eingestellt.

Es gibt heute noch einen LSP der macht Hot-Fire Tests, zumindest bisher und sein Verhalten in der Zukunft könnte sich ändern. Das ist SpaceX Konkurrent Orbital. Die Antares hatte in der 1XX Version Aerojet AJ-26 Triebwerke, die in Wirklichkeit generalüberholte NK-33 Triebwerke der Mondrakete N-1 sind. Anders als die erste Generation (NK-15) sind sie mehrfach zündbar und überstehen mehrere Zyklen ohne Wartung. Aber sie sind auch vor 40 Jahren gefertigt worden. Daher testet man jedes Triebwerk vor dem Einbau in die Antares im Stennis Test Center, aber nicht die ganze Antares am Startturm. Nun wird man die Triebwerke wechseln und Abkömmlinge der RD-191 der Antares einsetzen. Ich wage zu prognostizieren, dass man diese nicht vorher einem so langen Test (20 s) aussetzen wird. Denn ich vermute er dient nur dazu zu testen, ob das Triebwerk nach 40 Jahren noch einwandfrei funktioniert. Daher wird auch nur es getestet.

Wie immer kann man über die Maßnahme so oder so denken. Die Tatsache, dass es sehr oft üblich war, die ersten Stufen zu testen und später nicht mehr verweist darauf, dass Fehler oder Kinderkrankheiten oft bei den ersten Trägern zuschlagen. Mit mehr Erfahrung hat man sie alle gefunden und dann sollten diese Tests wirklich überflüssig sein. Würde man dort auch wirklich was finden, so gäbe es bei den Countdowns auch viel mehr Abbrüche, als sie derzeit vorkommen, zumindest technischer Art. Die meisten Abbrüche werden heute vom Wetter verursacht.

Ich meine das die Hot-Fire Tests ein Bestandteil des Sicherheitskonzeptes von SpaceX sind. Wenn ich mit davon ausgehe, das andere firmen sie seit Jahrzehnten im Geschäft sind sich in dieser Zeit sicher auch Gedanken gemacht haben, wo sie Abläufe optimieren können und wo Aktionen nr Geld kosten aber nicht mehr Sicherheit bringen, dann erklärt sich, warum diese keine Hot-Fire Tests machen. Ihr Ansatz ist eben der, dass man in der Produktion schon alles kontrolliert. Man kann diese Kontrollen zurückfahren und einen Hot-Fire Test als Abnahmetest des Gesamtsystems ansehen. Damit habe ich einmal einen größeren Aufwand, spare mir aber vielleicht einen viel größeren Aufwand nur über zig-Subsysteme verteilt bei der Produktion ein und damit auch Kosten. Irgendwie muss man die Konkurrenz unterbieten können. Wenn man weiß das bei einer Saturn V der größte Teil der Herstellungskosten nur auf Qualitätskontrolle entfällt ist es leicht, an diesem Posten zu sparen. Die Saturn V ist nicht typisch, weil der Aufwand für Kontrollen dort extrem war, aber auch bei anderen Trägern ist die Kontrolle ein großer Kostenfaktor.

Es gab mindestens einmal ein Problem bei einem Hot-Fire Test bei einem frühen (dem zweiten) Falcon 9 Start, wo nach Ansicht von Shotwell bei einem Start die Mission verloren gegangen wäre. Seitdem trat ja nichts auf, was in Übereinstimmung mit der obigen Erfahrung steht, dass Fehler in der frühen Phase eines Trägers auftreten.

Sollte man ihn ohne Nutzlast durchführen? Die Frage stellt sich ja nach dem Unglück. Es gibt zwei Gründe, die dagegen sprechen. Das eine ist, dass man dann die ganze Rakete zurück in die Werkshalle fahren muss, um die Nutzlast zu integrieren. Ansonsten kann sie ja am Startplatz blieben. Das spart Zeit und Geld. Das Zweite ist natürlich, dass man auch die Kommunikation der Nutzlast testen kann. Sei sollet ja eigentlich verträglich mit der Rakete sein. Ich halte es auch nicht für besonders riskant, denn der Normalfall sollte es ja nicht sein, das die Rakete am Startplatz explodiert. In den USA ist das seit fast 60 Jahren nicht mehr vorgekommen, bei seitdem über 1600 Starts. Bisher waren andere Gefahren bei der Nutzlastintegration größer. Ein Insat (1D) wurde einmal von einem Kran getroffen und zerstört und ein anderer Satellit bei den Vibrationstests zu stark belastet und „kaputtgeschüttelt“.

Auf der anderen Seite haben natürlich die anderen LSP ein komplett anderes Qualitätssicherungskonzept als SpaceX. Zudem: Wenn der Hot-Fire Test identisch zum Countdown ist, wäre dasselbe natürlich auch beim Countdown passiert. Das Ganze ist also weder eine Diskussion Pro oder gegen Hot-Fire Tests als vielmehr: pro oder gegen SpaceX Qualitätssicherungskonzept oder dessen Mängel.

Ich glaube es wird noch lange dauern bis man die Ursache gefunden hat. Denn eines ist doch sehr auffällig. Wie schnell das ganze ging. Der naheliegende Vergleich, die Explosion einer Atlas Albe bei Pioneer Able 1959 ist zwar vom Ablauf identisch (auch damals in der Frühphase der Raumfahrt gab es einen Hot-fire Test), doch wenn man sich das Video ansieht gibt es erst nach beendetem Zünden der Triebwerke und deren Abstellen noch ein Feuer im Heck und erst Sekunden später eine Explosion. Der zweite Fall der mir einfällt war eine Titan die am 12.12.1959 einen Versuchsstart hatte, doch auch 4 Sekunden zwischen erstem Anzeichen und dem Feuerball. Ich kenne keine Explosion am Boden die so schnell verlief. Im Flug kann das passieren wenn durch Belastungen ein Tank kollabiert, aber am Boden sollte das nicht passieren, denn die Tanks kann man leicht auf statischen Druck überprüfen. Die Geschwindigkeit ist schon außergewöhnlich und eine Erklärungsmöglichkeit wäre natürlich eine Sprengung. Nur stellt sich dann die Frage warum gerade die Oberstufe betroffen ist. Das Selbstzerstörungssytem würde die ganze Rakete sprengen und die Rakete würde das auch über die Telemetrie melden. Das scheidet meiner Ansicht nach aus.

