Bernd Leitenbergers Blog

Nachlese SES 10 und die Orange Dragon

Bei SpaceX geht es Schlag auf Schlag. Vor einem Monat erst hat Elon Musk angekündigt, 2018 die ersten Menschen auf eine Mondumrundung zu schicken, nun der Start von sES 10 auf der ersten wiederverwendeten Falcon 9 Erststufe und die Ankündigung des nächsten, weitaus weiter gehenden Sprungs.

Zuerst eine Nachlese zur Landung der Stufe nach SES 10. Ich war nicht überrascht. Ich sehe auch keinen Grund zum Jubeln. Warum sollte ich überrascht sein? Man hat die Stufe nach der Landung vier Monate durchgecheckt darunter ein Betrieb über die volle Missionsdauer. Das ist mehr als man vor dem Erststart gemacht hat. Ich habe auch nie (auch wenn mir das sogenannte SpaceX-Fanboys gerne unterstellen) behauptet, das man die Stufe nicht bergen und wiederverwenden kann. Angesichts dessen das dies 134 mal beim Space Shuttle geklappt hat (mit den SRB), bei der Saturn V, Ariane 1 untersucht und bei der DC-X sogar experimentell erprobt wurde, wäre das ziemlich töricht. Man kann gerne den Blog durchsuchen, man wird keine derartige Aussage finden. Ich habe nur gesagt, dass ich die finanzielle Rechnung von SpaceX doch sehr bezweifele und daran hat sich nichts geändert. Auch wenn Musk erneut von einer Kostenreduktion um den Faktor 100 spricht (allerdings ohne genaue Angabe wann und mit welchem Vehikel). Meine Meinung gilt auch noch heute: Ich kam damals auf eine Kostenreduktion der Startkosten und nicht nur der Hardware um etwa 30% und das korrespondiert mit einer Nutzlastabnahme von 15% bei der Landung auf dem Schiff und 30% auf dem Land, also nur geringen Einsparungen. SpaceX gab dies selbst zu, denn ein Start auf einer wiederverwendeten Falcon 9 kostet den Kunden nur 10% weniger.

Neuigkeiten von SpaceX

Aber es gibt tatsächlich Neuigkeiten von SpaceX. So soll die „endgültige“ Version der Falcon 9 10-mal fliegen können. Das ist eine schöne Zahl und korrespondiert in etwa mit der Sicherheitsspanne die Raketentriebwerke haben, die typischerweise die 10-.Fache Sollbetriebsdauer als Lebensdauer haben. Das Vulcain ist z.B. auf diesen Wert ausgelegt. De Fakto dürfte es bei den Startkosten nicht so viel ausmachen ob es nun 10 oder nur 5 Wiederverwendungen sind. Denn verwendet man die Stufe nur zweimal, so nimmt (wenn man die Einsparung gleichmäßig auf beide Kunden umlegt) die Kosten schon um 50% ab. Bei dreimal nur noch um ein weiteres Drittel. Die Einsparung wird also immer kleiner. Da Startdurchführung, Oberstufe, die verloren geht und Inspektion, Bergung immer kontante Kostenfaktoren sind, sinkt der Gesamtstartpreis weitaus weniger.

Eine weitere Information, die man aus der Bergung ziehen kann, ist, wo die Nutzlastgrenze für die Bergung ist. Sie unterblieb bei Echostar (5600 kg) und wurde nun bei SES 10 (5300 kg) durchgeführt. Ich vermute es sind die 5500 kg die auf der Webseite als Preisbeispiel (nicht Nutzlastbeispiel) angegeben werden. Da dies deutlich mehr als 15 % Nutzlasteinbuße zu den aktuellen „Website-Werten“ sind, bestärkt mich das in meiner Vermutung, dass dort immer die zukünftige Version angegeben wird und nicht die im Einsatz befindliche. SES 10 scheint an der Grenze für die Bergung zu sein, denn sein Orbit ist ungewöhnlich niedrig (218 x 35410 km, 26,2 Grad). Man würde bei Zusatzperformance eine Anhebung des Apogäums erwarten, um den Treibstoffverbrauch zu verringern. Doch dieses liegt sogar noch unter Standard-GEO.

