Bernd Leitenbergers Blog

SpaceX: Trump vs Clinton und Musk vs Leitenberger

Heute wieder mal ein Blog zu meiner Lieblingsfirma SpaceX. Bevor ihr weiter lest: Denkt mal über die Überschrift nach: Was könnte der Wahlkampf von Trump und Clinton mit meiner Auseinandersetzung mit Musk zu tun haben? Welche Gemeinsamkeit gibt es? Bitte klickt dann erst auf den Artikel, dass ihr weiterlesen könnt.

Nun ich sehe den Zusammenhang darin, dass Trump in der letzten Fernsehdebatte vor einer Woche nach Auswertungen 74% seiner Ausführungen erfunden hat. Nicht ganz so vornehm gesagt: Er hat gelogen. Der Prozentsatz bei Clinton lag bei nur 26% (Politiker, die nicht lügen, gibt es wohl nicht). Das erinnert mich doch an Musk und seine Ankündigungen, die bisher nachweislich zum größten Teil nicht stimmten und den Vorhersagen, die ich traf, und die (fast) alle eintraten. Ich bilde mir nur ein, dass ich auf keine 26%-Falschaussage komme.

Elon Musks Marsvion

Wenn ihr nun eine ausführliche Würdigung der am 27. September vorgestellten Marsvision erwartet – da muss ich euch enttäuschen. Das Ganze ist so wage und so weit in der Zukunft, verbunden mit irrealen Vorhersagen über das Kostenziel, das ich es weder ernst nehmen kann, noch es Substanz zum Kommentieren gibt. So sind die 100.000 bis 140.000 Euro, die pro Ticket genannt werden z. B eine Hochrechnung von kommerziellen Flügen mit Passagiermaschinen: Legt man den Preis des Treibstoffs bei einem Langstreckenflug auf die Tickets um, so hat der Marstransporter den gleichen Prozentsatz wie ein Langstreckenflugzeug.  Musk geht also schlicht und einfach davon aus, dass sein Fluggerät im Einsatz so teuer ist wie ein Flugzeug, doch das fliegt häufiger und ist auch mehr als 1000-mal nutzbar. Bei zwei Starts pro Tag kommt ein Flugzeug über 25 Jahre auf über 15.000 Einsätze. Aber wie schon gesagt, um diese Äußerungen des Münchhausens der Weltraumforschung geht es nicht. (Eigentlich sollte er ja schon deswegen immer in der Münchhausenkolumne landen).

Ich nehme als Aufhänger für diesen Blog mal das letzte Interview von Shotwell das etwas ergiebiger als Musk ist, der ja keine Interviews gibt, sondern nur einzeilige Tweets oder Monologe von sich gibt.

SpaceX und Windows

Zuerst äußert sie sich zu der Designphilosophie bei SpaceX die dem inkrementellen Modell folgt, einem Modell, das ich aus der Softwarebranche kenne. Microsoft soll z.B. damit arbeiten und man sieht es inzwischen auch bei Windows 10 – es gibt keine neuen Releases, sondern laufende Updates bis nach ein paar Jahren das Betriebssystem komplett ausgetauscht ist. Raketen werden anders entwickelt. Man setzt das in der Raumfahrttechnik übliche System von abgeschlossenen Phasen ein, bei dem man zuerst die Anforderungen sammelt, dann die Machbarkeit prüft, dann das Design festlegt und danach die Entwicklung und Tests durchführt. Danach geht die Rakete in die Serienproduktion und wird so über Jahre oder Jahrzehnte unverändert eingesetzt. Veränderungen durchlaufen denselben Prozess. Bei SpaceX heißt die Rakete offiziell nur „Falcon 9“, man kann aber drei Subversionen mit Startmassen von 334, 505 und 540 t unterscheiden und mindestens zwei Triebwerksversionen.

