Russland rüstet derzeit auf. 11.000 neue gepanzerte Fahrzeuge, darunter ein neuer Panzertyp bis 2020, zwei neue Atom-U-Boote pro Jahr, neue Interkontinentalraketen mit noch mehr Sprengköpfen und Su-35 Kampfflugzeuge – das sind nur einige der Anschaffungen.
Während früher die Aufrüstung des Militärs einherging mit neuen militärischen Starts – die meisten der bis zu 100 Starts pro Jahr waren militärischer Natur – blieb eine Renaissance bei den Raketenstreitkräften – zumindest, was Satellitenstarts angeht, aus. Stattdessen gab es wechselnde Pläne für neue Schwerlastraketen, die bald wieder verworfen wurden. Das soll sich nun ändern.
Russlands Verteidigungsminister Schoigu kündigte ein neues Satellitenprogramm an, dessen Daten auch uneingeschränkt kommerziell verfügbar seien – im Gegensatz zu den USA als Seitenhieb, dass von den kommerziell verfügbaren Aufnahmen sich erst mal ihre abgreift und dann nur den Rest, der nicht nationale Interessen berührt freigibt.
2020 soll der erste Start beginnen und es soll dann das System auch schon einsatzbereit sein. Das spricht für wenige Satelliten für ein operationelles System. Das Besondere wäre ein weltweit kohärenter Datensatz. Das bedeutet, alle Daten stammen von demselben Instrument und zum (nahezu) gleichen Zeitpunkt. Das verwundert, liefert aber wertvolle Hinweise auf die Bauweise der Satelliten. Nach russischen Foren scheint das Vorhaben schon sehr konkret zu sein, was mich auch bewegte mal darüber zu berichten. Vor allem weil Russland wieder andere Wege geht als der Westen.
Das Zenit System
Doch zuerst eine Erinnerung an die Vergangenheit. Beide Nationen begannen als erste militärische Satelliten Aufklärungssatelliten zu entwickeln, auf die auch der Großteil der Starts beider Nationen in den Sechziger Jahren beruhte. Die Technik war in beiden Lägern dieselbe, die Umsetzung jedoch jeweils eine andere. Ein Satellit nahm Gebiete auf großformatigen Film auf und dieser wurde dann mit einer Landekapsel geborgen. In Russland entwickelte das OKB-1 von Koroljow die Zenit Satelliten. Das waren eigentlich umgebaute Wostokkapseln, bei denen man anstatt eines Kosmonauten eine Kamera in die Kapsel einbaute. Mit diesem „Trick“ konnte man die Militärs überzeugen Wostok zu entwickeln – denn an bemannter Raumfahrt hatte das Militär eigentlich kein Interesse. Russland setzte die Zenit-Systeme sehr lange ein. Es gab drei Generationen. Relativ spät setzte man wie die USA auf Satelliten mit elektronischen Bildaufnehmern. Als die Sowjetunion sich öffnete, vermarktete man die Aufnahmen der Satelliten im Westen. Sie fanden rege Abnehmer, weil sie besser waren als das zivil verfügbare Material, das damals von Landsat oder SPOT verfügbar war. Ich kann mich noch an eine 14-teillige-CD-Serie „D-SAT“ erinnern, die auf diesen Aufnahmen beruhte. Die militärische Natur war unübersehbar. So waren die Auflösung rund um einen Bundeswehrflugplatz deutlich besser als einige Kilometer weiter. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach diese Serie ab. Russland stellte auch viele andere Satellitenprojekte ein, darunter welche mit CCD-Sensoren.
Auch im Westen gab es eine Zäsur. Die USA setzen heute weniger auf eigene Aufklärungssatelliten – zumindest im sichtbaren Bereich. Satelliten, die im Infraroten arbeiten oder Radar nutzen, werden nach wie vor gebaut – sondern nutzen kommerzielle Satelliten. Die Ersten dieser „Zivilspäher“ starteten in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre. Inzwischen ist ihre Auflösung von 100 auf 31 cm gesunken. Das Militär und NRO ist heute auch der Hauptkunde von Digiglobe der größten Firma, die diese Satelliten betreibt.
Bedarf an neuen Satelliten?
