Die Lösung für ein überflüssiges Problem: die Pumhart von Steyr

Ich habe mir eine Dokumentation über Burgen bei ZDF Info angesehen und da ging es auch um die Belagerung mit einer Bombarde. Nach Angeben des Moderators konnte eine solche Kanone in zwei Stunden ein Mauerwerk zerstören. Ich konnte das nicht glauben und habe bei Wikipedia mal gesucht und kam auf die Pumhart von Steyr.

Diese soll mit nur 15 kg Schwarzpulver eine 690 kg schwere Kugel 600 m weit schießen. Auch wenn die Reichweite klein ist, kam mir diese geringe Schwarzpulverzuladung bei der 40-fachen Masse der Kugel doch seltsam vor und ich nahm mir vor, das mal zu berechnen.

Die V0:

Die Reichweite wird bei 10° Abschusswinkel mit 600 m angegeben. Bei einem schrägen Schuss gelten folgende Zusammenhänge:

vx = v0 * cos (alpha)

vy = v0 * sin (alpha)

Alpha ist der Winkel zur Horizontalen, hier 10 Grad

V0 ist die Abschussgeschwindigkeit

vx die Geschwindigkeit parallel zum Boden

vy die Geschwindigkeit senkrecht zum Boden (Höhe)

Den Weg kann man berechnen nach S = v * t, hier also

sx = vx * t

sy = vy * t

sy und sy sind die strecke jeweils in X / Y-Richtung

Nun zieht die Erdgravitation in der Y-Richtung an der Kugel:

Vg = ½ g * t²

Vg ist die Geschwindigkeit durch die Erdgravitation, g die Gravitationskonstante 9,81 m/s².

Die Kugel steigt immer langsamer, bis sie den Scheitelpunkt erreicht, bei dem gilt:

vg = vy

danach fällt sie wieder, bis sie den Erdboden erreicht. Die Flugbahn ist dann eine Parabel und die beiden Äste sind symmetrisch, hat man also die Strecke in X-Richtung bis zum Gipfelpunkt errechnet so ist die Gesamtstrecke genauso doppelt so lang.

Für die Strecke in Y Wirkung verändert sich der Term daher zu:

Sy = vy * t – ½ g t²

Es gilt nun das beim Gipfelpunkt gilt Vg = Vy. Damit entspricht aber die Höhe auch der Bedingung:

Sy = ½ * g t²

und:

Sy = sin(alpha) * V0 * t

Sx = 300 m = cos(alpha) * V0 * t

Wir haben nun zwei Gleichungen für t und v0 und können diese berechnen und kommen auf 131,0 m/s für V0. Daraus ergibt sich eine Gipfelhöhe von 26,5 m und eine Flugzeit von 4,65 s.

Der Luftwiderstand

Nun kommt aber der Luftwiderstand ins Spiel. Heute haben selbst großkalibrige Geschütze nur ein Drittel der Reichweite die man nach den obigen Formeln errechnet, da die Luft abbremst. (das größte je gebaute Schiffsgeschütz, die 46-cm-Kanonen der Yamato hatten eine Reichweite von 42 km bei einer V0 von 780 m/s. Bei einem Winkel von 45 grad müsste sie im Vakuum aber 87,7 km weit fliegen)

Bei kleinen Geschützen ist die Diskrepanz noch größer, da der Luftwiderstand von der Fläche abhängt, die kinetische Energie, die er aber aufbraucht, bei gegebener V0 von der Masse abhängt, die steigt aber mit dem Durchmesser in der dritten Potenz an, die Fläche aber nur quadratisch.

Gegeben ist:

F = Rho * cw * F * v² / 2

Rho ist die Dichte des Mediums, cw ein Faktor von der Form abhängt, F die Fläche und v die Geschwindigkeit.

Rho ist bei der Luft bei 20°c auf Meereshöhe 7,72 kg/m³

Für langsame Geschwindigkeiten gilt nach der Tabelle in der Wikipedia für eine Kugel ein cw von 0,45. Die Kugel hat einen Durchmesser von 0,8 m. Die V0 ist gegeben mit 131 m/s.