Ob diese Vorgehensweise die beste ist? Bisher zweifele ich an dem Ergebnis von SpaceX. Es gab zwei Fehlschläge in zwei Jahren, die Zuverlässigkeit liegt nun bei 93,1% und damit schlechter als die aller für bemannte Einsätze genutzte Systeme, selbst die Atlas-Mercury war besser. Wenn das auch für die kommende Marsrakete gilt, dann dürften sich nicht so viele Kunden finden. Schon im Softwarebereich halte ich das inkrementelle Modell nach meinen eigenen Erfahrungen mit Windows 10 für fragwürdig. Nach dem ersten Update im November funktionierte der Debugger zweier unterschiedlicher Entwicklungsstudios nicht mehr. Nach dem zweiten Update im August stürzte das ganze System regelmäßig ab. Nach einer kompletten Neuinstallation lief es wieder stabil, aber wie ich feststellte funktionierte bei mir und meinem Bruder der Scanner nicht mehr. Dieses Wochenende gab es ein „kumulatives Update“ und das belebte den Scanner wieder – kurzum: verständlich ist das nicht und stabil auch nicht.

Nichts neues von den Myriaden von Satelliten

Die zweite Frage betraf die Satellitenkonstellation. Die Ankündigung kam ja damals zeitgleich mit einer Investition von Google über 1 Milliarde Dollar und Google betreibt ja schon Ballons zum Übertragen von Internet und hat nun auch eigene Erdbeobachtungssatelliten gestartet. Aber das war wohl nur eine Investition in die Firma. An dem Projekt arbeiten wohl nicht viele, und ob es umgesetzt wird, ist fraglich. Es wäre ja nicht das erste Papierprojekt bei SpaceX.

Fehlersuche

Dann wurde gefragt ob es doch nicht eine gemeinsame Ursache zwischen beiden Explosionen in diesem und letztem Jahr gab. In der Tat ging es ja beide Mal extrem schnell und es ging von der Oberstufe aus. Beim letzten Fehlstart war es eine Strebe, die brach, wodurch sich eine Heliumflasche löste und diese brachte dann den Tank durch den Überdruck zum Platzen und so was ereignete sich ja auch diesmal. Shotwell ist sich nicht 100% sicher und verweist auf Beschleunigungsmesserdaten und will nun weitere Kameras installieren. Das Erste (ob Beschleunigungsdaten aussagekräftig genug sind) kann ich nicht beurteile, (ob sich eine brechende Strebe auf die Beschleunigung auswirkt). Die Videokameras im Tank (die es auch bei den ersten Saturn-Testflügen gab) können zwar dann eine Flasche zeigen, aber nur wenn die Explosion lange genug dauert. Bei diesem war es ein Zeitraum von 35 bis 55 ms. Bei 25 Bildern/s braucht aber die Aufnahme eines Bildes schon 40 ms und übertragen muss es auch werden. Für Ereignisse die so schnell gehen (und 2016 ging es ja noch schneller) sind Kameras das falsche Werkzeug. Öffentlichkeitswirksam, aber eher die eigene Hilfslosigkeit charakterisierend. Wahrscheinlich ist eine Webcam einfach billiger als viele zeitlich hochauflösende Sensoren an vielen Subsystemen.