Auch neu ist, dass man eine Hälfte der Nutzlasthülle geborgen hat. Die wird etwas später als die erste Stufe abgetrennt, und ich habe sie zumindest bei anderen Trägern für ein eher billiges Teil gehalten. Es ist im wesentlichen eine Leichtmetallstruktur in Honigwabenbauweise, überzogen mit CFK und einem dünnen Korkbezug als Hitzeschutzschild. Strukturen sind aber normalerweise relativ preisgünstig. Bei Stufen entfallen nach ULA Angaben 2/3 der Kosten auf den Antrieb und das restliche Drittel auf den ganzen Rest, vor allem Strukturen. Bei SpaceX soll die Nutzlasthülle 6 Millionen Dollar kosten. Die Nutzlasthülle einer Ariane 5 auch 5 Millionen, aber die Rakete selbst ist mit 160 Millionen etwa zweieinhalbmal teurer als eine Falcon 9. Vor allem wenn man die frühere Angabe, dass die Erststufe 80% der Herstellungskosten hinzunimmt, bleibt da nicht mehr viel für die Oberstufe und die Avionik. Ich vermute sie ist deswegen so teuer, weil es für die Bergung eben keine einfache Nutzastverkleidung ist: „The fairing has its own thruster control system and a steerable parachute,” he said. “It’s like its own little spacecraft.” so Musk. Er ist konsequent, das muss man ihm lassen. Die Oberstufe soll nun irgendwann auch geborgen werden. Angeblich wäre das nicht geplant gewesen, doch ich habe noch alte Dokumente von der Falcon 1, wo genau das auch beschrieben wird. Es hat schon Gründe, warum SpaceX so wenig veröffentlicht, man kann sie ja dann beim Wort nehmen. Ob es sich finanziell lohnt, muss sich noch zeigen. Die Einsparungen werden immer geringer, der Aufwand für die Bergung und die Nutzlastabnahme durch die zusätzlichen Systeme für die Bergung aber immer größer. Andererseits ohne die komplette Rakete wiederzuverwenden, wird er nie an das „100-Fach-Reduktionsziel“ herankommen. Zuerst will man aber dahin kommen, dass man die Stufe in einem Tag wiederverwenden kann, dies geschieht, indem es keine Änderungen zwischen den Flügen gibt. Das war hier nicht der Fall. Strukturen und Triebwerke wurden nicht verändert aber zahlreiche, nicht näher genannte Subsysteme wurden ausgetauscht.

Neues gibt es auch von der Falcon Heavy. Wie ich schon prognostizierte, ist es eben doch nicht einfach nur drei Erststufen oder um den Guru selbst zu zitieren:

“Falcon Heavy is one of those things that at first it sounded easy,” Musk said. “We’ll just take two first stages and use them as strap-on boosters. And like, actually no, this is crazy hard, and required a redesign of the center core, and a ton of additional hardware. It was actually shockingly difficult to go from a single core to a triple-core vehicle.”.

Dasselbe hat Russland schon bei der N-1 festgestellt und da waren die 30 Triebwerke wenigstens in einer Stufe. Der Jungfernflug gilt selbst für Musk als hochriskant und soll ohne kommerzielle Nutzlast erfolgen, dafür könnte man hier die Oberstufenbergung versuchen. Die Booster sollen schon einmal geflogene Stufen sein. Das senkt die Kosten. Insgesamt hofft SpaceX 6 Stufen erneut zu fliegen. Über zwei weitere gibt es Verhandlungen mit SES, fehlt dann noch ein weiterer Kunde. Die Investitionskosten beziffert SpaceX mit 1 Milliarde, womit die Google Finanzspritze von vor zwei Jahren schon weg sein dürfte.

Noch ne Wette

Dann gab es noch die optimistischen SpaceX Aussagen: Man werden dieses Jahr noch 20 Starts durchführen (habe ich so auch schon 2014 gehört und da waren es gerade mal 6 Starts) und nun strebe man eine Reduzierung der Überholzeit von vier Monaten auf 1 Tag an. Klar, passt auch zur Reduktion der Kosten um den Faktor 100. Erinnert mich irgendwie an Trump: „Alternative Fakten“ oder andere SpaceX-Versprechungen, die man nie einhalten wird. Aber ich halte dagegen:

Ich wette mit allen SpaceX Fanboys, das SpaceX bis zum 31.12.2017 um 23:59 nicht weitere 20 Starts durchfuhren wird. Wenn ich verliere, bekommt der Erste der mich darauf aufmerksam macht ein Buch von mir seiner Wahl für lau. Sollte ich gewinnen, so erwarte ich den von den SpaceX Fanboys schon lange angekündigten Pro-SpaceX Artikel.

Aber wie schon gesagt, großspurige Ankündigungen gab es auch in den letzten 10 Jahren zuhauf. Die wenigsten wurden eingehalten.

Betrachtet man es aus etwas größerer Entfernung, so ist die Wiederverwendung derzeit nur die SpaceX-Alternative zu Boostern. Bei anderen Trägern wird ein Basismodell um Booster erweitert, um die Nutzlast zu erhöhen und so den Preis zumindest teilweise der Nutzlastgröße anzupassen. Bei SpaceX verändert man das Basismodell nicht, birgt bei kleinen Nutzlasten aber die erste Stufe. Die Nutzlast sinkt, man kann den Start aber preiswerter anbieten, weil man die Stufe wiederverwenden kann. ILS geht bei der Proton derzeit einen dritten Weg und lässt die dritte Stufe weg um die Nutzlast von 6,4 auf 5 t zu verringern und auch die Kosten.

