Dummes Geschwätz

Eigentlich wollte ich heute mal wieder eine Berechnung präsentieren, diesmal für einen Neptunorbiter. Doch dann fiel mir beim Schwimmen wieder eine Äußerung von Thomas Reiter ein, der inzwischen zum ESA Koordinator Internationale Agenturen und Berater des Generaldirektors aufgerückt ist. Wahrscheinlich in einem Interview zur Amtseinführung schwang er das Loblied auf die bemannte Raumfahrt und warum diese doch so wichtig sei. Am wichtigsten sei die Flexibilität des Menschen und er nannte auch ein Beispiel: Wäre bei der Landung von Philae auf Churymasov-Geramisenko ein Astronaut zugegen gewesen, dann wäre es nicht passiert, dass der Roboter am Rand einer Klippe zum Stehen kommt. Der hätte wohl den Roboter an die rechte Stelle gerückt.

Das ist so was was für mich in die Kategorie „Dummes Geschwätz“ gehört. Bisher hat die Menschheit nur den Mond erreicht. Für „Chury“ (Komet 67P) müsste man eine Bahn einschlagen, die bis zu Jupiter ins All
herausführt, noch weiter als die seit Jahrzehnten geplante Marsexpedition. Schon ohne es nachzurechnen, ist mir klar das dies nicht möglich ist, zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand. Doch so eine Steilvorlage greife ich gerne auf. Also rechnen wir es mal nach.

Der Knackpunkt des ganzen ist die Bahn von Churymasov-Geramisenko. Er zieht seine Bahn zwischen 1,2432 x 5,6824 AE um die Sonne, 7,0402 Grad zur Ekliptik geneigt. Das bedeutet um ihn zu erreichen muss man von der Erde aus zuerst eine 1,00 x 5,6824 AE Bahn einschlagen, dann in 5,6824 AE Entfernung die Bahnneigung anheben und das Perihel anheben. Rosetta erreichte das mit vier Vorbeiflügen an Erde und Mars und war neun Jahre unterwegs. So was geht bei einer bemannten Mission natürlich nicht. Der Rekord im All liegt bei unter 1,5 Jahren Aufenthalt.

Zugunsten von Reiter will ich mal wirklich nur die absoluten Minimalanforderungen für eine bemannte Mission abchecken. Das sind:

  1. Nur 1 Astronaut
  2. Minimale Wohnmöglichkeiten
  3. Direkte Bahn um Zeitbedarf zu reduzieren.

Ich fange mal mit den Trockengewichten an.

Als Minimalvolumen für eine längere Reise setze ich das Wohnvolumen eines ISS-Moduls an, die Saljutstationen hatten in etwa das gleiche Volumen. Das sind etwa 70 m³ oder das Volumen eines Raumes von 28² Grundfläche und 2,5 m Höhe. Auf dem muss ja auch die Lebenserhaltung und Ausrüstung untergebracht werden. Ein solches Modul wiegt rund 20 t. Wenn die Hälfte auf Innenausstattung und Ausrüstung entfällt, und man die Metallhülle durch die etwa halb so schwere Technologie der aufblasbaren Station ersetzt sollte man die Startmasse auf 15 t drücken können.

Dazu braucht man noch eine Kapsel für en Start und die Landung. Das Leichteste, was es für einen Astronauten gibt, ist die Mercurykapsel, die addiert weitere 1,3 t Gewicht.

Ein Problem bei der Abschätzung ist der Strombedarf. Die ISS kann man nicht als Basis nehmen, da ihre Stromversorgung solar ist und großzügig ausgelegt. Das Space Shuttle hatte bei bis zu 7 Personen eine mittlere Leistung von 8 kWh. Bei den Saljutstationen mit 2 Besatzungsmitgliedern waren es 4-5 kWh. Wenn man berücksichtigt, dass die Station zu 50% im Erdschatten ist, sind das nur 1,25 KW pro Person. Ich habe 2 KW angesetzt und nukleare Stromversorgung, die liefert selbst bei den modernsten RTG dann noch 8 KW Wärmeleistung bei den derzeit eingesetzten sind es sogar 28 KW, genügend um die Station zu beheizen. RTG für 2 KW Leistung kosten vor allem viel (rund 700 Millionen Dollar), sie addieren aber nur 400 kg Gewicht.