Die von mir angestrebte Methode ist nun die:

Ich berechne den Luftwiderstand alle 10 ms, damit ändert sich kinetische Energie, aus dieser kann man v berechnen und die Flugbahn verkürzt sich. Sobald die Kugel die Erde erreicht, bricht die Simulation ab. Die Differenz zwischen erreichter Reichweite und Zielreichweite wird als Basis für eine Abschätzung des neuen Vo (die Reichweite steigt quadratisch zu V0, aber auch dr Luftwiderstand) genutzt solange bis die Abweichung klein ist.

Die Routine (siehe unten) iteriert sehr schnell: Erster Durchlauf 387 m Weite, dann 550, 589, 597, 599,6 und schließlich:

4,65 s Flugzeit

599,6 m Sx

34,2 m Hmax

173,5 m/s v0

Die Kugel muss also eine Startgeschwindigkeit von 173,5 m/s haben, etwa ein Drittel größer als ohne Luftwiderstand.

Das Schwarzpulver

Nun können wir die kinetische Energie berechnen, die das Schwarzpulver aufbringen muss: Es ist berechenbar nach:

Ekin = ½ M * v²

Mit M=690 kg und v=173,5 m/s kommt man auf 10,39 MJ

Diese Energie soll in 15 kg Schwarzpulver stecken, das sind dann 693 kJ/kg.

Zum Vergleich: Fett hat eine Energiedichte von 38.900 kj, Kohlenhydrate eine 17.200 kJ. Wir geben den Verbennungswert von Fett und Kohlenhydraten aber ohne den Sauerstoff an, denn unser Körper aus der Luft bezieht. Das ist auch bei langsamen Verbrennungen so, nicht aber bei der Explosion wie der Entzündung von Schwarzpulver. Dieses besteht aus Kaliumnitrat (KNO3), Schwefel und Holzkohle. Das Kaliumnitrat stellt den Sauerstoff und da dieses ¾ der Masse ausmacht muss der Energiegehalt noch kleiner als bei Kohlenhydraten und Fett sein, zumal die Energie pro Bindung abnimmt je schwerer die Elemente sind und Schwarzpulver enthält mit Ausnahme des Kohlenstoffs nur Elemente der dritten und vierten Periode. Fett dagegen nur welche aus der ersten und zweiten Periode, darunter den leichten und viel Energie liefernden Wasserstoff. Daher ist der Energiegehalt von Schwarzpulver viel niedriger.

Die Wikipedia gibt die Explosionswärme mit nur 2700 kJ/kg an. Das ist deutlich über den benötigten 693 kJ. Das bedeutet ein Großteil der Energie landet nicht in der Bewegungsenergie der Kugel. Genauer gesagt landet dort nur die Hälfte der Energie. Die andere Hälfte ist nach Newtons Gesetz Aktion = Reaktio der Rückstoß der Kanone. Die wiegt mindestens 7.100 kg und wird so um 54 m/s nach hinten beschleunigt, bzw., die Befestigung muss 10,4 MJ Energie aufnehmen. Doch selbst Rückstoff und kinetische Energie machen nur die Hälfte der Energie aus, der Rest wird als nicht genutzte Energie verpuffen, so verlassen die Gase das Rohr noch mit endlicher Geschwindigkeit und die Kanone ist sehr kurz, nutzt also nur eine kleine Beschleunigungsstrecke.

Schadenswirkung

Die Kugel trifft dann natürlich noch auf ein Ziel. Wenn man nicht wartet, bis sie beim Erdboden ankommt, sondern auf 3 m Höhe zielt dann reduziert sich die Reichweite zwar, aber man erreicht doch eine deutliche Beschädigung. Die Kugel kommt mit 98 m/s an, hat dann noch eine kinetische Energie von 3,31 MJ.

Diese Energie konzentriert sich zuerst auf einen Punkt, der hat dann enorm starken Punktdruck, hier wird die Mauer beschädigt Gestein von Kugel und Mauer zerbröselt und es kommt so eine größere Fläche in Kontakt die ist geringerem Druck ausgesetzt und die Beschädigung ist kleiner. Irgendwann ist die Fläche dann so groß, das der Rest der Kugel keine Beschädigungen mehr auslöst, weil der Druck kleiner als der Festigkeitswert des Gesteins ist. Das ist auch der Grund, warum heute Patronen spitz sind und nicht kugelförmig. Die maximale Kontaktfläche ist so kleiner. Man kann berechnen, wie groß die Fläche sein muss, damit der Gestein nicht zerrüttet wird. Nach diesem Dokument hat Sandstein eine Druckfestigkeit von 40 – 235 N/mm², Kalkstein eine von 60 – 235 N/mm² und Granit eine von 110-360 N/mm². Nimmt man die Extreme 40 und 360 N/mm², so ist bei einer Gesamtkraft von 3,31 MN eine Fläche zwischen 82.750 und 9.195 mm² zerstört, das ist eine kreisfömige Fläche von 109 bis 325 mm Durchmessser.

