Bernd Leitenbergers Blog

Marskolonisation Teil 2

Kommen wir zum zweiten Teil der Marskolonisation: Geht die überhaupt und macht es Sinn?

Elon Musk meint ja das eine Million Menschen zum Mars wollen, wenn er die Preise auf 100.000 Dollar pro Ticket senkt. (Als Nebeneffekt müsste man für einen Bruchteil dieses Preises in den Erdorbit kommen, was wohl für viel mehr Leute interessant wäre). Genau dieses Szenario der Marskolonisation nehme ich mal auf und will zeigen, wie wahrscheinlich es ist. Ich vermute Musk denkt es sich so wie in den Science-Fiction Filmen: Da ziehen die Sieder dann mit tollen Maschinen aus und bauen auf dem Mars eine ganze Zivilisation auf und genießen dann beim Campari den Untergang der beiden Marsmonde…

Der falsche Vergleich

Meiner Ansicht nach ist das völliger Unsinn. Die Wirklichkeit der Marskolonisation sieht ganz anders aus. Wahrscheinlich denken viele Leute zumindest im Hintergedanken an die Siedler, die in den vergangenen Jahrhunderten aus Europa auswanderten. Nehmen wir die Siedler die 1610 die ersten Siedlungen an de US-Ostküste gründeten. Die brachten von Zuhause vor allem Saatgut und Werkzeuge mit. Alles andere produzierten sie vor Ort. Häuser bestanden aus Holz. Dafür musste man nur Bäume fällen. Holz war nicht nur Brennstoff und damit wichtigste Energiequelle. Es war auch das wichtigste Baumaterial und man konnte aus ihm Holzkohle erstellen, womit man Eisen schmieden konnte und so die Werkzeuge reparieren oder neue herstellen, konnte. Dass die Siedler trotzdem im ersten Winter ohne die Hilfe der Indianer fast verhungert wären, ist eine andere Geschichte. Aber der springende Punkt: nicht mal diese einfache Gesellschaft auf dem Niveau vor 400 Jahren, ohne Elektrizität, Kunststoffe, Elektronik wäre auf dem Mars möglich. Auf dem Mars gibt es kein Holz, es gibt überhaupt keine Vegetation. Man kann nicht ohne Raumanzug die Behausung verlassen und damit zu arbeiten wird schwer sein.

Natürlich kann man nun anfangen, alle erdenklichen Maschinen auf den Mars zu bringen, inklusive Reaktoren als Energiequellen. Man kann Maschinen für die Bearbeitung des Bodens, Trinkwassergewinnung etc. mitbringen. Doch das ist keine Lösung für die Marskolonisation. Jede dieser Maschinen kann defekt werden, und wenn man dies nicht reparieren kann, dann hat man ein Problem. Eine Zivilisation auf dem Mars, die irdische Maschinen nutzt, ist also auf eine ständige Zufuhr an Ersatzteilen angewiesen. So ist die Masse, die man auf dem Mars bringen muss, enorm. Einfach weil es nicht „die Maschine“ gibt, sondern es gibt zig Maschinen für die unterschiedlichsten Dinge. Jede muss vorhanden sein. Fangen wir mit der Behausung an. Die kann man aus Gestein oder aus Stahl herstellen. Im ersten Fall braucht man so etwas wie ein Zementwerk, im Zweiten einen Hochofen und eine Walzstraße. Beides sind nicht gerade kleine Gerätschaften. Weitere Maschinen braucht man um die Rohstoffe (Kalk, Eisenerz, Kohle) zu gewinnen oder herzustellen. Je höher die Ansprüche an Technik sind, desto mehr Maschinen braucht man. Für Elektronik braucht man eine Halbleiterfabrik, die nicht gerade klein ist. Kurzum: es darf bezweifelt werden, ob man autark sein wird. Sicher wird es auf dem Mars auch Erzvorkommen geben, die man ausbeuten kann. Es gibt auch Prozesse, mit denen man aus Kohlendioxid und Wasser Kohle herstellen kann, mit denen man Eisen verhüten kann. Aus Kohlendioxid und Wasser kann man Methan herstellen und daraus Kohlenwasserstoffe als Basis für Kunststoffe. Auch dafür braucht man eine größere Fabrik (man kann sich mal das BASF-Gelände als Vorbild anschauen …) Das ist jedoch energieintensiv, denn alle Prozesse sind endergonisch, benötigen also Energie, um überhaupt anzulaufen. Wäre dem nicht so, schon längst würden wir Wasserstoff durch Elektrolyse gewinnen und als Ersatz für fossile Brennstoffe nutzen. So wird er heute aber aus Erdgas gewonnen.