Viel Gewicht dürfte aber die Verbrauchsgüter addieren. Bei der ISS verbraucht 1.100 l Wasser und 300 kg Gase pro Jahr bei 6 Personen. Das sind bei einer Person 240 kg. Dazu kommt noch das Essen. Rechnet man 1 kg pro Tag (die Nährstoffe alleine ohne Wasser wiegen schon 400 g) so ist man sicher auf der unteren Grenze. Dazu müsste man noch die Verpackung nehmen. Schon die lasse ich weg.

Bleibt noch der Antrieb. Da wir noch keine einsetzbare Möglichkeit haben, kryogene Treibstoffe über Jahre ohne Verluste flüssig zu hakten habe ich auf Hydrazine / NTO als Treibstoff gesetzt. Hier liegt der höchste erreichet spezifische Impuls bei 3335 m/s beim Aestus 2. Große Tanks, wie man sie sicher haben wird, erlauben dann einen Strukturmassefaktor von 20.

Damit hat man alles um die Sache auszurechnen.

Der Kurs

Der zwar nicht energetisch, aber zeitlich optimalste Kurs sähe so aus:

  • Start von der Erde in eine Bahn mit dem Aphel von 67P.
  • Dort Bahnanpassung des Perihels und der Inklination
  • Begleiten von 67P bis zum Perihel.
  • Dort Absenken des Perihels.

Die erste Bahn hat eine Ausgangsgeschwindigkeit von 38.848 m/s solar, was beim Start aus einer 186 km hohen Kreisbahn 14.276 m/s relativ zur Erdoberfläche entspricht.

Die Perihelanpassung addiert dann weitere 1482 m/s.

Wenn das Argument des Perigäums und Omega egal sind, dann reichen 221 m/s im Perihel, um es wieder auf 1 AE abzusenken.

Das Gesamt-ΔV des Raumschiffs ist daher übersichtlich, allerdings wird in der Realität ein größeres ΔV nötig sein, da die Erde sicher nicht an der gewünschten Position ist, wenn man die minimale Geschwindigkeit für die Absenkung des ΔV hat.

Die Reisedauer

  • Die Bahn bis zum Aphel hat eine Umlaufdauer von 2 Jahren 358 Tagen.
  • Bis zum Perihel sind es dann nochmals 3 Jahre 81 Tage
  • Danach ist man in 53 Tagen wieder zu Hause.
  • Der gesamte Trip dauert also 6 Jahre 137 Tage.

Massenberechnung

Man kann das Ganze rückwärts rechnen:

Vor Perihelanpassung:

  • Masse Station: 15 t + 0,4 t RTG + Mercury Kapsel = 16,7 t
  • Vorräte für 53 Tage: 53 x 1 kg + 53 x 0,66 kg = 88 kg
  • Gesamt-“Nutzlast“: 16.788 kg

Vor Aphelanpassung:

  • Masse Station: 15 t + 0,4 t RTG + Mercury Kapsel = 16,7 t
  • Vorräte für 1229 Tage: 1229 x 1 kg + 1229 x 0,66 kg = 2.041 kg
  • Gesamt-“Nutzlast“: 18.741 kg

Beim Start:

  • Masse Station: 15 t + 0,4 t RTG + Mercury Kapsel = 16,7 t
  • Vorräte für 2327 Tage: 2327 x 1 kg + 2327 x 0,66 kg = 3.863 kg
  • Gesamt-“Nutzlast“: 20.563 kg

Damit kann man die Masse des Abtriebs berechnen. Man erhält bei obigen Geschwindigkeitsanforderungen eine Stufe von 13.032 kg Startmasse und 603 kg Trockenmasse. Das ist etwas optimistisch, ich bin als ich den Strukturfaktor von 20 ansetzte von einer deutlich größeren Stufe ausgegangen, doch selbst mit Strukturfaktor 12 liegt man noch unter 15 t.

So kommt man auf eine Startmasse, von 33.595 kg. Ist relativ wenig, wiegt nur in etwa so viel wie ein Apollo-CSM ohne Mondlander und das für eine Deep Sky Mission.