Der Schaden hält sich also bei einer Kugel in Grenzen, zumal man kaum davon ausgehen kann, dass die Kugel tiefer eindringt als dieser Durchmesser. Eine Wand wird aber viel stärker sein auf ihr muss man ja noch laufen können, also sicher 1 m breit. Natürlich erzeugen mehrfache Beschüsse dann immer größere und tiefere Löcher, doch sehr schnell wird man die Kanone nicht beladen können – eine Kugel von 690 kg Gewicht zu bewegen dürfte im Mittelalter nur mit Muskelkraft von Menschen und Pferden lange gedauert haben.

Also die 2 Stunden um eine Befestigung zu pulverisieren halte ich für ausgeschlossen, doch mit genügend Zeit geht es vielleicht, zumindest wenn wie damals oft üblich die Mauer nur aus zwei massiven Außenschichten und einem lockeren Füllmaterial bestand.

Die Kugel

Kommen wir zuletzt zur Kugel. Sie soll 80 cm Durchmesser gehabt haben und 690 kg wiegen. Kann man daraus einen Rückschluss auf das Material ziehen? Bedingt. Gesteine haben unterschiedliche Dichten, doch sie liegen nahe beieinander. Es gil :

V = 4/3 Pi * r³

mit r = 0,4 m kommt man auf ein Volumen von 0,268 m³. Bei einem Gewicht von 690 kg beträgt dann die spezifische Dichte 2,573 g/cm³. Das ist nach dieser Tabelle ein Wert, der für Kalkstein oder Tonschiefer gelten könnte, unterhalb der Dichte von Granit. Das verwundert nicht, denn im Mittelalter dürfte nur mit Hammer und Meisel gearbeitet worden sein und damit eine 80 cm große Kugel anzufertigen dauert. Die dürfen als Schussmaterial aber nicht zu teuer sein, also hat man weiche Gesteine genommen, wie eben Kalkstein. Das bedeutet aber auch: trifft diese Kugel auf ein hartes Gestein wie Granit, so wird der Schaden bei der Kugel größer sein als bei der Mauer, im Extremfall wird sie nur wenig Gestein absprengen, aber selbst durch die Wucht in Burchstücke zerfallen.

So verwundert es nicht das man bald zu gusseisernen Kugeln überging die die dreifache Dichte hatten und höhere Druckfestigkeit. Da sie aber auch dreimal schwerer waren, kamen diese riesigen Kalber dann aus der Mode und die Belagerungskanonen näherten sich unseren heutigen Geschützen. Zudem wurden die Rohre länger, was die V0 und damit die kinetische Energie erhöhte.

Anhang: Pascal Programm zum Berechnen der V0


const
  winkel = 10;
  laenge = 600;
  startv = 131.0;
  rho = 772.41;
  cw = 0.45;
  d = 0.8;
  Masse = 690;
  dt = 0.01;
  s = 600;
  g = 9.81;

var
  v, vx, vy, vg, vmerk: double;
  widerstand: double;
  f: double;
  ekin: double;
  sx, sy: double;
  hmax: double;
  t: double;