Venusvorbeiflug mit 365 Tage Bahn nach Fly-By

Die Orange Dragon

Die letzte Ankündigung ist wie immer etwas vage. Im Frühling 2020 soll eine Dragon mit einem kommerziellen Passagier zu einer Einjahresmission zur Venus aufbrechen. Mehr ist nicht bekannt, nur das die Dragon nun „orange Dragon“ heißt und ein Deep Space Manöver vorgesehen ist.

Die Verwendung von Farben als Unterscheidungsmerkmal scheint ja bei SpaceX gängig zu sein. Die Dragon die auf dem Mars landet ist die „Red Dragon“. Die Dragon zum Mond die „Gray Dragon“ und nun eine „Orange Dragon“, wahrscheinlich weil nach den Fotos von Venera 13 und 14 der Himmel der Venus orange ist. Nur die Dragon für ISS Missionen, also eigentlich die am häufigsten eingesetzte Version, hat noch keinen Farbcode. Ich wäre ja für eine „blue“ Dragon, schließlich ist die Erde aus dem All weitestgehend blau. Außer SpaceX plant auch Missionen zu Uranus und Neptun, die ja auch türkisblau bzw. blau sind, dann könnte man sie auch als „green Dragon“ benennen.

Doch forscht man etwas nach, so bekommt man doch einiges mehr an Informationen. Windsor Locks, gab in einer Presseerklärung bekannt, einen Auftrag von SpaceX über ein Environmental Control and Life Support System ECLSS bekommen zu haben. Die Firma fertigt diese Systeme für die ISS. Sie haben seit sie installiert wurden den Bedarf an Wasser um 3200 kg pro Jahr reduziert. Drei dieser Racks destillieren zuerst aus dem Brauchwasser, Urin und Kot das Wasser heraus, dann wird aus einem Teil des Wassers durch Elektrolyse Sauerstoff und Wasserstoff gewonnen. In einem dritten Rack wird der Wasserstoff genutzt, um das Kohlendioxid zu Methan und Wasser zu reduzieren. Das Methan wird bei der ISS entlassen, wie es bei der orange Dragon ist, weiß man nicht. Die Stoffbilanz ist auf jeden Fall günstig:

2 H2O + CO2 → CH4 + 2 O2

Man gewinnt aus 36 g Wasser und 44 g Kohlendioxid das man sonst binden müsste 64 g Sauerstoff und hat nur 16 g Methan, das man nicht nutzen kann. 80% der Eingangsstoffe gelangen zurück ind den Kreislauf. Wenn man nicht den hier beschriebenen Sabatier-Prozess nutzt, sondern den Bosch-Prozess dann ist der Verlust mit 12 g reinem Kohlenstoff sogar noch geringer.

Das NASA Ames Zenter gab eine Zusammenarbeit mit SpaceX für einen neuen PICA Hitzeschutzschild bekannt. PICA, das Ablatormaterial der Dragon wurde zuerst vom Ames entwickelt und wird auch zahlreichen Marssonden der NASA eingesetzt. Die neueste Version „PICA on the Edge“ wird für die Orion entwickelt und ist qualifiziert bis zu einer Eintrittsgeschwindigkeit von 11,5 km/s. Nun will man es für eine Geschwindigkeit von bis zu 13 km/s weiterentwickeln. Für Mondmissionen aber auch Marsmissionen braucht man eine so hohe Belastungsgrenze nicht, doch 13 km/s werden genannt, wenn man bei einer Marsmission einen Venus-Fly-By macht und dann in die Erdathmosphäre eintritt.

Zuletzt hat Bigelow angekündigt, man habe den Vertrag mit der NASA über das BEAM Modul verlängert und werde es nun bis März 2020 an der Station belassen. Im März 2020 öffnet sich ein Startfenster zur Venus. Der ideale Startzeitpunkt ist am 12.3.2020 mit einem Vorbeiflugdatum am 3.7.2020.