Aber …

Nun kommt aber erst der große Brummer. Das Ganze muss man auf 14.276 m/s beschleunigen also rund 3.300 m/s schneller als eine Mondmission. Derzeit gibt es keine Rakete, die das leistet. Die SLS braucht dazu eine Oberstufe, die noch nicht designt ist, aber man kann eine Abschätzung machen. Eine Saturn V konnte 49,5 t zum Mond oder 11,3 t zum Jupiter befördern. Die Geschwindigkeit dieser Bahn entspricht der zu Jupiter. Nimmt man also eine analoge Abnahme der Nutzlast bei einer heutigen Rakete an, so müsste man eine Rakete konstruieren die 147,2 t zum Mond transportiert. So was gibt es natürlich nicht, aber drei Saturn V würden das wuppen und wahrscheinlich dann auch drei SLS in der Endausbaustufe mit 130 t LEO-Nutzlast.

Die SLS soll in der ersten (70 t Version) 500 Millionen Dollar pro Einsatz kosten. Wenn der Preis pro Kilogramm auch für die Endstufe mit 130 t Nutzlast gleich bleibt, dann sind das für einen Start der 130 t Version 928 Millionen Dollar. Drei Starts kosten dann 2784 Millionen Dollar. Da ist das Raumschiff und die Missionsdurchführung nicht mal mitgerechnet. Schon ein kleines Labor wie das von Columbus liegt bei über 1 Milliarde Euro. Der ISS Betrieb verschlingt ohne Zubringerflüge auch rund 2 Milliarden Dollar pro Jahr. So kommt man leicht auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.

Rosetta kostete 1 Milliarde Euro. Anstatt einem Astronauten hätte man auch die Sonde also sicher zehnmal starten können und dann wären sicher auch einige Philae richtig gelandet. Wahrscheinlich hätte man, wenn man so viel Geld gehabt hätte, gleich Bodenproben genommen und zur Erde zurückgebracht. Das war ja mal geplant, bevor die NASA ihren Teil an dieser Mission strich und so aus CRAFT nur die Rosetta Sonde wurde mit niedrigerem Anspruch. Völlig utopisch dürfte in der Praxis auch sein, dass nur ein Astronaut auf die Reise geht und dann gleich für fast 7 Jahre. In der Realität wäre so die Startmasse für eine Mehrpersonenbesatzung größer und es würden Kosten anfallen, um erst mal diese Aufenthaltsdauer im sicheren Erdobit zu erreichen und auch das ganze Equipment im Erdorbit zu erproben.

Eine realistische Einschätzung für die Gesamtkosten liefert ebenfalls Apollo: Hier kostete das ganze Programm bis zur ersten Mondlandung 21,5 Milliarden Dollar. Die Trägerrakete, deren Kosten man heute als Einziges einigermaßen sicher abschätzen, kann 216 Millionen Dollar, also 1/100 der Gesamtkosten. Bei bekannten Startkosten von 2,8 Milliarden Dollar wäre also eine Größenordnung von 280 Milliarden die richtige Richtung. Mit dem Geld könnte man nicht nur die Philae-Landung mehrmals probieren, das ist ungefähr der 200-fache Betrag, den die NASA pro Jahr für planetare unbemannte Raumfahrt ausgibt (beantragt für 2016: 1361 Mill. $). Man hätte also alle Programme seit 1957 durchführen können und noch doppelt so viele Missionen anstatt dieser einen bemannten Mission.

Fazit

Wie ich schon sagte: Dummes Geschwätz. Wenns übrigens so einfach ist, und dass Menschen so viel besser als Maschinen sind, dann könnte man sie ja mal für die Satellitenreparatur einsetzen. Vor einigen Jahren viel Envisat aus, vor eineinhalb Jahren ein militärischer Wettersatellit. Die sind in sonnensynchronen, erdnahen Umlaufbahnen, mit einem Start leicht zu erreichen (allerdings nicht von der ISS aus). Wenn Menschen so viel können, warum hat man die nicht längst repariert?

Auch am Statement selbst, das ein Mensch auf dem Kometen so viel besser wäre, kann man Zweifel haben. Unter den Fast-Null-G Bedingungen des Kometen sind die Arbeitsbedingungen wie bei einer EVA bei der ISS. Nur fehlen dort die überall installierten Handgriffe. Dafür gibt es spitze Steine und eine poröse Oberfläche mit viel Schutt. Ich habe meine Zweifel, dass ein Astronaut dort effektiv arbeiten kann. Wahrscheinlich müsste er sich wie Philae mit Harpunen fixieren und diese dann wieder lösen. Gut, er könnte, wenn die nicht auslösen, es nochmals probieren, aber das war es dann auch schon.