begin
  v := startv;
  f := pi * sqr(d / 2);
  repeat
    vmerk := v;
    sx := 0;
    sy := 0;
    hmax := 0;
    t := 0;
    vg := 0;
    repeat
      ekin := 1 / 2 * Masse * v * v;
      widerstand := rho * cw * f * v * v / 2 * dt;
      ekin := ekin - widerstand;
      v := Sqrt(2 * ekin / Masse);
      vx := cos(Degtorad(winkel)) * v;
      vy := sin(Degtorad(winkel)) * v;
      vg := g * t;
      sx := sx + (vx * dt);
      sy := sy + (vy * dt) - (vg * dt);
      hmax := max(hmax, sy);
      t := t + dt;
    until (t > 1) and (sy < 0); // 0 m
    Memo1.Lines.Clear;
    Memo1.Lines.Add(Format('%.2n s Flugzeit', [t]));
    Memo1.Lines.Add(Format('%.1n m Sx', [sx]));
    Memo1.Lines.Add(Format('%.1n Hmax', [hmax]));
    Memo1.Lines.Add(Format('%.1n vakt', [v]));
    Memo1.Lines.Add(Format('%.1n v Start', [vmerk]));
    v := Sqrt(s / sx) * vmerk;
  until Abs(sx - s) < 1;
end;

3 thoughts on “Die Lösung für ein überflüssiges Problem: die Pumhart von Steyr

  1. Hier ist Dir leider ein großer Fehler passiert: „Die andere Hälfte [der Energie] ist nach Newtons Gesetz Aktion = Reaktio der Rückstoß der Kanone.“ Aktio = Reaktio gilt für KRÄFTE, nicht für die ENERGIE. Integriert man die Kraft über die Zeit auf, erhält man den Impuls. Auch der ist im Fall der Kanone exakt gegengleich. Wird also eine 690 kg schwere Kugel von einer Kanone auf 173,5 m/s beschleunigt, dann wird die 7100 kg schwere Kanone selber mit 16,86 m/s nach hinten „geschossen“. Da die kinetische Energie ½mv² beträgt, erhält die Kanone in diesem Beispiel weniger als ein Zehntel der kinetischen Energie der Kugel. Je schwerer die Kanone ist, oder je besser sie mit dem Boden vertäut ist, desto weniger kinetische Energie erhält sie.

    Bei der Schadwirkung übersiehst Du ebenfalls einen wichtigen Effekt: Das direkte Pulverisieren des getroffenen Gesteins bewirkt in der Tat nur geringen Schaden. Viel mehr Schaden bewirkt der Impulsübertrag an das Gestein: In einer Wand, die vorne von einer Kugel getroffen wird, fallen hinten dann Steine heraus. Die von Dir angesprochene Bauweise (harte Wand vorne, harte Wand hinten, loses Füllmaterial dazwischen) dient genau dazu, den durch Impulsübertrag entstandenen Schaden zu minimieren.

  2. Noch eine Kleinigkeit, die Luftdichte ist eher 1.2 kg/m^2 und nicht 7.7.

    Wie Kaj schon meinte ist es zudem fraglich obdie Schadwirkung alleine das abbröseln der Mauer ist. Beim Abriss eines Hauses mit einer Abrissbirne wird die Wand eher mechanisch zerstöhrt als durch abbröseln der Mauern. Sicher ein Frage der Dicke und des Materials, gibt wohl keine eindeutige Lösung.

    Ansonsten ein schönes Physikbeispiel

  3. Habe ich mit Schmunzeln gelesen. Die Kugel konnte nie 80 cm Durchmesser haben, da die hintere Seelenweite vom Flug 76 cm beträgt. Ein gewisses Spiel bestand auch. Es ist eher mit 75 cm Kaliber oder kleiner zu rechnen. Steinkugeln wurden gehauen bzw. gehackt und die Oberfläche dan gepickt. das ging im Mittelalter sicherlich sehr routiniert. Es wurde übrigens auch Basalt und Dolomit der Dichte 2,9 – 3,0 verschossen. Wie oben schon richtig vermerkt, besteht die Hauptwirkung der Steinkugel auf den Mauermörtel. Durch den Einschlag verschieben sch die Steine untereinander, der Mörtel fällt heraus, hinten fallen Steine heraus (passiert übrigens auch bei Beton und modernen Granaten). Seine Wirkung erhielten diese übrigens schon im 14. Jahrhundert gefertigten Steinbüchsen gerade durch ihre nicht gestreckte Flugbahn. Da sie zur Burgbelagerung in der Regel bergauf schießen mussten, erreichten sie ihr Ziel idealer Weise nahe des Gipfelpunktes der Flugbahn. Die Kugel flog dann waagerecht und traf senkrecht auf die Mauer. Ganz im Gegensatz zum Blidenstein, der mit einem gewissen Fallwinkel einschlug. Dies der Grund der Einführung dieser Geschütze.

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