Der Effekt verschiedener Populationsgrößen

Nähern wir uns mit einem anderen Ansatz: der Größe der Population, eine kritische Größe bei der Marskolonisation. Man wird ja klein beginnen. Eine Kolonie wird anfangs klein sein. Ich will mal die Größen 100, 10.000 und 1 Million Einwohner betrachten, die liegen jeweils um den Faktor 100 auseinander. Dann kommt man zu einem anderen Problem: der Spezialisierung. Mit 100 Personen ist man auf der Größe, die früher kleine Dörfer hatten. Innerhalb einer solch kleinen Gesellschaft sind schon eine Reihe von Personen nur damit beschäftigt, Nahrung anzubauen und zu verarbeiten. Das Getreide alleine nützt ja nichts. Man muss es mahlen (Müller) und Brot backen (Bäcker). Aus Milch muss Käse gemacht werden und es müssen Tiere geschlachtet werden. Irgendjemand muss dann noch die Häuser instand halten und etwas reparieren können. Wir sind auf dem Niveau, was eine kleine Dorfgesellschaft leisten kann – die kann bei 100 Personen nicht mehr als wenige Spezialisten unterhalten. Damit kann man die Idee vergessen das diese irgendwelche Maschinen bauen. Wenn diese Gesellschaft ohne die Erde autark funktionieren soll, dann wird sie maximal das Niveau einer jungsteinzeitlichen Siedlung erreichen. Zwar wissen die Leute sicher mehr als die Leute damals. Sie könnten mit ihrem Wissen kompliziere Dinge herstellen, doch es fehlt ihnen an Arbeitskraft und Rohstoffen. Selbst wenn die Landwirte Maschinen haben, die wie heute es ermöglichen, viele Menschen zu ernähren (ein Landwirt in der BRD rund 160 Menschen) so nützt das nichts, denn diese sind aufgelegt für große Flächen, viel größer als die Fläche die eine 100 Personengesellschaft bewirtschaftet. Die Überschüsse, die so produziert werden, nützen den Kolonisten nichts, vor allem braucht man für die Bewirtschaftung der größere Fläche dann im Endeffekt doch prozentual mehr Personen als bei einer großen Gesellschaft.