Das passt doch dann schon zusammen und man kann so einiges rekonstruieren. Fangen wir mal mit der Trajektorie an. Fliegt man zur Venus, so hat man zuerst eine Bahn mit einer Umlaufdauer von unter 365 Tagen. Typisch etwa 280-285 Tage Umlaufdauer in der Transferbahn. Die Venus muss die Bahn nun so umlenken, dass die Umlaufsdauer deutlich über 365 Tagen liegt, dass man, wenn man 1 Jahr vergangen ist, wieder beim Startzeitpunkt ist. Die Venus kann das auch, eine solche Bahn hätte dann ein Aphel von etwa 173 Millionen km Entfernung. Doch sie schneidet die Erdbahn nicht an dem Startpunkt. Das bedeutet, dass die Dragon nahe des Aphels eine Bahndrehung machen muss. Das zeigt die Abbildung. Die Bahn erreicht nach 365 Tagen wieder die Erdbahn, aber an einem anderen Punkt. In diesem Falle 56 Grad vor dem Startpunkt = em Punkt, wo die Erde nach 2565 Tagen wieder ist. Mit einem Deep Space Manöver, wie es schon einige Raumsonden durchführten, kommt man dann nach einem Jahr zurück zur Erde, dann aber nicht wie bei der Bahn in der Grafik in einem spitzen Winkel, sondern in einem relativ steilen Winkel, was die höhere Geschwindigkeit erklärt. Bis 2020 dürfte SpaceX die Methan-Technologie beherrschen, und wenn auch kein Raptor Triebwerk zum Einsatz kommt, (es ist zu schubstark) dann sicher ein kleineres, vielleicht ein Mikorraptor-Triebwerk? Das könnte dann auch das Methan nutzen, das bei der Sauerstoffregeneration frei wird. Die Mengen sind zwar nicht groß aber man kann sie mitnehmen: pro Tag etwa 300 g pro Person, das sind in 300 Tagen rund 100 kg.

Die wahrscheinliche Verwendung des BEAM Moduls ist ein weiterer kluger Schachzug von SpaceX. Zum einen ist es schon im Weltall, spart also Transportkosten. Zum anderen ist es schon von der NASA bezahlt worden und weltraumerprobt. Es dürfte klar sein, dass die Dragon selbst für nur einen Passagier zu beengt sein dürfte. Das BEAM bietet 16 m³ mehr Volumen, zumal ja auch noch die drei Racks für das ECLSS noch abgehen. Nur so wird auch das Manöver mit einer Falcon Heavy durchführbar. Die Nutzlast dürfte leicht über der zu Maes liegen bei etwa 14 t. Berücksichtigt man das ein Rack rund 700 kg wiegt, man trotzdem noch Vorräte und Wasser braucht und das Beam 1360 kg wiegt, so wird mit einem Start mit der Falcon heavy die Nutzlast knapp.

Rekonstruktion

So kann man das wahrscheinlichste Szenario rekonstruieren:

Eine Dragon 2 startet mit einem Passagier zur ISS, dort wird das BEAM angedockt. Wahrscheinlich schließt sich nun ein Umladen von Vorräten und den Racks in das BEAM an, beim Start dürfte die Kapsel ziemlich vollgestopft sein. Danach startet eine Falcon Heavy ohne jede Nutzlast. So gelangt die noch fast volle Oberstufe in den Orbit. Die Kombination dockt von der ISS ab und an die Oberstufe an. Diese bringt sie dann auf einen Kurs zur Venus. Meiner Berechnung nach könnten so etwa 18 t zur Venus befördert werden, vergleichen mit 14 t beim Nutzen der Falcon Heavy alleine. Basierend auf dem Verbrauch der ISS muss man mit 2,5 t Vorräten, Wasser und Gas für ein Jahr und eine Person rechnen. Dann die Racks mit dem Lebenserhaltungssystem von etwa 2.100 kg Gewicht und das BEAM mit 1.360 kg. Die Dragon 2 soll 6.400 kg ohne Treibstoff wiegen, das macht zusammen 12.360 kg. Das lässt ein komfortables Polster für weitere Ausrüstung (Inneneinrichtung) und Treibstoff für das Deep Space Manöver.

Ich gebe zu, dank SpaceX Schweigen in der Beziehung, ist das nur ein Szenario, natürlich könnte man auch mehrere Falcon Heavy einsetzen und eine deutlich größere Station starten. Die Vorgehensweise würde aber nicht nur die Kosten minimieren (ein Falcon Heavy Start wird durch eine Falcon 9 ersetzt, das BEAM ist schon von der NASA bezahlt) sondern wäre auch für den wohl reichen, aber sicher nicht mehr ganz jungen Passagier, besser: Bei einer Falcon Heavy treten bei Brennschluss der äußeren Booster eine Spitzenbeschleunigung von 5 g auf. Vom Cross-feeding ist ja nun nicht mehr die Rede und die Merlins de ersten Stufe sind nur auf 70% regelbar. Wird das zentrale Merlin nicht sofort nach, dem Start heruntergefahren so könnten es sogar noch deutlich mehr sein.

Aber so wie ich SpaceX einschätze, wird das sowieso nur eine weitere Luftnummer und mich würde wundern, wenn tatsächlich im März 2020 ein Passagier zur Venus aufbricht. Wenn, dann kann ich mir schon die Litanei von Musk Selbstlob vorstellen „The first Human who left the Earth-Moon System“, „the first man who rides in the inner solar system“, „the first private Exonaut“ …

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