Zu dem Punkt gab es dann auch noch Nachfragen. Das Platzen des Tanks durch Überdruck kann natürlich sehr einfach durch eine Heliumflasche verursacht werden. Zum Verständnis: Der Treibstoff aus den Tanks muss in die Leitungen gedrückt werden, von dort wird er dann mit der Turbopumpe angesaugt und auf hohen Druck gebracht. Wie bei einem Hochdruckreiniger funktioniert das System nicht ohne Mindestdruck in den Leitungen. Beim Start sind die Tanks zu 99+% gefüllt und stehen unter Überdruck, typisch 2-3 Bar über Umgebungsdruck. Obwohl dann die Gravitation für eine Beschleunigung (=Druck) sorgt, wird der Druck beibehalten, weil man so auch keine Probleme hat, wenn sich die Rakete neigt. Zudem sorgt der Druck für eine Unterdrückung von Kavitation in den Leitungen. Dazu gibt es Helium als Druckgas oder als superkritische Flüssigkeit in Druckgasflaschen. Helium deswegen, weil bei etwa 400 m³ Volumen einer Falcon 9 Erststufe Luft bei 2 Bar Druck über 1 t wiegt, Helium dagegen nur 143 kg. Es gibt auch andere Techniken, zumindest beim Sauerstoff kann man auch einen Teil des LOX am Triebwerk erwärmen und als Druckgas nutzen. Wenn eine solche Flasche von ihrer Leitung reist, dann wird sie auch vom Reduzierventil getrennt und der ganze Inhalt strömt auf einmal aus, was bei einer zu 99% gefüllten Stufe den Druck von 2 auf 200 bar erhöhen wird und damit die Stufe oder die Verbindung zum unteren Tank sprengt. So was geht schnell und daher liegt eine gemeinsame Ursache nahe. Und die muss nach Shotwells Angaben auch die Ursache sein. Die Frage, die sich mir stellt, ist aber, wie ein System zweimal in so kurzer Zeit versagen kann. Meiner Meinung nach hat man sich letztes Mal zu schnell auf die Strebe eingeschossen. Vielleicht ist die gebrochene Strebe auch eine Folge einer losgerissenen Heliumflasche und nicht ihre Ursache. Vor allem lässt das tief blicken. Woanders gibt es schon bei kleineren Anlässen ein tiefergehendes Review nicht nur des Systems, das direkt die Ursache war, sondern auch der verbundenen Systeme. Bei SpaceX macht man das in Softwaremanier: Bug gefunden, eliminiert, neues Release – bis man einen weiteren Bug findet, eben Spiralmodell ….

Der Theorie, dass jemand Sabotage betrieb, hängt Shotwell nicht an, aber richtig dementiert hat sie diese Theorie nascht. Ich halte das für gefährlich. Es mag zuerst verführerisch sein zu sagen „Unsere Rakete ist okay, aber andere sabotieren uns“. Aber wenn sie niemanden dingfest machen können, bedeutet das, das jeder Start ein riskanter ist. Was passiert beim nächsten Start? Wird ein Zulieferer bestochen oder ein SpaceX Angestellter? Die vielen Angestellten im CCAF? Ich hatte ja schon erwähnt, bei V36 der Ariane gab es auch den Verdacht der Sabotage, und zwar wie ich denke mit deutlicheren Hinweisen (verknotete Tücher in den Leitungen, obwohl in der ganzen Produktion keine Tücher eingesetzt wurden) doch man dementierte jeden Sabotageverdacht. Das ist, selbst wenn es zutrifft, auch die beste Verhaltensweise, die man anwenden kann. Natürlich muss man dann auch Sabotage erkennen können.

10% Kostenersparnis nach 5 Jahren der Bergung von Stufen

Der Knaller waren dann die Fragen zur Wiederverwendung. Zum einen wird man die Rakete die JCSAT 14 startete, nach den Tests ausmustern. Das spricht dafür, dass man die Rakete genau einmal wiederverwenden kann – dann ist es noch ein langer Weg zu 1000-mal wie bei dem Marsvehikel. Da die Merlin 1D für viermalige Sollbetriebsdauer qualifiziert sind und davon noch zwei Testzündungen und die Landung abgehen (auch wenn dort nur drei Triebwerke involviert sind) würde ich auch auf maximal 3 Einsätze tippen. Doch meine absolute Lieblingsstelle im Interview ist die:

„We are not decreasing the price by 30 percent right now for recovered and reused vehicles. We’re offering about a 10 percent price reduction. I’d rather fly on an airplane that’s flown before as I’d feel more comfortable with its reliability.“