10.000 Kolonisten

Mit 10.000 Personen sieht es besser aus. Wir sind dann auf dem Niveau einer Stadt an der Wende zum Industriezeitalter. Es gibt dann genügend Leute, die nicht mit der Nahrungsversorgung beschäftigt sind und die zumindest die Dinge herstellen die keine Fabrik brauchen. Eine solche Gesellschaft könnte Eisen verhüten und Kalk brennen und so alle Gebäude und einen Großteil der Gebrauchsgeräte herstellen. Im Mittelalter waren viele Städte in Europa nicht größer. Mit dem Beginn des Industriezeitalters sehen wir aber schon die Grenze von solchen Gesellschaften: Mit dem Aufkommen von Fabriken brauchte man so viele Arbeitskräfte, dass diese von den umliegenden Landkreisen oder sogar anderen Landstrichen herkommen mussten. (Polen z.B. im Ruhrgebiet, was man immer noch an zahlreichen Nachnamen bemerkt). Im Ruhrgebiet gab es mal kleine Dörfer wie das Düsseldorf. Durch die Kohle zog die Eisen- und Stahlindustre dorthin und die wiederum zog die Fabriken an die Eisen als Material für ihre Produkte brauchten und aus Dörfern wurden Städte und heute ist es ein Ballungsraum, wo die Stadtgrenzen verschwimmen. Klar, heute kann man mit Robotern viel Arbeitskraft einsparen. Doch das löst nicht das Problem. Denn um den Roboter zu bauen, brauche ich ebenfalls eine Fabrik die braucht Spezialmaschinen, die wiederum andere Fabriken herstellen. Was ich sagen will: für jede Gesellschaft einer gewissen Größe gibt es eine Grenze der Technologie, die sie erreichen kann. Nicht, weil sie nicht fähig wäre, diese umzusetzen, sondern weil man um die Technologie praktisch anzuwenden so viele Arbeitskräfte binden würde, dass es sich nicht lohnt. Als Beispiel will ich mal unsere „Schlüsselindustrie“ nehmen: die Automobilindustrie. Die beschäftigt nach dem Statistischen Bundesamt über 700.000 Personen. Es dürfte mit den Zulieferern erheblich mehr sein, weil heute das Auto zum größten Teil aus Teilen der Zulieferer besteht. Sicher: Es gibt mehrere große und einige kleine Automobilhersteller. Die produzieren auch mehrere Modelle, die mehrere Marktsegmente abdecken. Doch selbst der VEB Sachsenring, der nur den Trabant herstellte, hatte schon 11.300 Mitarbeiter und die fertigten auch nicht alles selbst, sondern setzten nur zusammen, d. h. für die Automobilproduktion braucht man erheblich mehr Personen die auch die ganzen Einzelteile herstellen. Doch schon 11.300 Mitarbeiter sind zu viele, denn bei 10.000 Personen fallen etwa die Hälfte weg die Kinder oder Alte sind und wie schon gesagt irgendjemand muss auch die Nahrung anbauen … Man kann damit rechnen, dass eine Gesellschaft mit 10.000 Personen autark in etwa das Niveau einer Zivilisation um 1800 erreichen kann.

Die Kolonie im Vollausbau

Wie sieht es bei 1 Million Personen aus? Das wird schwierig, weil mit der Industrialisierung auch eine Globalisierung einhergeht. Das heißt man importiert Rohstoffe oder Halbwaren und verlagert damit auch den Arbeitsaufwand. Zudem sind Länder mit so kleiner Population heute meist nicht fähig, auch nur die Dinge alleine zu produzieren, die man für das Leben braucht, zumindest in dem Stil, in dem wir es heute gewohnt sind. Eine Ausnahme stellen lediglich künstliche Einschnitte dar. Das Deutsche Reich konnte im Zweiten Weltkrieg autonom existieren und Nordkorea kann es heute. In beiden Fällen gab es ein Embargo. Doch Nordkorea ist nicht wirklich autark (in einem Dokumentarfilm „inside Nordkorea“ fielen mir z.B. die Fahrzeuge von Nissan auf) und das Deutsche Reich hatte auch mehr als 1 Million Einwohner. Immerhin: Ein Leben auf dem Stand der Technologie des Zweiten Weltkriegs mit Elektrizität, Mobilität aber ohne Elektronik und moderne Telekommunikation wäre möglich. Die Grenzen sehen wir, auch wenn es andere Embargos gibt. So darf man mit chinesischen Raketen keine Satelliten starten, die irgendein elektronisches Bauteil verbaut haben, das aus den USA stammt. Das limitiert den Start auf wenige „ITAR-free“ Satelliten, etwa einen alle fünf Jahre. Alle von europäischen Satellitenbauern. Dabei sollte man annehmen, dass die EU bei über 400 Millionen Einwohnern alle elektronischen Bauteile selbst herstellen kann.