Die einzige Parallele die mir einfällt sind zwei Fehlstartes der Europa I, F7 und F8, bei denen (offiziell) heiße ionisierte gase bei der Stutentrennung das Selbstzerstörungssystem der dritten Stufe aktivierten. (inoffiziell: unterschiedliche Verdrahtung auf deutscher und französischer Seite sodass stromlose Drähte nicht auf Masse lagen) auch hier ging alles innerhalb von Millisekunden. Nach 40 ms war die Stufe gesprengt. Auch beim letzten Start der N-1 verlor man innerhalb von 40 ms die gesamte Telemetrie was man mit einer Schockwelle assoziierte die durch den ganzen Rumpf ging. Aber beide Ereignisse passierten im Flug.

6 thoughts on “Muss man Triebwerke vor dem Start testen?

  1. „Ich führe nun nicht Buch über alle Ereignisse, doch kann ich mich an mindestens einen Abbruch bei Ariane 4, zwei beim Space Shuttle, einen bei der Titan und auch einen bei SpaceX erinnern, wo man nach einem negativen Test die Triebwerke beim echten Start wieder abschaltete. Bevor“

    Ariane 5 gehört auch in diese Liste.

    2011 gab es beim Start ein Problem mit dem Düsenschwenkmechanismus des Vulcain 2. Der Bordcomputer brach den Start nach 7 Sekunden ab, die Rakete blieb am Boden.

    Schön zu sehen hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=dIQCVa0bHV4

  2. Wie schon geagt, ich führe keine Liste, ich habe nru kurz im Gedächtnis gekramt und kamen mir diese in den Sinn. Es wird sicher noch viel mehr geben, z.B. gehen an mir alle kommerziellen Nicht-Arianestarts und militärischen Missionen ganz vorbei, da mich diese nicht interessieren

  3. Auffällig bleibt das das Video der Explosion kurz vor der Entwicklung des Feuerballs einen hellen Blitz zeigt an der Kamera zugewandten Seite der Rakete der seinen Ausgangspunkt von einer einzigen kleinen Stelle an der Oberstufe hat. Der wird optisch Video Explosion einer kleinen Sprengladung möglicherweise die des selbstzerstörungs systems. Die Explosion breitet sich von dort aus senkrecht nach oben und nach unten aus. Ganz ähnlich wie sie es bei einer Selbstzerstörung durch die die Tanks aufgerissen werden und der explodierende Treibstoff den Rest erledigt auch tun würde. Würde das System durch einen Kurzschluss ausgelöst als Beispiel hätte es auch keine Meldung darüber in der Telemetrie gegeben. Natürlich kann ich nur spekulieren, aber es sollte mich nicht wundern wenn tatsächlich eine Fehlfunktion des Selbstzerstörungsmechanismus als Ursache für den Verlust der Rakete festgestellt wird. Die große Frage ist natürlich die so etwas zustande kommen sollte. Bernd hat ja schon den Verlust der europarakete durch die fehlerhafte Verdrahtung angesprochen möglicherweise ist diesmal auch ein solcher Fehler passiert der ja bei unzureichender Qualitätskontrolle und Validierung unbemerkt bleiben würde. Ich bin mal gespannt was letzten Endes herauskommt

  4. Werden sicherheitsrelevenate Systeme wie die Selbstzerstörung nicht Drahtbruchsicher ausgelegt?
    Im Ruhezustand liefert Kontakt A eine 0 und Kontakt B eine 1. Ausgeführt wird ein Befehl nur wenn dann auf A eine 1 und B eine 0 liegt.

    Beim Fehlstart 2015 hat man ja schnell eine externe Quelle für das Versagen gefunden, den Strebenlieferanten. Es kann ja Zufall sein, das es wieder der Sauerstoff Tank der 2.Stufe ist. Wie würde es denn aussehen, wenn der Heliumtank im Sauerstofftank der 2. Stufe aus irgent einem Grund sich spontan in den LOX Tank entleert?
    Es hat in dem Video so ausgesehen, das die Oberstufe ein paar Sekunden vor der Verpuffung mehr dampft als sonst.
    Wenn sich im Berreich der Oberstufe durch einen geborstenen Sauerstofftank eine 100% Sauerstoffatmosphäre gebildet hat, dann ist wahrscheinlich nicht nur ein Kerosinrest im Tankstutzen leicht entzündlich sondern auch die Alustruktur und die Verkabelung der Rakete brennbar.

  5. Ich habe den Eindruck, dass es niemanden gibt der sich mit Details über diesen Träger auskennt. Ich kenn mich auch nicht damit aus! Ich kann nur Vergleiche zu ähnlichen Unfälle (da gibt es unendliche viele!) oder zu andere Trägersysteme, wie die Startvorbereitungen dort abliefen. Bei der Saturn-V kam der Kerosin, Tage vor dem Start in die Rakete und der wurde auch nicht nachgetankt, weil dies nicht notwendig war. Bei der Saturn-V, auch beim Space Shuttle, hat man den Sauerstoff und auch den Wasserstoff verdampfen lasen, diesen wurden bis kurz vor dem Start nachgetankt. Und dort ist durch dieses Verfahren auch nicht passiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.