Erstens die Begründung: Eine schon mal geflogene Rakete ist sicherer als eine noch nicht geflogene. So was fällt auch nur SpaceX ein. Andere LSP sorgen dafür, dass ihre Raketen schon beim ersten Mal zuverlässig sind, denn sonst gibt es Fehlstarts. Bei SpaceX nicht, das zeigen ja die beiden „Anomalys“ in den letzten zwei Jahren. Im Prinzip hat Shotwell damit jeden Start zu einem Testflug deklariert. Zum Zweiten: 30% Erlass gibt es für den ersten Start mit SES 10 und danach nur noch 10%. Zehn Prozent? Dafür der ganze Tam-Tam und Aufwand? Wenn ich dran denke, das man bei Ariane 6 alleine durch die Verlagerung der Produktion mehr einsparen will fragt man sich, warum man so viel Aufheben und Aufwand betreibt, um 10% Kosteneinsparung zu bekommen. Immerhin passt das ja eher zu den Vorhersagen, die ich gemacht habe. Lohnen tut es sich ja auch nur, wenn der Satellit beim ersten Start klein genug ist, denn um die 10%-Kosteneinsparung zu bekommen, sinkt ja beim ersten Start die Nutzlast um 30%. Ja das nennt man SpaceX Arithmetik. Vor allem: Wie soll dann die Marsrakete billig werden – die zweite Verwendung ist ja von der Kostenseite so zu sehen, dass die erste Stufe, umsonst ist, die hat der erste Kunde voll bezahlt. Billiger geht es nicht, dann muss man, selbst wenn man 1000-mal wiederverwendet, darüber liegen.

Das Interview schließt dann mit den üblichen Aussagen: wir produzieren mehr, wir starten mehr … Gähn. 2011 hieß es schon wir produzieren 100 Triebwerke pro Jahr, bald 400. Bei maximal 7 Starts pro Jahr müsste man schon bei 100 Triebwerken pro Jahr )=10 Falcon 9, inzwischen ganze Hallen voller Triebwerke haben (2011 – September 2016 = 5,75 Jahre = 575 Triebwerke, ausreichend für 57 Falcon 9, gestartet wurden aber von 2011 bis heute nur 27) ganz zu schweigen von 400 pro Jahr. Trotzdem hinken sie immer mehr ihrem Launchmanifest hinterher.

Blick auf andere LSP

Nun ja Kunden haben derzeit kaum Möglichkeiten zu wechseln. Die Proton muss auch erst nach einer Abweichung bei einem Start eines Intelsats überprüft werden. Arianespace ist ausgebucht. ULA hat nach eigenen Aussagen einen oder zwei Träger frei, da es bei Regierungsnutzlasten Verzögerungen gibt. Sea Launch erhofft sich von der Pleite auch Aufträge – die Firma wurde an eine russische Fluggesellschaft verkauft. Sie will Träger auf Vorrat fertigen, um jeden Auftrag anzunehmen. So was konnte auch mal Arianespace. Als es in den Neunzigern bis zu 12 Starts pro Jahr gab, hatte man immer genügend Träger in der Pipeline um überraschende Aufträge anzunehmen. Doch heute scheint das Geschäftsmodell ein anderes zu sein. Immerhin: Neue Kunden bleiben bei SpaceX aus. Auf SpaceX Websites werden dieses Jahr gerade mal drei neue kommerzielle Starts gelistet. Das ist schon die Folge des letzten Fehlstarts und der Verzögerungen. Der kürzliche Verlust wird da sicher nicht eine Trendumkehr bewirken.

Schauen wir aber auf einen anderen LSP: Ariane 5 hat beim Start am Mittwoch den Rekord von Ariane 4 eingestellt – 74 Starts in Folge. Ab jetzt ist jeder neue geglückte Start ein neuer Rekord. Unwahrscheinlich, das die Falcon 9 jemals dieses Niveau erreicht … Nebenbei hat man mit 10.663 kg einen neuen Nutzlastrekord aufgestellt und das ohne den Rummel von SpaceX über V1.x Versionen (die erste Ariane 5 ECA transportiere noch 9.200 kg in den GTO).

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