Doch diese Satelliten haben auch Nachteile. Für einige Kunden ist wichtiger als eine hohe Auflösung, das man kohärentes Bildmaterial bekommt. Das bedeutet, man möchte ein Gebiet mit demselben Instrument zur gleichen Zeit beobachtet haben. Solche Kunden sind vor allem institutionelle Kunden. Die ESA überwacht so die Agrarwirtschaft. Macht Ernteprognosen und überwacht ob Nutzungseinschränkungen eingehalten werden. Deutschland macht zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Waldinventur, bei der man den gesamten Wald in Deutschland auf kranke Bäume untersucht. Die UNO screent regelmäßig große Gebiete, um Brandrodungen und andere menschengemachte Umweltveränderungen zu überwachen. Alle brauchen keine extrem hohen Auflösungen und alle möchten sehr große Gebiete überwachen.
Dafür eignen sich die Satelliten von Digiglobe nicht. Sie bieten hohe Auflösungen, doch die erfasste Fläche ist begrenzt. Der neueste Satellit, Worldview 3 kann zwar aufnahmen mit 0,31 m Auflösung anfertigen, aber er erfasst maximal 680.000 km² am Tag. Wöllte er so die ganze Erdoberfläche, erfassen, so bräuchte er dazu 250 Tage. Begrenzend ist vor allem die Datenrate und Datenspeicherkapazität. Worldview 3 kann auf dem Satelliten 2200 GBit speichern und die Daten mit 1200 Mbit/s übertragen. Das ist viel, aber der Satellit hat weder eine dauernde Funkverbindung noch die Möglichkeit, kontinuierlich Daten zu erfassen. Es gibt einen Streifen, der erfasst wird, bis der lokale RAM-Speicher voll ist und dann wird er in eine SSD übertragen. Die Datenmenge ist enorm. Worldview erfasst pro Sekunde einen 13,1 km breiten Streifen. Bei einer Geschwindigkeit von 7 km/s relativ zum Boden sind das 100 km² für die man bei 0,31 m/Pixel rund 1 Milliarde Pixel pro Sekunde abspeichern muss. Zu der Datenmenge des monochromen Sensors kommen dann noch die anderen niedriger aufgelösten Sensoren, sodass die Gesamtdatenmenge bei rund 1,8 Gpixel pro Sekunde liegt. Jedes Pixel hat 12 bis 14 Bit für den Helligkeitswert. So kommt man auf eine Datenmenge von rund 3 GByte/s. Das geht derzeit nur in einen RAM-Speicher. Eine SSD ist dazu um den Faktor 5-10 zu langsam (und als der Satellit konzipiert wurde, war die Technik noch langsamer).
Russland dürfte Probleme haben, diese Datenmenge direkt zu übertragen. Zwar liegt das Land nahe am Nordpol, könnte also dort Empfangsstationen aufbauen, die ein Satellit mindestens einmal pro Umlauf passiert. Doch wie kommen dann von dort die Daten zu den Rechenzentren? Internetverbindungen sind in die Arktis keine verlegt und Hochgeschwindigkeitsdatenverbindungen zu geostationären Satelliten hat Russland ebenfalls nicht. Dazu kommt, dass das Land bei der Elektronik hinterherhinkt. Gerade erst hat man den Bordcomputer der Sojus-Kapsel erneuert. Er leistet nun 8 MIPS und hat 2 MByte Speicher – das sind die Leistungen eines 386-er PC aus dem Jahre 1986. Phobos-Grunt ging 2011 verloren, weil man nicht weltraumqualifizierte kommerzielle Komponenten verwendet, die dann prompt ausfielen.
Das Zenit 4 System
Russland greift das alte Zenit-Konzept auf, man spricht auch von „Zenit 4“, als vierter Generation, diesmal aber mit der Sojus als Startgefährt. Ab 2018 braucht Russland weniger Sojus und Progress um die Internationale Raumstation zu versorgen, da dann die Amerikaner ihre Astronauten selbst starten und auch CRS-2 mehr Fracht zur ISS bringt und man keine Fracht mehr bei den Progress bucht. Stattdessen wird es vier Zenit Missionen pro Jahr geben. Die Zenit-Satelliten sind umgebaute Sojus-Raumschiffe. In der Wohneinheit gibt es eine Reihe von Fenstern, an denen Teleskope angebracht sind. Sichtbar sind mindestens sechs Fenster, jedes etwa 30 bis 35 cm groß. Sie müssen, da die Sojus die Erde in einer erdnahen Umlaufbahn umrundet, nicht sehr groß sein, so auch die Teleskope. Aus 250 km Höhe reicht für eine Auflösung von 1 m ein Teleskop von 150 mm Durchmesser.
