Neue Träger zu entwickeln ist ja „in“, so gibt es auch genügend potentielle Träger für Stratolaunch. Neben SpaceX mit inzwischen drei Raketen in sechs Versionen gibt es ja noch LauncherOne, Firefly Systems, Electron und dann noch einige staatliche Neuentwicklungen wie die Super-Strypi, Ariane 6, Langer Marsch 5-7, SLS und Angara.
Schon länger dabei ist Stratolaunch. Schon als das Unternehmen 2011 auftrat, habe ich mich gefragt, wie man mit ihm Profit machen will. Sicher, wenn eine Rakete von einem Flugzeug abgeworfen wird, spart man sich eine Startplattform am Boden. Zudem startet man mit einer Anfangsgeschwindigkeit und die Verluste durch die Atmosphäre sind kleiner, doch zusammen macht das vielleicht 400 m/s von 9400 m/s aus, die man insgesamt aufbringen muss, also nicht so viel, als dass man alleine wegen der Nutzlaststeigerung von einem Flugzeug aus starten muss. Die 400 m/s entsprechen bei den meisten Trägern dem Nutzlastunterschied zwischen einer polaren Bahn und einer Bahn mit 30 Grad Breite bei gleicher Höhe.
Auch die Einsparung einer Startplattform ist nur relevant, wenn diese viel kostet. Für Feststoffraketen genügt aber eigentlich ein Betonpodest und ein kleiner Mast für die Strom- und Datenleitungen. Mehr setzt man z. B. bei der Taurus (nun Minotaur C) nicht ein. Und ob man so viel einspart bei einer mit flüssigen Treibstoffen angetriebenen Rakete? Ich frage mich, wie man eine voll befüllte Rakete am Flugzeug anbringt oder, wenn man sie erst am Flugzeug betankt, wie es dann mit der Sicherheit aussieht. Man stelle sich mal vor eine Falcon 9 explodiert wie am 1.9, angebracht an einem Stratolaunch-Flugzeug mit Besatzung ...
Bisher gab es nur den Start der Pegasus von einem Flugzeug aus. Die Pegasus ist klein und leicht, zudem setzt sie nur feste Treibstoffe ein. Das war relativ risikoarm (kein Schwappen, geringe Explosionsgefahr) und zudem ist die Rakete klein genug, um auch von einem mittelgroßen Flugzeug aus abgeworfen zu werden. Aber für die Pegasus muss man auch kein Flugzeug konstruieren. Längst ausgemusterte L-1011 Tristar reichen aus. Die Tristar wurde 1984 zum letzten Mal produziert, die von Orbital ist, die letzte noch aktiv registrierte.
Die wechselhafte Geschichte von Stratolaunch
Nun der Schwenk: Man will auch Pegasus mit dem Flugzeug starten. Macht es Sinn? Auf den ersten Blick nicht. Das Trägerflugzeug ist überdimensioniert und ein neues Flugzeug wird sicher nicht billiger als die abgeschriebene Tristar sein. Vielleicht will Orbital einfach die letzte Tristar verschrotten. Es gibt ja nur noch einen gebuchten Pegasus Start, da die Rakete inzwischen sehr teuer ist. So bezahlt Orbital nur für den Flug und auf den Fixkosten für das Flugzeug bleibt Stratolaunch sitzen. Für Orbital ein Gewinn, vielleicht wird so auch die Pegasus weder billiger. Für Stratolaunch zählt die bessere Auslastung ihres Trägers. Den noch teurer als der Start einer Pegasus mit kleinen Einnahmen ist das Flugzeug, wenn es gar nichts startet. Also ein Win-Win Geschäft.
Der Business-Case
Was sich aber nicht geändert hat ist, dass die Rakete mit 6 t LEO-Nutzlast zu klein für die häufigen GTO-Transporte ist. Schwere erdnahe Satelliten sind so startbar. z.B. startet bald Worldview 4, der wäre in dieser Klasse. Doch solche Nutzlasten gibt es maximal zweimal pro Jahr, eher weniger, denn auch bei den Erdbeobachtungssatelliten geht inzwischen der Trend zu kleinen Satelliten die dann einige Zehn bis über einige hundert Kilogramm wiegen.
Der letzte Vega-Start beförderte fünf dieser Satelliten in den Orbit. Damit kommt man zwar nicht auf die 0,25 m Auflösung von Worldview 4. Doch schon ein kleines Teleskop von 8 Zoll Größe (da wiegt der Tubus etwa 5 kg) erreicht etwa 1 m Auflösung aus einer niedrigen Umlaufbahn. Das ist für viele Zwecke ausreichend und so ein Instrument passt in einen kleinen Satelliten. Bei Teleskopen gilt: Doppelte Auflösung sechs- bis achtfaches Gewicht. Für die 0,25 m von Worldview (noch dazu aus einer höheren Umlaufbahn) braucht man dann ein fünfmal größeres Teleskop das einige Hundert Kilogramm wiegt.
Stratolaunch ist in Verhandlungen mit vielen LSP. Man kann spekulieren, doch die naheliegendste Lösung ist es, dass die Firma keine eigene Rakete entwickelt, sondern als „Startanlage“ auftritt: Das Flugzeug könnte im Prinzip die oben genannten kleinen Raketen (Electron, Firefly, LauncherOne) für Nutzlasten von 100 bis 500 kg starten. Jeder Hersteller der Rakete spart sich die Startanlage. Stratolaunch ermöglicht zudem jede Inklination und steigert die Nutzlast um etwa 10%. Auch Orbital könnte ihre kleinen Raketen (Minotaur I,I V, 5 und 6 mit dem Flugzeug starten). Ich bin aber skeptisch, ob jemals die selbst entwickelte Rakete kommt. Wenn dann würde ich eher eine Version der Antares mit halb so großer erster Stufe und nur einem Triebwerk einsetzen, anstatt eine neue zu entwickeln.
Resümee
Die Frage ist aber, ob sich die Entwicklung eines eigenen Trägerflugzeugs nur für diese Aufgabe lohnt. Es ist ja zudem für die transportierten Raketen zu groß. Für die hätte sicher auch ein ausgemustertes vierstrahliges Flugzeug wie eine Boeing 747 oder Airbus 340 gereicht, eventuell auch ein zweistrahliges Flugzeug mit höherer Nutzlastkapazität als die Tristar. Damit spart man sich zum einen die Entwicklungskosten für das Trägerflugzeug. Zum anderen auch dessen Herstellungskosten, denn man kauft ja nur ein schon finanziell abgesetztes Flugzeug. Auch wenn es nicht neu ist, so muss doch nur wenige Flüge durchführen. Sicher in der gesamten Lebensdauer weniger als sonst in einem Monat. Finanziell lohnt sich das Unternehmen meiner Meinung nach daher nicht.