Selbst bei SpaceX geht man nicht von einer autonomen Siedlung aus. So sagte Shotwell unlängst, als sie auf die (ausbleibenden) Fortschritte ihres 4000 Satelliten-Projektes angesprochen wurde, man wöllte diese dann auch zum Mars senden, schließlich wollen die Leute dort auch ihr Iphone benutzen. Nur das müsste man auch dorthin importieren. Man sollte man eine Rechnung aufstellen, wie viele Leute an dem Gerät beteiligt sind, von dem Abbau der seltenen Erden über deren Gewinnung, Reinigung, Verarbeitung in Halbleiterfabriken bis hin zum Zusammenbau. Ich vermute, man kommt in den Bereich von 100.000+ Personen. Sie können dann sicher mehrere Millionen davon produzieren, doch das nützt ja nichts, wenn die Marskolonisation nur 1 Million Personen umfasst. Ähnliches kann man auch bei anderen Dingen ansetzen. So wird als Energiequelle ja oft ein Kernreaktor angesprochen. Nun gibt es zig Länder die Kernreaktoren einsetzen, aber nur eine Handvoll von Betrieben baut sie auch. Auch hier lohnt es sich für kleinere Länder nicht, eine eigene Industrie hervorzubringen. In der Rüstung fertig man inzwischen die Jagdflugzeuge als Europäische Gemeinschaft und für en nächsten Kampfpanzer ist das auch geplant. Wahrscheinlich könnte jedes Land es noch selbst stemmen, aber der Bedarf ist einfach zu gering. Das gleiche gilt im verschärften Maße für einen Markt der maximal 1 Million Personen umfasst.

Resümee

Kurzum: Wenn wir von einer Marskolonie reden, so wird die auch bei 1 Million Menschen nicht autark sein. Sie wird auf dauernden Nachschub von der Erde angewiesen sein. Vielleicht nicht in Form von Nahrung, aber in Form von Maschinen, Ersatzteilen, hoch aufbereiteten Halbwaren wie Reinstsilizium. In der Summe ist so auch die Rechnung von Ticketpreisen von 100.000 Dollar eine Augenwischerei, denn was so zum Mars transportiert wird, ist viel mehr als das was die Personen so an persönlicher Habe mitbringen können. Die kommen vielleicht mit einigen Hundert Kilogramm aus, doch wenn man einen Hochofen transportiert, dann redet man von Hunderten von Tonnen.

Bevor man das durchdenkt, sollte man auf der Erde einen realistischen Test machen: Die Antarktis ist in einigem mit dem Mars vergleichbar: Dort herrscht das gleiche Klima, es gibt keine Vegetation. Heute erforschen wir die Antarktis. Doch wir bringen dort alles hin. Wenn es so leicht wäre, warum stellen wir dort nicht alles vor Ort her? Bevor man Kolonisten zum Mars schickt, sollte man sie in die Antarktis schicken, und zwar realitätsnah: in einem Raumschiff von dem Sie selbst alles in Raumanzügen ausladen und zusammenbauen müssen und dann sollen sie dort natürlich auch sich selbst versorgen. Heute werden Teilnehmer von Mars 500 oder anderen Experimenten durch die Fernsehstudios geschleust, doch nicht mal die (die nur einen Kurzzeittrip zum Mars simulieren sollen) haben einen realistischen Alltag, denn ihre Behausung steht auch schon fertig da. Eine Marsexpedition müsste diese erst mal in Betrieb nehmen und wahrscheinlich viel ausladen, was man aus Platzgründen innen abgestellt hat, selbst wenn sie die Behausung nicht aufbauen müsste, was aber wahrscheinlich ist, da wir bisher keine Behausung entwickelt haben, die in eine Raketenspitze und den nötigen Hitzeschutzschild passt und die genügend Platz bietet.

Wie immer bei Musk: ein schönes Märchen über die Marskolonisation vom Märchenonkel Elon. SpaceX Fans dürfen sich nun beschweren, das ich Musk beim Wort nehme. Das darf man offensichtlich nicht (außer die Aussage passt einem in den Kram).

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