Ihre Daten werden per Kabel in die Rückkehreinheit übertragen, in der ein Speichersystem die Daten abspeichert. Nach einer relativ kurzen Mission, in der große Teile der Erdoberfläche erfasst werden, wird die Rückkehrkapsel wie bei der Sojus geborgen. Die Wohneinheit mit den Instrumenten geht verloren. Bedingt durch die Verlagerung in die Rückkehrkapsel kann Russland durch die starken Wände dort „normale“ sprich strahlungstolerante Elektronik verwenden, wie sie auch in Verkehrsflugzeugen eingesetzt wird.
Dazu passt die Ankündigung von IBM, dass man einen Entwicklungs- und Fertigungsauftrag von Russland erhalten habe für die Lieferung eines besonders vibrationsresistenten Data Centers erhalten habe, das auf der Intel SSD P3700 basiert. Eine kommerzielle Variante setzt bis zu 96 SSD in 4 Höheneinheiten mit einer Maximalkapazität von 160 TByte ein. Das würde bei der auf 1 m geschätzten Auflösung ausreichen, die gesamte Erdoberfläche abzulichten. Mit mindestens 6 Kameras soll ein Zenit 3 einen 200 km breiten Streifen erfassen und er könnte so innerhalb von 14 Tagen einmal die Erde erfassen. Zudem machen so viele SSD es möglich die Datenmenge direkt abzuspeichern, ohne einen RAM-Puffer zu benötigen.
Wahrscheinlich wird ein Teil der Daten über geostationäre Satelliten direkt übertragen. Das sind militärisch wichtige Daten. Doch der Großteil wird erst nach der Landung zur Verfügung stehen.
Die Chancen im kommerziellen Umfeld
Das Konzept greift alte russische Konzepte auf. Das Beste aus dem zu machen, was man schon entwickelt hat und die eigenen Mängel zu kompensieren. In diesem Falle nutzt man die Sojus-Kapseln, die bewährt sind. Deren Abschirmung, die ja auch Kosmonauten vor Strahlung schützt, macht es dann möglich kommerzielle Elektronik einzusetzen. Dabei kann Russland auch leicht kommerzielle Exporte umgeben. Wenn das Land normale „Konsumer“ Hardware nutzt, kann sie praktisch aus Hunderten von kommerziellen Serverherstellern sich etwas rauspicken und die fällt nicht unter das Embargo. Selbst wenn dann kann man ein Verbot leicht umgehen, und die Hardware eben über normale PC-Händler und Mittelmänner besorgen.
Vor allem scheint sich Russland auch Gedanken über eine Refinanzierung gemacht zu haben. Denn den Bedarf an niedrig aufgelösten Aufnahmen gibt es. Die ESA hat eigens dafür, dass Sentinel Programm ins Leben gerufen, dass drei Satellitenreihen und eine Reihe von Instrumenten vorsieht. Die NASA, die seit Jahren mit der Finanzierung ihres Earth Science Programms kämpft, hat nun einen Auftrag für die Wiederbefüllung von Landsat 7 vergeben – der Satellit wurde schon 1999 gestartet, einen Nachfolger bekam die NASA aber nicht finanziert. Google startet aus demselben Grunde – für Earth View und Google Maps kohärentes Material mit derselben Auflösung und denselben Sensoren zu bekommen derzeit seine SkySat Flotte. Drei sind schon im Orbit, weitere 6 sollen bis 2018 folgen. Heute bemerkt man den Mangel deutlich, wenn man bei Google Earth mal weg von den dicht besiedelten Gebieten geht, dann sieht man oft Streifen mit hoher Auflösung neben niedriger oder Farbwechsel, weil die Daten aus unterschiedlichen Quellen mit unterschiedlichen Sensoren stammen. Das Bild Links zeigt z.B. die Ariane 5 Startrampe, wo man deutlich sieht, das Google bisher auf verschiedene Quellen zurückgreift.