5 thoughts on “Dummes Geschwätz

  1. Hallo Bernd:

    Reiter hat Recht: Der Mensch kann flexibler auf Probleme reagieren als ein Roboter!
    Reiter irrt: Der Mensch braucht einfach zuviel Infrastruktur um im Weltall zu überleben.
    Reiter irrt: Auch der Mensch braucht viel Technologie um im Weltall flexibel zu reagieren.
    Dafür kann man auch Roboter bauen, die recht flexibel sind!

    Alles was über die ISS oder den Mond hinausgeht ist im Moment Science Fiction,
    und spätestens ab Mars heißt es: Scotty beam mich hin!

    Bei weiteren Reisen fragt man am besten Gene Roddenberry!

  2. Aufsetzen nur auf einer weitgehend ebenen Fläche sollte einfach zu automatisieren sein. Dazu braucht es einen Scanner für die Oberfläche und einen Landealgorithmus, der innerhalb eines Gebietes das geeignetste aussucht. Wenn die Leute schon vom autonomen Fahren reden, dann sollte diese Aufgabe bei einer Landung bei geringer Gravitation auch machbar sein. Diese Ausrüstung könnte sogar standardisiert bei jedem dieser Projekte mitfliegen.

  3. Eine Frage der Zeit:

    Roboter werden immer besser, der Mensch bleibt im Wesentlichen so, wie er ist.
    Ich bin sicher, dass man heute mit einem dafür gebauten Roboter z. B. Hubble genau so gut reparieren könnte, wie das damals die Astronauten gemacht haben.
    Größtes Hindernis ist die Kommunikation zwischen Bodenstation und Roboter, um diesem im Zweifelsfalle aktualisierte Arbeitsanweisungen geben zu können.
    Aber Roboter können auch geduldig warten, bis sich wieder mal ein Kommunikationsfenster öffnet.
    Würde man den Aufwand, der bei Menschen in Lebenserhaltungs- und Rettungssysteme gesteckt wird, in die Technik der Sonden / Roboter investieren, könnte man auch einen Kometenlander mit mehr und besseren Landeoptionen bauen. Nicht einfach nur eine Harpune, sondern auch kleine Triebwerke und genügend Treibstoffvorrat für sanfte Landung und ggf. sogar Positionswechsel vor Ort.

    Trotzdem würde ich die bemannte Raumfahrt nicht aufgeben! Ich denke nur, sie ist nicht mehr so wichtig, wie sie einmal war.
    Einzelne spezielle Missionen profitieren sicher stark von der schnelleren Reaktionsfähigkeit und Flexibilität eines Astronauten, aber das sind doch nur wenige.

  4. Die Flexibilität des Menschen ist ein Scheinargument. Es ist weit billiger, ein defekte Sonde aufzugeben und einen Ersatz zu starten, als eine bemannte Reparaturmission zu starten.
    Unbemannte Einweg-Forschungssatelliten mit automatisierten Experimenten sind weit billiger als eine ISS, die die ganze Zeit geflickt werden muss.
    100 Mann am Boden, die über 3 Monate ein autonomes Experiment überwachen, sind billiger als 1 Astronaut, der eine Woche im All zubringt.
    Usw. usw. usw.

    Wie viele Planetensonden und Forschungssatelliten hätte man mit den ISS Geldern wohl bauen können? Mehr als hundert, und das bei besseren wissenschaftlichen Ergebnissen.

  5. Ja, nur leider wird man kaum Politiker finden, die das genauso sehen und unterstützen. Und schon gar nicht die, die das Geld verteilen.

    Denn Renommee, wenn überhaupt, bringen dann doch eher Menschen, die auf mehr oder weniger tote Himmelskörper spazieren oder wenigstens im All mit einem Akkuschrauber in der Hand schweben. Und btw. gehen auch so langsam die Ziele für interplanetare Missionen aus. Eigentlich fehlen nur noch ein Uranus- und ein Neptun-Orbiter. Dann bleiben noch Kuiper-Objekte mit Flugzeiten > 10 Jahre … und dann halt „nur“ noch Wiederholungen, zumindest aus Politiker-Sicht.

    Und die wollen wiedergewählt werden. Und das weiss auch ein Thomas Reiter.

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